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Bernhard Pörksen: Zuhören

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 24.02.2025

Cover Bernhard Pörksen: Zuhören ISBN 978-3-446-28138-7

Bernhard Pörksen: Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen. Hanser Verlag (München) 2025. 336 Seiten. ISBN 978-3-446-28138-7. D: 25,00 EUR, A: 25,70 EUR.

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Thema

„Wir hören, was wir fühlen, Und wir fühlen, was wir erlebt haben.“

Empathie als humane, menschliche Eigenschaft bleibt auf der Strecke, wenn Ego-, Ethnozentrismus, Rassismus, Extremismus, Populismus und Menschenfeindlichkeit in der Welt sind. Es sind individuelle und kollektive, lokale und globale, gesellschaftspolitische Einstellungen und Verhaltensweisen, die ein menschenwürdiges Miteinander be- und verhindern.

Entstehungshintergrund und Autor

Weghören, Ignorieren, Fakenewsen, das sind negative Eigenschaften des Menschseins. Sie werden benutzt, weil wirkliches Zuhören anstrengend ist; vor allem dann, wenn es darum geht, das eigene Leben zu ändern. Weil es Menschen gibt, die man kommunikativ und dialogisch nicht mehr erreicht – ein Phänomen, das die Welt und die Menschheit auseinanderreißt (Paul Collier, u.a., Das Ende der Gier. Wie der Individualismus unsere Gesellschaft zerreißt – und wie die Politik wieder dem Zusammenhang dienen muss, 2021 www.socialnet.de/rezensionen/28719.php). Weil Vorurteile, Stereotypen und Nonsens nicht selten bewirken, dass Menschen nur das hören wollen, was ihnen in den Kram passt, ist es bedeutsam und wichtig, das „Zuhören“ auf die humane Waagschale zu legen und sich der kommunikativen Fähigkeit, selbst zu denken, bewusst zu werden Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen fragt: „Kann man die Ignoranz, das Weghören, in der Tiefe verstehen und ein Gegenmittel finden?“ („Wir sind Provis der Ignoranz. Weghören stabilisiert uns“, Interview, DIE ZEIT, Nr. 4 vom 23. 1. 2025, S. 26).

Aufbau und Inhalt

Pörksen setzt sich persönlich und wissenschaftlich damit auseinander und entwickelt eine „Philosophie des Zuhörens“, thematisiert eine „Praxis des Zuhörens“ und empfiehlt eine „Politik des Zuhörens“. Es ist das „Ich-Ohr“ und das Du-Ohr“, humane Eigenschaften, die intellektuell, kognitiv und emotional entwickelt werden müssen: „Lass mich Ich sein, damit du Du sein kannst“. Es geht darum, aufmerksam und achtsam zu sein: „Erkenne das Andere als Anderes – in seiner Fremdheit, seiner Schönheit, seinem Schrecken“; aber auch in seinem eigenen Sein. Es sind die eigenen und gesellschaftlichen Imponderabilien, Situationen und Gegenwärtigkeiten, die die Bereitschaft, Kontakt zu haben oder abzulehnen, befördern: „Meine Einschätzung des Kontextes ist gefordert“.

Diskursfähigkeit und -bereitschaft sind erforderlich, um eine gelingende Kommunikation möglich zu machen: „Diskursidealismus“ als Sprech- und Dialogsituation: „Der Idealismus des Prozesses will in enger Bindung an Person und Situation eine Kunst des Herausfindens begründen, die dazu inspiriert, eigene, individuelle Möglichkeiten des Zuhörens ausfindig zu machen“. Mit der „Praxis des Zuhörens“ begibt sich der Autor auf die Suche nach dem „Idealen Ort“ eines menschenwürdigen, menschenrechtlichen Daseins. In Fallbeispielen verdeutlicht er die Widersprüche und Skandale, wie sie sich in der Odenwaldschule, religiösen und gesellschaftlichen Einrichtungen ereigneten, als gewaltsame, kriegerische Menschenrechtsverletzungen, wie etwa im russisch-ukrainischen Krieg als Sprachlosigkeit, Propaganda und Ideologie.

