Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Heiner Oberhauser: Epistemisches Zeichnen

Rezensiert von Dr. Silke Bakenhus, 28.05.2025

Cover Heiner Oberhauser: Epistemisches Zeichnen ISBN 978-3-8340-2264-6

Heiner Oberhauser: Epistemisches Zeichnen. Theoretische Grundlegung des Zeichnens als zentrale Aneignungs-, Ausdrucks- und Kommunikationsform im (Sach-)Unterricht. wbv (Bielefeld) 2024. 263 Seiten. ISBN 978-3-8340-2264-6. 36,00 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Zählpixel

Thema

Das Buch thematisiert das Zeichnen im Sachunterricht als zentrale, jedoch bislang unterreflektierte Form des Lernens und Kommunizierens. Heiner Oberhauser entwickelt mit dem Begriff des epistemischen Zeichnens einen theoretischen Rahmen, der Zeichnen nicht als rein ästhetischen oder illustrativen Akt, sondern als erkenntnisgenerierende Praxis versteht. Diese Sichtweise erweitert die bisher oft fragmentarische Diskussion über Zeichnungsformate im Unterricht – wie etwa Karten oder Zeitleisten – um eine systematisch didaktische Perspektive. Das Werk positioniert sich somit an der Schnittstelle von Fachdidaktik, Bildungswissenschaft und visueller Kulturforschung und adressiert aktuelle Herausforderungen, etwa die Vorbereitung von Schülerinnen und Schüler auf eine visuell geprägte Gesellschaft.

Autor

Heiner Oberhauser ist Akademischer Rat an der Pädagogischen Hochschule Freiburg am Institut für Erziehungswissenschaft. Seine langjährige schulische Erfahrung sowie seine wissenschaftlichen Schwerpunkte – insbesondere im Bereich bildbezogener Lernprozesse und des Sachunterrichts – ermöglichen ihm eine forschungsbasierte, praxisnahe Perspektive auf die Funktion des Zeichnens in Lernkontexten. Seine Expertise erstreckt sich zudem auf Themen wie pädagogische Leistungskultur, Lernaufgaben und Sachunterrichtsdidaktik.

Entstehungshintergrund

Das Buch ist im Rahmen eines Promotionsvorhabens am strukturierten Kolleg VisDeM II (Visualisierungen im Deutsch- und Mathematikunterricht) entstanden, das vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg gefördert wurde. Es kombiniert hermeneutische, literaturanalytische und empirisch-analytische Zugänge. Besonders hervorzuheben ist die enge Verknüpfung zwischen Theorieentwicklung und Anwendung: Die entwickelte Typologie wird nicht nur konzeptionell entfaltet, sondern auch auf schulische Lehrmaterialien angewendet. Damit leistet die Arbeit sowohl für die Fachdidaktik als auch für bildungspolitische Fragestellungen einen Beitrag.

Aufbau und Inhalt

In Kapitel 2 analysiert Oberhauser bestehende Sichtweisen auf das Zeichnen – bildliterarisch, ästhetisch, lernpsychologisch und diagnostisch – und ordnet sie systematisch nach Bezugsdisziplinen, pädagogischer Funktion und didaktischer Relevanz. Er macht deutlich, dass die Rezeption bildlicher Darstellungen oft im Vordergrund steht, während die bildproduzierende Tätigkeit von Lernenden kaum theoretisch durchdrungen ist.

Kapitel 3 behandelt die spezifische Situation im Sachunterricht. Oberhauser zeigt, dass das Zeichnen dort zumeist auf wenige, stark konventionalisierte Formate reduziert ist. Die fachdidaktische und bildungspolitische Verankerung ist fragmentiert, eine systematische Zeichenpädagogik fehlt weitgehend.

Im vierten Kapitel führt Oberhauser das Konzept des epistemischen Zeichnens ein. Darunter versteht er Zeichenhandlungen, die Lernende zur Erkenntnisgewinnung, Strukturierung, Erklärung und Kommunikation einsetzen. Das Zeichnen wird somit nicht bloß als Ausdruck, sondern als Denkwerkzeug konzipiert. Diese Perspektive unterscheidet sich grundlegend von vorherrschenden Sichtweisen, die Zeichnungen primär als Repräsentationen oder Ergebnisse ästhetischer Tätigkeit betrachten.

