Deutschland Solidarisch Gestalten: Was die AFD behauptet und wie wir darüber in der Gesellschaft diskutieren können
Rezensiert von Kiran Bowry, 12.05.2025

Deutschland Solidarisch Gestalten: Was die AFD behauptet und wie wir darüber in der Gesellschaft diskutieren können. Deutschland solidarisch gestalten. Unrast Verlag (Münster) 2025. 104 Seiten. ISBN 978-3-89771-525-7.
Thema der Publikation
Das Buch analysiert Ideologie, Rhetorik und strategische Kommunikation der AfD mit dem Ziel, deren demokratiefeindliche Grundhaltung offenzulegen. Im Zentrum stehen die diskursiven Mechanismen, mit denen die Partei gesellschaftliche Konflikte zuspitzt, wissenschaftliche Autorität untergräbt und autoritäre Narrative normalisiert. Dabei verbindet das Werk interdisziplinäre Perspektiven aus Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte und Kommunikationsforschung und liefert Argumentationshilfen für eine kritische Auseinandersetzung in öffentlichen Debatten.
Autor:innen und Entstehungshintergrund
Das Werk wurde von der Gruppe „Deutschland solidarisch gestalten“ verfasst – einem interdisziplinären Kollektiv aus Wissenschaftler:innen, Aktivist:innen und Kulturschaffenden. Die Autor:innen arbeiten unter anderem in Gedenkstätten, NGOs oder Bildungseinrichtungen und setzen sich aus verschiedenen Altersgruppen, Berufen und Geschlechtern zusammen. Ihr Anliegen ist es, einen Beitrag zu einer faktenbasierten, demokratischen Debattenkultur zu leisten und konkrete Gegenstrategien zum erstarkenden Rechtspopulismus zu entwickeln.
Aufbau und Inhalt
Das Buch umfasst elf Kapitel, die systematisch aufeinander aufbauen. Kapitel 1 führt in das Anliegen des Buches ein und thematisiert grundlegende Fragen zu Gesprächsführung, Haltung und gesellschaftlichem Wissen im Umgang mit der AfD. Kapitel 2 analysiert populistische Strategien wie Emotionalisierung, Bedrohungsinszenierung und Desinformation. Daran anschließend beleuchtet Kapitel 3 die ideologischen Wurzeln der AfD in kolonialen, völkischen und nationalsozialistischen Denktraditionen. Kapitel 4 bis 6 widmen sich der Kriminalisierung marginalisierter Gruppen, dem sexistischen Weltbild der AfD sowie ihrer Ablehnung inklusiver Politik. Kapitel 7 zeigt, wie die AfD soziale Ungleichheit durch neoliberale Positionen verschärft. Kapitel 8 befasst sich mit der Rolle Ostdeutschlands und weist die Reduktion des AfD-Erfolgs auf einen regionalen Sonderweg zurück. Kapitel 9 und 10 analysieren die antidemokratischen Zielsetzungen der AfD und ordnen sie als extrem rechte Partei ein. Den Abschluss bildet Kapitel 11 mit einer Warnung vor autoritären Entwicklungen und dem Plädoyer für gesellschaftliche Wachsamkeit.
Wissen als Machtfrage – Die Grundhaltung des Buches
Wissen ist nie neutral – es bestimmt, wer spricht, was gehört wird und welche Perspektiven dominieren. Diese Prämisse bildet das Fundament der Analyse und wird bereits im ersten Kapitel deutlich gemacht. "Was die AfD behauptet und wie wir darüber in der Gesellschaft diskutieren können" ist dabei mehr als eine bloße Widerlegung einzelner Thesen der Partei. Vielmehr soll es die ideologischen Grundpfeiler des rechten Denkens in Deutschland offenlegen und zeigen, wie die AfD systematisch auf die Delegitimierung wissenschaftlicher Expertise und demokratischer Institutionen hinarbeitet. Das Werk verfolgt einen doppelten Anspruch: Einerseits dekonstruiert es die Narrative der AfD, andererseits vermittelt es Argumentationsstrategien, um diesen Narrativen in gesellschaftlichen Debatten zu begegnen.
