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Manfred Weiser, Martin Holler (Hrsg.): Berufsbildungswerke

Rezensiert von Isaac Burgos, 07.04.2025

Cover Manfred Weiser, Martin Holler (Hrsg.): Berufsbildungswerke ISBN 978-3-7799-7499-4

Manfred Weiser, Martin Holler (Hrsg.): Berufsbildungswerke. Historisches - Systematisches - Aktuelles. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2024. 454 Seiten. ISBN 978-3-7799-7499-4. D: 38,00 EUR, A: 39,10 EUR.

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Thema

Der Sammelband beschäftigt sich mit dem System der Berufsbildungswerke. Neben einem historischen Artikel werden die verschiedenen Arten der Einrichtungen – nach Behinderungsarten gegliedert – dargestellt. Zudem werden wichtige Aspekte aus dem Themenfeld aufgegriffen. Praktiker:innen und Wissenschaftler:innen kommen ebenso zu Wort wie ehemalige Auszubildende aus Berufsbildungswerken. Der Sammelband ist das erste Werk seit ca. 30 Jahren, das sich explizit dem Thema „Berufsbildungswerke“ widmet.

Autor:in oder Herausgeber:in

Manfred Weiser und Dr. Martin Holler sind ausgewiesene Experten aus dem Bereich Rehabilitationspädagogik. Der eine war, der andere ist Leiter eines Berufsbildungswerkes. Beide sind auch wissenschaftspublizistisch und als Lehrbeauftragte an verschiedenen Hochschulen tätig. Die Verbindung von praktischer Tätigkeit und wissenschaftlicher Reflexion kommt in dem Sammelband auf eindrucksvolle Weise zum Tragen.

Aufbau

Das Buch eröffnet mit einem Geleitwort des Staatssekretärs im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Dr. Rolf Schmachtenberg. Ein zweites Geleitwort wird von der Beauftragten der Landesregierung Baden-Württemberg für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Simone Fischer, verfasst. Die Herausgeber stellen einleitend den Aufbau und die Begründung für diesen Sammelband vor.

Im ersten Kapitel wird die historische Entwicklung der Berufsbildungswerke dargestellt. Unter der Überschrift „Aktuelles“ – im zweiten Kapitel – geht es um das System der Berufsbildungswerke, seine gesellschaftliche Funktion und Fragen der internen Differenzierung der Berufsbildungswerke. Aktuelle Entwicklungen wie das Bundesteilhabegesetz und die Bedeutung der ICF (International Classification of Functioning) werden ebenso aufgegriffen wie betriebswirtschaftliche und Managementaspekte. Die Differenzierung der Berufsbildungswerke nach verschiedenen Behinderungsarten kommt in den Artikeln zum Ausdruck; zudem werden wichtige Aspekte der aktuellen Entwicklungen gesondert aufgegriffen. Dazu zählen z.B. Artikel über die Kooperation von Psychiatrie und Berufsbildungswerk, die Auseinandersetzung mit dem Thema Autismus, die Diskussion um die rehabilitationspädagogische Professionalität oder die Kooperation zwischen Berufsbildungswerken und den Berufsschulen.

Das dritte Kapitel ist den Perspektiven Betroffener gewidmet. In Aufsätzen bzw. in Interviewform berichten ehemalige Auszubildende von ihren Erfahrungen in den Berufsbildungswerken. Daneben werden aus Sicht des Selbsthilfeverbandes Lernen Fördern und aus der Perspektive von autismus Deutschland Einschätzungen zur Wirkung der Berufsbildungswerke gegeben.

Das letzte Kapitel mit der Überschrift „Ausblicke“ beschäftigt sich mit der Frage der Digitalisierung und der Bedeutung von Innovationen. Eine Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit fragt schließlich, ob es sich bei den Berufsbildungswerken um ein Auslaufmodell oder ein Zukunftsmodell handelt.

