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Franziska Schutzbach: Revolution der Verbundenheit

Rezensiert von Mag. phil. Christina Zöhrer, 07.03.2025

Cover Franziska Schutzbach: Revolution der Verbundenheit ISBN 978-3-426-27904-5

Franziska Schutzbach: Revolution der Verbundenheit. Wie weibliche Solidarität die Gesellschaft verändert. Droemer Knaur (München) 2024. 320 Seiten. ISBN 978-3-426-27904-5. 24,00 EUR.

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Thema

Franziska Schutzbach macht mit ihrem Buch „Revolution der Verbundenheit. Wie weibliche Solidarität die Gesellschaft verändert“ deutlich, wie viel Kraft in einer Praxis der Verbundenheit unter Frauen und FLINTA*-Personen liegt, wenn sich diese auf sich selbst beziehen und jenseits von Gleichheitsfeminismus nicht nur in von Männern dominierte Bereiche aufrücken, sondern neue Räume gemeinsam etablieren. Schutzbach schreibt an gegen kollektives Vergessen erfolgreicher weiblicher Emanzipationsbestrebungen und zeigt anhand vielerlei Beispiele aus Literatur und Historie über die Jahrhunderte hinweg, wie alternative Lebens- und Liebesmodelle jenseits cis-heteronormativer und patriarchaler Vorstellungen gelingend gestaltet wurden und werden. Ebenso eröffnet sie feministische Deutungswelten und Selbstermächtigung im erneuten Lesen mythologischer Erzählungen oder tradierter Märchenüberlieferungen.

Autorin

Franziska Schutzbach, geboren 1978, ist eine promovierte Schweizer Geschlechterforscherin und Soziologin sowie Publizistin, feministische Aktivistin und Mutter zweier Kinder. Sie gilt als eine der bekanntesten und gefragtesten feministischen Stimmen im deutschsprachigen Raum. Weitere bekannte Bücher von ihr sind „Die Erschöpfung der Frauen: Wider die weibliche Verfügbarkeit“ von 2021 sowie „Die Rhetorik der Rechten: Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick“ von 2018.

Entstehungshintergrund

Das Buch entstand in einer Zeit, die von tiefen gesellschaftlichen Rissen begleitet ist. Die zunehmende Spaltung von Menschen zeigt sich in digitalen Räumen sowie im Alltag und scheint unüberbrückbare Gräben aufzureißen. Den Zerwürfnissen unter Menschen, die von Hass, Gewalt und Leid geprägt sind, stellt Franziska Schutzbach ein Schreiben entgegen, das sich aufmacht, Verbindendes statt Trennendes zu finden. Durch inspirierende Frauenfiguren innerhalb ihrer Familie wurde sie angeregt, genealogische Familientraditionen feministisch zu interpretieren und stellt sich ferner die Frage, welche Rolle Beziehung in Emanzipationsprozessen von Frauen bzw. FLINTA*-Personen spielen und spielten.

Aufbau

Das Buch gliedert sich fünf eigenständige Kapitel, die nicht chronologisch oder gänzlich gelesen werden müssen. Allen Kapiteln vorangestellt ist ein persönlicher Brief der Autorin an eine für sie wichtige Frau. Anschließend daran folgt ein Essay, der das Kapitelthema aus historischen, theoretisch-wissenschaftlichen und politischen Blickwinkeln beleuchtet. Die Themenfelder gliedern sich in Freundschaft, Familie, Liebe und Begehren bzw. Genealogien, politische Schwesternschaft und Separatismus. Neben den fünf großen Themenbereichen legt das allen anderen vorangestellte Kapitel „Neun Gedanken zu diesem Buch“ frei, wie sehr wir auf dem Rücken von feministischen Vorkämpfer*innen stehen, das uns Kraft für anhaltende emanzipatorische Kämpfe gibt.

