Alexander Hahne, Jana Haskamp (Hrsg.): Sexual- und Paarberatung mit trans und nicht-binären Menschen
Rezensiert von Prof. Dr. Dominik Mantey, 06.06.2025

Alexander Hahne, Jana Haskamp (Hrsg.): Sexual- und Paarberatung mit trans und nicht-binären Menschen. Praxisorientierte Empfehlungen und erfahrungsbasierte Perspektiven.
Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG
(Gießen) 2025.
500 Seiten.
ISBN 978-3-8379-3365-9.
D: 59,90 EUR,
A: 61,60 EUR.
Reihe: Angewandte Sexualwissenschaft.
Thema
Das Thema des Bandes ist die Sexual- und Paarberatung von trans und nicht-binären Menschen. In 39 Einzelbeiträgen von 28 Autor_innen werden sowohl grundlegende Konzepte und Theorien erläutert (z. B. das Konzept des Minderheitenstress), als auch konkrete Fragen aus der Beratungspraxis aufgegriffen (z. B. spezifische Sexualpraktiken). Der Band eröffnet unmittelbare Einblicke in die Herausforderungen und Chancen der Beratungspraxis und richtet sich an sozialpädagogische und psychologische Fachkräfte, an Wissenschaftler_innen sowie an alle weiteren Interessierten.
Herausgebende
Alexander Hahne, M. A. Medientechnik, ist Referent für sexuelle Gesundheit mit dem Schwerpunkt trans und nicht-binäre Menschen. Er ist als Sexualpädagoge (gsp), Sexological Bodyworker (ISB) und Systemischer Sexualtherapeut (IGST) zertifiziert.
Jana Haskamp, M. A. Angewandte Sexualwissenschaft, ist Sexual- und Paartherapeutin, Bildungsreferentin und Sexualpädagogin.
Aufbau
Das Buch ist in acht Kapitel unterteilt. Zu Beginn steht ein Grußwort von Prof. Dr. Udo Rauchfleisch (Kapitel 1). Die darauffolgende Einleitung (Kapitel 2) führt kurz in das Thema des Bandes ein und stellt den Aufbau des Buches dar. Die vier umfangreichen inhaltlichen Abschnitte (Kapitel 3–6) nehmen unterschiedliche Perspektiven auf die Beratung ein. Ein Fazit (Kapitel 7) sowie eine Danksagung (Kapitel 8) schließen das Buch ab.
Inhalte der Kapitel
Kapitel 1
Das erste Kapitel ist ein Grußwort von Prof. Dr. Udo Rauchfleisch, emeritierter Professor für klinische Psychologie und psychoanalytischer Psychotherapeut in privater Praxis. Er hebt die thematische Weite des Buches sowie die Berücksichtigung von nicht-binären Identitäten sowie Intergeschlechtlichkeit positiv hervor, die in Veröffentlichungen zum Thema Trans häufig fehlten. Außerdem unterstreicht er die Bedeutung, die diesem Band angesichts verzerrender populärer Debatten zum Thema Trans zukommt.
Kapitel 2
In Kapitel 2 erläutern die Herausgebenden des Bandes die Zielgruppen, die Ziele und die Inhalte des Bandes. Des Weiteren stellen sie ihre persönliche Perspektive, ihre Motivation zur Herausgabe des Bandes sowie die sexuellen Menschenrechte als ihr ethisches Fundament heraus.
Kapitel 3
Das dritte Kapitel stellt in acht Einzelbeiträgen zentrale Wissensbestände und Konzepte dar, die wichtige Grundlagen für die Beratung von trans und nicht-binären Menschen sind. Beispielhaft sei hier auf den Beitrag von Alexander Hahne und Jana Haskamp verwiesen, in dem sie in das Thema Transition einführen. Sie klären in diesem Kontext relevante Begriffe, erläutern das Prozessverständnis sowie den Verlauf von Transitionen. Potenzielle Transitionsschritte werden konkretisiert und im Prozess auftauchende Fragen benannt. Des Weiteren wird das zentrale Fachwissen zu durch Hormone ausgelösten Veränderungsprozessen dargestellt. Weitere Themen in Kapitel 3 sind das Coming-out, Minderheitenstress, internalisierte Transnegativität, Antirassismus und Intersektionalität sowie Konsum und Sucht.