Inhalt

Nach den Geleitwörtern und der Einleitung durch die Herausgeber beginnt der Sammelband mit einem Beitrag zur Geschichte der Berufsbildungswerke. Hans-Walter Kranert und Roland Stein geben ihrem Artikel die Überschrift „Berufsbildungswerke als Orte der beruflichen Rehabilitation – historische Einordnung und aktuelle Konstitution“. Sie argumentieren auf der Basis eines weiten Verständnisses von Rehabilitation, das sich ganzheitlich auf den ganzen Menschen und seine Entwicklung bezieht, und kritisieren Konzepte, die Rehabilitation auf den Aspekt der Employability verengen. „Historisch betrachtet sind BBW in Bezug auf ihr pädagogisches Wirken in die Tradition heilpädagogischer Bemühungen einzuordnen“ (Kranert & Stein, S. 23). Ausgehend von dieser Positionsbestimmung wenden sie sich der aktuellen Konstitution der BBW zu, die sich durch die Änderung der Zielgruppe, die damit zusammenhängende Konzeptentwicklung und strukturelle Veränderungen auszeichnet; die wesentliche Änderung sehen sie in der „Verschiebung im Hinblick auf das Phänomen psychische Behinderung, welches inzwischen die bedeutsamste Behinderungsform innerhalb der BBW darstellt“ (ebenda, S. 28).

Kapitel II beginnt mit dem Nachdruck eines Interviews mit dem Präsidenten des Berufsbildungsinstituts, in dem er feststellt, dass die Systeme der beruflichen Rehabilitation „ihren Auftrag in der Krisenzeit mit viel Kompetenz und Kreativität erfüllt“ haben (Esser, S. 46).

Tanja Ergin und Tobias Schmidt, Geschäftsführerin und Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke, beschreiben die BAG BBW als Qualitätsgemeinschaft. Sie belegen die Qualität der BBW auch mit Kennzahlen, die die erfolgreiche Arbeit der BBW dokumentieren: Besonders hervorzuheben ist die Eingliederungsquote: rund 69 % der Auszubildenden der BBW kommen in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis (Ergin & Schmidt, S. 51). Die Zusammenarbeit der BBW im Sinne der Qualitätsgemeinschaft zeigt sich auch in innovativen Projekten, der Entwicklung von Standards für die Qualifikation der Mitarbeitenden als auch z.B. in der Entwicklung des Autismusgütesiegels.

Angela Ehlers stellt die ICF vor: die International Classification of Functioning. Der ICF liegt ein bio-psycho-soziales Verständnis des Menschen zugrunde. „Das bedeutet, dass nicht mehr nur eindimensionale Problemlagen einer Behinderung im weiten Sinne erfasst werden, sondern immer auch die Wechselwirkungen zwischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und umwelt-sowie personenbezogenen Wirkfaktoren Berücksichtigung finden“ (Ehlers, S. 59). Ehlers plädiert für die konsequente Anwendung der ICF als Diagnostik- und Assessmentverfahren, wobei ihr die Partizipation der Personen mit Teilhabeeinschränkungen ein wichtiges Anliegen ist.

Das Bundesteilhabegesetz wird von Harry Fuchs beleuchtet. Er, ein intensiver Kenner und Beteiligter an der Gesetzesnovelle, sieht das BTHG im Widerstreit zwischen Teilhabeförderung und Kostensenkung. Er beschreibt die Hintergründe und Entstehungsgeschichte des BTHG und bringt diese in den Zusammenhang mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. In der Analyse der sozialrechtlichen und –politischen Aspekte des BTHG kommt er zu dem Schluss, dass die mit dem Reformprozess verbundenen Hoffnungen nur teilweise erfüllt wurden.

Martin Holler setzt sich in einem seiner Beiträge mit dem Thema „Berufsbildungswerke und wirkungsorientierte Geschäftsmodelle“ auseinander. Nach der Definition und Benennung der Bestandteile eines Geschäftsmodells kommt er auf den Begriff der Wirkung zu sprechen: „Als Wirkungsorientierung wird eine Hinwendung zu Effekten und Resultaten verstanden, …“ (Holler, S. 88). Die Wirkungsbeschreibung erfolgt auf der Basis einer Studie, bei der sowohl Leistungsberechtigte (BBW-Teilnehmende) als auch Vertreter des Leistungsträgers (Bundesagentur für Arbeit) interviewt wurden. Wirkungserwartungen werden maßgeblichen Einfluss auf das Geschäftsmodell (z.B. mit seinen Nutzerversprechen, den Schlüsselaktivitäten, den Erlösströmen – um nur einige Aspekte zu nennen) zugesprochen. „Eine konsequente Orientierung an Wirkungen, Resultaten und Effekten sowie dem Nutzenversprechen hat das Potenzial, die normative, strategische und operative Arbeit in den BBW der Bundesrepublik Deutschland im Sinne einzelner Individuen, Funktionsträger und der Gesamtgesellschaft weiterzuentwickeln“ (ebenda, S. 93).

