Susanne Kreutzer, Jette Lange et al. (Hrsg.): Lehrbuch Geschichte der Pflege
Rezensiert von Michael Mayer, 16.06.2025

Susanne Kreutzer, Jette Lange, Karen Nolte, Pierre Pfütsch, Sünje Prühlen (Hrsg.): Lehrbuch Geschichte der Pflege. Für Studium und Ausbildung. Springer (Berlin) 2025. 262 Seiten. ISBN 978-3-662-69825-9. D: 42,05 EUR, A: 46,25 EUR, CH: 50,00 sFr.
Thema
Anhand der Pflegegeschichte lassen sich viele der gegenwärtigen Strukturen, Probleme und Entwicklungsaufgaben der pflegerischen Versorgung in Deutschland besser verstehen. Aktuelle Konflikte, Begrenzungen und Selbstverständnisse der beruflichen Pflege können so in historische Prozesse eingeordnet werden. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Berufsgeschichte ist daher ein wichtiger Bestandteil von Ausbildungen und Studiengängen und für alle empfehlenswert, die sich mit der beruflichen Identität der Pflegeberufe auseinandersetzen möchten.
Herausgeber:in
Die Herausgeberinnen und Herausgeber sind Pflegewissenschaftlerinnen und Historiker:innen. Susanne Kreutzer ist Professorin für Ethik, Wissenschaftstheorie und Geschichte der Pflege an der Fachhochschule Münster. Jette Lange ist Senior Lecturer am Institut für Pflegewissenschaft der IMC Fachhochschule Krems. Karen Nolte leitet das Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Heidelberg. Pierre Pfütsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin des Bosch Health Campus. Sünje Prühlen ist Lehrerin an einer Berufsfachschule für Pflege und promovierte Historikerin. Damit vereint das Team der Herausgeber:innen pflegewissenschaftliche Expertise mit einer Expertise in der medizin-historischen Forschung.
Entstehungshintergrund
Das Buch wurde als Lehrbuch für die schulische oder hochschulische Ausbildung zur Pflegefachperson konzipiert. Es enthält daher auch eine differenzierte Matrix, in der die einzelnen Kapitel den curricularen Einheiten des Rahmenlehrplans für die Pflegeausbildung zugeordnet sind. Die Herausgebenden nennen Lehrende an Berufsfachschulen für Pflegeberufe, Lehrende an Hochschulen, Studierende und andere an der Pflegegeschichte Interessierte als Zielgruppe ihres Buches.
Aufbau und Inhalt
Das Lehrbuch ist in vier Teile gegliedert. In der Einführung stellen die Herausgebenden in zwei Kapiteln das grundlegende Konzept des Buches sowie dessen Verbindung zum deutschen Rahmenlehrplan für die Pflegeausbildung vor. Darüber hinaus erläutern sie den Sinn von Pflegegeschichte und die Arbeit mit historischen Quellen.
Der zweite Teil des Buches besteht aus sechs Kapiteln, die verschiedene Aspekte der Geschichte des Pflegeberufs behandeln. Im ersten Kapitel mit dem Titel „Pflege und (De-)Professionalisierung“ wird zunächst die historische Prägung des Pflegeberufs durch Ärzte beleuchtet. Diese achteten vor allem auf einen begrenzten Kompetenzbereich. Daneben wird die Prägung durch konfessionelle Schwesternschaften thematisiert, die die Persönlichkeit der Schwestern sowie die Pflegepraxis in den Fokus rückten. Die Autor:innen weisen außerdem darauf hin, dass der zur Professionalisierung eingeführte Pflegeprozess eher zu einer Deprofessionalisierung geführt hat. Wie im Kapitel „Internationale Einflüsse auf die Entwicklung der Pflege“ deutlich wird, war der Pflegeberuf von Beginn an international gut vernetzt. Dabei spielten sowohl die konfessionellen Schwesternschaften als auch Personen wie Agnes Karll eine wichtige Rolle. Im Anschluss beschäftigen sich jeweils eigene Kapitel mit der Entwicklung der Kinderkrankenpflege, der Altenpflege und der Psychiatriepflege. Das Kapitel „Pflege im Nationalsozialismus“ beschreibt schließlich, wie die Krankenpflege in die nationalsozialistische Gesundheitspolitik eingebunden wurde und sich unter anderem an Zwangssterilisationen sowie der Vernichtung von Psychiatriepatient:innen und Heimbewohner:innen beteiligte.