Auf dieser Grundlage wird in Kapitel 5 eine differenzierte Typologie epistemischer Zeichenformen entwickelt. Diese basiert auf vier Dimensionen:

  1. Auseinandersetzungsweise mit Welt (z.B. explorativ, analytisch),
  2. Lern- und Kommunikationsausrichtung (z.B. rezeptiv vs. produktiv),
  3. Darstellungsform (ikonisch, symbolisch, schematisch),
  4. Verarbeitungsweise von Inhalten (z.B. strukturierend, erklärend).

In Kapitel 6 wird die Typologie auf Zeichenaufgaben in aktuellen Sachunterrichtslehrwerken angewendet. Die Analyse zeigt, dass viele Aufgaben illustrativ bleiben und epistemische Potenziale wenig ausgeschöpft werden. Aufgabenstellungen sind häufig unpräzise, ihre didaktische Ausrichtung bleibt unklar oder wird nicht kommuniziert. Oberhauser operationalisiert die Typologie systematisch und leitet daraus konkrete Kriterien zur Analyse und Gestaltung von Zeichenaufgaben ab.

Kapitel 7 formuliert auf Basis der Analysen Weiterentwicklungsimpulse für die Zeichendidaktik. Der Autor fordert:

  • eine höhere Quantität und Qualität von Zeichenaufgaben,
  • die bewusste Auswahl epistemischer Zielsetzungen,
  • eine didaktisch reflektierte Auswahl von Zeichenformaten,
  • und eine bessere Kommunikation der Zeichenfunktionen im Unterricht.

Im abschließenden Kapitel 8 diskutiert Oberhauser die Relevanz seiner Ergebnisse über den Sachunterricht hinaus – für die allgemeine Zeichendidaktik, die Zeichenforschung und die Lehrerinnen- und Lehrerbildung.

Diskussion

Oberhausers Arbeit überzeugt durch ihre theoretische Tiefe, methodische Sorgfalt und didaktische Relevanz. Die Typologie des epistemischen Zeichnens stellt ein tragfähiges Instrument zur Analyse und Planung von Zeichenprozessen dar und ist anschlussfähig an das Konzept der multiplen Repräsentation. Dies ermöglicht es, Zeichnen nicht nur als Ausdrucksform, sondern als eigenständige kognitive Lernhandlung im Unterricht zu verorten. Die empirische Analyse aktueller Sachunterrichtslehrwerke ist methodisch transparent und nachvollziehbar aufgebaut. Sie liefert klare und differenzierte Befunde: Die überwiegende Mehrheit der untersuchten Zeichenaufgaben beschränkt sich auf ein illustratives Niveau und erfüllt keine oder nur geringe epistemische Funktionen. Oberhauser gelingt es, diese Ergebnisse überzeugend in konkrete Handlungsempfehlungen zu überführen. Dazu zählen unter anderem die Notwendigkeit, epistemische Zielsetzungen explizit zu formulieren, Zeichenformate gezielter auszuwählen und die Bedeutung des Zeichnens als erkenntnisfördernde Handlung stärker im Fachprofil zu verankern. Besonders hervorzuheben ist der gelungene Brückenschlag zwischen bildungstheoretischem Anspruch und unterrichtspraktischer Umsetzbarkeit. Die theoretischen Konzepte werden nicht nur abstrakt diskutiert, sondern konsequent mit unterrichtlichen Beispielen und Gestaltungshinweisen verknüpft. Als weiterführende Perspektive wäre zu überlegen, inwieweit die entwickelten Konzepte auch für andere Unterrichtsfächer – etwa die Naturwissenschaften, Geografie oder Kunst – nutzbar gemacht werden können. Auch eine intensivere Auseinandersetzung mit der Perspektive der Lernenden, etwa durch Unterrichtsbeobachtungen, qualitative Interviews oder die Analyse von Produkten Lernender, hätte die empirische Fundierung weiter vertiefen und das Werk ergänzen können.

Fazit

Heiner Oberhauser liefert mit Epistemisches Zeichnen eine theoretisch fundierte, empirisch abgesicherte und didaktisch anschlussfähige Perspektive auf ein zentrales, bislang vernachlässigtes Lernmedium. Es leistet einen substantiellen Beitrag zur Re-Theoretisierung eines zentralen, oft unterschätzten Mediums im Unterricht und liefert zugleich konkrete Impulse für Forschung, Lehrerkräftebildung und Bildungspolitik.

Rezension von
Dr. Silke Bakenhus
Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Arbeitsbereiches Didaktik des Sachunterrichts am Institut für Pädagogik an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Website
Mailformular

Es gibt 1 Rezension von Silke Bakenhus.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245