„BBW sind Unternehmen in der Sozialwirtschaft“ (Holler; Weiser & Denker, S. 95). Der Blick auf die BBW als Unternehmen erfordert nach den Autoren, sich mit Managementansätzen zu beschäftigen und sich auch in dieser Hinsicht zu professionalisieren. Ihr Führungsverständnis bezieht sich dabei auf das „sich selbst führen“, auf „Mitarbeitende führen“ und auf „die Organisation führen“ (ebenda, S. 98). Dazu braucht es sozial-emotionale Kompetenzen, es braucht aber auch den Blick auf Kennzahlen und den Einsatz digitaler Instrumente. In ihrem Fazit kommen sie zu dem Schluss: „Führungskräfte in den BBW wissen um die Bedeutung von Management und Leadership als integratives Konzept, das zunächst vor allem an die Führungskräfte hohe Ansprüche stellt“ (ebenda, S. 108).

Die volkswirtschaftliche Bedeutung der BBW nimmt Karl-Heinz Esser in seinem Beitrag unter die Lupe. Er kommt zu dem Schluss, dass für jeden in die berufliche Rehabilitation durch Berufsbildungswerke investierten Euro knapp zwei Euro in die öffentlichen Kassen zurückfließen. Berufliche Rehabilitation dient daher nicht nur dem behinderten jungen Menschen und seinem Umfeld, sondern auch der Gesellschaft und den Sozialkassen.

Mit dem Beitrag von Sven Basendowski und Roxana Hank-Raab wird der Blick auf den Förderschwerpunkt Lernen in den BBW gerichtet. Dabei werden vor allem die blinden Flecken in der (Berufs-)Bildungsberichterstattung benannt. Die Ungenauigkeiten in der Berichterstattung führen dazu, dass „gleichsam keine Beurteilung der Tragfähigkeit der auf Ganzheitlichkeit ausgerichteten Angebote an den BBW“ erfolgen kann. Sie plädieren für eine Ausdifferenzierung der Berichterstattung, die auch „biografische Bearbeitungsmuster“ der Auszubildenden bzw. ehemaligen Auszubildenden (Basendowski & Hank-Raab, S. 136) enthalten sollte.

Die Zunahme der jungen Menschen mit psychischen Belastungen in den BBW beschäftigt Roland Stein und Hans-Walter Kranert in ihrem Artikel. Sie beziehen sich auf ein interaktionistisches Modell der psychischen Belastungen, das die individuelle Situation wie die Umfeldbedingungen und die Verschränkung dieser Dimensionen umfasst. „Entgegen der häufig dominanten rein personenbezogenen Sicht psychischer Belastungen eröffnet eine solche interaktionistische Sicht eine deutlich größere Breite der Handlungsansätze und Gestaltungsfelder …“ (Stein & Kranert, S. 151).

Karsten Rudolf, ärztlicher Direktor einer psychiatrischen Klinik mit Angeboten für Kinder und Jugendliche wie auch für Erwachsene, schildert aus seiner Sicht die Kooperation mit einem Berufsbildungswerk. Nach der Darstellung der dominant auftretenden psychischen Erkrankungen bei Teilnehmenden des BBW stellt er das „Mosbacher Kooperationsmodell BBW und Diakonie-Klinik (DKM)“ dar (Rudolf, S. 162 ff.). Dabei geht es um die psychiatrische Betreuung der Teilnehmenden, die fachliche Fortbildung der Mitarbeitenden, die Arbeitserprobungen von Patienten, Möglichkeiten der Praktika für Auszubildende in der Klinik und gemeinsame innovative Projekte.

