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Carla Schriever: Judith Butler

Rezensiert von Prof. Stefan Müller-Teusler, 17.06.2025

Cover Carla Schriever: Judith Butler ISBN 978-3-7560-2361-5

Carla Schriever: Judith Butler. Ein Praxisbuch für die soziale Arbeit. edition sigma im Nomos-Verlag (Baden-Baden) 2024. 130 Seiten. ISBN 978-3-7560-2361-5. D: 34,00 EUR, A: 35,00 EUR.
Reihe: Philosophie für die soziale Arbeit - 1.

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Thema und Hintergrund

Das vorliegende Buch ist das erste einer geplanten Reihe im Nomos-Verlag, für die Carla Schriever und Betti Hartmann die Initiatorinnen sind und die Herausgeberschaft übernommen haben. Diese Reihe ist betitelt als „Philosophie für die Soziale Arbeit. Von der Theorie zur Praxis“ und soll philosophisches Denken in seiner Relevanz für die Soziale Arbeit aufzeigen, wobei es explizit um Philosophinnen gehen wird. „Ziel ist dabei nicht nur, zur Professionalisierung und Stärkung der Sozialen Arbeit im akademischen Feld beizutragen, sondern auch Sozialarbeiterinnen in allen Arbeitsfeldern auf spannende Gedankenreisen mitzunehmen und die Praxis zu inspirieren“ (S. 11).

Autorin

Carla Schriever hat eine Professur für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Soziale Ungleichheit an der Internationalen Hochschule in Lübeck inne.

Aufbau

Das Buch ist sehr systematisch aufgebaut: zu jedem zentralen Begriff, der in Denken und Wirken von Judith Butler eine zentrale Rolle einnimmt, erfolgt eine Erklärung und Einordnung, auch mit Bezügen zu anderen Philosoph:innen. Danach erfolgt eine kurze Übertragung auf den Kontext der Sozialen Arbeit, häufig auch mit (realen) Beispielen verbunden. Zudem gibt es noch einen Vorschlag, wie der jeweilige Inhalt spielerisch mit Mitarbeitenden und/oder Studierenden umgesetzt werden kann, was wiederum gute Vorschläge für reflektiertes Teambuilding sind. Außerdem gibt es am Ende eines jeden Kapitels Reflexionsaufgaben.

Das Buch beginnt mit der Frage, „wie wär's mal ohne Kategorien?“ und widmet sich damit dem zentralen Thema Etikettierung und Rollenzuschreibung. Das ist zugleich die Überleitung zu Gender, was (bekannterweise) nicht nur eine Frage von F/M, sondern auch von Macht, Diskursen, Hoheiten und (überkommenen) Traditionen ist. Damit ist auch die Diskussion um Heteronormativität verbunden, die einen weiteren zentralen Begriff abbildet. Ein weiterer (logischer) Gedanken ist die Sprache als Machtinstrument. Alle diese Begrifflichkeiten richten sich weitgehend auf Personen, weshalb die Frage nach dem/die Anderen zentral ist. Das Erleben von Anderen ist auch die Sensibilität für deren Vulnerabilität. Weil Leben und die jeweiligen Bedingungen sehr unterschiedlich sind, ist der Begriff Prekär ein relevanter, zu dem sich in diversen Theorieansätzen der Sozialen Arbeit enge Bezüge finden lassen. Durch Corona als Pandemie ist nach Butler eine Zunahme sozialer Ungleichheit erfolgt, was viele Folgeprobleme nach sich zieht. Der Begriff Betrauerbarkeit ist Ausweis dieser ungleichen Sichtweise von verschiedenen Personengruppen. Auf dem Hintergrund von Ungleichheiten ist gewaltloser Protest nach Butler ein wesentliches Merkmal, um die Allgemeinheit für diese Themen zu sensibilisieren. Ein kurzes Kapitel zum Wert der Sozialen Arbeit für die gesellschaftlichen Transformationen ist quasi eine Zusammenfassung. Ganz zum Schluss gibt es noch einige Hinweise zum Weiterlesen bzw. Videos.