Populismus als Machtstrategie
Ein weiterer Schwerpunkt des Buches liegt auf der Analyse der Kommunikationsstrategien der AfD. Die Autor:innen zeigen auf, dass der Erfolg der Partei weniger auf einzelnen politischen Forderungen beruht als auf einer gezielten rhetorischen Strategie, die sich in drei zentralen Elementen zeigt:
- Die Schaffung einer Dichotomie („Volk“ vs. „Eliten“, „Wir“ vs. „die anderen“),
- Die bewusste Emotionalisierung politischer Debatten zur Mobilisierung der Anhänger,
- Die gezielte Unschärfe von Begriffen, um radikale Positionen anschlussfähig zu machen.
Die ideologischen Wurzeln der AfD
Das Buch zeigt, dass die völkische Rhetorik der AfD nicht nur auf den Nationalsozialismus zurückgeht, sondern tief in kolonialen Weltbildern verwurzelt ist. Auch ohne direkte theoretische Bezüge knüpft das Buch inhaltlich an postkoloniale Analysen wie jene von Frantz Fanon (2020) und Fatima El-Tayeb (2016) an. Beide zeigen auf, wie koloniale Rassenkonstruktionen und rassifizierte Vorstellungen von Zugehörigkeit überdauern und sich in gegenwärtigen politischen Diskursen – etwa bei der AfD – fortschreiben. Anhand zahlreicher Beispiele illustriert das Buch, wie sich koloniale Denkmuster bis in die heutige politische Debatte erstrecken. Eine der zentralen Thesen lautet, dass die AfD keine radikale Abweichung vom politischen Status quo darstellt, sondern eine Zuspitzung bereits existierender ethnonationalistischer Argumentationsmuster: „Deutsch seien nur diejenigen, die eine deutsche Abstammung, also deutsches Blut in sich hätten. Eine solche Politik ist eine Fortführung des Kolonialismus und klar rassistisch“ (S. 32).
Die AfD als autoritäre Versuchsanordnung
Das Werk verdeutlicht, dass die AfD-Ideologie nicht nur marginalisierte Gruppen bedroht, sondern ein autoritäres Gesellschaftsmodell verfolgt, das jegliche Abweichung von einer völkischen Norm sanktioniert. Die letzten Kapitel zeigen auf, dass die Partei auf eine tiefgreifende Transformation des Staates hinarbeitet. Die Autor:innen ziehen hier explizit Werke der Neuen Rechten heran, darunter Martin Sellners (2023) Regime Change von rechts, und verweisen auf programmatische Texte der AfD, die eine gezielte Schwächung demokratischer Institutionen und die Etablierung einer illiberalen Autokratie anstreben:
„Die AfD plant einen Staat zu errichten, der ihrem faschistischen Weltbild entspricht. Sie will eine Autokratie, also einen starken Staat, in dem wenige über die Mehrheit bestimmen und zentrale Gesetze abgeschafft werden“ (S. 72).
Diskussion und Bewertung
Die Publikation überzeugt insbesondere durch ihre analytische Schärfe und historische Tiefendimension. Die konsequente Einordnung der AfD in koloniale und völkische Traditionen hebt das Buch von anderen Arbeiten ab. Während viele Arbeiten Rechtspopulismus primär über Wähleranalysen erfassen, beleuchtet dieses Buch die ideologischen Grundlagen der AfD – und schließt damit stärker an postkoloniale Analysen an als an klassische Studien wie bei Cas Mudde (2017). Diese Schwerpunktsetzung stellt eine klare inhaltliche Abgrenzung zu jenen Werken dar, die sich eher mit argumentativen Strategien (Mit Rechten reden, Leo/Steinbeis/Zorn, 2017) oder praxisnahen Gesprächstechniken (Argumente am Stammtisch, Hufer, 2006) befassen.