Die Arbeit und besonderen Herausforderungen der Hörgeschädigten-BBW stellen Alexander Schmidt dar. Er beschreibt die Zielgruppe dieser Berufsbildungswerke, erläutert die spezifischen Konzepte und Herangehensweisen, benennt die BBW, die sich auf den Förderschwerpunkt Hören spezialisiert hat, und gibt Einblick in die Themenschwerpunkte des BBW Mittelfranken, in dem er Leiter ist. Mit Fokus auf die Teilnehmenden, die Mitarbeitenden, die Organisationsentwicklung und die Kommunikation mit der Öffentlichkeit benennt er die aus seiner Sicht zentralen Aufgaben, die sich die BBW mit Förderschwerpunkt Hören stellen müssen.

„Berufsbildungswerke für Menschen mit körperlichen Behinderungen“ heißt der Aufsatz von Wolfgang Heizer. Er sieht die Arbeit in den von ihm beschriebenen Berufsbildungswerken „wesentlich geprägt durch die ärztliche Unterstützung im gesamten Reha-Prozess“ (Heizer, S. 193). Spezielle Ausstattungen sind ebenso notwendig wie die Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams, die neben den Ärzten therapeutische, pflegerische, aber auch sozialpädagogische Fachkräfte und Ausbildende und Lehrkräfte umfassen. Er sieht den Erfolg der Arbeit auch in den Vermittlungserfolgen im allgemeinen Arbeitsmarkt, „die in den letzten Jahren kontinuierlich zwischen 60 und 80 Prozent lagen“ (ebenda, S. 200).

Ulrike Bauer-Murr und Felix Neher beschreiben die Arbeit in einem BBW mit dem Förderschwerpunkt „Sehen“. Sie wissen, dass es sich bei der Gruppe der blinden und sehbehinderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen um eine heterogene Gruppe handelt. Dementsprechend individuell sind die Förderangebote und -pläne; eine große Herausforderung im Berufsbildungsprozess sind die nicht barrierefreien Lehr- und Lernmaterialien, die aufwendig bearbeitet werden müssen, um als Lehr- und Lernmaterial genutzt werden zu können. Einen wichtigen Erfolgsfaktor der Arbeit sehen die Autoren auch in der Netzwerkarbeit und in Kooperationen mit Selbsthilfeverbänden und Betrieben.

Die Veränderungen der Klientel der Berufsbildungswerke zeigen sich auch in der Zunahme der jungen Menschen aus dem Autismus-Spektrum in den BBW. Walter Krug beschreibt „Das Gütesiegel ‚autismusgerechtes Berufsbildungswerk’ als Instrument nachhaltiger Qualitätsentwicklung und –sicherung“. Er schildert, wie es zur Entwicklung des Gütesiegels kam und benennt den Kriterienkatalog, den BBW erfüllen müssen, wenn sie das Gütesiegel erhalten wollen. Das Gütesiegel ist ein überprüfbares Qualitätsversprechen, vor allem ist es aber auch eine „Selbstverpflichtung gegenüber Betroffenen“ (Krug, S. 221). Schließlich sieht Krug in dem Gütesiegel „eine wesentliche Triebfeder für weitere innovative Entwicklungen in der BAG BBW“ (ebenda, S. 223).

Matthias Dalferth beschäftigt sich mit den beruflichen Perspektiven für Menschen aus dem autistischen Spektrum. Er benennt Arbeitsfelder, die für Menschen mit Autismus geeignet oder weniger geeignet sind, um dann auf die individuellen, betrieblichen und außerbetrieblichen Beschäftigungsvoraussetzungen zu sprechen zu kommen. Er weist auf den Widerspruch hin, dass „die Bildungsabschlüsse von Erwerbsfähigen mit Autismus im Durchschnitt deutlich höher liegen als bei der neurotypischen Allgemeinbevölkerung in Deutschland“ (Dalferth, S. 233), dass aber gleichzeitig die Beschäftigungsquote der Menschen mit Autismus lediglich bei 39,5 % liegt.

