Katja Lell, Manuel Zahn: Spannungsfelder interkultureller Filmbildung
Rezensiert von Leon Follert, 22.10.2025
Katja Lell, Manuel Zahn: Spannungsfelder interkultureller Filmbildung.
kopaed verlagsgmbh
(München) 2024.
233 Seiten.
ISBN 978-3-96848-724-3.
D: 29,80 EUR,
A: 30,70 EUR.
Reihe: Kunst Medien Bildung - Band 15.
Thema
Der Forschungsbericht „Spannungsfelder interkultureller Filmbildung“ von Katja Lell und Manuel Zahn präsentiert zentrale Ergebnisse aus der Begleitforschung zum Projekt „Interkulturelle Filmbildung“. Die Frage nach der Potenzialität einer interkulturellen Haltung in der Filmbildung bildet den Kern des Berichts, der neben einer Analyse des begleiteten Projekts auch konkrete Handlungsempfehlungen anbietet.
Autor:innen
Katja Lell ist künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Kunsthochschule für Medien in Köln und promoviert zu bestehenden Konzepten ästhetischer Filmbildung aus queertheoretischen Perspektiven mit einem Fokus auf experimentelle Filme. Darüber hinaus arbeitet sie freischaffend als Filmemacherin und Filmvermittlerin.
Manuel Zahn ist Professor für Ästhetische Bildung am Department Kunst und Musik der Universität zu Köln. Seine Schwerpunkte liegen unter anderem im Bereich der Filmbildung sowie in der Ästhetischen Bildung in der digitalen Medienkultur.
Entstehungshintergrund
Die Autor:innen des Forschungsberichts wurden 2019 für eine wissenschaftliche Begleitung des Projekts „Interkulturelle Filmbildung“ angefragt, welches in Kooperation von BpB, DFF, VISION KINO und dem Österreichischen Filmmuseum durchgeführt wurde und sich über den Zeitraum von 2016 bis 2021 erstreckt hat. Im Rahmen dieses Projekts wurde eine Fortbildungsreihe zu interkultureller Filmbildung durch die Aktionsforschung von Katja Lell und Manuel Zahn begleitet. Im Forschungsbericht beschreiben die Autor:innen die Aushandlungen und Entwicklungen innerhalb der Projektgruppe und analysieren das Einüben einer interkulturellen Haltung anhand von qualitativem Material in Form von teilnehmenden Beobachtungen und Interviews mit Beteiligten.
Aufbau
Der Forschungsbericht bietet zunächst eine Einführung in seine theoretische Rahmung sowie seine zentralen Begriffe, bevor das methodischen Vorgehen der Aktionsforschung ausführlich dargelegt wird. Die Autor:innen machen schließlich vier Spannungsfelder innerhalb des Feldes „interkulturelle Filmbildung“ aus: „Interkultur“, „Filmauswahl“, „Vermittlungsmethoden“ und „Diversitätsorientierte Organisationsentwicklung“. Dabei stehen Fragen, Aktionen und Diskussionen der jeweiligen Spannungsfelder im Zentrum der Analyse. In der anschließenden Zwischenreflexion zeigen Katja Lell und Manuel Zahn anhand von konkreten Filmbeispielen die Potentialität aber auch die Schwierigkeiten im Einüben einer interkulturellen Haltung innerhalb der praktischen Filmbildung auf. Abschließend bieten sie Handlungsempfehlungen auf Grundlage ihrer Forschungsergebnisse innerhalb der herausgearbeiteten Spannungsfelder an.
Inhalt
Katja Lell und Manuel Zahn verstehen Filmbildung als (selbst-)reflexiven Prozess, der politische oder gesellschaftliche Ziele von Differenzgerechtigkeit mit einer individuellen ästhetischen Filmerfahrung in Beziehung setzt. In der interkulturellen Filmbildung sehen sie dieses Feld der ästhetischen Filmbildung um die Berücksichtigung der Komplexität und Diversität einer Migrationsgesellschaft ergänzt. Zugleich betonen die Autor:innen, dass in diesem Rahmen eine Hierarchisierung von diversen Wissensbeständen abzulehnen sei und auf diese Weise Asymmetrien einer hegemonialen Episteme – ganz im Sinne feministischer Wissenschaftskritik und der postkolonialen Theoriebildung – durchbrochen werden sollen. Es handle sich demnach nicht um einen eindimensionalen Wissenstransfer, sondern viel mehr um eine „Wissensbegegnung“ (S. 22). In diesem Rahmen machen die Autor:innen Paul Mecherils Konzept der Migrationspädagogik stark.
