Annette Kuptz-Klimpel, Arne Burchartz et al. (Hrsg.): Die Verwirklichung des schöpferischen Selbst nach C.G. Jung
Rezensiert von Svenja Rehse, 06.02.2025

Annette Kuptz-Klimpel, Arne Burchartz, Hans Hopf, Christiane Lutz (Hrsg.): Die Verwirklichung des schöpferischen Selbst nach C.G. Jung. Selbstregulation in der psychodynamischen Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen.
Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2023.
196 Seiten.
ISBN 978-3-17-036595-7.
34,00 EUR.
Reihe: Psychodynamische Psychotherapie mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Thema
In ihrem Buch: Die Verwirklichung des schöpferischen Selbst nach C. G. Jung. Selbstregulation in der psychodynamischen Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen zeigt Annette Kuptz-Klimpel C. G. Jungs sowie Erich Neumanns Modell der psychodynamischen Psychotherapie auf, indem sie zunächst frühere wie neuere Erkenntnisse anderer therapeutischer Richtungen, z.B. der Neurowissenschaften skizziert, um daraus die die Sichtweise C.G. Jungs und Erich Neumanns herzuleiten und vertieft herauszuarbeiten. Das schöpferische Potenzial des Selbst, die Einheit und Ganzheit der Persönlichkeit aber auch die Bedeutung der therapeutischen Beziehung bei Störungen der frühkindlichen Eltern-Kind-Beziehungen werden in ihrer Relevanz und in ihrer Wirkung auf den Entwicklungs- und Heilungsprozess deutlich gemacht. Archetypen, das Kollektive und persönliche Unbewusste, Komplexe als Grundlagen des Individuationsprozesses werden vorgestellt. Fantasie, Symbole und Möglichkeiten der Umsetzung therapeutischer Interaktion/Intervention zur Selbstregulation im Spiel-Raum und durch Spielen werden aufgezeigt. Abschließend geht es um Methoden und Wirkfaktoren analytischer Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie.
Autor:in oder Herausgeber:in
Die Herausgeber der Publikation: die Verwirklichung des schöpferischen Selbst nach C. G. Jung. Selbstregulation in der psychodynamischen Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen sind Arne Burchartz, Hans Hopf, Christiane Lutz in der Reihe Perspektiven für Theorie, Praxis, Anwendungen im 21. Jahrhundert des Kohlhammer-Verlags.
Die AutorinAnnette Kuptz-Klimpel, im Klappentext mit Foto vorgestellt, ist Diplom-Sozialpädagogin (FH), Gruppenleiterin in Themenzentrierter Interaktion nach Ruth Cohn (TZI). Sie arbeitete viele Jahre im Landkreis-Sozialdienst und einer psychologischen Beratungsstelle. Seit Abschluss ihrer Weiterbildung am C. G. Jung Institut Stuttgart arbeitet sie seit 1999 als analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, seit 2001 in eigener Praxis in Nürtingen. Auch als Dozentin im Bereich der Supervision ist sie tätig, dieses an ihrem früheren C. G. Jung-Weiterbildungsinstitut Stuttgart, wo sie auch ihre Ausbildung absolvierte.
Entstehungshintergrund
Autorin Annette Kuptz-Klimpel stellt in ihrem Buch die Verwirklichung des schöpferischen Selbst nach C. G. Jung. Selbstregulation in der psychodynamischen Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen vor. Hierfür sondiert und präsentiert sie den psychodynamischen Ansatz C. G. Jungs/Erich Neumann im Kontext und teilweise Spannungsfeld relevanter anderer Theoretiker wie Freud, Hartmann, Kohut und weiterer, heutiger wissenschaftlicher Vertreter und Schulen wie der systemischen Theorie und Neuropsychologie/-wissenschaften. Aus ihrer eigenen Praxis ergänzt sie die theoretischen Darstellungen mit kurzen Beispielen und stellt heraus, dass sie aus ihrer Arbeit mit jungen KlientInnen kontinuierlich selbst und durch die Prozesse auch immer weiter lernt. Die therapeutische Persönlichkeit und Haltung, das Lernen als therapeutisches Thema und grundlegender Aspekt therapeutischen Arbeitens werden neben den weiteren Themen als wichtiger Aspekt des Buches behandelt.
