Christian Karangiannidis, Boris Augurzky et al.: Die Gesundheit der Zukunft
Rezensiert von Dr. phil. Hubert Kolling, 26.05.2025

Christian Karangiannidis, Boris Augurzky, Dominik Alscher: Die Gesundheit der Zukunft. Wie wir das System wieder fit machen Das Gesundheitssystem in Deutschland reformieren: Anforderungen, Probleme und Lösungsansätze aus Expertensicht. S. Hirzel Verlag GmbH (Stuttgart) 2025. 208 Seiten. ISBN 978-3-7776-3499-9. 20,00 EUR.
Thema
Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit der Frage, wie sich unser Gesundheitswesen vor dem Hintergrund der epochalen Themen unserer Zeit, seien es nun Krieg und Frieden, Klimawandel, demokratischer Wandel oder disruptive Technologien wie die Künstliche Intelligenz, grundlegend wandeln muss, um in der Zukunft bezahlbar zu bleiben.
Autoren
Verfasst wurde die Veröffentlichung von Prof. Dr. Christian Karangiannidis, Prof. Dr. Boris Augurzky und Prof. Dr. Mark Dominik Alscher, die alle kompetente Vertreter ihres Faches und Autoren von mehreren Büchern, Buchbeiträgen und Fachartikeln sind.
Christian Karangiannidis (Jahrgang 1973) studierte Medizin und wurde 2011 auf den Lehrstuhl für Pneumologie der Fakultät für Gesundheit (Department für Humanmedizin) der Universität Witten/​Herdecke berufen. Der praktisch tätige Internist, Pneumologe und Intensivmediziner, der von 2020 bis 2022 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) war, wurde 2021 in den Corona-Expertenrat der deutschen Bundesregierung berufen, ebenso wie 2024 in das Nachfolgegremium, den Sachverständigenrat Gesundheit und Resilienz.
Boris Augurzky (Jahrgang 1972) arbeitete nach dem Studium der Volkswirtschaftslehre und Mathematik von 2001 bis 2003 als Berater bei The Boston Consulting Group mit Schwerpunkt Financial Services. 2003 wechselte er an das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), wo er den Bereich Gesundheit aufbaute. Darüber hinaus ist er geschäftsführender Gesellschafter der Institute for Health Care Business GmbH (hcb), für die er Investoren und Leistungserbringer im Gesundheitswesen berät, außerplanmäßiger Professor an der Universität Duisburg-Essen sowie Vorstandsvorsitzender der Rhön-Stiftung.
Mark Dominik Alscher (Jahrgang 1963) ist Internist, der als Hochschullehrer an der Universität Tübingen sowie als Geschäftsführer der Bosch Health Campus GmbH (BHC) mit dem Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart arbeitet.
Entstehungshintergrund
Zur Entstehungsgeschichte beziehungsweise gegebenenfalls vorhandenen Einflussfaktoren gibt es in der Schrift keine Angaben. Es findet sich lediglich der Hinweis, dass die Publikation durch die Bosch Health Campus GmbH der Robert Bosch Stiftung unterstützt und gefördert wurde.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in 20 Kapitel, in denen – ausgehend von der Situation im Jahre 2025 – verschiedene Felder unseres Gesundheitswesens, darunter beispielsweise die Therapiekosten, elektronische Patientenakte (ePA), Krankenhauslandschaft, Patientensicherheit und Krankenpflege als Schlüssel für ein modernes Gesundheitssystem, zukunftsweisend in den Blick genommen werden. Die Darstellung wird dabei anschaulich durch mehr als 70 übersichtliche, allgemeinverständliche farbige Grafiken illustriert.
