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Daniel Thym: Migration steuern

Rezensiert von Dr. Karsten Lauber, 01.04.2025

Cover Daniel Thym: Migration steuern ISBN 978-3-406-83012-9

Daniel Thym: Migration steuern. Eine Anleitung für das Hier und Jetzt. Verlag C.H. Beck (München) 2025. 235 Seiten. ISBN 978-3-406-83012-9. 16,00 EUR.

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Thema

Die Migrationssteuerung prägt seit geraumer Zeit die politische Debatte in Deutschland und war ein Schlüsselthema der letzten Bundestagswahl. So verwunderte es nicht, dass bei der Bekanntgabe der Ergebnisse der Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU und SPD schwerpunktmäßig Vereinbarungen präsentiert wurden, die sich unter anderem auf die Begrenzung der Migration, die Zurückweisung von Asylsuchenden an den Staatsgrenzen, die Beendigung freiwilliger Aufnahmeprogramme, die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigen sowie den Start einer Rückführungsoffensive beziehen.

Autorin

Prof. Dr. Daniel Thym ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz. Thym war in den letzten Jahren wiederholt als Sachverständiger in Gesetzgebungsverfahren tätig und publizierte umfangreich über das Migrationsrecht. Als Migrationsexperte ist Thym auch in den Medien recht präsent.

Entstehungshintergrund

Die Monografie steht im Kontext der jahrzehntelangen Debatten über das Migrationsrecht, die in den zurückliegenden Jahren an Intensität zugelegt haben. Das Anliegen des Autors ist es, Handlungsoptionen für die demokratische Mitte aufzuzeigen.

Aufbau

Die Arbeit ist in sieben Kapitel gegliedert:

  1. Deutschland braucht ein neues Selbstverständnis
  2. „Einwanderungsland“ ist kein Schönwetterbegriff
  3. Wirtschaft: Rettung vor der „demografischen Klippe“
  4. Asyl: Wir sind (nicht) die Guten
  5. Moral und Eigeninteresse: Wie beides zusammenpasst
  6. Von der „Integration“ zum „Zusammenhalt“
  7. Einwanderungsrepublik Deutschland

Den Abschluss bilden Anmerkungen zu den jeweiligen Kapiteln (Quellennachweise) und ein kurzes Personenregister.

Inhalt

Die sieben Kapitel, die je rund 20 bis 40 Seiten umfassen, sind recht kleinteilig in drei bis zehn Unterkapitel gegliedert. Bei den jeweiligen Kapiteln handelt es sich nicht um abgeschlossene Einheiten; vielmehr sind alle Kapitel inhaltlich miteinander verbunden und Wiederholungen sind unvermeidlich (und notwendig).

Das einleitende Kapitel 1 greift die alte Diskussion um die Frage auf, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist. Der Autor schlägt bereits an dieser Stelle den Begriff „Einwanderungsrepublik Deutschland“ vor. Ziel des Autors ist eine Versachlichung der Debatte, die auf der Grundlage begründeter und umsetzungsfähiger Antworten ermöglicht werden soll. Vor diesem Hintergrund wendet sich der Autor mit seiner Anleitung an „die gesamte Bevölkerung, Politik, Deutsche und Nichtdeutsche, Medien, Wissenschaft, Verbände und Ehrenamt“ (S. 10).

Das kurze Kapitel 2 problematisiert, dass es seit Jahrzehnten keine Einwanderungsstrategie in Deutschland gibt; dies begründet, weshalb Migration eher verwaltet und weniger gestaltet wird.

Das Kapitel 3 hat den Arbeits- bzw. Fachkräftebedarf Deutschlands zum Gegenstand. Der Diskussion liegt eine wesentliche Problemstellung bei der Zuwanderung nach Deutschland zugrunde. Die gesteuerte Zuwanderung von Arbeits-/​Fachkräften einerseits und die ungesteuerte Zuwanderung von Asylsuchenden mit reduzierten Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt andererseits. Bei dieser Differenzierung handelt es sich um eine zentrale Frage in dieser Monografie

Kapitel 4 bietet einen umfangreichen Überblick über den oft widersprüchlichen und teils dysfunktionalen Umgang mit dem Asyl in Deutschland und der europäischen Union. Dabei bezieht Thym die neueren Ideen ein, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern.

Das Kapitel 5 kann als Querschnittskapitel verstanden werden, in dem bereits benannte Widersprüche nochmals aufgezeigt werden, um Lösungen vorzuschlagen. Es handelt sich dabei nicht um neue, innovative Ideen; vielmehr geht es darum, Migration und Migrationsrecht transparent, zielgerichtet und verbindlich zu gestalten.

Das Kapitel 6 widmet sich der Integration, insbesondere in den Bereichen Arbeit, Bildung und Wohnen, bleibt dabei eher abstrakt, d.h. die wesentlichen Umsetzungsprobleme auf der kommunalen Ebene werden kaum deutlich. Thym widmet sich an dieser Stelle auch der Rassismusdebatte und plädiert für einen differenzierteren Umgang mit dem Rassismusbegriff, der nicht für alle Vorurteile und Diskriminierungen tragfähig ist.