Inhalt

Die Detailfülle und die durchgängig belegten Referenzen und Querverweise bilden ein reichhaltiges Ausgangsmaterial für vertiefende Lektüren. Die fünf Kapitel werden im Folgenden überblicksartig vorgestellt und sind keinesfalls erschöpfend dargelegt. Diese gliedern sich in:

  1. Freundschaft
  2. Frauenbeziehungen in Familien
  3. Revolution der Liebe
  4. Sisterhood
  5. Weibliche Verweigerung: Separatismus, Autonomie und Ausstieg

Kapitel 1 zeigt anhand des 30 Jahre andauernden Briefwechsel der beiden Frauen Rahel Levin Varnhagen und Pauline Wiesel im 18./19. Jahrhundert wie sehr diese Freundschaft die Angesprochenen Subjekt werden lässt, in einer Zeit, wo Individualität für Frauen alles andere als selbstverständlich war. Der politische Slogan „Frauen erhalten Freiheit von anderen Frauen, oder sie erhalten sie gar nicht“ (Schutzbach 2024, S. 237) zeigt die Patriarchats-unterminierende Kraft, die entsteht, wo Frauen solidarische Beziehungen untereinander etablieren. Schutzbach führt aus, wo die emanzipatorische Kraft der Freundschaft unter Frauen entsteht: in der eigenen Persönlichkeitsentwicklung, im Formulieren eigener Wünsche und Sehnsüchte, im Einnehmen eines Verhältnisses zur Welt und somit auch der Loslösung zwanghafter Orientierung an hetero-romantischen Liebesbeziehungen (vgl. Schutzbach 2024, S. 65).

Kapitel 2 Frauenbeziehungen in Familien weist auf die unsägliche genealogische Familientradition hin, hauptsächlich männliche Vorbilder sowie männliche Sichtweisen innerfamiliär weiterzugeben und anzuerkennen. So prägen etwa historisch-kulturelle Entwicklungslinien wie die christliche Sohn-Verehrung bei gleichzeitiger Abwertung der Geburt und dem kritiklosen Umstand, dass Maria eine alleinerziehende Frau ist, das kulturelle Gedächtnis einer Gesellschaft. Schutzbach bietet aber auch andere Deutungsmöglichkeiten an und schreibt mit Verweis auf die Religionswissenschaftlerin Angelika Meirhofer, Maria handelte immer wieder autonom, auch wenn ihr Interesse schlussendlich darin bestand, dem göttlichen Werk ihres Sohnes Geltung zu verschaffen (vgl. Schutzbach 2024, S. 94–96). Eine neue Neugier sei vonnöten, wolle man etwa das Verhältnis der Mutter-Tochter-Beziehung innerhalb patriarchaler Logiken erkunden. Mit Verweis auf die feministische Historikerin Regina Schulte finden sich in homerischen und griechischen Mythen durchaus Momente mütterlich-töchterlicher Verbundenheit, die mit dem Lauf der Welt in Verbindung gebracht werden. So sucht Persephone nach der Entführung durch Hades, dem Gott der Unterwelt, ihre Mutter Demeter, die Göttin der Fruchtbarkeit, auf und erwirkt, dass sie jeweils ein halbes Jahr in der Unterwelt und den Rest der Zeit bei ihrer Mutter oben verbringen dürfe. Dieser Wechsel ist gemäß dem Mythos für den Jahreswechsel zuständig, der Frühling und Sommer bringt, wenn sich die beiden Frauen wiederbegegnen und so in weiblicher Beziehungs-Ebenbürtigkeit zueinander finden. (Vgl. Schutzbach 2024, S. 127–129)

Kapitel 3 Revolution der Liebe zeichnet anschaulich nach, wie gesellschaftliche Machtstrukturen sich bis ins Schlafzimmer hinein negativ auswirken wie Verena Stefan 1975 in ihrem Roman „Häutungen“ beschreibt. So stellen unter anderem für Frauen im Zuge der sexuellen Revolution der 1968er-Jahre Männer auch neue Verfügbarkeitsansprüche an Frauen. Kritisiert wird aber auch die emotionale und gesundheitliche Vernachlässigung der Männer sich selbst gegenüber, die zu einer tiefen Frustration bei Frauen führte. (Vgl. Schutzbach 2024, S. 157–157) Mit dem Anspruch feministischer Bewegungen, nicht nur Brot, sondern auch Rosen zu wollen, wird Begehren außerhalb heteronormativer Cis-Geschlechtlichkeit eingefordert, was in Frauenbewegungen oft als politisches Lesbisch-Sein gelebt wurde, in Frauenbeziehungen zueinander ohne Männer. (Vgl. Schutzbach 2024, S. 169–171)