Cord Dette, dem selbst im Erwachsenenalter ADHS diagnostiziert wurde, erläutert die Prinzipien seines Konzepts eines ADHS-Coachings. Er sieht ein grundlegendes Problem im fehlenden Wissen um ADHS bei den betroffenen Personen. Nach Erläuterungen zum Phänomen des ADHS beschreibt er die Grundlinien der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitätsstörung und verteidigt sein Verständnis davon als Normvarianz und nicht als Krankheit. Darauf aufbauend stellt er sein Coaching-Programm vor. Dieses versucht, Verletzungen, Kränkungen, Scham und Situationen des Scheiterns bei diagnostizierten ADHSler:innen zu vermeiden. Bausteine für die Stärkung der Betroffenen sind die Psychoedukation, die Biografiearbeit und das Erlernen von Handlungsalternativen. Sein ADHS-Coaching integriert Gruppen- und Einzelangebote, an denen Klient:innen, Mitarbeitende und Angehörige teilnehmen können. Schließlich reflektiert Dette die Umsetzung des Konzepts und listet aus seiner Sicht hilfreiche und weniger hilfreiche Vorgehensweisen im ADHS-Training auf.

Mit dem Thema „Gestaltung von Arbeitsbündnissen“ im rehabilitationspädagogischen Kontext beschäftigen sich Manfred Weiser und Alica Nenninger. Sie schildern zunächst pädagogische Situationen – mit und ohne den Einsatz von Arbeitsbündnissen. Sie begründen das Konzept des Arbeitsbündnisses mit Bezug auf die grundlegenden pädagogischen Begriffe Bildung und Erziehung. Das Arbeitsbündnis verstehen sie als einen Ansatz, der verschiedene pädagogische Konzepte, die mit Ressourcen- und Partizipationsorientierung gekennzeichnet werden können, zusammenfasst. Das pädagogische Arbeitsbündnis bietet die Chance, mit den Teilnehmenden gemeinsame Ziele und Umsetzungsstrategien zu entwickeln. Für die Mitarbeitenden kann es als Professionalisierungsfolie dienen. Zum Ende des Artikels greifen die AutorInnen die konkreten Beispiele noch einmal auf und interpretieren sie vor dem Hintergrund des pädagogischen Arbeitsbündnisses.

Ein Plädoyer für Fachlichkeit könnte der Beitrag von Kirsten Vollmer überschrieben sein. Sie nennt es mit Bezug auf die Hattie-Studie: Consider their importance und meint damit: „Auf die Lehrenden kommt es an“ (Vollmer, S. 274). Der Artikel ist einem wissenschaftlichen Diskussionspapier des Bundesinstituts für Berufsbildung entnommen. Vollmer kennt als Insiderin die vielfältigen Diskurse um die Qualifizierung des Berufsbildungspersonals und skizziert die Diskussionsverläufe, die schließlich zu den Rahmenregelungen „rehabilitationspädagogische Zusatzqualifikation für AusbilderInnen in Fachpraktikerberufen“ und zum Qualifikationsprofil „Arbeits- und Berufsförderung“ geführt haben. Sie weist auf gängige Slogans hin, die sie kritisch infrage stellt: so widerspricht sie dem häufig angeführten Argument, dass es vor allem auf die Haltung ankommt, ebenso wie die Verklärung der Vielfalt als ausschließliche Ressource (ebenda, S. 272 f.).

Weiser & Gerstner greifen die Diskussion um die rehabilitationspädagogische Professionalität auf, indem sie den Kompetenz- im Zusammenhang mit dem Bildungsbegriff kritisch beleuchten. Da der „Kompetenzbegriff in seiner aktuellen Version nur die Handlungsfähigkeit in den Blick nimmt, ohne nach dem Weshalb einer Handlung zu fragen“ greift er für die in der Pädagogik Tätigen zu kurz: hier braucht es die ständige Reflexion – Handeln wird auch vom Selberdenken getragen. In der konkreten Ausgestaltung der rehabilitationspädagogischen Zusatzqualifikation erkennen die Autoren Anregungen zu Eigenreflexion, kollegialem Austausch und damit einen „Beitrag zur (Selbst-)Bildung der AusbilderInnen“ (Weiser & Gerstner, S. 288).