Diskussion

Die genannten Themen bzw. Begrifflichkeiten sind ohne Frage zeitunabhängig und damit auf jeden Fall nicht nur für bestimmte Momente relevant. Man muss kein Verfechter:in einer bestimmten Meinung oder Ideologie sein, um die Grundgedanken zu teilen. Das gelingt der Verfasserin sehr gut, diese so in den Raum zu stellen, dass sie aus verschiedenen Perspektiven (und Tätigkeitsfeldern der Sozialen Arbeit) in ihrer Relevanz und Reichweite deutlich werden. Natürlich ließe sich sofort einwenden, dass es sich hier um sehr verkürzte Darstellungen handelt, die in eine ganze Reihe von Überlegungen eingebunden sind und auch nicht auf einmal entstanden sind, sondern eine jeweilige Genese haben. Darum geht es aber nicht, sondern um die Bewusstmachung zentraler Begrifflichkeiten in ihrer Relevanz und Reichweite für die Praxis der Sozialen Arbeit und das gelingt gut. Viele der Begriffe bzw. synonyme Ausdrücke sind in der Sozialen Arbeit ganz selbstverständlich präsent und quasi jeden Tag Teil des Tagesgeschehens. Aber gerade diese Selbstverständlichkeit wird durch die Beschäftigung mit den zentralen Inhalten von Judith Butler noch einmal wunderbar in Frage gestellt mit dem Ziel der (Selbst-) Reflexion. Darüber hinaus ist es aber auch eine gute Möglichkeit von Teambuilding, Begriffe aufzugreifen und deren Bedeutung und Reichweite zu diskutieren, wozu die vorgeschlagenen Übungen die gute Möglichkeit bieten. Ganz nebenbei: wessen Studium schon (sehr) lange her ist, bekommt hier nicht nur eine reflexive Auffrischung, sondern einige Grundelemente philosophischen Denkens ohne die sonst gefürchtete Überabstraktion mitgeliefert.

Kritisch bleibt anzumerken, dass es einige orthographische Fehler gibt, die einen Lektorat hätten auffallen sollen und vor allen Dingen die Interpunktion dringend überarbeitet werden muss.

Neben dieser formalen Kritik noch zwei inhaltliche Anmerkungen: es wäre für Lesende schön, wenn es auch einen biographischen Abriss zur Person Judith Butler geben würde, denn manchmal sind Werk und Wirken auch mit biographischen Momenten verbunden. So bliebe Judith Butler als Philosophin nicht abstrakt, sondern wird für Lesende etwas lebendig. Außerdem wäre es angemessen, bei den Hinweisen zum Weiterlesen (die ohne Frage gut sind!) auch bibliographische Angaben anzuführen, so wie es im Literaturverzeichnis erfolgt ist.

Fazit

Ein wirklich lesenswertes Buch, das insbesondere für die Praxis, aber auch für das Studium sehr empfehlenswert ist, um sich mit zentralen (philosophischen) Begriffen und deren Reichweite (selbst-) reflexiv auseinanderzusetzen. Das dient ohne Zweifel der eigenen Professionalität und hilft auch bei der individuellen beruflichen Verortung, kann auch die Motivation steigern. Der Aufbau des Buches macht es möglich, die kurzen Kapitel auch mit zeitlichen Abständen zu lesen und sich so sukzessive „berühren zu lassen“. Ebenso ist es allen Leitungen empfohlen, über die zentrale Auseinandersetzung mit den Inhalten Teambuilding und Professionalisierung zu forcieren. Für Studierende ist es ein guter Fundus, sich parallel zu den Theorieansätzen der Sozialen Arbeit eigene Positionen zu erarbeiten.

Rezension von
Prof. Stefan Müller-Teusler
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Es gibt 99 Rezensionen von Stefan Müller-Teusler.

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ISSN 2190-9245