Rita Braches-Chyrek, Stephanie Spanu et al.: Soziale Frauenberufe
Rezensiert von Dr. phil. Hubert Kolling, 19.06.2025

Rita Braches-Chyrek, Stephanie Spanu, Karin Bock: Soziale Frauenberufe. Historische Rückblicke. Wochenschau Verlag (Frankfurt am Main) 2025. 1 Auflage. 352 Seiten. ISBN 978-3-7344-1719-1. 44,90 EUR.
Thema
Das Buch „Soziale Frauenberufe“ beleuchtet in Einzelbeiträgen die ambivalenten Entwicklungen der Berufstätigkeit von Frauen in verschiedenen ausgesuchten Bereichen, wobei neben der Entstehungsgeschichte der jeweiligen Berufe und deren unterschiedlicher Professionalisierung auch die gesellschaftliche Bedeutung sowie relevante historische Entwicklungslinien nachgezeichnet werden.
Herausgeberinnen und Autorinnen
Für die Herausgabe des Sammelbandes zeichnen sich Prof. Dr. Rita Braches-Chyrek, Prof. Dr. Karin Bock und Dr. Stephanie Spanu verantwortlich.
Rita Braches-Chyrek ist Hochschullehrerin für Sozialpädagogik an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, wobei ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte Theorie und Geschichte der Sozialen Arbeit sowie Generationen-, Geschlechter- und Kindheitsforschung sind.
Karin Bock ist Hochschullehrerin für Sozialpädagogik an der Technischen Universität Dresden, wobei ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte Kindheits-, Jugend- und Familienforschung, Kinder- und Jugendhilfeforschung sowie Theorien und rekonstruktive Methoden in der Sozialpädagogik/​Sozialarbeit sind.
Stephanie Spanu ist Studienrätin am Berufskolleg Königstraße Gelsenkirchen, wobei ihre Arbeits- und Forschungsschwerpunkte Historische Betrachtungen von Frauenberufen, Gender, Kindheit und Bildung für nachhaltige Entwicklung und Didaktik sind.
Neben den drei Herausgeberinnen haben an dem Werk noch weitere 19 Autorinnen mitgewirkt, denen die Thematik aufgrund ihrer Arbeits- und Forschungsbereiche vertraut ist.
Entstehungshintergrund
„Für die Idee und inhaltliche Planung beim Entwurf des Sammelbandes“ danken die Herausgeberinnen einleitend Maria-Eleonora Karsten (1949-2021), die unter anderem als Erziehungswissenschaftlerin und Professorin für Sozialadministration/​Sozialmanagement an der Universität Lüneburg wirkte. Ansonsten finden sich in der Veröffentlichung zu deren Entstehungsgeschichte beziehungsweise gegebenenfalls vorhandenen Einflussfaktoren keine weiteren Angaben.
Aufbau
Neben der Einleitung vereint das Buch 17 Beiträge, in deren Mittelpunkt die ambivalenten Entwicklungen der Berufstätigkeit von Frauen in verschiedenen ausgesuchten Bereichen steht. Dabei werden jeweils zunächst die Entstehungsgeschichte des sozialen Berufes und die unterschiedlichen Grade der Professionalisierung in den Blick genommen, bevor anschließend die gesellschaftliche Bedeutung des sozialen Berufes und relevante historische Entwicklungslinien vor, in und nach den Kriegen sowie bei der Gründung beider deutscher Staaten und Gesellschaftssysteme nachgezeichnet werden.
Inhalt
Einleitend („Soziale Frauenberufe – Rückblicke“, S. 7–15) geben die Herausgeberinnen schlaglichtartig Einblicke in die Geschichte sozialer Frauenberufe. Hierbei stellen sie unter anderem im Hinblick auf die Nachkriegszeit, die Gründung der beiden deutschen Staaten, die Zeit des Mauerbaus und des „kalten Krieges“ bis zur Wiedervereinigung und die mittlerweile 35 Jahre Deutsche Einheit fest, dass die Geschichte der sozialen Frauenberufe in West- und Ostdeutschland „eher wenig und vor allem wenig empirisch gehaltvoll thematisiert wurde.“ Während sich in Westdeutschland bis heute sehr deutlich zeige, dass Frauen in atypischen und prekären Beschäftigungsfeldern tätig waren und sind, fänden sich in den östlichen Bundesländern andere strukturelle Vergewisserungen, etwa in der überproportionalen Frauenvollbeschäftigung.
