Christoph Butterwegge: Umverteilung des Reichtums
Rezensiert von Prof. Dr. Björn Oellers, 21.03.2025

Christoph Butterwegge: Umverteilung des Reichtums.
PapyRossa Verlag
(Köln) 2024.
223 Seiten.
ISBN 978-3-89438-831-7.
D: 16,90 EUR,
A: 17,40 EUR.
Reihe: Neue kleine Bibliothek - 340.
Thema
Die „sozioökonomische Ungleichheit“ ist „das Kardinalproblem unserer Gesellschaft, wenn nicht der ganzen Menschheit“ (S. 9). Der Unterschied zwischen Armen und Reichen ist dabei der augenscheinliche Ausdruck dieser Ungleichheit. Zur Erklärung ihrer Ursachen ist zwischen zwei Dingen zu unterscheiden. Einmal gibt es die strukturellen Grundlagen. Zu diesen gehören ökonomische und Eigentumsverhältnisse sowie Verteilungsmechanismen. Zum anderen gibt es Faktoren, die die sozioökonomische Ungleichheit verstärken oder ihr entgegenwirken können, etwa Krisen oder Regierungspolitik. Im Fokus des Buches stehen nicht die Erscheinungsformen, das Ausmaß oder die Folgen von Armut und Reichtum, sondern die Frage, warum die sozioökonomische Ungleichheit wächst und wie dies zu bekämpfen ist.
Autor
Christoph Butterwegge war bis zu seiner Emeritierung 2016 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Köln. Er publiziert fortlaufend und vielfältig, insbesondere zu Armut und Reichtum in der Bundesrepublik Deutschland.
Entstehungshintergrund
Das Buch ist eine weitere Publikation in einer ganzen Reihe von Büchern des Autors zum Thema soziale Ungleichheit/​Armut (s.a. weitere Rezensionen auf socialnet.de).
Aufbau
Das Buch ist, gut überschaubar, in drei Hauptkapitel gegliedert, die das Thema systematisch umsetzen: Im ersten Kapitel werden die strukturellen Grundlagen der sozioökomischen Ungleichheit skizziert. Das zweite Kapitel geht den Gründen nach, warum diese Ungleichheit sich verschärft. Das dritte Kapitel gibt Argumente und Perspektiven für die kurzfristige wie langfristige Bekämpfung der Ungleichheit.
Inhalt
Die Beantwortung der Frage nach den Ursachen ökonomischer Ungleichheit bildet die Grundlage für das Verständnis des Themas. Folglich ist zu klären, auf welche gesellschaftlichen Gründe diese Ungleichheit zurückgeht. Unterschieden wird zwischen primären (ökonomischen Strukturen, Produktions- und Eigentumsverhältnisse, Verteilungsmechanismen) und sekundären (Politik, Ideologie, Macht) Ursachen. Zu den primären Gründen werden beispielhaft Gedanken bekannter Denker dargestellt, die sich mit diesen Ursachen befassen: Rousseau, Smith, Hegel, Marx und Engels.
Es wird deutlich: Wer Ungleichheit erklären will, muss vom Kapitalismus reden. Zu den sekundären Ursachen werden aktuelle Publikationen herangezogen, u.a. Piketty und Butterwegge selbst. Dabei werden en passant für das Thema nötige Begriffsklärungen vorgenommen (Finanzmarktkapitalismus) sowie die Entstehung und Macht hyperreicher Unternehmerdynastien erläutert. Ein Abschnitt des ersten Kapitels ist der Entwicklung der BRD aus dem „Gründungsmythos“ (S. 29) Währungsreform gewidmet, um zu zeigen, wie Reiche seit Beginn dieser Republik systematisch bevorzugt und gefördert werden.
Die im zweiten Kapitel behandelte Frage nach den Gründen für das Wachstum der Ungleichheit wird in mehreren Abschnitten beantwortet. Im ersten Abschnitt wird die zeitgenössische politisch-ökonomische Ideologie des Neoliberalismus mit seiner Rechtfertigung der Ungleichheit in Kürze charakterisiert. Dann werden die Agenda 2010 der Regierung Schröder sowie die Coronapolitik und die Auswirkungen des Ukrainekrieges untersucht. Die Diagnose lautet: Es „ist zu befürchten, dass sich Miet-, Energie- und Ernährungsarmut gemeinsam zur neuen Sozialen Frage der Bundesrepublik entwickeln.“ (S. 124).
