Jörg Maywald: Kinderrechte in der Kita
Rezensiert von Katja Scheffler, 12.06.2025

Jörg Maywald: Kinderrechte in der Kita. Kinder schützen, fördern, beteiligen. Verlag Herder GmbH (Freiburg, Basel, Wien) 2025. 176 Seiten. ISBN 978-3-451-03518-0. D: 24,00 EUR, A: 24,70 EUR, CH: 26,00 sFr.
Thema
Jörg Maywald setzt sich in seinem Buch mit der Thematik der Kinderrechte im Kontext der Elementararbeit auseinander. Er betrachtet die aktuelle politische Diskussion und setzt Eckpunkte des Kinderrechtsansatzes fest. Hierfür veranschaulicht er die rechtlichen Rahmenbedingungen und versucht, die Perspektive der Kinder darzustellen. Pädagogischen Fachkräften zeigt er Handlungsmöglichkeiten im Sinne des Kinderrechtsansatzes auf.
Autor:in oder Herausgeber:in
Prof. Dr. Jörg Maywald ist Soziologe, Pädagoge und Hochschulprofessor an der Fachhochschule Potsdam. Darüber hinaus ist er Experte für Kinderrechte und Kinderschutz. Seine Expertise brachte er unter anderem als Mitbegründer des Berliner Kinderschutz-Zentrums und als Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind ein. Ebenfalls engagierte er sich als Sprecher der National Coalition Deutschland und beteiligte sich aktiv an der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention.
Aufbau
Das Buch unterteilt sich in sieben Hauptkapitel. Jedes der Kapitel wird eingeleitet durch eine Übersichtsseite, auf welcher der Kapiteltitel und orientierungsgebende Inhalte des Themenbereichs zusammengefasst werden.
Ergänzend zu den inhaltlichen Ausführungen des Autors werden Informationsboxen verwendet, um wichtige Zusatzinformationen zu bieten oder getroffene Aussagen zusammenzufassen. Die Informationsboxen behandeln die Themenpunkte Grundlagen, Recht und Gesetz, Fallbeispiel und Überblick.
Dem Anhang ist weiteres Informations- und Arbeitsmaterial zu entnehmen. Neben einem Selbsttest „Wie fit bin ich in punkto Kinderrechte?“ ist dort eine Checkliste zur Umsetzung der Kinderrechte in der Kita, die UN-Kinderrechtskonvention im Wortlaut sowie weiterführende Internetadressen zu finden.
Inhalt
Beginnend mit einer Einführung in den Themenkomplex, beginnt Maywald mit einer Darstellung vom Ideal und der Realität einer kindgerechten Kita. Angesichts dieser Differenz beider Perspektiven sieht er die Notwenigkeit, die Kita vom Kind herzudenken. Er stellt einen kurzen Ausblick auf den Kinderrechtsansatz vor und betont die Orientierung an den Kinderrechten als wichtigen Baustein von Kita-Qualität.
Kapitel 1 - Die Kita vom Kind herdenken
In diesem Abschnitt wird die Würde des Kindes betrachtet und das Kind als Rechtssubjekt und damit einhergehend als TrägerIn eigener Rechte definiert. Wesentlich ist hierfür die Betrachtung der Menschenrechte und deren Dimensionen Freiheit, Gleichheit und Inklusion als fundamentaler und untrennbarer Bestandteil des Menschseins. Ebenso wird ein Blick auf den geschichtlichen Werdegang der Menschenrechte genommen.
In der Differenzierung zu den Menschenrechten beschreibt Maywald, dass Kinderrechte Kinder nicht als Objekt des Schutzes und der Förderung betrachten. Maywald beschreibt Kinder als TrägerInnen von Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechten und benennt diese als Aspekte guter Qualität von Kitas.
Weiterhin beschreibt der Autor das Verhältnis zwischen Kind und Erwachsenen als asymmetrisch. Einerseits sind beide gleichwertig in ihrem Subjektstatus des Menschen, andererseits sind sie ungleich aufgrund der strukturellen Machtungleichheit, welche eine Verantwortung des Erwachsenen bedingt. Kinderrechte vertiefen und erweitern nach Maywald die Menschenrechte in Bezug auf die besonderen Belange von Kindern.
Unter dem „Gebäude der Kinderrechte“ benennt der Autor die Allgemeinen Prinzipien, definiert vom „UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes“. Diese sind zusammengefasst:
- Das Diskriminierungsverbot
- Der Vorrang des Kindeswohls
- Das Recht jedes Kindes auf Leben und bestmögliche Entwicklung
- Das Recht jedes Kindes auf Beteiligung
Weiterführend erfolgt eine Auszählung aller Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechte mit Vermerk auf den dazugehörigen Artikel der Kinderrechtskonvention sowie Regelungen zur Umsetzung der Konvention. Die Kinderrechtskonvention besitzt Gültigkeit für jedes in Deutschland lebende Kind, untersteht in seiner Form jedoch dem Grundgesetz. Die Verantwortlichkeit zur Überwachung der Kinderrechte obliegt der Bundesregierung.
