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Wiebke Vogelaar: Schreiben trotz Care-Arbeit

Rezensiert von David Kreitz, 11.03.2025

Cover Wiebke Vogelaar: Schreiben trotz Care-Arbeit ISBN 978-3-8474-3020-9

Wiebke Vogelaar: Schreiben trotz Care-Arbeit. Strategien für Mütter in der Wissenschaft. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2024. 172 Seiten. ISBN 978-3-8474-3020-9. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.

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Thema

„Was hießt es eigentlich Mutter* in der Wissenschaft zu sein? Was sind die damit verbundenen Herausforderungen, die insbesondere beim Schreiben auftreten? Geht das nur mir so?“ waren die Ausgangsfragen, die Wiebke Vogelaar sich selbst stellte und die die Basis des vorliegenden Buches bilden. Sie beantwortet diese Fragen mithilfe eigener Erfahrungen, den Erfahrungen anderer aus ihren Coachings, sowie „neusten gesellschaftsrelevanten Erkenntnissen rund um das Thema Mutter*sein und Care-Arbeit“. Für die genannten Herausforderungen bietet sie „Strategien aus Schreibdidaktik, Achtsamkeitstraining und Produktivitätsforschung an, die genau da ansetzen, wo Mütter* am meisten Unterstützung gebrauchen können“. (S. 18)

Autorin

Dr.in Wiebke Vogelaar ist Schreibcoach und dreifache Mutter. Sie ist Gründerin von Alma Mater (www.schreibcoaching-fuer-mamas.de) und Mitbegründerin der Online-Co-Working-Plattform THE WRITING ACADEMIC (the-writing-academic.com).

Aufbau und Inhalt

Das Buch beginnt mit einem längeren einleitenden Teil, der ein Geleitwort, die persönliche Geschichte der Autorin sowie eine Vorschau auf die Inhalte, Struktur und zentralen Begriffe des Buches umfasst. Das Buch ist zur linearen oder selektiven Lektüre gedacht und der Fließtext wird ergänzt mit zusätzlichen Infoboxen, in denen entweder Strategien näher erklärt, Geschichten von Müttern in der Wissenschaft präsentiert oder Vorgehensweisen von Vogelaars Coachees erläutert werden.

Kapitel 1: Warum ein Schreibcoachingbuch speziell für Mütter*? Legt in drei Unterkapiteln dar, was Mütter in der Wissenschaft brauchen und welchen Herausforderungen sie sich beim Anspruch auf Vereinbarkeit gegenübersehen. Vogelaar beschreibt dabei die Zusammenhänge von Erschöpfung, Fremdbestimmung, Abgelenktheit, Schuldgefühlen und Unsicherheit, die es Müttern in der Wissenschaft besonders schwer machen.

Kapitel 2: Care-Arbeit stellt die vorab unter „Zentrale Begriffe“ kurz definierten Aspekte von Care-Arbeit ausführlicher vor, sodass die Lesenden danach informiert sind über Equal Care, kognitive und emotionale Sorgearbeit sowie Mental Load. Dabei sind Care-Aufgaben immer noch unterschiedlich verteilt (Gender-Care-Gap), auch bei der kognitiven und emotionalen Sorgearbeit ist das der Fall, sodass die Mental Load, also die mentale Belastung durch Care-Arbeit, bei Müttern sehr hoch ist.

Kapitel 3: Muttertät beleuchtet diesen Begriff und die Implikation des Mutter-Werdens und Mutter-Seins für Wissenschaftlerinnen. Dabei ist Muttertät ein Begriff aus der Anthropologie und hat in letzter Zeit vor allem Verbreitung durch populärwissenschaftliche Bücher erfahren. Muttertät beschreibt den Transformationsprozess hin zur Mutter und bezieht sich ganzheitlich auf die stattfindenden neuro-bio-psycho-sozialen Veränderungen. Sie vollzieht sich in verschiedenen Phasen, die ganz individuell erlebt werden.

Nachdem der einleitende Teil und die Kapitel 1. -3. vor allem Beweg- und Hintergründe darstellten sowie die Situation und Erfahrungen von Müttern analysierte, werden in den folgenden Kapiteln individuelle Handlungsstrategien präsentiert. Die Kapitel schließen jeweils mit einer tabellarischen Übersicht dieser Strategien.

Kapitel 4: Konzentrationsrückbildung stellt von Meditation über Digital Detox und Beckenbodentraining verschiedene Möglichkeiten vor, die eigene Konzentrationsfähigkeit wieder zu gewinnen bzw. zu stärken.

Kapitel 5: Platz im Kopf stellt Methoden vor, die über Routinen und Rituale eben das schaffen sollen, was das Kapitel verspricht: Platz im Kopf.

Kapitel 6: Beziehungspflege nimmt die Beziehung zu sich selbst, zum eigenen Schreibprojekt und zum Text in den Blick und stellt Strategien vor, um die eigene Motivation zu klären und Geleistetes wertzuschätzen.

Kapitel 7: Basisbedürfnisse im Schreiballtag macht deutlich, wie wichtig es ist, Arbeitsnetzwerke zu etablieren, Hilfe anzunehmen, den eigenen Selbstwert immer wieder zu stärken und auf Bedürfnisse wie Hunger, Einsamkeit, Ärger und Müdigkeit angemessen zu reagieren.

Kapitel 8: Deep Work stellt dieses Konzept für konzentriertes Arbeiten vor und diskutiert geeignete Orte und Arbeitsphasen sowie die Etablierung von Deep-Work im Alltag.