Das dritte ist das für das Buch wichtigste Kapitel. Denn hier werden Argumente gegeben und untersucht, die die Forderung nach Umverteilung von oben nach unten stützen. Es werden Gründe genannt, die überhaupt für eine solche Umverteilung sprechen, und Ideen kritisiert, die in öffentlichen Diskussionen häufig angeführt werden, um nicht über Ungleichheit sprechen zu müssen (bspw. Chancengleichheit, Bildung, bedingungsloses Grundeinkommen). Zudem argumentiert Butterwegge engagiert für eine Rückverteilung des Reichtums von den Reichen zu den Armen durch eine andere Nutzung und durch Änderungen des Steuersystems. Das Buch schließt mit der Perspektive einer anderen Gesellschaft, die sich umstandslos und logisch zwingend aus den thematischen Erläuterungen ergibt. Denn auch eine andere Steuerpolitik verhindert nicht, dass die sozioökonomische Ungleichheit sich fortlaufend reproduziert. Armut und Reichtum sind „integrale Bestandteile des Kapitalismus“ (S. 211). Wer die Ursachen ihrer Entstehung beseitigen will, muss die „Wirtschaftsstrukturen, Eigentumsverhältnisse und Verteilungsmechanismen tiefgreifend“ verändern (S. 211).
Diskussion
Sozioökonomische Ungleichheit, wie sie im heutigen Ausmaß besteht, bedarf der fortlaufenden Skandalisierung. Die Existenz von Armut und Reichtum darf nicht als Schicksal hingenommen werden. Es gilt, ihre Ursachen zu begreifen. Das ist nicht monokausal möglich. Die Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Strukturen, mit den Ideologien und den politischen Entscheidungen, die die Diskrepanz zwischen Armut und Reichtum fördern, bedarf der differenzierten Analyse und Kritik. Butterwegge ist ohne Zweifel ein Experte auf diesem Gebiet und wird dem Anspruch gerecht. Er benennt die Ursachen und die Nutznießer der Ungleichheit und gibt Argumente an die Hand, um für die Umverteilung von oben nach unten sprechen zu können.
Die sozialpolitischen Zeichen gehen in die Richtung, schreibt Butterwegge im Jahr 2024, als ob „die Agenda 2010 demnächst eine aktualisierte Neuauflage als »Agenda 2030« oder »Agenda 2040« erführe“ (S. 135). Das ist hellsichtig. Der Name Agenda 2030 existiert bereits als Bezeichnung für ein internationales Entwicklungsprogramm. Neu ist jedoch, dass die CDU im Januar 2025 in Hamburg ein Programm unter diesem Titel beschlossen hat. Die dort aufgeführten steuerpolitischen Wünsche sind zum Wohle der Reichen und stehen konträr zu den Ideen Butterwegges. Wer die Argumente des Buches überprüfen will, kann sie mit den aktuellen Ideen zu Kapitalertragssteuer, Progression, Spitzensteuersatz und Freibeträgen abgleichen und möge sich ein Urteil bilden.
Wünschenswert wären im Buch zwar mehr empirische Angaben, um die aus zahlreichen Quellen angeführten Aussagen zu untermauern, damit sie nicht im Range von Behauptungen verweilen. Das wiederum entspricht nicht dem Ziel des Autors, dem es um Argumente und Begründungszusammenhänge geht. Wer nach solchen sucht, wird in diesem Buch fündig – und findet überdies zahlreiche Quellen, um das Thema weiter zu vertiefen.
Fazit
Das Buch gibt einen kompakten Einstieg in die Beantwortung der Frage, warum soziale Ungleichheit existiert, warum sie seit Jahren zunimmt und wie eine Umverteilung von unten nach oben aussehen kann. Es ist auch eine Begründung der Forderung nach einer anderen Gesellschaft.
Rezension von
Prof. Dr. Björn Oellers
Professor für Soziale Arbeit, IU Duales Studium, Campus Hamburg
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