Das Kapitel 7 beginnt mit den Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht, d.h. den Möglichkeiten einer beschleunigten Einbürgerung. Problematisiert wird zudem die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft. Im Fokus dieses Kapitels stehen jedoch die acht „Leitplanken für einen migrationspolitischen Paradigmenwechsel“, auf die das Buch insgesamt auch hinsteuert.

Diskussion

Die Monografie ist sachlich unaufgeregt und verzichtet auf plakative Forderungen, wie sie bei dem Thema Migration nicht selten anzutreffen sind. Eine zentrale Forderung des Autors ist es, die „Zuwanderung nicht nur durch die Asylbrille zu betrachten“ (S. 72).

Punktuell blitzt die Überforderung der Behörden, insbesondere der Ausländerbehörden, auf. In der Sache ist dem Autor an dieser Stelle zuzustimmen; insbesondere die Ausländerbehörden leiden bundesweit an Personalmangel und nicht zufriedenstellenden Arbeitsbedingungen; insbesondere der Digitalisierungsgrad und die technische Ausstattung sind oftmals in einem beklagenswerten Zustand. Ein wesentliches Manko ist dabei die fehlende Verfügbarkeit einer durch den Bund zu verantwortenden Fachverfahrensoftware. Weniger deutlich wird in der Argumentation des Autors, dass der zu beanstandende Zustand der Ausländerbehörden (sowie der Verwaltungsgerichte) wesentlich durch die verschiedenen Bundesregierungen zu verantworten ist, die das Ausländergesetz bzw. das Aufenthaltsgesetz von Wahlperiode zu Wahlperiode verkompliziert haben. Statt eine grundlegende Reform des Migrationsrechts anzupacken, wurde das Ausländer- bzw. Aufenthaltsgesetz von Jahr zu Jahr mit neuen Normen überladen, die – neben der dazugehörigen Rechtsprechung sowie den jeweiligen Erlassen der Länder – kaum mehr zu überblicken sind und ebenso wenig eine übergeordnete Idee erkennen lassen. In der Leitplanke Nummer 3 (Verfahrensdickicht entschlacken) greift Thym diesen Bedarf zwar kurz auf, verzichtet allerdings auf die notwendige deutliche Kritik an der Migrationspolitik der letzten Jahrzehnte. Die durchwegs moderate Argumentation des Autors hätte an dieser Stelle mehr Kritik an den Verantwortlichen vertragen können.

Diskussionswürdig ist von Thym positiv hervorgehobene „unbürokratische Aufnahme der Vertriebenen aus der Ukraine“ (S. 103) in Deutschland. Sicherlich ist es auf kommunaler Ebene zum Teil gelungen, mit hohem Aufwand kurzfristig kreative Lösungen zu finden. Ausschlaggebend hierfür war in nicht geringem Umfang die mangelnde Verantwortungsübernahme und Gestaltungskraft durch den Bund bzw. die Länder. Die „unbürokratische Aufnahme“ brachte auch eine Ungleichbehandlung ggü. nicht-ukrainischen Migranten mit sich, die im Übrigen bis heute andauert.

Kriminalitätsdebatten finden bei Thym kaum Berücksichtigung; nicht nur an dieser Stelle fehlen damit einhergehend auch kulturkonflikttheoretische Ausführungen. Nun wird die allgemeine Migrationsdebatte jedoch nicht unwesentlich auf dem Gebiet der Kriminalität bzw. der Kriminalitätsfurcht ausgetragen.

Schwierig ist die Frage zu beantworten, an wen sich diese Monografie richtet. Expertinnen und Experten werden sicherlich an den Vorschlägen von Daniel Thym interessiert sein. Allgemein am Thema interessierte Leser/​-innen erhalten eine kurze und sachliche Monografie mit Kernbotschaften für ein besseres Migrationsrecht in Deutschland und Europa, werden allerdings auf (oft notwendiges) Hintergrundwissen verzichten müssen. Dahingehend wäre ein kurzes Kapitel über Grundzüge der Entwicklung des (zunächst westdeutschen) Migrationsrechts hilfreich gewesen.

Fazit

Daniel Thym legt mit seiner kurzen „Anleitung“ für eine Steuerung der Migration eine kurzweilige Monografie vor, die durchwegs sachlich und fundiert bleibt und auf plakative Forderungen ebenso verzichtet wie auf moralisierende Ausführungen. Grundlegende Defizite der deutschen und europäischen Migrationspolitik bzw. des Migrationsrechts werden anschaulich beschrieben. Die abschließenden “ Leitplanken für einen migrationspolitischen Paradigmenwechsel“ zeigen gut begründete Wege für eine bessere Migrationssteuerung auf.

Rezension von
Dr. Karsten Lauber
M.A. (Kriminologie, Kriminalistik, Polizeiwissenschaft), M.A. (Public Administration)
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Es gibt 27 Rezensionen von Karsten Lauber.

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ISSN 2190-9245