In ihren Schlussworten macht Vogelaar noch einmal deutlich, was ihr Wunsch an die Wissenschafts- als auch die Elternsphäre ist, nämlich „dass Mütter* in der Wissenschaft ihren Kindern nicht nur beweisen können, dass sie es schaffen können, in diesem Bereich zu arbeiten, sondern auch noch genug Kraft und Aufmerksamkeit übrighaben, in beiden Lebensbereichen so präsent zu sein, wie sie es gerne möchten – ohne dafür verurteilt zu werden, sich schuldig zu fühlen oder permanent den einen gegen den anderen auszuspielen“ (S. 161). Im Grunde plädiert sie für eine Entschleunigung im Wissenschaftsbetrieb, der Chancen für Familie und Karriere möglich machen soll – wovon nicht nur Mütter profitieren würden, denn die volle Fahrt mit dem Hamsterrad in die Schuldgefühlmühle des Immer-zu-wenig-geschafft-Habens ist gerade in der Wissenschaft (aber nicht nur dort) allgemein weit verbreitet.

Als kleine Dreingabe beinhaltet das Buch Zusatzmaterial, das auf der Webseite des Verlages zum kostenlosen Download zur Verfügung steht.

Diskussion

Dieses Buch ist nicht für mich geschrieben. Viele der beschriebenen Erfahrungen habe ich als Vater nicht gemacht. Allerdings habe ich den Anspruch an mich selbst ein guter Vater zu sein, ich mache selbstverständlich Care-Arbeit und lade die kognitive Sorgearbeit nicht bei meiner Partnerin ab. Aber: Das mache ich aus meinem eigenen Verständnis des Vaterseins heraus, Mütter werden oft auch von außen darauf hingewiesen, wie sie ihre Mutterrolle auszuüben hätten. Das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Selbstanspruch des modernen Vaterseins mit gleichberechtigter Sorgearbeit und dem Muttersein mit Selbst- und Fremd- und gesellschaftlichen Ansprüchen und Zuschreibungen. Hinzu kommt, dass ich als Vater leibhaftig weder Kaiserschnitt noch „Stilldemenz“ noch postpartale Depressionen kenne.

Die Zielgruppe des Buches wird vor allem auch auf dieser Erfahrungsebene abgeholt, die aber zumeist rückgebunden ist an (sozial-)wissenschaftliche Erkenntnisse. Es ist ein großes Verdienst Vogelaars, die Erfahrung des Mutterwerdens und Mutterseins und des gleichzeitigen Wissenschaflerinwerdens und -seins konkret zu benennen, einzuordnen und so Wiedererkennen und Identifikation zu ermöglichen, aber auch durch Analysen und Hintergründe aufzuzeigen: „Du bist mit dem, wie es dir geht, nicht allein – und außerdem weiß ich, dank professioneller Ausbildung und aus eigener Erfahrung, was du brauchst“.

Gebraucht werden vor allem Möglichkeiten für konzentriertes Arbeiten, für Muße und Ruhe, die wissenschaftliche Kreativität erst ermöglichen. Somit liegt auch der Fokus dieses Schreibcoachingbuchs auf den Arbeitskontexten, auf den Ermöglichungsbedingungen der Textproduktion, jedoch nicht auf dieser selbst. Dabei werden durchaus neue Konzepte eingeführt (Konzentrationsrückbildung, Erschöpfungsblockade, deep work), die in Schreibdidaktik, -beratung, -coaching bereits seit längeren sehr ähnlich genutzt, allerdings nicht so benannt werden. Wer allerdings konkrete Übungen und Techniken für die Textproduktion an sich sucht, wird zusätzliche Lektüre benötigen.

Auch auf die Gefahr hin kleinlich zu wirken sei trotzdem angemerkt: Der Haupttitel des Buches sollte m.E. bereits klar die Zielgruppe benennen, denn andere Care-Arbeit als die von Müttern für (Klein-)Kinder kommt im Buch nicht vor, auch wenn viele Strategien sicherlich auch bei der Pflege kranker Angehöriger hilfreich sind.

Wer als Mutter in der Wissenschaft die Einbeziehung dieser speziellen Erfahrung, der damit einhergehenden bio-psycho-sozialen Veränderungen v.a. für die Zeit der Schwangerschaft, direkt nach der Geburt und der Kleinkindphase reflektieren möchte, und als Mutter und Wissenschaftlerin angesprochen und nicht in diese beiden Rollen „aufgesplittet“ sein möchte, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen.

Fazit

Kein anderes Ratgeberbuch nimmt die wissenschaftlich arbeitende und schreibende Mutter besser in den Blick und reflektiert die Besonderheiten des gleichzeitig Wissenschaftlerin- und Mutter-Seins. Die angebotenen Strategien lassen sich zwar ähnlich auch anderswo finden (sind hier aber sehr übersichtlich präsentiert); nur bei Vogelaar zu finden sind allerdings die spezielle Ansprache, die wissenschaftlichen Hintergründe zum Mutter-Werden und -Sein und das erfahrungsbasierte Verständnis für diese spezifische Zielgruppe.

Rezension von
David Kreitz
M.A., pädagogischer Mitarbeiter für politische Erwachsenenbildung bei der HVHS Mariaspring und freiberuflicher Trainer für wissenschaftliches Schreiben.
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Es gibt 32 Rezensionen von David Kreitz.

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ISSN 2190-9245