Wilhelm Rotthaus: Beziehungsgeschöpf Mensch
Rezensiert von Prof. i.R. Dr. Peter Bünder, 15.05.2025

Wilhelm Rotthaus: Beziehungsgeschöpf Mensch. Übergänge zu einem neuen Selbstbild.
Carl-Auer Verlag GmbH
(Heidelberg) 2025.
155 Seiten.
ISBN 978-3-8497-0578-7.
D: 19,95 EUR,
A: 20,60 EUR.
Reihe: Systemische Horizonte.
Das Thema
Das Buch stellt Überlegungen vor, wonach die Rettung unserer bedrohten Erde nur dann erfolgreich verlaufen kann, wenn es gelingt, dass die Bewohner*innen ein neues Selbstbild entwickeln können.
Zum Autor
Dr. med. Wilhelm Rotthaus war von 1981 bis 2004 Ärztlicher Leiter des Fachbereichs Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters der Rheinischen Kliniken Viersen. Er hat eine große Anzahl von systemischen Fachbüchern verfasst.
Aufbau
Nach einer inhaltlichen Einleitung gliedert sich das Buch in drei umfangreichere Kapitel und einem sehr kurzen Abschluss. Hinzu kommen noch Anmerkungen zu den Quellenangaben sowie eine umfangreiche Literaturliste.
Inhalt
Zur Einleitung: Vor dem gegebenen Hintergrund des menschengemachten Klimawandels, dem Verlust der Biodiversität, dem Druck nach ständigem Wirtschaftswachstum und der fast grenzenlosen Übersteigerung von Individualität möchte Wilhelm Rotthaus einen Beitrag leisten, um die notwendige Herausbildung eines neuen sozialen Menschenbildes zur Rettung unserer bedrohten Welt zu unterstützen.
Das Kapitel 2 zum Selbstbild des modernen Menschen thematisiert in fünf Unterkapiteln, wie Menschen über sich selbst denken im Rahmen der Kultur, in die sie hineingeboren wurden. Damit der Übergang zu einem neuen, sozial geprägten Selbstbild gelingen kann, ist eine Transformation erforderlich, die über die Phasen der Erschütterung und Öffnung des Selbst zu einer Neuausrichtung führen kann, welche die Entwicklung eines neuen Narrativs möglich macht.
Im Kapitel 3 fokussiert Rotthaus auf die gesellschaftlichen Einflussfaktoren, die zur Entwicklung des modernen Individuums geführt haben. Auf diesem Weg löst sich der moderne Mensch aus der Verbindung mit der Natur, will sie nicht mehr nur erkennen, sondern nun umfassend beherrschen. Er beschreibt die „vier großen Kränkungen“ des Individuums:
- Die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Weltalls.
- Der Mensch entstand nicht durch einen Akt Gottes, sondern entwickelte sich evolutionär aus den Reihen der Primaten.
- Die von Freud entwickelte Theorie des Unbewussten zeigt, dass ein beträchtlicher Teil des Seelenlebens sich unserem bewussten Willen entzieht und
- Der Mensch der westlichen Welt muss wider Willen zur Kenntnis nehmen, dass er nicht mehr in der Lage ist, die Natur zu kontrollieren (S. 39 -42), gefolgt von den (vergeblichen) Rettungsversuchen für das Menschenbild in den heutigen individuumszentrierten Gesellschaften.
Sehr gut nachvollziehbar wird aufgezeigt, wie dieses moderne Selbstbild auf der Grundlage einer überzogenen Individualisierung in der langen Menschheitsgeschichte ein „Ausnahmephänomen“ darstellt (S. 63).
Das vom Umfang längste Kapitel 4 begründet einführend die unbedingte Notwendigkeit der Entwicklung eines neuen Menschenbildes, um die erforderlichen Schritte zur Linderung der gegebenen Klima- und Biodiversität leisten zu können. Voraussetzung dafür – so Rotthaus – ist aber unverzichtbar, dass sich der Mensch neu zu einem tatsächlichen „Beziehungsgeschöpf“ entwickeln muss (S. 67). Sein Denken, Fühlen und Handeln und damit der Umgang mit anderen Menschen, dem Tierreich und dem Planeten als Ganzes muss sich verändern. In insgesamt 14 Unterkapiteln werden dafür die zentralen Dimensionen und ihre Auswirkungen vorgestellt. Es geht hier u.a. um das Mitgefühl als Grundlage von Beziehung, um Kooperationsbereitschaft, um Zusammenhalt und Solidarität, um Gerechtigkeit und Fairness sowie notwendige Lernprozesse von Einzelnen und Gruppen.
Das sehr kurze Kapitel Abschluss fasst nochmals zusammen, dass der europäisch geprägte Mensch der westlichen Welt garantiert nicht mehr mit einem „Weiter so!“ weiterkommen kann. Für das Überleben der nächsten Generationen wird es unerlässlich, die Werte und Stärken von gruppenbasierten Gemeinschaften und Gesellschaften wieder zu entdecken und neu zu entwickeln.
Diskussion
Das von der Seitenzahl eher kleine Buch bietet eine beachtliche Zusammenstellung von Fakten geschichtlicher, gesellschaftlicher und persönlicher Entwicklungsdimensionen von Menschen aus der Frühzeit bis in unsere heutige Zeit. Die vorgestellte Hypothese, wonach die Menschheit nur eine Überlebenschance hat, wenn es gelingt, die auf Individualisierung und Atomisierung ausgerichteten Gesellschaftsverhältnisse zu überwinden, indem der Mensch wieder – wie seit der Frühzeit der Menschheit – als „Beziehungsgeschöpf“ in sozialen Gemeinschaften leben kann. Speziell das 4. Kapitel liefert dafür sehr gute Grundlagen für einen gemeinschaftlichen Austausch mit anderen Menschen, denen diese Thematik ebenfalls am Herzen liegt.
Fazit
Dieses vom Umfang her kompakte Buch kann – sofern die bestehenden weltweiten Alarmsignale wahrgenommen und auch anerkannt werden – einen wertvollen Beitrag leisten zum Verständnis der Notwendigkeit eines neuen Menschenbildes, welches nicht durch mehr Macht, Gier und Profit dominiert ist. Ich kann daher die Lektüre dieses Buches persönlich nur empfehlen. Wünschenswert wäre gewesen, wenn der kurze, sehr allgemeine Abschluss mit einigen konkreten, beispielhaften Ideen für erste Schritte auf dem Weg zur notwendigen Veränderung angereichert worden wäre, um die geneigte Leserschaft anzuregen, dort nun selbst weiter zu denken und zu machen.
Rezension von
Prof. i.R. Dr. Peter Bünder
Vormals Hochschule - University of Applied Sciences - Düsseldorf, Lehrgebiet Erziehungswissenschaft am Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften
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