Maywald unternimmt eine Darstellung um die Problematik der Begriffsdefinition Kindeswohl. Dabei arbeitet er die Untrennbarkeit von Kindeswohl und Kindeswillen heraus.
Ebenso betrachtet er das Verhältnis zwischen Kinderrecht und Elternrecht. Entgegen kritischen Stimmen ist der Autor überzeugt, dass das Elternrecht vom Kinderrecht gestärkt wird und die Verantwortung der Erwachsenen an das Kindeswohl bindet.
Abgeschlossen wird das Kapitel mit der Darstellung wesentlicher Aspekte des Kinderrechtsansatzes als Qualitätsziel. Maywald definiert die Zielsetzung des Ansatzes der Achtung und Umsetzung anerkannter Rechte des Kindes in pädagogischen Einrichtungen. Hierzu stellt er die Prinzipien der Universalität, Unteilbarkeit, dem Kind als TrägerInnen eigener Rechte und Erwachsene als VerantwortungsträgerInnen vor. Zuletzt stellt er eine vergleichende Betrachtung des „Rechte-Ansatzes“ und eines „Bedürfnis-Ansatzes“ gegenüber.
Kapitel 2- Kinderrechte und das Bild vom Kind
In diesem Kapitel wird das Bild des Kindes im Wandel der Zeiten betrachtet, beginnend in der Antike bis zur Postmoderne. Darauffolgend wird ein Exkurs in der Geschichte der Kinderrechte unternommen, beginnend mit dem Childrens Charter der Save the Children International Union aus dem Jahr 1920. Neben der weltweiten Entwicklung wird auch der geschichtliche Hintergrund der Kinderrechte innerhalb Deutschlands im Detail betrachtet.
Kapitel 3 – Kinderrechte im Alltag der Kita
In den Unterkapiteln dieses Abschnittes sollen situative Schwerpunkte des Kitaalltages näher betrachtet werden. Zu den Settings gehören:
- Die erste Begegnung
- Eingewöhnung
- Begrüßung und Ankommen am Morgen
- Das freie Spiel
- Angebote und Projekte
- Gestaltung der Mahlzeiten
- Körperpflege und kindliche Sexualität
- Rückzugsmöglichkeiten und Ruhepausen
- Verabschiedung am Nachmittag
- Übergang in die Schule
Einführend stellen Lisa und Luis, zwei fiktive Kinder, das Setting aus kindlicher Perspektive, doch in erwachsenen Worten dar. Neben einer Situationsbeschreibung werden durch diese Fallbeispiele die kindliche Perspektive und Gefühlswelt verbalisiert. Im Anschluss nimmt der Autor eine thematische Situationsbeschreibung mit häufigen Einflussfaktoren vor, gefolgt von einer exemplarischen Prozessbeschreibung und Benennung wesentlicher Aspekte hinsichtlich des Kinderrechtesansatzes. Maywald benennt situativ mögliche Aufgaben und Verantwortungen seitens der pädagogischen Fachkräfte.
Kapitel 4 – Mit Beschwerden und Konflikten kindgerecht umgehen
Der Autor beschreibt das Beschwerdemanagement als Instrument der Beteiligungskultur und Bestandteil eines präventiven Kinderschutzes. Die rechtliche Verbindlichkeit von Beteiligungsverfahren und Beschwerdemöglichkeiten für alle beteiligten Akteure wird herausgearbeitet und die Relevanz der Teilhabe des Kindes betont.
Maywald differenziert zwischen Verhinderungs- und Ermöglichungsbeschwerden, die unterschiedliche Lösungsstrategien verfolgen. Darüber hinaus definiert er Kriterien von Beschwerde- und Beteiligungsverfahren. Beschwerden in Bezug auf Verfahren der Kindeswohlgefährdung werden bewusst nicht thematisiert, da diese eine eigene Betrachtung im Sinne des Schutzauftrages nach § 8a SGB VIII bedürfen.
Um die Anforderungen eines kindgerechten Beteiligungs- und Beschwerdeverfahren aufzuzeigen, bezieht er sich auf den Allgemeinen Kommentar des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes und fasst diesen in neun Punkten zusammen.
Wie Konflikte mit Kindern, Eltern und aufgrund interkultureller Missverständnisse mithilfe des Kinderrechtsansatzes erfolgreich bewältigt werden können, zeigt Maywald anhand praxisnaher Fallbeispiele auf.