Die Herausgeber greifen das wichtiger werdende Thema Sozialraumorientierung auf. Sie sehen die Berufsbildungswerke vor die Aufgabe gestellt, sich als Teil eines Sozialraums zu verstehen und diesen mitzugestalten. „Normen und Werte wie eine konsequente Personen-Ressourcen-, Autonomie- und Entwicklungsorientierung bieten stimmige Anknüpfungspunkte an das im Rahmen dieses Beitrags skizzierten Sozialraumverständnis“ (Holler & Weiser, S. 293). Sie sehen also Berufsbildungswerke im Sozialraum, sie sehen diese aber auch als Sozialraum. Um mit den Sozialräumen professionell umgehen zu können, bedarf es eines entsprechenden Fachkonzepts. Holler & Weiser orientieren sich dabei an dem Konzept nach Hinte und den fünf Prinzipien der Sozialraumorientierung. Insgesamt sehen sie in der dargestellten Sozialraumorientierung einen deutlichen Gewinn – sowohl für die Teilnehmenden als auch für die Berufsbildungswerke.

Das zweite Kapitel wird mit einem Beitrag zur Berufsschule als dualer Partner der Berufsbildungswerke abgeschlossen. Harald Ebert, Schulleiter, stellt die Entwicklung der Don Bosco Berufsschule Würzburg als duale Partnerin des Berufsbildungswerks und als regionales Kompetenzzentrum für den „Plan B“ dar. Ausgangspunkt sind heilpädagogische Überlegungen im Anschluss an Möckel. Auf dieser Grundlage ist das Lebenslagenkonzept eine wichtige konzeptionelle Säule der Don Bosco Berufsschule, die sich zu einem wichtigen Baustein im Netzwerk Berufliche Schulen Mainfranken entwickelt und durch die Vielfalt der Angebote und Unterstützungsstrukturen die schulische Inklusion deutlich vorangebracht hat. Die Organisationsentwicklung darf aber nicht vergessen machen, dass es letztlich immer wieder auf die Qualität der Begegnung zwischen Lehrenden und Lernenden ankommt: „Die Zeit, die Lehrkräfte in die Begegnung mit SchülerInnen einbringen, ist vermutlich das wirksamste pädagogische Mittel überhaupt, um auf Dauer junge Menschen für deren eigene Zukunft und das Lernen zu gewinnen“ (Ebert, S. 312 f.).

Die Perspektiven Betroffener kommen im dritten Kapitel zum Tragen.

Mechthild und Martina Ziegler vom Selbsthilfeverband Lernen Fördern eröffnen dieses Kapitel. Ihr Ausgangspunkt sind die Herausforderungen, mit denen sich junge Menschen mit Lernbehinderungen konfrontiert sehen. Sie zitieren die Eltern dieser jungen Menschen mit ihren Erfahrungen auf dem Weg in die Arbeitswelt. Sie nehmen besonders die Übergänge in den Blick: „Der Übergang von der Schulzeit ins ‘Erwachsenenleben’ von jungen Menschen hat nicht nur Auswirkungen auf ihren Weg in Arbeit, sondern auch auf ihre sozialen Kontakte, ihre Freizeitgestaltung und ihre zukünftige Lebensführung“ (Ziegler & Ziegler, S. 325). Sofern diese jungen Menschen ihre Ausbildung in einem BBW machen, haben diese daher auch eine umfassende Aufgabe; es geht nicht nur um Qualifizierung, sondern um „soziale Teilhabe und Verselbstständigung“ (ebenda, S. 323).

„Berufsbildungswerke aus Sicht einer Person mit Lernbehinderung“ heißt der nächste Beitrag. Die junge Frau, die in Interviewform ihre Erfahrungen schildert, möchte nicht bei vollem Namen genannt werden. Dies zeigt, dass Personen sich mit dem Etikett Lernbehinderung nach wie vor diskriminiert fühlen. Es werden die Herausforderungen, aber auch die Erfolge und Unterstützungsleistungen, die die junge Frau bekommen hat, deutlich.

