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Michael Ewers, Doris Schaeffer (Hrsg.): Case Management in Theorie und Praxis

Rezensiert von Prof. Dr. Wolfgang Klug, 07.03.2006

Cover Michael Ewers, Doris Schaeffer (Hrsg.): Case Management in Theorie und Praxis ISBN 978-3-456-84272-1

Michael Ewers, Doris Schaeffer (Hrsg.): Case Management in Theorie und Praxis. Verlag Hans Huber (Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2005. 2., ergänzte Auflage. 352 Seiten. ISBN 978-3-456-84272-1. 28,95 EUR. CH: 49,90 sFr.
Reihe: Verlag Hans Huber, Programmbereich Pflege.

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Das Thema

Case Management hat sich im deutschsprachigen Raum als anerkannte Methode im Sozial- und Gesundheitswesen etabliert. Case Management reagiert auf die Spezialisierung und Zersplitterung der Dienste mit einem Konzept der Fallsteuerung, Patienten- und Ergebnisorientierung.

Das Buch von Ewers und Schaeffer, das einen Einblick in Theorie und Praxis des Case Managements gibt, ist mit gleichem Titel und Inhalt in erster Auflage bereits 2000 erschienen. Es findet jetzt eine Neuauflage, die insbesondere um eine aktuelle Literaturauswahl ergänzt wurde.

Die Autoren

Als Herausgeber fungieren Doris Schaeffer, Leiterin des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld, und Michael Ewers, Professor an der Staatlichen Fachhochschule München.

Das Buch enthält neben Beiträgen der Herausgeber Abhandlungen von

  • Ivo Abraham (Klinikprofessor für Pflege),
  • Liesbeth Borgermans (Chefärztin),
  • Elisabeth Fischel (Qualitätsbeauftragte),
  • Alice Grundböck (Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ludwig-Boltzmann-Institut in Wien),
  • Liesbeth Hillewaere (Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholischen Universität Leuven),
  • Karl Krajic (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig-Boltzmann-Institut in Wien),
  • Gerri Lamb (stellvertretende Dekanin für klinische und gemeindebezogene Dienste an der Universität Arizona),
  • Koen Miliseen (Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Katholischen Universität Leuven),
  • Philip Moons (Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Katholischen Universität Leuven),
  • Hans Oostrik (Dozent an der Hoogschool van Arnhem),
  • Jürgen Pelikan (Professor für Soziologie an der Universität Wien),
  • Els Steemann (Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Katholischen Universität Leuven),
  • Bas Steenbergen (Trainer an der Hoogschool van Arnhem),
  • Joan Stempel (Case Managerin),
  • Susanne Stricker (Rotes Kreuz Wien),
  • Christina Tophoven (Leiterin des Referats Versorgungsformen bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung in Berlin),
  • Steffen Wahler (niedergelassener Arzt)
  • Heidi Waller (Studierende der Gesundheitswissenschaften),
  • Winnie Weicht (stellv. Projektleiterin im Wohnprojekt "Reichenberger Straße 129" in Berlin),
  • Michael T. Wright (Doktorand an der FU Berlin),
  • Karen Zander (Rektorin des Center for Case Management in South Nathick/USA).

Zielgruppe

Schon die Auswahl der Autoren zeigt, dass - entgegen dem breiter angelegten Titel - in erster Linie Theoretiker und Praktiker der Pflegewissenschaft angesprochen sind. Aber auch Interessierte an der Weiterentwicklung des Gesundheitswesens in Deutschland könnten zum angesprochenen Leserkreis zählen.

Inhalt

Wegen der Vielzahl der angesprochenen Themen und Artikel können hier nur einige wenige Beiträge aufgegriffen werden.

Der einleitende Artikel der beiden Herausgeber (S. 7-27) setzt sich mit Notwendigkeit, Implementierungsproblemen, der Rezeptionsgeschichte (aber auch Rezeptionsproblemen) des Case Managements auseinander. Interessant und durchaus diskussionswürdig ist die gleich zu Beginn vorgelegte Definition von Case Management: "Case Management ist eine auf den Einzelfall ausgerichtete diskrete, d.h. von unterschiedlichen Personen und in diversen Settings anwendbare Methode zur Realisierung von Patientenorientierung und Patientenpartizipation sowie Ergebnisorientierung in komplexen und hochgradig arbeitsteiligen Sozial- und Gesundheitssystemen." (S. 8). Klar arbeiten die beiden Autoren die Entwicklungsdefizite in Wissenschaft und Praxis heraus, so dass insbesondere die folgenden Artikel internationaler Autoren umso dringender zu rezipieren sind.

