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Andreas Kewes, Moritz Müller et al.: Engagement im Zwiespalt

Rezensiert von Dr. Siegmund Pisarczyk, 02.07.2025

Cover Andreas Kewes, Moritz Müller et al.: Engagement im Zwiespalt ISBN 978-3-7799-8409-2

Andreas Kewes, Moritz Müller, Chantal Munsch: Engagement im Zwiespalt. Erfahrungen ehemaliger Engagierter in Wohlfahrtsverbänden, Kirchengemeinden, Sportvereinen und Umweltinitiativen. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2025. 198 Seiten. ISBN 978-3-7799-8409-2. D: 42,00 EUR, A: 43,20 EUR.

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Thema

Freiwilliges Engagement ist wichtiger Teil der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland. Über 16 Millionen Deutschen engagieren sich ehrenamtlich für das Gemeinwohl, einige lebenslang und einige beenden aus verschiedenen Gründen ihr Engagement. Letzten werden in diesem Buch nach ihren Motiven des Verzichtes bzw. der Aufgabe ihres Engagements wissenschaftlich befragt.

Autor:innen

Prof. Dr. Chantal Munsch ist Professorin für Sozialpädagogik an der Fakultät II Bildung-Architektur-Künste der Universität Siegen im Department Erziehungswissenschaft. 

Dr. Andreas Kewes ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department Erziehungswissenschaft der Universität Siegen.

Moritz Müller ist Doktorand im DGF-Graduiertenkolleg „Folgen sozialer Hilfen“ an der Universität Siegen.

Dem Autorenteam und dem Verlag gebührt Dank für die relevante Publikation.

Inhalt

Von dieser Studie können mehrere Zielgruppen profitieren: Erstens alle, die sich persönlich selbst engagieren bzw. künftig engagieren möchten. Zweitens alle Nonprofit-Organisationen (Vereine, Stiftungen und Bürgerinitiativen). Drittens Soziologen, Pädagogen, Anthropologen, Psychologen und Fundraiser. Viertens Politiker und Behörden, mit anderen Worten alle, denen die gesellschaftliche Entwicklung unseres Landes wichtig ist.

Eigene Publikationen der Autoren, sowie Arbeiten von Rauschenbach, Zimmer und angelsächsische Primärliteratur werden systematisch berücksichtigt.

Diese Studie gliedert sich in 11 Kapitel:

1. Einleitung

In diesem Kapitel werden Forschungsperspektiven entwickelt bezüglich u.a. der Fragen: welche Menschen engagieren die sich freiwillig bzw. warum machen sie das? Und wann und warum beenden sie ihr Engagement? (vgl. S. 9). Eingangs wird festgestellt, dass zur Beendigung eines Engagements noch relativ wenig wissenschaftlich untersucht wurde (vgl. S. 11). Aus dem Vergleich der Berichte der Engagierten konnte man entnehmen, dass jeder Bereich der Tätigkeit der Engagierten mit spezifischen Herausforderungen und Erwartungen verbunden ist bzw. war. Engagierte in einer Kirchengemeinde erwarten, z.B. „nahrhafte Predigten“, andere Geselligkeit (vgl. S. 15). Im Sportverein wiederum erwarten die Engagierten grundsätzlich gemeinsame Sportaktivitäten und in Umweltinitiativen, z.B.: möchten sie etwas Gutes für den Stadtteil bewirken, z.B. den Bau von Fahrradwegen.

2. Forschungszugang

Hier werden die Ergebnisse der bisherigen Forschungsprojekte über die Engagementsverläufe vorgestellt (vgl. S. 18 ff.). Die Form „Narratives Interview“ wurde in der Studie angewandt. Darin geht es darum, die Befragten über einen bestimmten Lebensabschnitt ihres Engagements frei berichten zu lassen (vgl. S. 19). Es handelt sich dabei um eine besondere Form der Datenerhebung, die dokumentarisch belegt wird (vgl. S. 20 ff.). Dabei beziehen sich die Autoren oft auf die Ergebnisse eigener wissenschaftlichen Untersuchungen, z.B. stichprobenhafte Erhebungen (vgl. S. 23 ff.) bei Wohlfahrtsverbänden, Kirchengemeinden, Sportvereinen und Umweltinitiativen, zur Aufgabe (ehrenamtlichen) Engagements.