Inhalt
Unter der Überschrift „Die Gezeitenwende im Gesundheitswesen“ (S. 7–9) weisen Christian Karangiannidis, Boris Augurzky und Mark Dominik Alscher einleitend darauf hin, dass sich unser Gesundheitssystem, wie die gesamte Gesellschaft, „in einem Epochenwandel“ befindet, der die kommenden Jahre und Jahrzehnte dominieren wird. Das Gesundheitswesen sei seit den 1970er Jahren durch den Aus- und Aufbau von Kapazitäten geprägt gewesen, die mitunter auch den – objektiven und subjektiv eingeschätzten – Bedarf der Menschen definiert hätten. Während die volkswirtschaftliche Betrachtung der Gesundheitsversorgung in den Hintergrund rückte, hätten wir die langfristigen volkswirtschaftlichen Kosten des „immer mehr“ aus den Augen verloren. Nicht zuletzt aber mit dem demografischen und damit einhergehend auch dem Wandeln in der Arbeitswelt steuerten wir „auf einen entscheidenden Wendepunkt“ (S. 7) zu. Viele Gesundheitsanbieter hätten es inzwischen schwer, geeignetes Personal zu finden, Klinikstationen könnten zuweilen nicht durchgängig betrieben werden, und Arztpraxen fänden immer schwerer Nachfolger – besonders auf dem Land. Wenngleich deswegen schon in den vergangenen Jahren die Zahl der betreibbaren Krankenhausbetten und Standorte sank, seien die Kapazitäten im deutschen Gesundheitswesen „immer noch sehr groß“, wie der Blick auf andere vergleichbare Länder zeige. Das Ungleichgewicht zwischen Nachfrage nach Gesundheitsleistungen einerseits und erbringbarem Angebot andererseits baue sich gerade in großem Tempo auf. Um darauf reagieren zu können, das heißt, weiterhin eine gute Gesundheitsversorgung für alle gewährleisten zu können, brauche es „tiefgreifende Reformen und eine gesamtgesellschaftliche Transformation“. Eine solche Transformation führe einerseits zu zahlreichen Veränderungen des Gewohnten und könne Ängste schüren, andererseits biete sie gleichzeitig die Chance, ein deutlich effizienteres und qualitativ höherwertiges Gesundheitssystem aufzubauen. Zur Bedeutung und Intention ihrer Veröffentlichung halten die Autoren sodann wörtlich fest: „Dieses Buch zeigt einen Weg auf, wie die sich bereits ereignende Gezeitenwende notwendige und tiefgreifende Transformationen ermöglichen kann, und bietet konkrete Lösungen an, wie diese Transformationen auch praktisch gelingen können“ (S. 8).
Unter dem Stichwort „#Gesundheit2030“ (S. 10–17) weisen Christian Karangiannidis, Boris Augurzky und Mark Dominik Alscher unmissverständlich darauf hin, dass wir „eine substanzielle und tiefgreifende Änderung der Versorgungsstruktur“ (S. 10) benötigen, welche die Sektoren des Gesundheitswesens zukünftig verbindet und das System effizienter macht. Zudem sei unser aktuelles System zu sehr auf Reparaturbetrieb und zu wenig auf Gesundheitserhaltung ausgelegt. Nur wenn wir die Chancen der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz, der Automatisierung inklusive der Robotik konsequent nutzten und die Versorgungsstrukturen modern aufstellten, sei „ein bezahlbares und deutlich effizienteres Gesundheitssystem erzielbar“ (S. 12).
Bevor sie ihre konkreten Reformvorschläge unterbreiten, beleuchten die Autoren den gegenwärtigen Stand unserer Gesundheitsversorgung (S. 18–42), wobei sie insbesondere den demografischen Wandel, den steigenden Bedarf an Gesundheitsleistungen, die Finanzierung des Gesundheitswesens und die gegenwärtige Versorgungsstruktur (Krankenhausbetten, Krankenhausaufenthalte, Lebenserwartung von Frauen und Männern, die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die hausärztliche Versorgung) genauer in den Blick nehmen. Dabei verweisen sie beispielsweise im Hinblick auf die Zahl der Krankenhausbetten darauf, dass es zu kleine Standorte und zu wenig Schwerpunktbildung erschwerten, medizinische Spitzenqualität zu erzielen und wirtschaftlich zu arbeiten (S. 27). Ausgehend von ihrer Feststellung: „Die Ausgangslage ist schwierig, ja fast schon düster, und zeigt vor allem, dass es nicht so bleiben kann, wie es ist“ (S. 42), stellen Christian Karangiannidis, Boris Augurzky und Mark Dominik Alscher sodann Lösungsvorschläge vor, „wie wir mit tiefgreifenden Reformen am Ende trotzdem ein qualitativ hochwertiges und besseres Gesundheitswesen haben können – wenn wir nur wollen“ (S. 43–62).