Nicole Eilert, eine Frau mit einer körperlichen Behinderung, hat ihren Aufsatz mit „Ein bisschen weniger ‚höher, schneller, weiter’ und viel mehr ‚packen wir es an‘ überschrieben. Sie beschreibt ihren Bildungsweg, ihre Ausbildung als Bürokauffrau in einem BBW und gibt Einblicke, wie es ihr dabei ging. Sie wünscht sich vor allem, dass die „Potenziale von Menschen mit Behinderung in der Arbeitswelt“ erkannt und genutzt werden, dass aber auch die Barrieren in den Köpfen abgebaut werden, damit Inklusion gelingt (Eilert, S. 346).

Dem Thema Autismus widmet sich ein Fachteam um Maria Kaminski, Vorsitzende von „autismus Deutschland“. Sie beschreiben, wie es gelungen ist, Berufsbildungswerke über Kooperationen und Projekte auch für junge Menschen mit Autismus als Ausbildungs- und Wohnmöglichkeit zu erschließen. Sie gehen sehr konkret auf die Zusammenarbeit mit den Eltern ein, die dabei gemachten Erfahrungen und die im BBW notwendigen Ausstattungen; neben diesen Aspekten wird deutlich, dass der Blick auf die einzelnen Personen mit ihren Interessen und Ressourcen ein entscheidender Erfolgsfaktor ist. „Es lohnt sich, offen und kreativ zu sein, Rahmenbedingungen anzupassen und auch in Berufen, die sich auf den ersten Blick hierfür nicht zu eignen scheinen, einen angepassten Arbeitsplatz zu schaffen“ (Kaminski u.a., S. 358).

Jan G. macht sein Abitur, beginnt ein Studium, muss dieses aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigung abbrechen, kommt nach dem Bundesfreiwilligendienst in eine BBW und absolviert eine kaufmännische Ausbildung. Nach erfolgreichem Abschluss wird er im BBW übernommen und arbeitet jetzt in der Verwaltung des BBW.

Im Interview schildert Justin Schmidt, wie sich seine Behinderung, eine auditive Weiterverarbeitungsstörung, auf die Kommunikation auswirkt. Er arbeitet inzwischen in einem Betrieb und ist dort sehr zufrieden. Er plant, einen Meisterlehrgang zu absolvieren, um dann im BBW als Ausbilder zu arbeiten. Er war aktiv in der Teilnehmendenvertretung im BBW. Auf die Frage, ob es etwas gibt, was das BBW besser machen kann, erwidert er: „Nein, ich war rundum zufrieden“ (Schmidt, S. 375).

Daniel Sachse berichtet über seinen Weg, der ihn von Guben, einer Kleinstadt in der Nähe von Cottbus, über eine Sehbehindertenschule in Berlin nach Stuttgart gebracht hat. Im BBW war für ihn wichtig, dass er als „Erwachsener wahrgenommen“ wurde (Sachse, S. 380). Er erhielt viel persönliche Unterstützung und arbeitete 17 Jahre in einem Betrieb. Als dessen Geschäftsmodell zunehmend weniger funktionierte und es zu Entlassungen kam, entschloss er sich zu einer Umschulung, die er wieder in der BBW machte. Von daher kommt auch die Überschrift zu dem Artikel: „Es war wie ein Heimkommen“. Inzwischen arbeitet er wieder in seinem neuen Beruf als Kaufmann für Dialogmarketing.

Im letzten Kapitel des Sammelbandes geht es um Ausblicke.

Christian Bühler und Laura Wuttke beschäftigen sich mit dem digitalen Wandel und den Anforderungen, die sich daraus für die Berufsbildungswerke ergeben. Zunächst benennen sie die gesellschaftlichen Dimensionen, die durch die Digitalisierung betroffen sind. Sie zeigen dabei nicht nur die Chancen auf, sondern weisen auch auf Problembereiche hin. „Im Zusammenhang mit Menschen aus benachteiligten Gruppen ergeben sich auch Exklusionsrisiken“ (Bühler & Wuttke, S. 394). Die Autoren waren unmittelbar an verschiedenen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben beteiligt. Sie schildern zwei dieser Projekte, wobei das Ziel dieser Vorhaben „die Konzeption und Realisation von inklusiven, ganzheitlichen und arbeitsprozessorientierten E-Learning-Angeboten“ war (ebenda, S. 400). Als große Herausforderung benennen sie die nachhaltige Implementierung der entwickelten Ansätze.