3. Management in Wohlfahrtsverbänden zwischen Resonanz und Widerspruch

Es wurden die Aussagen der Engagierten unter ihrer Distanzierung zu ihrem Engagement referiert. In einigen Handlungsfeldern der öffentlichen Wohlfahrt, z.B. Herrschen „besondere Effizienzzwänge“, welche die Solidarität mit den Adressaten oft nicht leicht machen (vgl. S. 29).

Eine wichtige Rolle spielt die Widerspruchs-Haltung, z.B. bei der Feststellung allgemeiner Missstände (vgl. S. 37). Die Widerspruchs-Haltung wird oft emotionalisiert und äußert sich, z.B. in Enttäuschung, Empörung und Unzufriedenheit (vgl. S. 40), welche positive Grundmotivation der Engagierten untergraben.

4. Unterschiedliche Logiken im Kirchenmanagement: Engagement zwischen Gemeinschaft, Bewegung und Organisation

Die Erwartungen von und an Kirchengemeinden, z.B. können sehr stark divergieren: Es wird unterschieden zwischen Kirchengemeinden als „Gemeinschaft der Gläubigen“, „Ort sozialer Bewegung“ und „Organisation und Institution“ (vgl. S. 50–72).

Engagierte konnten auf die Frage für welche Form von Kirche sie sich eigentlich engagieren wollten oft nicht eindeutig antworten. Einige engagieren sich in der Kirche, die Gemeinschaft anbietet. Die Anderen wiederum engagieren sich für eine Kirche, die „etwas bewegt“ (vgl. S. 78). Es herrschten auf beiden Seiten unterschiedliche Vorstellungen vom freiwilligen Engagement in der Kirche.

5. Engagement in Sportvereinen zwischen Selbstzweck und Strukturbildung

Zu den Motiven des Engagements zählten die Freude an der Bewegung, die Freude an der technischen Beherrschung einer Sportart, des gemeinsamen Spieles, der körperlichen Ertüchtigung und an Kameradschaft und Gemeinschaft (vgl. S. 88–89). Spezifisch ist das Engagierte im Training der Erwerb von Trainingslizenzen und die Arbeit im Vorstand (vgl. S. 90 ff.). Im Vergleich der Gemeindearbeit mit einem Sportverein zeigte sich, dass im Sportverein Engagierte mehr Möglichkeiten hätten, Strukturen mitzubestimmen (vgl. S. 100 ff.).

6. Engagement in Umweltinitiativen zwischen Umweltbewusstsein und Kompetenzanspruch

Die Autoren weisen darauf hin, dass besonders im Umweltbereich Menschen mit formaler Bildung sich am meisten engagieren. Zugefügt werden soll, dass in den Interviews das praktische Wissen und Vermögen für das Engagement in Umweltinitiativen entscheidend ist (vgl. S. 111). Das Engagement im Umweltbereich zeichnen zwei Merkmale aus: hohes Umweltbewusstsein und die Attraktivität der Ziele. Die Engagierten im Umweltbereich verfügen über relativ viel Zeit, Wissen und Einsatz (vgl. S. 116). Umweltinitiativen haben es oft mit Gegendruck zu tun, was die Zielsetzung und die erforderlichen Maßnahmen oft erschwert.

7. Zwischenfazit: Zur Feldspezifik von Engagementdynamiken

An dieser Stelle reflektieren die Autoren über die bisherigen Thesen: Die Erfahrungen der Engagierten sind sehr verschieden. Besonders in den Wohlfahrtsverbänden zeigen die Engagierten eine persönliche Nähe und „Beziehungen der Resonanz“ mit den Adressaten aus und zugleich eine gewisse Machtlosigkeit aufgrund der Zunahme der Ökonomisierung der Dienstleistungen der Wohlfahrtsverbände (vgl. S. 120).