Zur Bedeutung und Intention ihrer Veröffentlichung halten Rita Braches-Chyrek, Karin Bock, Stephanie Spanu sodann wörtlich fest: „Intention und Anliegen dieses Sammelbandes ist es nachzuzeichnen, welche gesellschaftlichen und berufsbezogenen Entwicklungen, Handlungsnotwendigkeiten und -räume und welche Widerstände soziale Frauenberufe durchlaufen haben. Ziel ist es, sichtbar werden zu lassen, was die Herausbildung von sozialen Frauenberufen begünstigt hat, welche Erfolge sich verzeichnen lassen und mit welchen Kosten diese für die Gesellschaft und die Einzelnen verbunden sind“ (S. 10).
In ihrem Beitrag „Der Hebammenberuf. Eine unruhige Geschichte“ (S. 16–37) nimmt Stephanie Spanu zunächst skizzenhaft eine historische Einordnung des Hebammenberufs vor, um anschließend das Dispositiv der Mütterlichkeit am Beispiel des Stilldiskurses nachzuzeichnen. Zugleich zeigt sie auf, wie sich das Berufsbild der Hebammen unter Berücksichtigung der jeweiligen Zeiträume verändert hat, insbesondere innerhalb der deutsch-deutschen Geschichte.
Unter der Überschrift „Von der traditionellen Werteerziehung zum professionellen Erziehungsmanagement“ stellen Gaby Lenz „Das Berufsprofil der Haus-/​Kinderdorfmutter“ (S. 38–56) vor. Hierbei beleuchten sie die langen und ambivalenten Entwicklungslinien dieses anspruchsvollen Frauenberufs, der sich durch pädagogische Vielfalt und Professionalität auszeichnet. Daneben gehen sie nicht nur der Frage nach dem Selbstverständnis von Kinderdorfmüttern nach, sondern nehmen auch die Schattenseite des aktuellen Berufsprofils in Augenschein.
In ihrem Beitrag „Von der Seelsorgerin zur Gemeindereferentin“ (S. 57–75) skizzieren Maria Schubert und Katharina Zimmermann die Entwicklung des Berufs in den beiden deutschen Staaten, um anschließend die Herausforderungen und Chancen des Berufsfeldes katholische Kirche für Frauen in der jüngsten Vergangenheit herauszustellen.
„Globale Gesandte. Koloniale Karrieren, emanzipatorische Ansprüche und ambivalente Auswirkungen von Missionarinnen seit dem 19 Jahrhundert“ (S. 76–90) lautet der Beitrag von Linda Ratschiller und Simone Rees, in dem sie den historischen Wandel diskutieren, den das Berufsbild der Missionarin durchlief, um darauf aufbauend zu zeigen, wie sich deren Wirkungsbereich weit über die religiöse Sphäre hinaus in gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Prozessen weltweit ausdehnte.
Dorothea Schweizer beschäftigt sich mit dem „Beruf Diakonisse“ (S. 91–105), wobei sie den Fokus ihrer Betrachtung auf die Kaiserswerther Diakonissen legt, deren Begründung auf das Ehepaar Pfarrer Theodor Fliedner (1800-1864) und seine Ehefrau Friederike Fliedner (1800-1842) im Jahre 1836 zurückgeht und unverheirateten Frauen eine berufliche Perspektive in verschiedenen Arbeitsbereichen ermöglichte. Neben den Tätigkeiten der Diakonissen, die in erster Linie pflegerische Aspekte beinhalteten, betrachtet sie die Entwicklung des Berufs auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, während der NS-Zeit (1939-1945), im geteilten Deutschland und seit der Wiedervereinigung, bevor sie einem Ausblick über Diskurse zum Berufsbild gibt.