Der Begriff der Interkultur erweist sich derweil in der Begleitforschung als streitbar: Er birgt die Gefahr der (Re-)Produktion von kulturellen Differenzen. Während diese (rassifizierenden) Differenzen in den Vordergrund treten könnten, drohe eine Verschleierung „sozialer und rechtlicher Ungleichheiten“ (S. 26) sowie „natio-ethno-kultureller Differenzordnungen“ (S. 98). Die Autor:innen halten dennoch an dem Begriff der Interkultur fest und plädieren dafür, innerhalb interkultureller Filmbildungsprozesse essentialisierende Erwartungshaltungen durch und mit dem Begriff aufzugreifen und zu problematisieren. Dabei sei ein stetes Aushandeln des Verständnisses von Interkultur notwendig, um einem vereindeutigendem Kulturverständnis entgegenzuwirken.
Im Spannungsfeld der Filmauswahl verwehren sich die Autor:innen einer Festlegung auf einen interkulturellen Filmkanon, da sie Erwartungen einer „universellen Übertragbarkeit“ (S. 110) im Rahmen einer machtkritischen interkulturellen Filmbildung für nicht zielführend halten. Das Aufnehmen von Filmen, die explizit Flucht und Migration thematisieren, wird ebenso kritisch diskutiert wie Filme, welche stereotype, rassifizierende Darstellungsweisen reproduzieren. Katja Lell und Manuel Zahn empfehlen schließlich, den möglichen Erwartungshaltungen Weißer Teilnehmender mit einer subjektiven, multiperspektivischen Filmauswahl zu begegnen, die sich abseits des Mainstreams bewegt und selbstermächtigende Positionen vermittelt.
Diese Multiperspektivität spiegelt sich auch im Spannungsfeld der Vermittlungsmethoden wider. Katja Lell und Manuel Zahn beschreiben „Vielstimmigkeit“ als zentrales Element. Diese wollen die Autor:innen als „komplexes wechselseitiges Zusammenspiel von individueller ästhetischer Filmerfahrung und verschiedenen Wissensformen“ (S. 136) verstanden wissen. Sie verweisen insbesondere auf Wissen zu kolonialen Kontinuitäten, migrationspädagogisches Erfahrungswissen sowie auf Moderationswissen bei den Filmvermittler:innen. Doch zugleich betonen die Autor:innen die Bedeutung von diversem (migrantisch) situiertem Wissen der Teilnehmenden, durch welches verschiedene und widersprüchliche Perspektiven auf Filme verhandelbar werden. Demnach solle die Filmerfahrung im Mittelpunkt stehen, sodass Lernende – im Sinne einer emanzipatorischen Lehre – selbst zu ihrem Wissen gelangen können.
Im Spannungsfeld Diversitätsorientierte Organisationsentwicklung kommen Katja Lell und Manuel Zahn zu dem Schluss, dass es nicht nur der Einbindung von diversen Perspektiven (wie z.B. die von kritischen Freund:innen) oder einer angemessenen Entlohung bedürfe, sondern viel mehr eine „grundlegende institutionelle Transformation“ (S. 149 f.) von Nöten sei. In diesem Rahmen sei eine Positionierung und Reflexion der Strukturen und Akteur:innen institutionalisierter Filmbildung im Sinne der kritischen Weißseinsforschung unumgänglich.
Diskussion
Der Forschungsbericht leistet nicht nur einen umfangreichen und kritischen Einblick in die Praxis der interkulturellen Filmbildung, sondern dient auch als Ratgeber für die praktische Arbeit von Filmvermittler:innen. Darin bleibt er sehr eng am beforschten Projekt, was zur differenzierten und analytischen Aushandlung der Forschungsfragen beiträgt, aber wenig historischen Kontext zur Genese der deutschsprachigen Filmbildung und ihren Institutionen bietet. Während Katja Lell und Manuel Zahn zurecht historisches und theoretisches Wissen als essentielle Grundlage für interkulturelle Filmbildung starkmachen und auf „postkoloniale Kontinuitäten“ sowie „Weiße Vermittlungsräume“ (vgl. S. 129 ff.) verweisen, verzichten sie allerdings darauf, differenzierter nachzuzeichnen, wie diese entstanden sind. Eine „grundlegende institutionelle Transformation“ (S. 149 f.) erfordert hingegen auch eine historisch fundierte Analyse der vorherrschenden Verhältnisse – insbesondere in der Filmbildung, deren materiellen Grundlagen in hochgradiger Abhängigkeit von politischen Entscheidungen stehen.
Fazit
Der Forschungsbericht „Spannungsfelder interkultureller Filmbildung“ bietet neben einer umfassenden Auswertung des begleiteten Projekts konkrete Hinweise für die praktische Gestaltung interkultureller Filmbildung. Auch wenn der Bericht keine Auskunft über die historisch gewachsenen Strukturen der deutschsprachigen Filmbildung gibt, handelt es sich um eine wichtige Lektüre, die das rassismuskritische und dekoloniale Potenzial in den Spannungsfeldern interkultureller Filmbildung aufzeigt und auf Probleme im Feld hinweist.
Rezension von
Leon Follert
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