Um die „explodierende Therapiekosten“ (S. 63–70) in den Griff zu bekommen, sei es beispielsweise die Aufgabe der jüngeren Ärztegeneration „kritisch zu hinterfragen, was medizinisch sinnvoll ist, und nicht, was technisch machbar ist“ (S. 65). Zudem müssten wir „sehr genau überlegen, was wir mit einer Therapie erreichen wollen“ (S. 66). Dementsprechend sollten etwa für bestimmte Eingriffe und Therapien je Leistungserbringer ein Gesamtbudget festgelegt werden, das nicht überschritten werden darf, konsequent die Kosten-Nutzen-Analyse bei einem neuen Arzneimittel angewendet und weniger Arzneimittel weggeworfen werden.
Während nach Ansicht der Autoren die Künstliche Intelligenz und die ePA zu den „großen Gamechanger“ (S. 71–79) gehören, seien „Prävention und Früherkennung“ (S. 80–91) zentrale Elemente, um in der Zukunft mit weniger personellen Ressourcen die Bevölkerung weiterhin medizinisch gut versorgen zu können. Hierbei empfehlen sie, zunächst den Fokus auf die großen Hebel zur Reduktion der Morbidität und Sterblichkeit in der Bevölkerung zu legen. Ein wirksamer Weg, um den drei dabei besonders im Fokus stehenden Risikofaktoren – Rauchen, übermäßiger Alkohol- und Zuckerkonsum – entgegenzuwirken, sei die Einführung beziehungsweise deutlich merkbare Erhöhung der Steuer auf diese Faktoren, wobei die daraus resultierenden zusätzlichen Steuermittel zweckgebunden in die Pflegeversicherung fließen sollten.
Nach Christian Karangiannidis, Boris Augurzky und Mark Dominik Alscher sollte der „Öffentliche Gesundheitsdienst“ (S. 92–97), dessen Struktur im Moment von den Gesundheitsämtern über Landesgesundheitsämter bis hin zum Robert Koch-Institut (RKI) und den Ministerien reicht, während es ein Bundesgesundheitsamt seit mehreren Jahren nicht mehr gibt, evidenzbasiert Vorschläge unterbreiten, wie soziale Netzwerke so reguliert werden können, dass bewiesene Falschinformationen im Bereich der Gesundheitsversorgung vermieden werden. Vor allem Kinder müssten vor Falschinformationen geschützt werden, weil ihnen die Erfahrungen zu ihrer Einordnung fehlten und Social Media krank machen könnten.
Unterdessen sollte sich, so die Autoren, „Die neue Krankenhauslandschaft“ (S. 98–113) durch eine flexible Bauweise, gute Basisausstattung und ergänzende Angebote für eine umfassende Betreuung auszeichnen. Ebenso sollten Rehamaßnahmen im Hinblick auf die Wohnortnähe und den zunehmenden Personalmangel immer ambulant vor stationär durchgeführt werden, während stationäre Rehas nur in begründeten Fällen die Ausnahme sein sollten.
Während nach Ansicht von Christian Karangiannidis, Boris Augurzky und Mark Dominik Alscher „Patienten- und angehörigenfreundliche Prozesse im Krankenhaus“ (S. 114–118) wesentlich durch die ePA verbessert werden könnten, empfehlen sie bezüglich des „Baus von Krankenhäusern“ (S. 119–126) unter anderem einheitliche Landesbauordnungen, bundeseinheitliche Förderprogramme, automatische Baugenehmigungen und den Abbau von Normen.
