Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Stephan Lamby: Dennoch sprechen wir miteinander

Rezensiert von Wolfgang Schneider, 07.03.2025

Cover Stephan Lamby: Dennoch sprechen wir miteinander ISBN 978-3-406-83009-9

Stephan Lamby: Dennoch sprechen wir miteinander. Wie ein Familientreffen zu einer Reise durch die Welt der Demagogen wurde. Verlag C.H. Beck (München) 2025. 248 Seiten. ISBN 978-3-406-83009-9. 25,00 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Es war ein ganz normales Familientreffen. Stephan Lamby sah dort seinen geschätzten Cousin aus den USA wieder, der ihm an diesem Tag eröffnete, dass er beim Sturm auf das Kapitol dabei gewesen sei. Die Neugier war geweckt, Stephan Lamby startete eine ganz besondere Reise. Er wollte herausfinden, warum sich so viele Menschen aus der bürgerlichen Mitte, sogar Verwandte und Freunde, radikalisieren. Und so machte er Station in den USA, in Argentinien, in Italien und natürlich auch an verschiedenen Orten in Deutschland. Daraus wurde eine letztlich sehr persönliche Reise tief in die Geschichte der vier Länder und auch der eigenen Familie. Am Ende standen viele Gespräche mit ganz unterschiedlichen Gefühlen, die sie auslösten – und ein ganz besonderer Blick auf die dunklen Seiten westlicher Demokratien.

Autor

Stephan Lamby ist nicht nur Buchautor, sondern auch Dokumentarfilmer, der in der Vergangenheit vor allem große politische Dokumentationen für die ARD verantwortete. Für seine Arbeit wurde er unter anderem mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet.

Aufbau und Inhalt

Ein Jahr, vier Länder – das ist das Grundgerüst dieses Buches, mit dem Stephan Lamby versucht, ein Gefühl für die Ängste radikalisierter Bürger zu entwickeln. Gut hundert Jahre nach dem Aufkommen des historischen Faschismus und achtzig Jahre nach dessen Ende geht er der Frage nach, ob der Begriff Faschismus für die aktuelle politische Auseinandersetzung noch taugt. Stephan Lamby lernte Menschen im ehemaligen Wohnhaus von Benito Mussolini kennen und in Graceland, dem Anwesen von Elvis Presley. Er beobachtete den argentinischen Präsidenten Javier Milei aus der Nähe, sprach mit seinem Cousin, der beim Sturm aufs Kapitol dabei gewesen war, und mit einem Arzt in Gera, der sich für die AfD engagiert. Dabei offenbart sich bei allen Menschen, mit denen er spricht, eine durchaus nachvollziehbare innere Logik, warum sie denken, wie sie denken. Das personifizierte Böse sind sie jedenfalls auf den ersten Blick nicht. Lamby hat Feinde der Demokratie kennengelernt, aber auch Menschen, die sich den Feinden der Demokratie in den Weg stellen. Fast immer haben sich die Gespräche gelohnt. Doch es gab auch Grenzen. Dabei geht es auch immer um private Verbindungen des Autors.

Was Autor und Leser:innen nach dieser realen oder leserischen Reise mitnehmen? Dass es Menschen gibt, die so unfassbar viel Angst – Lamby formuliert es mit „Widerwillen“ (S. 239) wesentlich drastischer – vor Veränderung haben, die ihnen von außen mehr oder weniger aufgepfropft werden, dass sie in den Kampf gehen, dass sie anfangen zu hassen, zu misstrauen. Es entsteht eine schon fast greifbare Angst vor dem Verlust der eigenen Bedeutung und des eigenen Niedergangs. Stephan Lamby referenziert dabei auf den Soziologen Steffen Mau und sein grandioses Buch „Ungleich vereint“ (Rezension dazu), in dem dieser beschreibt anhand von Ostdeutschland, dass schrumpfende Gesellschaften häufig Gesellschaften der Angst sind – ein Phänomen, das Lamby aus beobachten konnte. Und trotzdem hat er Hoffnung: Weil es Menschen gibt, die gegen eben jene Strömungen ankämpfen, die den Ängsten nicht erliegen. Demokratie, so schließt Lamby sein Buch, sei wie Familie: „Wenn die Mitglieder nicht mehr miteinander sprechen, droht sie zu zerbrechen", dann entsteht Misstrauen, schlimmstenfalls Hass“ (S. 243).

Diskussion

Dieses Buch ist der spannende bisweilen sehr private Versuch, eine Erklärung dafür zu finden, warum sich Menschen Demagogen (und das ist bewusst nicht gegendert) hinwenden und wieso es wichtig ist, Farbe für die Demokratie zu bekennen. Dabei ist dem Buch quasi auf jeder Seite, in jedem Satz anzumerken, dass der Autor ein erfahrener Dokumentarfilmer und Autor ist. Seine Beobachtungen sind prägnant, kommen schnell auf den Punkt. Stephan Lamby schafft es, Emotionen zu transportieren, ohne sie konkret zu benennen, einfach nur weil er ein guter Beobachter ist. Am Ende gelingt es ihm, anhand der konkreten Menschen zu beschreiben, wieso sie sich aus der Mitte der Gesellschaft an den rechten Rand bewegen. Eine allgemeingültige Erklärung, so viel ist auch nach dieser beeindruckenden Lektüre sicher, dafür gibt es aber nicht. Aber vielleicht liegt genau darin die Hoffnung, die bisweilen durchschimmert: Manche Menschen kann man mit Gesprächen vielleicht doch noch erreichen, wenn man sich auf sie einlässt, ohne seinen eigenen Wertekompass aufzugeben. Das ist mühsam, könnte aber eine Chance sein.

Fazit

Ob man den Optimismus des Autors jetzt teilen mag oder nicht, sei einmal dahingestellt – aber das ändert nichts daran, dass es ein spannendes, nachdenklich machendes und manchmal sogar fast ein bisschen emotionales Buch ist mit einer klaren Botschaft – „Sprecht miteinander!“.

Rezension von
Wolfgang Schneider
Sozialarbeiter
Mailformular

Es gibt 141 Rezensionen von Wolfgang Schneider.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245