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Matthias Thöns (Hrsg.): Assistierter Suizid

Rezensiert von Prof. Dr. Carsten Rensinghoff, 02.06.2025

Cover Matthias Thöns (Hrsg.): Assistierter Suizid ISBN 978-3-17-043069-3

Matthias Thöns (Hrsg.): Assistierter Suizid. Rechtliche Debatte und klinische Praxis aus interdisziplinärer Sicht. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2025. 194 Seiten. ISBN 978-3-17-043069-3. 39,00 EUR.
Münchner Reihe palliative care - Band 19. .

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Thema

Schwerpunktmäßig geht es dem Herausgeber um Suizidhilfe bei Schwer- bzw. Schwerstkranken.

Herausgeber

Matthias Thöns ist Palliativmediziner.

Aufbau

Das Buch enthält 11 Kapitel:

  1. Matthias Thöns: Einführung in die Thematik
  2. Wolfgang Putz: Assistierter Suizid – eine legale Form der Sterbehilfe
  3. Eric Hilgendorf: Zur rechtlichen Regulierung der Suizidassistenz nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
  4. Georg Marckmann: Assistierter Suizid: Perspektiven für eine ethisch verantwortete Praxis
  5. Thomas Sitte und Matthias Thöns: Assistierter Suizid – Pro und Kontra
  6. Gita Neumann: Ergebnisoffene Konfliktberatung bei Sterbewunsch – Prävention, Freiverantwortlichkeit und Suizidhilfe
  7. Matthias Dose: Sterbehilfe und Psychiatrie
  8. Michael Überall und Matthias Thöns: Sterbehilfe aus Sicht der Betroffenen
  9. Roland Wefelscheid: Polizei und Sterbehilfe
  10. Rita Gabler: Sterbehilfe aus Sicht der Pflege
  11. Gita Neumann, Matthias Thöns, Tanja Unger: Herausforderungen und Tendenzen in der Praxis

Inhalt

In seiner Einführung befasst sich der Herausgeber mit einigen Sünden, die ÄrztInnen nicht tun sollten, als da beispielsweise wäre die Versorgung von demenziell Erkrankten mit einer perkutanen endoskopischen Gastrostomie zur künstlichen Ernährung. Häufig ist diese Maßnahme kontraindiziert.

Thöns fragt: Was ist nun Sterbehilfe? Verschiedene Begriffe befassen sich mit den Handlungen, die das Lebensende einer Person beschleunigen, wie:

  • die Tötung auf Verlangen, also „die absichtliche und aktive Herbeiführung des Todeseintritts“ (S. 12);
  • das Sterbenlassen, d.h. „der Verzicht oder Abbruch von lebensverlängernden Maßnahmen bei gleichzeitiger leidenslindernder Behandlung“ (ebd.);
  • die indirekte Sterbehilfe: hier kommt es durch eine leidenslindernde Behandlung ungewollt zu einer Lebensverkürzung;
  • die Hilfe zum Suizid, etwa die Beschaffung und Bereitstellung eines tödlich wirkenden Mittels

Aus juristischer Perspektive befasst sich der Rechtsanwalt für Medizinrecht Wolfgang Putz mit dem assistierten Suizid.

So führt der Autor u.a. an, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2024 einem Menschen ein Schmerzensgeld und einen materiellen Schadensersatz zusichert, wenn eine Patientenverfügung missachtet wird.

Eric Hilgendorf führt aus, dass das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 § 217 StGB, also die Bestrafung der geschäftsmäßigen Förderung des Suizids, für nichtig erklärt hat. Diskutiert werden vom Verfasser neue Gesetzentwürfe, die den assistierten Suizid regeln, z.B. jener aus dem Jahr 2022, der die geschäftsmäßige Förderung des Suizids unter Strafe stellt, jedoch „eine Ausnahmeregelung für den freiverantwortlichen Suizid enthält“ (S. 42).

Die Ausführungen zur ethisch verantworteten Praxis, die Georg Marckmann vornimmt, basieren auf dem Selbstbestimmungsrecht, wonach keine Behandlungsmaßnahme, der eine entsprechende Aufklärung zugrunde liegt, ohne der ausdrücklichen Einwilligung der betroffenen Person durchgeführt werden darf. Marckmann nimmt den assistierten Suizid in den Blick, „der nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 26.02.2020 auch in seiner geschäftsmäßigen Form in Deutschland nicht mehr strafbar ist“ (S. 55).

Die Bewertung der Suizidassistenz erfolgt über die vier medizinethischen Prinzipien, welche „eine weithin zustimmungsfähige Grundlage für die Bewertung von Handlungen in der biomedizinischen Praxis“ (S. 57) bieten, als da wären:

  • das Prinzip des Wohltuns;
  • das Prinzip des Nichtschadens;
  • das Prinzip der Achtung der Autonomie
  • das Prinzip der Gerechtigkeit.