So werden etwa belgische Entwicklungen im gerontopsychiatrischen Bereich thematisiert (Hillewaere/Moons/Steemann/Miliseen/Borgermans/Abraham, S. 195-216). Zunächst werden die Problemfelder, Herausforderungen und Schlussfolgerungen für das "pflegerische Case Management" genannt. Interessanter als diese weitgehend bekannten und akzeptierten Prinzipien (Anwaltschaft, Versorgungskontinuität etc.) sind die Ergebnisse einer Evaluationsstudie, bei der funktionale, emotionale, kognitive, umwelt- und gesundheitsbezogene Parameter zu verschiedenen Zeitpunkten untersucht wurden. Mit einer Longitudinalanalyse können die Autoren nachweisen, "dass pflegerisches Case Management sich positiv auf wichtige Ergebnisparameter bei der Versorgung gerontopsychiatrischer Patienten und ihrer pflegenden Angehörigen auswirken kann." (S. 212)

Der Beitrag zur ambulanten häuslichen Versorgung von Patienten mit komplexem Betreuungsbedarf (Grundböck/Krajic/Stricker/Pelikan, S. 217-249) in Wien bestätigt ebenfalls diesen positiven Befund - wiederum auf empirische Weise. Allerdings verschweigen die Autoren nicht die sich aus pflegerischer Sicht ergebenden erheblichen Probleme, wenn beispielsweise Angehörige den zugesagten Dienst nicht einhalten können, sich selbst überfordern oder gar nicht kooperieren (S. 239). Bemerkenswert ist das Evaluationsergebnis der Bewertung des Case Managements durch die Ärzte. Die überwältigend positive Rückmeldung sollte zu denken geben: Case Manager werden von den Ärzten als professionelle Leistungserbringer und kompetente Partner betrachtet und keineswegs (mehr?) als Hilfskräfte ärztlicher Versorgung (S. 242f).

Ein herausragenden Teil des Buches widmet sich US-amerikanischen Theorien und ihrer Praxis. Dies ist kein Zufall, denn die USA sind die "Heimat" des Case Managements.

Großer Gewinn lässt sich aus dem Artikel von Michael Ewers ziehen (Das anglo-amerikanische Case Management: Konzeptionelle und methodische Grundlagen, S. 53-90). Schon die vorgelegte Definition von Case Management stellt einen wichtigen Beitrag zur Klärung dar. Ewers definiert: "Kurz gefasst besteht das Proprium des anglo-amerikanischen Case Management darin, dass es in Anlehnung an die Zielvorstellung einer kontinuierlichen und integrierten Versorgung (continuum of care) die zeitlichen und räumlichen Dimensionen des Versorgungsgeschehens überbrückt und insofern auf zentrale Herausforderungen in komplexen und hochgradig arbeitsteiligen Sozial- und Gesundheitssystemen reagiert" (S. 54). Interessant, aber hier nicht weiter zu diskutieren, ist, wie sich diese Definition zu der vom Autor in seiner Rolle als Herausgeber vorgelegten und oben zitierten Definition verhält. Es ist die Stärke des Beitrages, dass er kurz und kompakt die wichtigsten US-amerikanischen Konzepte von Case Management und ihre Funktionen zusammenfasst und so dem Leser einen ebenso informativen wie unverzichtbaren Überblick über das Mutterland des Case Managements gibt.

Karen Zander referiert in ihrem Beitrag "Case Management und Ergebnisorientierung: Auswirkungen auf die US-amerikanische Pflege" (S. 179-193) ausführlich die Pflegerichtlinien der American Nurses Association von 1997 und setzt sie dem traditionellen Verständnis von Pflege entgegen. So wird im Case-Management-Verständnis beispielsweise gefordert:

  • Spezifizieren der erwarteten Outcomes individuell für jeden Klienten
  • Ableitung der Outcomes aus den Diagnosen
  • Dokumentieren der Outcomes als messbare Zielsetzung
  • Outcomes zusammen mit dem Klienten und den Leistungserbringern definieren
  • Outcomes in realistischer Relation zu den aktuellen Möglichkeiten des Klienten
  • Outcomes im Hinblick auf die Ressourcen des Klienten
  • Festlegen des Zeitrahmens
  • Orientierung in Richtung Kontinuität (S. 184)

Schon diese wenigen Punkte zeigen den Paradigmenwechsel auf, der mit Case Management in die Pflege Einzug halten würde. In diesem Sinne ist Case Management in der Tat mehr als nur eine Ablauflogik von festgelegten Schritten.