Die Bedeutung von Innovationen unterstreicht der Aufsatz von Miluks und Künemund. „Berufliche Bildung ist in stetem Wandel“ (Miluks & Künemund, S. 409). Die Berufsbildungswerke müssen sich diesem Wandel stellen, wollen sie ihren Teilnehmenden Teilhabe an Beruf und Gesellschaft ermöglichen. Sie berichten von innovativen Projekten, die von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Berufsbildungswerke initiiert wurden. Dazu zählen z.B. KI.ASSIST, KI-Kompass Inklusiv, aber auch EdAL MR 4.0, das die Entwicklung und Erprobung digitalisierter Arbeitshilfen und Lerneinheiten auf Mixed Reality Basis zum Thema hatte. Aus dem Josefsheim Bigge werden national wie europäisch geförderte Projekte vorgestellt, die die Entwicklung zielgruppenspezifischer Unterstützungssysteme zum Thema hatten.

Angelika Kvaic, eine Mitarbeiterin der Bundesagentur für Arbeit, fragt, ob Berufsbildungswerke ein Auslauf- oder ein Zukunftsmodell sind. Sie macht deutlich, dass die „Zukunft der Berufsbildungswerke … von verschiedenen Faktoren“ abhängt, die sie näher beleuchtet (Kvaic, S. 425). Sie nimmt ihre Einschätzung vorweg: „Die BBW sind keine Auslaufmodelle, aber sie müssen sich stetig weiterentwickeln, um den Anforderungen der Zeit gerecht zu werden und die Teilhabechancen der Jugendlichen mit Behinderungen zu verbessern“ (ebenda, S. 425). Sie sieht die Notwendigkeit, dass die Berufsbildungswerke ihre bestehenden Angebote auf Inhalte und Kapazitäten überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Dabei können auch weitere Geschäftsfelder, neue Zielgruppen und innovative Geschäftsmodelle erschlossen werden.

Mit einem Appell zur Innovation, zur Weiterentwicklung unternehmerischen Denkens und Handelns und zur Orientierung an modernen Managementkonzeptionen einschließlich eines systematischen und ständigen Innovationsmanagements schließen die Herausgeber den Sammelband. „BBW haben die Aufgabe und Verpflichtung – im Interesse ihrer KundInnen und ihrer Mitarbeitenden und im gesellschaftlichen Interesse, sich immer wieder veränderten und gegebenenfalls neuen Rahmenbedingungen zu stellen und passende Weiterentwicklungen zu initiieren und zu verfolgen. Vorrangiges Ziel ist dabei, die selbstbestimmte Teilhabe der Teilnehmenden an Arbeit und Gesellschaft durch umfassende rehabilitationspädagogische Angebote zu ermöglichen“ (Weiser & Holler, S. 451).

Diskussion

Neben den Beiträgen der Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen aus den BBW sind vor allem die Beiträge der Betroffenen sehr lesenswert. Sie geben einen kleinen Einblick in die Innenwelt der BBW und die Bedeutung, die diese für die Betroffenen und ihre Familien haben. Die verschiedenen Formen der Beiträge – wissenschaftlich orientierte Artikel, Erfahrungsberichte, Interviews – bereichern den Sammelband. Die Bandbreite des vorliegenden Werks ist beeindruckend und vermittelt einen Eindruck von der Komplexität der BBW, die mit diesem Band etwas aus ihrem Schatten- und Nischendasein herausgeholt werden.

Fazit

Der Sammelband bietet einen Überblick über die Vielfalt der aktuellen wie historischen Entwicklungen sowie konzeptionelle Fragen der Berufsbildungswerke. Er bietet sich als Einführung in die Welt der BBW sowie als Materialband für Weiterbildungen an; Studierenden, Mitarbeitenden, Betroffenen kann er somit sehr empfohlen werden.

Rezension von
Isaac Burgos
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ISSN 2190-9245