Aufbau
Das Buch: Die Verwirklichung des schöpferischen Selbst nach C. G. Jung. Selbstregulation in der psychodynamischen Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen umfasst 179 Seiten plus acht 8 Seiten Literatur- und weitere 8 Seiten Stichwortverzeichnis im DIN-A5-Format.
Es gliedert sich in sechs Kapitel mit 3–6 Unterkapiteln. Jedes Kapitel beinhaltet am Schluss einen kompakten theoretischen Überblick in Form einer Zusammenfassung, explizite Literaturverweise und wird durch wissenschaftliche Literatur fundiert. Nach jedem Oberkapitel fasst die Autorin die wesentlichen Aussagen in einem Kasten kompakt zusammen. Danach sind jeweils weiterführende Fragen aufgelistet.
In Kapitel 1 Ich und selbst aus verschiedenen Perspektiven werden der psychoanalytische Ansatz nach Freud, die Ich-Psychologie nach Hartmann, Selbstpsychologie nach Kohut, der systemische Ansatz sowie Ich und Selbst aus neuropsychologischer und neurowissenschaftlicher Sicht in Unterkapiteln auf jeweils 4–5 Seiten vorgestellt.
Kapitel 2 befasst sich mit dem Thema Selbst und Ich aus der Perspektive C. G. Jungs und Erich Neumanns mit Unterkapiteln zu Selbst und Gesamtpersönlichkeit, Ich-Bewusstsein und der Urbeziehung nach C. G. Jung und der (theoretischen Weiter-) Entwicklung des Ich aus dem Selbst und der Ich-Selbst-Achse nach Erich Neumann.
Kapitel 3 beschreibt den Individuationsprozess nach C. G. Jung bezogen auf die erste und zweite Lebenshälfte, geht über zu den Archetypen und kollektivem Unbewussten, behandelt die Themen Komplexe und das persönliche Unbewusste sowie Persönlichkeitsinstanzen in Kindheit und Jugend.
Kapitel 4 stellt das Thema Gehirnreifung und -entwicklung im frühen Raum der Eltern-Kind-Beziehung und in der Psychotherapie vor. Hier werden Bindungsbeziehungen, Gene und synaptische Verbindungen unter dem Aspekt des kindlichen Gehirns in Wechselwirkungen mit Körper und Psyche der Mutter sowie umstrukturierende und heilungswirkende Prozesse in der Psychotherapie aus Sicht der Neurowissenschaft dargestellt.
Kapitel 5 befasst sich mit Besonderheiten in der psychodynamischen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie im psychodynamischen Ansatz C.G. Jungs. Hier werden Vorstellung der eigenen Ganzheit und die Selbstregulation im Gespräch mit Kindern und Jugendlichen, der Therapeut als wichtigstes Handwerkszeug, der Therapieraum und die Vertiefung als ungestörter Schutzraum und fördernder Nährboden sowie Übertragung und Gegenübertragung präsentiert.
Kapitel 6 bietet Methoden und Wirkfaktoren der analytischen Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen mit den Aspekten Regression – Progression in der Selbstregulation der Gesamtpersönlichkeit, es geht weiterhin um transzendentale Funktion, Symbolsprache, schöpferischen Gestaltungsprozess, Märchen, Psychotherapie mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen.