In weiteren Kapiteln, die ebenfalls wichtig sind, inhaltlich hier aber nicht weiter vorgestellt seien, thematisieren sie die „Reduktion von Treibhausgasen“ (S. 127–130), die Schaffung von „Innovationsräumen“ (S. 131–140), die „neue Rolle der Universitätskliniken“ (S. 141–148), den Wandel der ärztlichen und pflegerischen Ausbildung (S. 149–157), die „Qualität und Patientensicherheit“ (S. 158–162), die „Sektorentrennung“ (S. 163–172), also die strikte Trennung von ambulanten Fach- und Hausärzten von fachärztlicher Tätigkeit in Krankenhäusern, die „Eigenverantwortliche Behandlung durch Pflegefachpersonen“ (S. 173–182), die „Notfallversorgung“ (S. 183–192) sowie „Große Risiken für das Gesundheitssystem in den nächsten Dekaden“ (S. 193–204).
Diskussion
Von der Krankenversicherung über die hausärztliche Versorgung bis hin zur Notfallversorgung in Krankenhäusern – es gibt kaum einen Bereich in unserem Gesundheitssystem, der keine Probleme verursacht und daher Reformen benötigt.
Davon ausgehend, dass bei einem Verbleiben im Alten allein die ausufernden Kosten und der Fachkräftemangel das bestehende Gesundheitssystem schnell an seine Grenzen bringen, machen Christian Karangiannidis, Boris Augurzky und Mark Dominik Alscher in ihrem Buch „Die Gesundheit der Zukunft“ darauf aufmerksam, dass sich – vor dem Hintergrund der epochalen Themen unserer Zeit – auch das Gesundheitswesen grundlegend wandeln muss. Deutschland und alle seine Akteure im Gesundheitswesen, aber auch die Bürgerinnen und Bürger sowie die Politik seien jetzt aufgerufen, pragmatisch und wirksam in die Umsetzung des Möglichen zur Neugestaltung unseres Gesundheitswesens zu gehen.
Hierzu nehmen die Autoren, ausgehend von ihren jahrzehntelangen Erfahrungen, verschiedene Bereiche unseres Gesundheitswesens in den Blick und machen pragmatisch konkrete Vorschläge, wie dieses fit für die Zukunft werden und bezahlbar bleiben könnte. Hierbei lassen sie keinen Zweifel daran, dass tiefgreifende Reformen und eine gesamtgesellschaftliche Transformation notwendig sind, um weiterhin eine gute Gesundheitsversorgung für alle Menschen gewährleisten zu können, wobei die Zeit für entsprechende Schritte dränge wie noch nie.
Insgesamt betrachtet bietet die Lektüre eine probate Möglichkeit sich darüber zu informieren, welche notwendigen Veränderungen in den kommenden Jahren anstehen. Die von den Autoren unterbreiteten Reformvorschläge dürften dabei in der Öffentlichkeit sicherlich nicht bei allen Menschen auf Begeisterung stoßen. Von daher wäre es umso wünschenswerter, dass die Veröffentlichung nicht nur von politischen Entscheidungsträgern wahrgenommen wird. Vielmehr gehört sie in die Hände all derjenigen, die sich über das Thema umfassend informieren und kompetent mitreden möchten.
Fazit
Das Buch „Die Gesundheit der Zukunft“ bietet eine Vielzahl von Reformvorschlägen zur realistischen Entwicklung unseres Gesundheitswesens. Insofern sollte es von möglichst vielen Menschen wahrgenommen werden, zumal von entsprechenden Veränderungen im Gesundheitswesen alle Menschen betroffen sind.
Rezension von
Dr. phil. Hubert Kolling
Krankenpfleger, Diplom-Pädagoge und Diplom-Politologe
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