Von romantisierten Zuschreibungen und menschenunwürdigen Arbeits- und Lebensbedingungen, damals wie heute, berichtet Nina Göddertz in ihrem Beitrag über „Dienstmädchen“ (S. 106–127), bei denen es vornehmlich um unverheiratete junge Mädchen mit mangelnder Qualifikation handelte, die im Dienst der bürgerlichen Herrschaften standen. Hierbei stellt sie nicht nur die historische Entwicklung des Berufs da, sondern beschreibt auch dessen Bedeutsamkeit in Ost- und Westdeutschland, wobei sie auch auf die Einmündungen in die Berufe der Kinderpflegerin/​Erzieherin verweist.
In dem Beitrag von Julia Seidel geht es um den Beruf der „Gouvernante“ (S. 128–143), deren Bild und Bekanntheitsgrad sich auch in der Literatur findet. Wie die Autorin zeigt, handelte es sich hierbei um eine durchaus selbstbestimmte Form der Erwerbsarbeit für Töchter aus gutem Hause, zumal ihre Position – anders als Kinder- oder Dienstmädchen – in der bürgerlichen Familie deutlich höhergestellt war.
Ninna Göddertz setzt sich in ihrem Beitrag „Kindermädchen“ (S. 144–162) mit einem sozialen Frauenberuf auseinander, an dem sich bis heute ein immer wiederkehrendes Charakteristikum von Frauenberufen – nicht zuletzt die schlechte Bezahlung – wiederfinden lässt. Dabei standen vornehmlich unverheiratete junge Mädchen im Dienst der bürgerlichen Herrschaften, die für gewöhnlich über eine mangelnde Qualifikation verfügten und dementsprechend unterbezahlt wurden.
Josefin Barthold geht unter historischen Gesichtspunkten der Frage nach, ob „Erzieherin, ein ‚typischer Frauenberuf‘?“ (S. 163–185) ist, während die spezifische Ausformung der Erzieherin als sozialer und genuin weiblich konnotierter sozialer DDR-Frauenberuf der „Kindergärtnerin“ (S. 186–202) von Ina Kaul differenziert vertieft wird.
In ihrem Beitrag „Wohlfahrtspflegerin, Jugendleiterin, Heimerzieherin“ (S. 203–238) nehmen Kathrin Schramm und Stephanie Meiland drei soziale Frauenberufe und deren Berufsgeschichten in den Blick. Sodann stellen Sandra Wesenberg, Marion Mayer und Annett Kupfer in ihrem Beitrag „Die Fabrikpflegerin oder Werksfürsorgerin“ (S. 239–251), deren Auf- und Abschwung sowie Weiterentwicklung bis zur betrieblichen Sozialarbeit vor, bevor Annett Kupfer, Marion Mayer und Sandra Wesenberg sich mit der „Beratung als Frauenberufstätigkeit“ (S. 252–266), insbesondere mit der Ehe-, Gesundheits- und Sexualberatung sowie der Berufsberatung auseinandersetzen.
In ihrem Beitrag „Familienhelferinnen“ (S. 267–283) zeichnet Sabine Toppe die Berufsentwicklung von Familienhelferinnen nach seit den ersten Ausbildungsschritten Ende des 19. Jahrhunderts, über die Professionalisierung und Etablierung in den 1920er Jahren, in der Zäsur während der Zeit des Nationalsozialismus, im Rahmen der nachfolgenden Entwicklungen Sozialer Arbeit in der BRD und der DDR bis zur Praxis der Familienhilfe heute. Während die Autorin dabei einen spezifischen Blick auf die Protagonistin Marie Braun (1874-1964) und die Rolle der bürgerlichen Frauenbewegung in diesem Prozess richtet, ordnet sie die Familienfürsorge als familienunterstützende Leistung vor dem Hintergrund sozialstaatlicher Entwicklungen und sich verändernder familialer Lebenspraktiken ein.