Michael T. Wright setzt sich in seinem Artikel "Case Management und "Advocacy": Erfahrungen aus der US-amerikanischen Sozialarbeit für Menschen mit HIV und Aids" (S. 145-159) u.a. mit dem Stellenwert von "Advocacy" in den USA auseinander. Zunächst legt auch er eine eigene Definition von Case Management vor. Sie lautet: Case Management ist "… ein kooperativer Prozess, in welchem unter Rückgriff auf Kommunikation und vorhandene Ressourcen Versorgungsoptionen und benötigte Versorgungsleistungen erhoben, geplant, implementiert, koordiniert, beobachtet und evaluiert werden, um so den gesundheitsrelevanten Bedarf eines Individuums zu decken, die Qualität des Versorgungsgeschehens zu erhöhen und kostenwirksame Ergebnisse zu erzielen (CCMC-Commission for Case Manager Certification 1996)." (S. 149). Anhand von zahlreichen Fallbeispielen stellt der Autor den zentralen Stellenwert der "Anwaltschaft" und der Verantwortung des Case Managers für die Verbesserung der Lebensverhältnisse heraus. Damit unterstreicht er, dass es Pflicht von Case Managern ist, sich "für die Änderung der von ihnen als unzureichend erkannten Lebensverhältnisse ihrer Klienten" einzusetzen und sich somit auch der sozialpolitischen Verantwortung zu stellen" (S. 151).

Ein letzter Artikel soll hier Erwähnung finden. Steffen Wahler und Heidi Waller stellen im Beitrag "Fallmanagement als innovative Dienstleistung eines Ärztenetzes" (S. 291-306) Case Management in den Kontext der hausärztlichen Versorgung. Dabei betonen sie: "Hausärzte haben bereits Verantwortung für die Steuerung von Gesundheitsprozessen übernommen und sich in der Rolle des Case bzw. Fallmanagers positioniert. Um dem Ausdruck zu verleihen, wird für den Hausarzt von Seiten des Berufsverband der Deutschen Allgemeinärzte (BDA) in der neueren Diskussion immer häufiger auch die Bezeichnung "Lotse im System" gebraucht." (S. 292). Es ist sicher nicht generell unbillig, einen Artikel zu benutzen, um die Interessen eines Berufsstandes zu vertreten. Allerdings erscheint es selbst im Kontext eines sehr weit gefassten Begriffes von Case Management schwer nachvollziehbar, wenn die Autoren, um ihre These zu untermauern, dass Hausärzte eigentlich immer schon Case Manager sind, sich eine Definition zurechtlegen, die zumindest mit der allgemein gebräuchlichen nichts mehr zu tun hat. Sie postulieren: "Fallmanagement, verstanden als aktiver Eingriff in den Behandlungsverlauf des einzelnen Patienten, geschieht heute im Prinzip nur durch den behandelnden Arzt oder den Medizinischen Dienst der Krankenkassen." (S. 295) Das Mindeste, was man von Autoren eines wissenschaftlichen Werkes erwarten müsste, ist, dass sie Lobbypolitik von wissenschaftlicher Analyse trennen.

Diskussion

Es wäre eine lohnende Aufgabe, die verschiedenen in den einzelnen Artikeln benutzen Definitionen, von denen in dieser Rezension nur einige wenige Platz finden konnten, zu vergleichen und mit anderen vorgelegten Diskussionen zu konfrontieren. Vielleicht könnten dies die Herausgeber in einer nächsten Auflage versuchen?!

Wie oft bei Herausgeberwerken ist die Qualität der einzelnen Beiträge sehr unterschiedlich, sie reicht von exzellent bis ärgerlich. Auch hier wäre möglicherweise eine stärker ordnende Hand der Herausgeber sinnvoll.

Sehr verdienstvoll ist das ausführliche Literaturverzeichnis am Ende des Buches, das es dem Leser erlaubt, je nach Fachgebiet die relevante Case-Management-Literatur zu finden. Dieser wirklich äußerst praktikable Anhang mag darüber hinweg helfen, dass die einzelnen Literaturverzeichnisse der Autoren offenkundig nicht dem neuesten Stand angepasst wurden.

Insgesamt ist das Buch sehr lohnend für die Leser, die sich mit Case Management im Allgemeinen und mit Case Management im Pflege- und Gesundheitsbereich im Besonderen auseinandersetzen wollen.

Fazit

Insgesamt wird ein umfassender Einblick in den gegenwärtigen Entwicklungsstand des Case Managements in Deutschland und international gegeben. Insbesondere die Informationen der Entwicklung in verschiedenen Ländern macht das Buch zu einem wertvollen Kompendium der Case-Management-Wissenschaft.

Rezension von
Prof. Dr. Wolfgang Klug
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Fakultät Soziale Arbeit
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Es gibt 56 Rezensionen von Wolfgang Klug.

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ISSN 2190-9245