Kapitel 4 Sisterhood greift auch in intersektional kritischer Perspektive ein Thema auf, das eng mit rassistischen Diskursen verbunden ist und hinterfragt das Interesse patriarchaler Strukturen an der Feindschaft unter Frauen. So fänden sich in Märchen, kollektiven Wissensbeständen von Generationen, unzählige Erzählungen von der Rivalität der Frauen untereinander aus Männersicht. Frau Holle, die das fleißige Mädchen mit einem Goldregen belohnt und das faule mit Pechregen bestraft sowie in Schneewittchen die Frauen untereinander um die Gunst des Prinzen kämpfen mit der Frage, wer wohl die Schönste im Land sei. (Vgl. Schutzbach 2024, S. 205–206) Komplizinnen erwarte innerhalb patriarchaler Logiken eine Belohnung, so kann unsolidarisches Handeln unter Frauen eine Art Überlebensstrategie im Kampf um knappe Ressourcen sein (vgl. Schutzbach 2024, S. 206).

Kapitel 5 Weibliche Verweigerung: Separatismus, Autonomie und Ausstieg stärkt separatistische Elemente innerhalb des Feminismus in einer Welt oder zumindest männerfreien Räumen zu leben und wirken. Hier wird auch die Deutung, in vielen Räumen kämen Frauen kaum vor, weil sie herausgedrängt werden, erweitert um die Deutung, dass viele Frauen gewisse Räume absichtlich meiden und sich ihre eigenen schaffen. In Rückgriff auf utopische Romane wie „Herland“ von Charlotte Perkins Gilman aus 1915, „Les Guérillères“ von Monique Wittig 1969 oder „Xenogenesis“ von Octavia E. Butler 1987–1989 findet Gesellschaft nicht mehr unter einem Dogma der Vereinheitlichung statt, sondern kommt ohne oder größtenteils ohne Männer aus. (Vgl. Schutzbach 2024, S. 250–259) Separatistische Räume fordern laut Schutzbach das bestehende System stärker heraus als der Gleichstellungsfeminismus, weil sich diese männlicher Werte und Deutungshoheit entziehen. Freiheit könne dementsprechend wie eingangs erwähnt, nur von Frauen durch Frauen erhalten werden (vgl. Schutzbach 2024, S. 267–268).

Diskussion

Das Buch eröffnet überzeugende feministische Perspektiven, bekräftigt separatistische Elemente und plädiert für eine stärkere Fokussierung auf weibliche Sichtweisen und Deutungen. Dabei bleiben jedoch einige Fragen offen: Inwiefern ist Separatismus als langfristige Strategie realistisch? Und wie können feministische Netzwerke über verschiedene ideologische Strömungen hinweg gestärkt werden, ohne neue Ausschlüsse zu erzeugen?

Mit zahlreichen Verweisen auf feministische Theoretikerinnen sowie auf historische und aktuelle Frauen und FLINTA*-Personen bietet das Buch eine Fülle an Querverweisen und kann als Ausgangspunkt für weiterführende Forschung dienen. Gleichzeitig setzt Schutzbachs Argumentation ein gewisses Vorwissen voraus, was es für Leser*innen ohne tiefgehende feministische oder soziologische Kenntnisse stellenweise anspruchsvoll machen könnte.

Fazit

Franziska Schutzbach eröffnet neue Räume und Lesarten feministischen Denkens und Handelns. Sie schärft anhand vielfältiger Beispiele das Bewusstsein für Spaltungstendenzen unter Frauen und FLINTA*-Personen und zeigt alternative Wege weiblicher Verbundenheit und Solidarität auf.

Rezension von
Mag. phil. Christina Zöhrer
Lecturer am Arbeitsbereich Bildungstheorie und Schulforschung | Institut für Bildungsforschung und PädagogInnenbildung, Universität Graz
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Es gibt 2 Rezensionen von Christina Zöhrer.

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ISSN 2190-9245