Inhalt
Das Buch Die Verwirklichung des schöpferischen Selbst nach C. G. Jung. Selbstregulation in der psychodynamischen Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen von Annette Kuptz-Klimpel bietet eine kompakte und zugleich umfassende Herleitung und Übersicht über verschiedene theoretische Ansätze zum Thema Ich und Selbst und den Individuationsprozess. Die Zusammenstellung referiert theoretische Vorläufer und aktuelle (Weiter-) Entwicklungen neben bzw. nach C. G. Jungs psychodynamischer Theorie. Weiterhin werden grundlegende Erkenntnisse der Gehirnreifung und Bindung dargestellt, die zu gelingender Bindung und gesunder Entwicklung und Reifung beitragen. Insbesondere in Kapitel drei werden einige Aspekte und Folgen nicht gelingender Bindung des Kindes zu Mutter/Eltern/Kontext aufgezeigt und wissenschaftlich fundiert. Störungen der kindlichen/jugendlichen Entwicklung im Bindungsangebot und -verhalten können demnach zu einer Therapiebedürftigkeit führen. Auf Grundlage der ersten drei Kapitel wird C. G. Jungs psychodynamische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie mit ihren Besonderheiten eingeführt. C. G.Jung geht im Gegensatz zum psychoanalytischen Ansatz vom schöpferischen Potenzial des selbst aus. Letztendlich ermögliche dieses die Selbstverwirklichung und Ich-Entwicklung (S. 123). Das Unbewusste, Kreativität und Gestaltung haben nach C. G.Jung fundamentale Bedeutung. Sein Konzept der Ganzheit im Sinne von Vollständigkeit und Selbstregulation erklärt eine (kindliche) Neurose als Entzweiung mit sich selbst, als Störung der Reifung und als innerseelisches Ungleichgewicht, was auf innere Konflikte und Komplexe zurückzuführen sei (ebd.).
Die psychodynamische Therapie bearbeitet diese inneren Konflikte und Komplexe und macht unbewusste Anteile dadurch sichtbar, verstehbar und integrierbar. Die Autorin widmet daraufhin mehreren Unterkapiteln der therapeutischen Persönlichkeit, den therapeutischen Prozess mit Elementen der Übertragung und Gegenübertragung und dem therapeutischen Raum mit seinen Gegebenheiten und Wirkfaktoren. Hier greift sie auf eigene Erfahrungen zurück und zeigt auch das Potenzial und Grenzen der den Menschen innewohnenden Selbstheilungskräften auf. Ethische Grundsätze und das Bewusstsein der biografischen Anteile und persönlichen Werdegangs der Therapeutenpersönlichkeit werden hier fokussiert und analysiert. Der Aspekt wird durch ein Zitat C. G. Jungs zur Botschaft des Patienten, die entschlüsselt werden muss, anschaulich und in seiner Relevanz für den therapeutischen Prozess verdeutlicht. Das Prinzip der Archetypen wird erläutert und beispielhaft aus der griechischen Mythologie hergeleitet. Kenntnis und Verständnis der Archetypen dienen als Grundlage und Konsequenz für professionelles Handeln; Archetypen werden als Ereignisse analysiert und dem Prozess der therapeutischen Beziehung eingeordnet. Therapie bedeute nach C. G.Jung Veränderungsprozesse für beide.
Der Therapieraum als Spielraum wird mit seinen Möglichkeiten detailliert beschrieben und die besondere Qualität des therapeutischen Spiels und findet die Fortsetzung als Schutzraum und Nährboden für Heilung und Entwicklung im folgenden Unterkapitel. Die Unmittelbarkeit der Begegnung im Hier und Jetzt von Therapeut und Kind/Jugendlicher/m wird in seinem Symbolgehalt und Ganzheitlichkeit deutlich gemacht. Auch die Abgrenzung des Therapiehandelns zum elterlichen Kontext wird beschrieben. C .G. Jungs/Erich Neumanns Ansatz psychodynamischer Therapie wird mittels der Fülle an Explorationsmöglichkeiten im Spiel und der Interaktion hinsichtlich der Beziehung, Bindung und daraus entstehender neuer, heilsamer Erfahrungen voll ausgeschöpft.