Kapitel 4
Kapitel 4 greift in Form von zwölf Einzelbeiträgen konkrete und praxisnahe Aspekte der Beratung im Kontext von Sexualität auf. Beispielhaft möchte ich hier auf einen Beitrag in Interviewform verweisen: Unter dem Titel „Das vernarbte Herz – Sexualität älterer trans und nicht-binärer Menschen“ führt Alexander Hahne ein Interview mit der Sexualtherapeutin Helena Smolorz. Angeleitet durch die klaren Fragen beschreibt Helena Smolorz, wie sie ältere trans und nicht-binäre Menschen in der Beratung wahrnimmt und verweist auf Unterschiede zu jüngeren trans und nicht-binären Menschen. Besondere Ressourcen werden hervorgehoben und der Umgang mit seelischen Verletzungen und Trauer wird aufgegriffen. Durch die Interviewform ist der Beitrag klar strukturiert und konkrete subjektive Erfahrungen werden sichtbar gemacht.Weitere Themen in Kapitel 4 sind Sexualität und Sexualkultur von trans und nicht-binären Menschen, Dysphorie und Euphorie, Sexpraktiken und Selbstbezeichnungen von Genitalien und Oberkörpern, Hilfsmittel und Sextoys, BDSM und Kink, sexuelle Gesundheit, Asexualität, Autismus und Neuronormativität, endokrinologische Perspektiven auf die Anliegen von jungen trans Personen, somatische Sexualberatung und sexualitätsbezogene Körperarbeit sowie Kink und Behinderung.
Kapitel 5
Der folgende Abschnitt widmet sich in elf Beiträgen dem Thema „Beratung im Kontext von Partner_innenschaft“. Exemplarisch möchte ich hier den Beitrag von Tobias Herrmann-Schwarz hervorheben, in dem es um Partner_innensuche und Diskriminierungserfahrungen geht. Einführend wird der Begriff des Datings geklärt und die Rolle von Apps erläutert. Die Vorteile von online-Dating sowie die Besonderheiten des Datens nach einer Transition werden aufgegriffen. Konkrete LSBTIAQ+-sensible Apps werden vorgestellt. Im Anschluss werden ausführlich die Probleme im Kontext von online-Dating ausgeführt, etwa Diskriminierung, Objektifizierung, Fetischisierung und Gewalterfahrungen. Abschließend wird auch auf Offlinedating verwiesen, besondere Herausforderungen für Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten werden ergänzt und ergänzende Hinweise für die Praxis der Beratung werden gegeben. Weitere Themen in Kapitel 5 sind Transition und Partnerschaft, Beziehungs- und Familienformen, Nicht-Monogamie und Polyamorie, Aromantik, psychische Erkrankungen, Kinderwunsch und Schwangerschaft, Lust und Lustlosigkeit, Affären und Außenbeziehungen, Beziehungsgewalt sowie sexualisierte Gewalt.
Kapitel 6
Der dritte inhaltliche Abschnitt betrachtet in acht Beiträgen Themen der Beratungserbringung. Ein Beispiel ist der Beitrag zur Beziehungsgestaltung in Beratung und Therapie, der wiederum die Form eines Interviews hat. Jana Haskamp interviewt Chris Lila Henzel und Ena Schnitzlbaumer – die beide beratend/therapeutisch tätig sind. Im Vordergrund stehen konkrete Fragen des Beziehungsaufbaus und der Beziehungsgestaltung, etwa die Ansprache mit „Sie“ oder „Du“ oder der Umgang mit Begegnungen jenseits des professionellen Settings. In der Beantwortung der Fragen entstehen sehr persönliche und zugleich fachliche Einblicke in die Beratungsarbeit. Dabei lässt der Vergleich der beiden Antworten einen zusätzlichen Reiz entstehen, der die Lesenden die Möglichkeit gibt, ihre eigene Position zu reflektieren. Weitere Themen in Kapitel 6 sind die Unterscheidung von Beratung und Therapie, Kontaktaufnahme und Dokumentation, Nähe und Distanz, die Beratung als queere Mitarbeiterin im cis-heteronormativen Umfeld, machtkritische Beratung, den Zusammenhang von Wissen, Haltung und Methodik sowie Fort- und Weiterbildung.