Der dritte Teil des Buches beschreibt die Geschichte des Pflegeberufs im gesellschaftlichen Kontext mit Blick auf Religion, Geschlecht, Migration und pflegerische Interessensvertretung sowie die Darstellung der Pflege in Filmen. Das Kapitel „Pflege und ihre Interessensvertretungen” verdeutlicht die von Anfang an bestehende Spannung zwischen den verschiedenen Interessensvertretungen der Pflegenden. Insbesondere zwischen den gewerkschaftlich organisierten Pflegenden – diese waren zunächst vorwiegend Männer – und den im pflegerischen Berufsverband organisierten bürgerlichen Frauen. Das Kapitel „Pflege und Migration” befasst sich hauptsächlich mit der ersten Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland in den 1960er Jahren. Auch damals war der Fachkräftemangel der Grund dafür. Dabei stand die Beschaffung von Arbeitskräften im Vordergrund, weniger die Menschen, die kamen. Abgerundet wird der dritte Teil mit dem Kapitel „Pflege und Film”. Hier wird das historische Bild der Pflege in filmischen Darstellungen wie der Serie „Charité” analysiert.
Der vierte Teil des Buches widmet sich dem Thema „Geschichte der Pflege im Kontext der Gesundheitsversorgung”. Es beginnt mit einem Kapitel über „Pflegende und Gepflegte”, in dem die sich wandelnde Beziehung zwischen diesen beiden Akteuren sowie Kontinuitäten dargestellt werden. Danach geht es um Ansätze der Rehabilitation, die lange Zeit weniger von pflegerischen, sondern vielmehr von den beiden Weltkriegen und technischen Hilfen geprägt waren. Im abschließenden Kapitel wird deutlich, dass Prävention und Gesundheitsförderung seit jeher elementare Bestandteile der beruflichen Pflege sind. In den letzten Jahren wurden diese Anteile in der Ausbildung jedoch noch einmal deutlich gestärkt.
Diskussion
Bereits im einleitenden Kapitel erklären die Herausgebenden die Zielsetzung ihres Buches für die Lehre. So haben sie zugunsten der Lesbarkeit auf ausführliche Quellenangaben verzichtet und möchten eine reflexive Auseinandersetzung mit der Pflegegeschichte anregen. Durch die Beschreibung ihres Vorgehens bei der Arbeit mit historischen Quellen, welche sie in der exemplarischen Quellenarbeit in jedem Kapitel anschaulich demonstrieren, vermitteln die Autorinnen und Autoren den Lesenden ein grundlegendes Verständnis historischer Darstellungen.
Die zahlreichen Online-Materialien sind für Lehrende, die Pflegegeschichte vermitteln, sehr hilfreich. Sie können den Unterricht zu ausgewählten Themen lebendig und anschaulich ergänzen. Aber auch historisch interessierte Leserinnen und Leser erhalten durch diese Quellen spannende Einblicke. Die einzelnen Kapitel folgen einem stringenten Aufbau mit Einleitung, Hauptteil und Fazit. Im Text sind immer wieder Kästen eingestreut, in denen bestimmte Themen prägnant erklärt werden, beispielsweise das „Professionsverständnis” oder die Begriffe „Rassismus” und „Sexismus”. Neben den Literaturquellen enthalten alle Kapitel auch Empfehlungen zur vertieften Auseinandersetzung mit den jeweiligen Themen. Im Kapitel zur Darstellung der Pflegegeschichte im Film werden darüber hinaus ausführliche Hinweise gegeben, wie Filmsequenzen im Unterricht genutzt werden können.
Das Lehrbuch bietet somit eine sehr gelungene Mischung aus differenzierter und zugleich gut lesbarer historischer Darstellung, die durch zahlreiche didaktische Elemente ergänzt wird. Es kann Lehrende und Lernende dabei unterstützen, ein kritisches, historisches Verständnis zu entwickeln.
Fazit
Das „Lehrbuch Geschichte der Pflege” ist als Lektüre und Lehrbuch für die berufsschulische und hochschulische Pflegeausbildung bestens geeignet. Es bietet ein facettenreiches Bild der Geschichte des Pflegeberufs in Deutschland und ist somit ein guter und zugleich didaktisch gelungener Einstieg in die historische Pflegeforschung. Daher sollte es in keiner Berufsfachschule für Pflege und in keiner Hochschulbibliothek fehlen.
Rezension von
Michael Mayer
M. A. soziale Verhaltenswissenschaften, Erziehungswissenschaften und Philosophie, Supervisor, Krankenpfleger für Psychiatrie, Leitung Akademie der Bezirkskliniken Schwaben.
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