Der Prozess der Übertragung und Gegenübertragung und die Selbstregulation werden anhand des Schaubildes Beziehungsquaternio (S. 136) erarbeitet.
Diskussion
Das Buch bietet einen kompakten Ein- und Überblick über die psychodynamische Therapie nach C. G. Jung/Erich Neumann. Die grundlegende Herleitung durch Vorläufer wie Freud und parallele bzw. Weiterentwicklungen der Ich- und Selbstpsychologie, systemische Theorie und neuropsychologische und -wissenschaftliche Forschung tragen zur Kenntnis, Verständnis und Wissen um Abgrenzung oder Wechselwirkung fundiert bei. Das Buch bietet durchgehend eine Fülle an wissenschaftlichen Quellen in Form von Verweisen im Text sowie im Literaturverzeichnis. Solide Fachkenntnisse und gründliche Auseinandersetzung der Autorin sind offensichtlich. Ihre Expertise als Kinder- und Jugendlichentherapeutin bringt sie, wo möglich, durch anschauliche und kompakte Beispiele aus ihrer eigenen Berufspraxis gewinnbringend ein. Dennoch ist und bleibt es ein theoretisches Werk, das als Studienlektüre sehr gute Einblicke in C. G. Jungs Werk und insbesondere die psychodynamische Therapie nach C. G. Jung/Erich Neumann gibt.
Die Kapitel sind inhaltlich stimmig, nachvollziehbar strukturiert und bieten dem Lesenden reichhaltiges Grundlagenwissen, das durch gezielte Literaturvorschläge jeweils am Kapitelende zu individueller Vertiefung einlädt. Die ersten drei Kapitel bieten Basiswissen, das auf die weiteren Kapitel über die psychodynamische Therapie nach C. G. Jung gezielt zuläuft und konsequent auf die – letztlich zu behandelnde Klientel – neurotische Kinder und Jugendliche bezogen ist. Die Auseinandersetzung mit hier wichtig werdenden Aspekten ist vollumfänglich gelungen. Methodische Aspekte, Therapeutenhaltung und -rolle, Beziehung, Bindung, therapeutische Übertragung und Gegenübertragung und die fundierte Herleitung des Störungsbildes und der besonderen Bedarfe der KlientInnen werden prägnant und verständlich präsentiert. Die Raumsituation der Spieltherapie wird durch die vielen, bekannten Materialien, ihre Einsatzmöglichkeiten und Fallbeispiele aus der therapeutischen Praxis besonders anschaulich. Ein wissenschaftliches Buch für Studierende und Berufspraktiker, die sich mit C. G. Jungs/Erich Neumanns Konzept der psychodynamischen Therapie und seiner praktischen Anwendung vertraut machen möchten. Anschließen könnte die Autorin mit einem Praxistransfer, der C. G. Jungs/Erich Neumanns Modell, um konkrete Umsetzung oder besondere Aspekte erweitert.
Fazit
Die Autorin Annette Kuptz-Klimpel hat in ihrem Werk wesentliche Theoretiker zusammengestellt, die C.G. Jungs/Erich Neumanns psychodynamischen Ansatz im Kontext seiner Zeit hervorgebracht, beeinflusst und weiterentwickelt haben. Vernetzung wie Abgrenzung zu verwandten und relevanten Theorien sind auf wissenschaftlichem Niveau vollumfänglich gelungen, Merkmale und Aspekte der therapeutischen Inhalte sowie die Umsetzung auf der Grundlage C.G. Jungs Modell sind prägnant herausgearbeitet und bieten reichhaltige Ansatzpunkte. Ein wissenschaftliches Werk, das als Studienlektüre und therapeutische Praxis empfehlenswert ist.
Rezension von
Svenja Rehse
M.A., Dozentin Pädagogik (Fach-/Hochschulen) und Kunsttherapie
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