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Stefan Kühl: Führung und Gefolgschaft

Rezensiert von Dr. Karsten Lauber, 12.06.2025

Cover Stefan Kühl: Führung und Gefolgschaft ISBN 978-3-518-30069-5

Stefan Kühl: Führung und Gefolgschaft. Management im Nationalsozialismus und in der Demokratie. Suhrkamp Verlag (Berlin) 2025. 265 Seiten. ISBN 978-3-518-30069-5. D: 24,00 EUR, A: 24,70 EUR, CH: 34,50 sFr.
Reihe: suhrkamp taschenbuch wissenschaft - 2469.

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Thema

Um mit modernen Managementkonzepten Aufmerksamkeit zu erzeugen, ist das Wording von Bedeutung. Bei genauer Betrachtung wird nicht selten deutlich, dass die Unterschiede zu früheren oder alternativen Managementmodellen marginal sind.

Das Management in Wirtschaft und Verwaltung im Nachkriegsdeutschland wurde geprägt durch das Harzburger Modell. Stefan Kühl untersucht, ob es Parallelen des Harzburger Modells und moderner(er) Managementkonzepte zu nationalsozialistischen Vorstellungen von Führung gibt. Das Verbindungsstück bildet der NS-Staatsrechtler Reinhard Höhn.

Autor

Stefan Kühl hat an der Universität Bielefeld, Institut für Soziologie, eine Professur für Organisationssoziologie inne. Als Forschungsgebiete nennt der Autor Gesellschaftstheorie, Organisationssoziologie, Interaktionssoziologie, Industrie- und Arbeitssoziologie, Professionssoziologie und Wissenschaftsgeschichte.

Entstehungshintergrund

Hintergrund der Monografie ist ein größeres Forschungsprojekt zu Managementkonzepten. Über die Methodik der vorliegenden Untersuchung zum Harzburger Modell informiert der Anhang (S. 203 ff.). Eine gute Ergänzung zu dieser Monografie bietet die Internetseite https://sozialtheoristen.de.

Aufbau

Die 265-seitige Monografie gliedert sich in acht Kapitel, einen Anhang mit Nachweisen über den soziologischen Zugang und zur empirischen Basis, ein knapp 48-seitiges Literaturverzeichnis und ein gut 5-seitiges Sachregister. Zur Kapitelbezeichnung im Einzelnen:

  1. Einleitung – Management zwischen Kontinuitäten und Brüchen
  2. Gemeinschaft als Organisationsmodell – zum nationalsozialistischen Verständnis von Führung
  3. Zur Bauart eines Managementkonzepts – Die Wiederentdeckung der Formalstruktur
  4. Dramaturgische Kontinuitäten und inhaltliche Brüche – zur Machart eines Managementkonzepts
  5. Über die überraschende Ähnlichkeit zweier Managementkonzepte
  6. Das Verpassen der Renaissance der Gemeinschaftsidee – persönliche Verstrickungen als Lernverhinderungsmechanismus
  7. Wie man aus Nationalsozialisten Demokraten macht
  8. Die Renaissance aus überraschenden Richtungen

Inhalt

Wie das Inhaltsverzeichnis verdeutlicht, ist die Monografie kleinteilig strukturiert. Die Kapitel umfassen rund 30 bis 40 Seiten. Dementsprechend sind die vielen Unterkapitel kurz gefasst. Zwar ist der Aufbau des Buches logisch, doch für die Rezeption nahezu unerheblich, da die Kapitel jeweils für sich stehen können. Ein wichtiger Ausgangspunkt ist jedoch das Kapitel 2, das die Bedeutung der Volksgemeinschaft für das Führungskonzept der Nationalsozialisten hervorhebt. Im Vordergrund steht der in der NS-Zeit bedeutende Staatsrechtler Reinhard Höhn, der sich bereits während der NS-Zeit mit Führungsthemen befasste und im Nachkriegsdeutschland sein Modell „Führung im Mitarbeiterverhältnis“ etablierte. Sein Führungskonzept wurde – in Anlehnung an den Sitz seiner Führungsakademie – als Harzburger Modell populär.

Grundlagen des Managements im Nachkriegsdeutschland beschreibt das Kapitel 3. Im Vordergrund steht die Führung über Ziele, die Delegation von Verantwortung auf die Mitarbeitenden. Dabei werden auch verwaltungsspezifische Rahmenbedingungen berücksichtigt, wie die Stellenbeschreibung, die die Möglichkeit zur Delegation arbeits- und verwaltungsrechtlich absichert.

Das Kapitel 4 greift die Frage auf, inwieweit sich im Harzburger Modell Westdeutschlands Kontiunitäten zu nationalsozialistischen Vorstellungen von Führung fortsetzten.

Das Kapitel 5 arbeitet (überraschende) Ähnlichkeiten der Modelle heraus und beinhaltet umfangreichere Ausführungen und Vergleiche zu den Management by-Konzepten, insbesondere auch das Management by Objectives von Peter F. Drucker.

Im Kapitel 6 wird deutlich, weshalb aus Peter F. Drucker einer der innovativsten Managementvordenker (S. 135) wurde und Reinhard Höhn in Vergessenheit geriet. Als wesentliche Argumente gegen das Harzburger Modell erweisen sich die ihm immanente Bürokratisierung sowie (vor allem) die Abkehr von dem Gemeinschaftsgedanken. Offenbar ist es Höhn nicht gelungen, den inkriminierten Begriff der Volksgemeinschaft aus der NS-Zeit in ein tragfähiges demokratisches Konzept zu übertragen.

Das Kapitel 7 fällt etwas aus der Reihe der bisherigen Ausführungen und befasst sich – ohne dies begrifflich so zu nennen – mit Hintergründen der Entnazifizierung. Dies jedoch aus der Perspektive derjenigen, die sich in dem nun demokratischen System neu zu etablieren versuchen.

Das nur 2,5-seitige Kapitel 8 beinhaltet ein Fazit, an das der Anhang mit methodischen Hinweisen zu dieser Untersuchung anschließt.

Diskussion

Wer sich mit Führung befasst, lässt häufig den historischen Kontext außer Acht. Gerade mit Blick auf die zur „Neuigkeitsdramatisierung neigenden Führungsmoden“ (S. 87) ist jedoch ein Blick hinter die Kulissen hilfreich. Die Analyse des „Management by Objektives“ von Drucker und der „Führung im Mitarbeiterverhältnis“ von Höhn bringt erstaunliche Ergebnisse zum Vorschein, wenn man diese in den Kontext der Ideen von Höhn während der NS-Zeit stellt. Die Abkehr von der Idee einer sinnstiftenden Tätigkeit im Harzburger Modell (S. 63 f.) gewinnt mit Blick auf die Erwartungshaltungen der Generationen Z und Alpha weiter an Bedeutung.

Die von Kühl vorgenommene Analyse bleibt durchwegs sachlich und kommt ohne Skandalisierung aus. Diese werturteilsfreie Vorgehensweise ist heutzutage auch für wissenschaftliche Publikationen keine Selbstverständlichkeit.

Fazit

Stefan Kühl legt eine didaktisch klug aufbereitete und kurzweilige Monografie über (Dis-)Kontinuitäten moderner Managementmethoden seit der NS-Zeit vor. Wer sich mit Führung befasst, sollte zu diesem Buch greifen, um (scheinbar) moderne Führungsverständnisse historisch einordnen zu können.

Rezension von
Dr. Karsten Lauber
M.A. (Kriminologie, Kriminalistik, Polizeiwissenschaft), M.A. (Public Administration)
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Es gibt 28 Rezensionen von Karsten Lauber.

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ISSN 2190-9245