Rita Braches-Chyrek stellt den Beruf der „Sozialpolitikerin“ (S. 284–300) am Beispiel des Lebensweges der Sozialreformerin Marie Juchacz (1879-1956) vor, wobei sie zugleich die Möglichkeiten des frauenspezifischen Engagements zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Neuformierungen des Berufes in der Bundesrepublik Deutschland und den Beruf der Sozialpolitikerin in der DDR beleuchtet.
In ihrem Beitrag „Die Gewerkschafterin“ (S. 301–316) arbeitet Julia Gottschalk – unter Bezugnahme auf die Biografie von Paula Thiede (1870-1919) – heraus, dass gleichberechtigte Gewerkschaftsarbeit bis heute nur in Ansätzen realisiert werden konnte. Hierbei diskutiert sie im Kontext der unterschiedlichen Realitäten von weiblichen Lebenszusammenhängen in Ost- und Westdeutschland, welche Relevanz Gleichstellungskonzepte und die kritischen Haltungen zu Quotendiskussionen haben.
Heike Liebsch widmet sich schließlich dem sozialen Frauenberuf der „Wochenkrippenerzieherin“ (S. 317–346), der in der DDR zur Sicherung der Frauenerwerbsarbeit eine besondere Bedeutung zukam. Hierbei arbeitet sie einerseits die zentralen historischen Entwicklungslinien der betreffenden Ausbildungswege und -ziele heraus und diskutiert andererseits die gegensätzlichen Positionierungen, die insbesondere in Westdeutschland zunächst zu einer starken Ablehnung der Krippenerziehung führten.
Diskussion
Das Buch „Soziale Frauenberufe“ erlaubt seiner Leserschaft, sich in die unterschiedlichen Lebens- und Berufsrealitäten der Frauen hineinzuversetzen. Die einzelnen Beiträge des Sammelbandes zeichnen hierzu im Kontext sehr unterschiedlicher sozialer Handlungsfelder anschaulich die Geschichte sozialer Frauenberufe nach und arbeiten dabei den Grad der Professionalisierung (berufliches Handeln) heraus. Zudem skizzieren sie die zentralen Entwicklungslinien sozialer Frauenberufe vor, in und nach den beiden Weltkriegen sowie im Kontext der deutsch-deutschen Geschichte bis in die Gegenwart, wodurch die Funktion weiblicher sozialer Berufstätigkeit durch verschiedene Gesellschaftssysteme deutlich wird.
Die vom Umfang her jeweils etwa gleich langen Beiträge nehmen dabei, ausgehend von den sehr ambivalenten Entwicklungen der Berufstätigkeit von Frauen, ausgewählte Bereiche in den Blick, in denen Frauen „typischer Weise“ einer entlohnten Arbeit nachgegangen sind. Die Darstellungen zeigen nicht nur eine Geschichte der Transformation, sondern verdeutlichen auch, welche Berufe bis heute existieren, welche rechtlichen Voraussetzungen gültig waren oder wie sie die Grade der Professionalisierung über die Zeit als konsistent oder inkonsistent erwiesen haben. Zur vertiefenden Auseinandersetzung mit dem Thema gibt es zudem einen Ausblick auf ausgewählte aktuelle Diskurse zum jeweiligen Beruf sowie Hinweise auf Literatur.
Wenngleich sicherlich nur eine begrenzte Zahl sozialer Frauenberufe in der Veröffentlichung thematisiert werden konnte, hätte man sich noch einen Beitrag zur Krankenpflege gewünscht, zumal dieser Beruf bis heute sehr stark weiblich dominiert ist. Ebenso hätte den verschiedenen ausgesuchten Domänen jeweils ein bis zwei zeitgenössische und aktuelle Abbildungen gutgetan.
Fazit
Alle, die sich für die Geschichte sozialer Frauenberufe und deren ambivalente Entwicklungen interessieren, werden das vorliegende Buch mit Genuss lesen und immer wieder gerne zur Hand nehmen.
Rezension von
Dr. phil. Hubert Kolling
Krankenpfleger, Diplom-Pädagoge und Diplom-Politologe
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