Kapitel 5 - Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zum Wohle des Kindes
Ein weiteres Qualitätsmerkmal sieht Maywald in der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften. Hierzu betrachtet er die unterschiedlichen Rollen beider Parteien und differenziert die jeweiligen Kompetenzbereiche. Die Partnerschaft wird als gelungen erachtet, wenn beide Seiten ihre unterschiedlichen Rollen und Aufgaben respektieren. Zusätzlich benennt der Autor verschiedene Formen der Kooperationen, die sich im Rahmen der Kitaarbeit ergeben können.
Im Rahmen von Gefährdungseinschätzung und Prävention können auch externe Kooperationen nötig sein. Hierzu betrachtet der Autor rechtliche Rahmenbedingungen der Frühen Hilfen und des Kinderschutzes. Außerdem benennt er nochmals die Verfahrensschritte gemäß § 8 SGB VIII. Als Maßnahmen präventiven Kinderschutzes und gewaltfreier Erziehung betrachtet Maywald den Wert von gezielten Angeboten für Eltern und Kinder sowie der Vernetzung mit anderen Akteuren der Frühen Hilfen. Zusätzlich schafft er einen Überblick über die jeweiligen Bausteine eines institutionellen Gewaltschutzkonzepts.
Kapitel 6 – Gute Qualität in der Kita: Das Kind steht im Mittelpunkt
Für Maywald ist eine gute Qualität gleichbedeutend mit Kindergerechtigkeit. Hierzu ist die Wahrnehmung der kindlichen Perspektive wichtig. Um diese zu veranschaulichen, stellt er den Katalog der sieben Grundbedürfnisse (Basic Needs) nach Brazelton und Greenspan vor.
Zur Gewährleistung einer an Rechten und Bedürfnissen orientierten Bildung beschreibt Maywald drei Dimensionen guter Qualität: Orientierungsqualität, Strukturqualität und Prozessqualität. Ergänzend hierzu benennt er als kinderrechtsbasierte Eckpunkte guter Qualität den Fachkraft-Kind-Schlüssel, die Gruppengröße, die Qualifikation der pädagogischen Fachkräfte und die Qualität der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit den Eltern. Darauffolgend stellt Maywald die Eckpunkte guter Qualität der Deutschen Liga für das Kind dar. Diese beinhalten 36 kinderrechtsbasierte fachliche Mindestanforderungen, die die Erfüllung guter Kitaqualität begünstigen sollen.
Kapitel 7 - Zukunft der Kinderrechte
Im abschließenden Kapitel soll noch ein Blick auf die Weiterentwicklung der Kinderrechte genommen werden. Im Fokus stehen hierbei die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz und die Umsetzung eines Kinderwahlrechts. Beide Themen werden geschichtlich und rechtlich eingeordnet, wesentliche Eckpunkt dargestellt und verschiedene Optionen zur Umsetzung erörtert.
Diskussion
Das vorliegende Werk schafft einen umfangreichen Blick auf die Thematik der Kinderrechte. Relevante Aspekte werden sowohl geschichtlich als auch politisch eingeordnet. Maywald legt großen Wert darauf, seine Äußerungen mit den entsprechend relevanten Gesetzestexten zu belegen. Darüber hinaus zieht er einige Leitfäden und Charta als Grundlage seiner Argumentation hinzu. Schwerer zu differenzieren ist, woher Maywald sein Wissen zu pädagogischen Aspekten in beispielsweise Kapitel 3 zieht. Hier ist es undurchsichtiger, welche Punkte persönlicher Natur sind und welche theoriegeleitet und wissenschaftlich begründet sind.
Nichtsdestotrotz stellt das Buch eine geeignete Grundlage für pädagogische Fachkräfte dar, den Kinderrechtsansatz in der Kita umzusetzen. Sie erhalten einen Handlungskompass, um die Rechte der Kinder in ihr pädagogisches Repertoire aufzunehmen.
Fazit
Insgesamt schafft der Autor den politischen Diskurs, um die Kinderrechte gut einzufangen und ausdifferenziert darzustellen. Die Umsetzung des Kinderrechtsansatzes als Qualitätsmerkmal erfolgt praxisnah und rechtlich eingeordnet. In diesem Buch finden pädagogische Fachkräfte eine sehr gute Sammlung aller relevanten Aspekte, um sich gezielt mit der Thematik Kinderrechte im Kitaalltag auseinanderzusetzen.
Rezension von
Katja Scheffler
Erzieherin, Studentin der Fachhochschule Koblenz, Studiengang Kindheits- und Sozialwissenschaften MA
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