8. Verschiedene Vorstellungen von Kooperation als Herausforderung im Engagement

In diesem Kapitel wir der Fokus gelegt auf die Kooperation zwischen den Engagierten. Kooperation bzw. Zusammenarbeit muss nach bestimmten Mustern und Strukturen erfolgen. In der Realität ist diese Problematik zu einer Herausforderung geworden. In diesem relevanten Bereich wurden Antworten auf diverse Fragen untersucht, z.B. welche Bedeutung konkrete Ziele und Resultate der Kooperation im Engagement haben oder welche Funktion Kompetenzen und Wissensbereiche in der Zusammenarbeit mit Engagierten zu erfüllen haben (vgl. S. 138).

9. Das Kuratieren von Lebenszeit im Engagement

In diesem Kapitel berichten Engagierte von ihren Vorerfahrungen und Kompetenzen in diversen Lebensphasen, z.B. in Ruhestand oder Erwerbslosigkeit. Das Verbindende ist in den Berichten ist die Reflexion über eigene Lebenserfahrungen (vgl. S. 140 ff.). Das Engagement wir analysiert unter verschiedenen Aspekten: als nicht passend zu anderen Lebensbereichen, als passend zu verschiedenen biografischen Zeitpunkten und als nicht passend zu anderen „Lebensbereichen zu einem biografischen Zeitpunkt” (vgl. S. 140 ff.) bis zur Frage, wann Engagement überhaupt keinen Sinn mehr ergibt.

10. Verletzbarkeit

Hier geht es um die Verletzbarkeit der Engagierten in den Beziehungen einer Organisation. Sie steht im Widerspruch zur gängigen Betrachtungsweise von freiwilligem Engagement. International gilt die Annahme, dass „Engagement der Engagierten grundsätzlich guttue“ (S. 159). Die Autoren stellen fest, dass die Verletzbarkeit der Engagierten bislang wissenschaftlich kaum untersucht wurde (vgl. S. 159), als Verlust von Zugehörigkeit und von bestimmten Orten. Am Beispiel einer engagierten Vorständin eines Sportvereines wird gezeigt, dass Engagierte nicht immer mit adäquater Dankbarkeit und Anerkennung rechnen können. Ein anderer Bereich der Verletzbarkeit ist der Verlust von Sinn in der Arbeit. An dieser Stelle berichten die Autoren über die Engagierten Konstantin und Katinka, die sich an der Organisation der Jugendfreizeiten in einer Gemeinde engagierten, was aber im Endeffekt zu Misserfolg und Verletzbarkeit geführt hatte (vgl. S. 165). An einigen Beispielen wird dokumentiert, dass Engagement nicht immer zu „Wohlbefinden“ der Engagierten führt (vgl. S. 173).

11. Fazit: Eine feldvergleichende Perspektive aus Engagement

In diesem Schlusskapitel berichten die Autoren über die Perspektive der Entwicklung der Forschungsprozesse. Es handelt sich um besseres Verständnis der Engagementdynamiken und Engagementabbrüche. Grundsätzlich geht es um die Analyse der Feldperspektiven in denen das Engagement realisiert wurde (vgl. S. 175 ff.). Die Erfahrungen, welche die Engagierten machten, lassen sich wie folgt zusammenfassen: als Spannung zwischen Bindendem und Abträglichem; als Feldperspektive auf Engagement; als Engagementdynamik zwischen rationaler Einschätzung und Berücksichtigung zum dauerhaften Engagement gemäß den (lebens-) Erfahrungen des Engagierten.

Diskussion

Dieses anspruchsvolle Buch ist eine sozialkritische Analyse des freiwilligen Engagements der Organisationen und Bürgerinitiativen im Nonprofit-Bereich. Gemeint sind freiwillig Engagierte und ehrenamtlich Bestimmte. Engagierte spenden „Arbeit“, Zeit, Ideen und nicht selten Geld (also Geldspender/Mäzene).

Sie engagieren sich u.a. in Wohlfahrtsverbänden, Sportvereinen, Kirchen, Altenpflege und Kinderschutz, mit anderen Worten: Menschen engagieren sich in Bereichen, wo der Staat sparen muss und an Personal Mangel herrscht. In diesen Organisationen zeigen sich Engagementdynamiken, die durch zwei verschiedene Tendenzen also von „Resonanz und Widerspruch“, geprägt sind (vgl. S. 47). Diese lassen sich wie folgt erklären: Einerseits ist der Widerspruch zwischen der Effektivität der Wohlfahrt (als leistungs- und kostenvergleichende Organisation) und menschlicher Fürsorge (vgl. S. 47) als Differenz zu verstehen. Andererseits beklagen die Helfenden die Auflagen für „technische Vorsorge“ der zu Betreuenden, z.B. wegen Zeitvorgaben. Man spricht in diesem Zusammenhang von Ökonomisierung bzw. Industrialisierung der Pflege. 