Diskussion
Der Sammelband ist in vielerlei Hinsicht sehr positiv hervorzuheben. Er ist klar gegliedert, die Überschriften sind passend ausgewählt, es gibt hilfreiche Einführungen in die jeweiligen Abschnitte, und die Texte sind alle ausgezeichnet verständlich. Er ermöglicht den Lesenden eine sehr gute Orientierung sowie ein leichtes Verständnis. Und auch die von den Herausgebenden selbst gesetzten Ansprüche und Ziele werden erfüllt: Es wird eine große Vielfalt an praxisnahen Themen aufgegriffen, die in der Literatur so bislang nicht abgebildet wurden. Es entstehen zahlreiche sehr praxisnahe Einblicke in die konkrete Beratungspraxis und gleichzeitig werden auch auf wissenschaftlich fundierte Weise zentrale Konzepte und Theorien abgebildet. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Band auch seinem Ziel gerecht werden kann, für die Bedarfe und Erfahrungen von trans und nicht-binären Klient_innen zu sensibilisieren. Ebenso könnte er als ein Korrektiv gegenüber verzerrten populären Debatten wirken, wie von Prof. Dr. Udo Rauchfleisch erhofft.
Allerdings, so mein Eindruck, bleibt fraglich, ob der Band seine Zielgruppen erreichen wird. Als hinderlich könnten sich die Länge (588 Seiten) und die Kosten (69 Print / 59 E-Books) des Bandes herausstellen. Der Band ist sehr umfangreich – ggf. zu umfangreich - , weil er zahlreiche Zielgruppen und vielfältige Ziele anvisiert. Fachkräfte in der Praxis könnten vor dem fast 600-seitigen „Wälzer“ zurückschrecken. Womöglich wäre es dahingehend von Vorteil gewesen, den Band zu teilen und zielgruppen- und zielspezifische Bände herauszugeben, etwa einen wissenschaftlichen Sammelband für den wissenschaftlichen Diskurs und andererseits ein entsprechend aufbereitetes, deutlich kürzeres Lehrbuch für Fachkräfte.
Ob also das Ziel erreicht wird, Wissenschaft und Praxis zusammenzubringen, wird sich erst zeigen. Es wäre erst dann gelungen, wenn das Buch von den vielfältigen Zielgruppen gekauft wird und wenn die für einzelne Zielgruppen eher unüblichen Textformen auch gelesen werden. Hier ist es fraglich, ob Fachkräfte die eher wissenschaftlichen Texte lesen und ob Wissenschaftler_innen auch Interesse für die Interviews zeigen.
Fazit
Der Sammelband widmet sich theoretisch fundiert und zugleich praxisnah dem Thema der Sexual- und Paarberatung von trans und nicht-binären Menschen. Er stellt einen wichtigen Beitrag zur Professionalisierung von Unterstützungsprozessen von trans und nicht-binären Menschen dar – gerade in Zeiten zunehmender Desinformation in populären Medien. Allerdings muss sich angesichts des Preises und des großen Umfangs des Bandes erst zeigen, ob er seine Zielgruppen erreichen und ausreichend rezipiert wird – verdient hätte er es.
Rezension von
Prof. Dr. Dominik Mantey
Professor für Soziale Arbeit
Studiengangsleiter Master Soziale Arbeit
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