Während deutlichere populismustheoretische Vergleiche mit autoritären Entwicklungen in Polen oder Ungarn eine sinnvolle Ergänzung gewesen wären, überzeugt das Buch durch die historische Kontextualisierung der AfD. Es zeigt auf, dass die Partei keine isolierte Erscheinung ist, sondern vielmehr eine Radikalisierung etablierter konservativer Diskurse darstellt. Dies wird besonders deutlich in ihrer ideologischen Anschlussfähigkeit an jahrzehntelange CDU-Diskurse – von den Leitkulturdebatten über Roland Kochs (im Buch unerwähnte) „Doppelpass“-Kampagnen bis hin zu aktuellen migrationspolitischen Verschiebungen. Zwar fehlt eine systematische Untersuchung dieser inhaltlichen Überschneidungen. Dennoch wird deutlich, wie porös die sogenannte Brandmauer inzwischen geworden ist. Ebenso wird nachvollziehbar, dass die Diskursverschiebung nach rechts nicht allein von der AfD ausgeht, sondern auch von Teilen der CDU und weiteren Akteuren der extremen Rechten aktiv vorangetrieben wurde. Friedrich Merz versucht diese Nähe rhetorisch zu relativieren, indem er inhaltliche Überschneidungen beider Parteien ausblendet und lediglich Differenzen in der Außenpolitik betont.
Allerdings bleibt eine Schwäche der Publikation, dass sie die Gesprächsführung mit AfD-Sympathisanten nur am Rande behandelt. Während andere Werke explizit auf Strategien eingehen, bleibt dieses Buch in erster Linie analytisch. Die fehlende Auseinandersetzung mit konkreten Gesprächsstrategien fällt besonders ins Gewicht, da das Buch sich an eine breite, gesellschaftlich engagierte Leserschaft richtet. Eine bessere Verbindung von Analyse und praktischer Anwendung hätte den Nutzwert deutlich gesteigert. Die stärkere Verzahnung von Theorie und Praxis hätte den praktischen Nutzen des Werks für die politische Bildungsarbeit weiter erhöht.
Trotz dieser kleineren Leerstellen ist das Werk eine wertvolle Ergänzung zur politischen Analyse der AfD. Durch seine historisch fundierte Herangehensweise trägt es dazu bei, die ideologischen Grundlagen der Partei präziser zu verstehen und deren langfristige Entwicklungen in einen größeren Kontext einzuordnen.
Fazit
Das Buch legt die ideologischen und historischen Wurzeln der AfD offen – von kolonialen Denkfiguren bis zu völkischer Rhetorik. Es überzeugt durch strukturelle Klarheit, argumentative Präzision und interdisziplinären Zugriff. Eine wichtige Lektüre für die kritische Auseinandersetzung mit rechter Diskurspolitik.
Literaturhinweise
El-Tayeb, Fatima. Undeutsch: Die Konstruktion des Anderen in der postmigrantischen Gesellschaft. Bielefeld: transcript Verlag, 2016.
Fanon, Frantz. Schwarze Haut, weiße Masken. Neuafulage (Orginial: 1952). Wien: Turia + Kant, 2020.
Hufer, Klaus-Peter. Argumente am Stammtisch: Populistische Parolen und Sprüche kontern. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag, 2006.
Laclau, Ernesto. On Populist Reason. London: Verso, 2005.
Leo, Per; Steinbeis, Maximilian; Zorn, Daniel-Pascal. Mit Rechten reden: Ein Leitfaden. Stuttgart: Klett-Cotta, 2017.
Mudde, Cas. Populism: A Very Short Introduction. Oxford: Oxford University Press, 2017.
Sellner, Martin. Regime Change von rechts: Eine strategische Skizze. Schnellroda: Antaios, 2023.
Rezension von
Kiran Bowry
Politikwissenschaftler
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