Die Organisation des freiwilligen Engagements ist für jeden Bereich bzw. jede Einrichtung sehr spezifisch, dazu drei Beispiele:

  1. In Kirchengemeinden müssen sich die Engagierten vor Ort integrieren bzw. ihre eigenen Vorstellungen mit den Erwartungen der Gemeinde Koordinieren und individuell aushandeln (vgl. S. 79). 
  2. In Sportvereinen müssen wiederum Strukturen erhalten oder überhaupt erst geschaffen werden, um Sport betreiben zu können (vgl. S. 80).
  3. Im Umweltbereich verstärken die verfolgten Ziele der Engagierten deren Identifikation mit der Aufgabe (vgl. S. 105 ff.).

Nicht selten kommt es zu Fehlern in der Kooperation zwischen dem Engagierten und oder dem Verein trotz der Einsicht, dass reibungslose Kooperation in der Zusammenarbeit der Engagierten das „A und O“ einer freiwilligen Tätigkeit ist (vgl. S. 125 ff.).

In den Engagementerzählungen lassen sich zwei Tendenzen erkennen: erstens die Herstellung von Kongruenz, wenn das jeweilige Engagement nicht mehr zu anderen Lebensbereichen passt; zweitens die Herstellung von Kohärenz, wenn das Engagement in der Biografie sinnvoll zu verorten ist (vgl. S. 157–158). Die Studie begann mit dem Ziel, die Engagementabbrüche besser nachvollziehbar zu machen (vgl. S. 188). Die Autoren wünschen, dass die dargelegten Thesen und Perspektiven sowohl in der Forschung als auch in der Praxis der freiwillig Engagierten weiterhelfen könnten. Diesem Wunsch ist zuzufügen, dass auch Sozial- und Kulturpolitik von dieser Studie wichtige Erkenntnisse ableiten werden.

Eine der wichtigen Fragen der Studie lautet, wie sich Engagement professionell steuern lässt (vgl. S. 12). Freiwilliges Engagement kann zur Bereicherung der Persönlichkeit der Engagierten beitragen. Es kann aber auch verletzende Auswirkungen haben, z.B. durch Widersprüche, Konflikte und fehlende Beschreibungen von Zielen und Kompetenzen. Zu den Herausforderungen der Engagierten zählen die Fragen, ob ein Projekt zum eigenen Profil passt und ob es in das eigene Leben integrierbar ist (vgl. S. 15–16). Die Autoren raten zur Behutsamkeit mit offener Kritik an eventuellen Missständen in der Praxis des freiwilligen Engagements und zeigen an überzeugenden Beispielen, was zu tun ist, um die Zusammenarbeit zu optimieren.

Kewes, Müller und Munsch sensibilisieren die soziale- und politische Öffentlichkeit, dass Engagierte für unsere Gesellschaft unentbehrlich sind. Die Verletzbarkeit der Engagierten ist kein allgemeines gesellschaftliches Phänomen, kommt aber nicht selten vor. Es muss allerdings gesagt werden, dass Engagierte sich von diversen Motivationen leiten lassen. Sie sind meist

„Idealisten“ deren Engagement, Gutes zu tun für persönlichen ein Beitrag für sozialen Frieden ist. 

Fazit

Diese Studie ist Aufruf und Ratgeber an alle Entscheidungsgremien von Vereinen und Verbänden, freiwillig/​ehrenamtlich Engagierte als wertvollen Teil des Gemeinwesens zu verstehen und sie nachhaltig zu würdigen und zu pflegen.

Rezension von
Dr. Siegmund Pisarczyk
Diplompädagoge & Nonprofit Manager
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Es gibt 19 Rezensionen von Siegmund Pisarczyk.

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ISSN 2190-9245