Mit Mischa Katsurins Projekt „Papa, glaub mir“, taucht Pörksen ein in das Feld von Selbst- und Fremd-Betroffenheit. Es ist das Trauma des Nicht-Gehört- (und nicht verstanden-)Werdens, eine „drohende Funktionalitätsvergiftung“, die Dialogoffenheit verhindert. Es sind die Visionen und Phantasien, wie es gelingen kann, unsere Welt sichtbar, erkennbar und lebenswert zu gestalten – und sie nicht zu vernichten. Da ist Steward Brands „Whole Earth Catalog“, und die medialen Werkzeuge, die ein „Code-is-law“-Bewusstsein zustande bringen. Der schwer lösbare Knoten von einerseits inhumaner, ego- und ethnozentristischer, populistischer Kakophonie der Inbesitznahme der Welt und andererseits Weltleugnung, etwa bei der Erkenntnis des Klimawandels, wie ihn Andrew Revkin als „dialogische Aufklärung“ versteht: „Weg vom Geschichtenerzähler – und hin zum Gesprächsmoderator!“. Der vielbeschworene, immer wieder geforderte Perspektivenwechsel hin zur „ökologischen Gewissheit“. Es sind die Versuche, lokal und global das Wissen und die Herausforderung bewusst zu machen, dass es  individueller und kollektiver Aktivitäten bedarf.

Im dritten Teil „Politik des Zuhörens“ wird zum „Kampf um das Gehörtwerden, das Ringen um Resonanz und eine unmittelbare, sehr direkte Repräsentation der eigenen Auffassungen“ aufgerufen. Es sind die Phänomene und Situationen, die Machtmissbrauch gebiert: Die Öffnung und Entwicklung der weltweiten, medialen und materiellen Vernetzung; die selbstverschuldete Ruhelosigkeit und Meinung, alles und das sofort tun zu können. Etiketten aufkleben, falsch einseitig denken und handeln bringt uns zu Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831), der mit seinem Essay „Wer denkt abstrakt“, 1807) fragt, was passiert, wenn man das Konkrete, Wirkliche, Reale ignoriert. Die Untugenden der „Sofort-Verurteilung und der diffamierenden Abstraktion“ (Regina Rini) entstehen, den Anderen nicht kennen zu wollen, oder schon unbedacht zu wissen, ihn fälschlich zu kennen. Es kommt darauf an, sich ihm zuzuwenden: „Das ist der Weg der Komplexitätssteigerung und Wahrnehmung durch die Konkretion und die Kontextbetrachtung“.

Diskussion

Bernhard Pörksen bekennt, dass er mit dieser „Parabel“ sein Jahrzehnte langes Denken und Suchen nach dem Ich- und Welt-Sein formuliert. Wenn man „im Resonanzraum der Öffentlichkeit um das Gehörtwerden ringt“, bedarf es des Bewusstseins, dass dieses Unterfangen „privat, mitunter intim“ ist; es „zielt auf traditionell eher verborgenes Wissen und berührt womöglich schmerzhafte Erfahrungen und eigene Tiefengeschichten, die man einem Fremden nicht so einfach erzählen mag“. Das Wichtigste ist Erfahrung: „Wobei die Gründe selten auf etwas anderem beruhen als auf Erfahrung, und die Verschiedenheit der menschlichen Begebenheiten uns eine unzählige Menge von allerlei Gattungen der Formen darstellt“ (Michel de Montaigne, Essais, 1976).

Fazit

Die jahrzehntelange Fleißarbeit und Reflexion schlägt sich nieder in den 49-seitigen, teils kommentierten und ergänzten Anmerkungen, die die „Kunst des Zuhörens“ aufzeigen: „Wirkliches Zuhören ist gelebte Demokratie“.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1702 Rezensionen von Jos Schnurer.

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ISSN 2190-9245