Thomas Sitte und Matthias Thöns legen die konservative Sicht (Sitte) und die liberale Sicht (Thöns) zum assistierten Suizid dar. Zwischen den Autoren besteht Einigkeit darüber, „dass ein lebensfreundliches Klima zu schaffen ist durch Förderung der Suizidprävention, den Ausbau der Hospizarbeit und Palliativversorgung“ (S. 73). Auf diese Weise sollen Anreize zum Weiterleben geschaffen werden, die jedoch nicht in ein Suizidverbot münden sollen.

Die Diplompsychologin und Diplomsoziologin Gita Neumann widmet sich der ergebnisoffenen Konfliktberatung im Falle eines Sterbewunsches. Das Ziel der ergebnisoffenen Beratung ist das Finden eines abgewogenen Ausgleichs „zwischen der reellen Gewährleistung des Persönlichkeitsrechts auf humanes und selbstbestimmtes Sterben mit Hilfe Dritter einerseits und einer gebotenen Suizidprävention andererseits“ (S. 110).

Als Facharzt für Psychiatrie ist es Matthias Dose wichtig die Positionen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde in den Blick zu nehmen. Hiernach soll das bundesverfassungsgerichtliche Urteil aus dem Jahr 2020 respektiert werden. Dort wo bei den Suizidwilligen jedoch die Selbstbestimmung eingeschränkt ist, sollen Letztgenannte vor dem Suizid geschützt werden.

Wie sehen die Betroffenen die Sterbehilfe? Mit dieser Frage beschäftigen sich der Präsident der Deutschen Schmerzliga Michael Überall und der Herausgeber.

Thöns stellt heraus, dass viele Menschen Angst vor einem qualvollen Sterben haben. Diese Angst ist größer als der Tod als Endzustand. U.a. wird ein Blick in die Tiermedizin geworfen: Hier wird das leidlose Lebensende durch die intravenöse Gabe von Barbituraten durchgeführt, die zur Narkose zugelassen sind.

Der Zweitautor dieses Kapitels befasst sich nun mit der Sicht nicht lebensbedrohlich schwer Erkrankter und Gesunder. So überrascht es Überall, dass das Bundesverfassungsgericht vorgenannter Personengruppe „ein uneingeschränktes Recht auf eine selbstbestimmte Beendigung des Lebens (und die hierfür straffreie Unterstützung durch Dritte)“ (S. 139) zuspricht.

Für den Umgang der Polizei mit der Sterbehilfe führt Roland Wefelscheid § 216 StGB an, auf den sich polizeilich zunächst berufen wird. Dieses Gesetz befasst sich mit der Strafbarkeit der Tötung, auch der Tötung auf Verlangen. Auch der Versuch hierzu ist strafbar. Für die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung nach § 217 StGB werden die Abläufe kriminalpolizeilicher Arbeit dargestellt, wie sie in einem Todesermittlungsverfahren ablaufen. Insgesamt scheinen die gesetzlichen Regelungen aus polizeilicher Sicht unzureichend. „Hier hätte man bestimmte Tatbestandsmäßigkeiten abprüfen können, und es wären klare Regelungen vorhanden, welche Voraussetzungen für den begleiteten Suizid vorliegen müssen“ (S. 158).

Rita Gabler ist Krankenschwester, Palliative-Care-Fachkraft und Leiterin eines Hospizes. In diesen Funktionen ist eine enge Verbindung zu den Themen Sterbehilfe und assistiertem Suizid bei der Autorin vorhanden. Gabler befasst sich mit der Rolle der Pflege in der Sterbehilfedebatte. Sie merkt an, dass Pflegende „in der derzeitigen Debatte um den ‚assistierten Suizid‘ […] wenig eingebunden sind“ (S. 159), obwohl dies gewissermaßen ihr tägliches Geschäft ist. Kritisiert wird die Zugrichtung, die in der Hauptsache durch ÄrztInnen und angrenzende akademische Berufsgruppen vorgegeben wird, während Pflegende den körperlich und emotional größeren Anteil in der Versorgung zu bewältigen haben und meist auch in einem wesentlich engeren Bezug zu den Betroffenen stehen. Ihr Erfahrungsschatz ist sehr wertvoll und in die Diskussion mit einzubeziehen.

Am Ende des Buches befassen sich Gita Neumann, der Herausgeber und Tanja Unger mit Herausforderungen und Tendenzen in der Praxis:

Gita Neumann beleuchtet als langjährige Patientenberaterin u.a. „im Umfeld mit Suizidalität, diese Problematik und schlägt den Bogen zu einer psychiatrisch ‚übergriffigen‘ Hauptrichtung von Suizidprävention, die durch unausgesprochene Prämissen wie eine innere Abscheu gegen Selbsttötungen schlechthin geprägt ist“ (S, 172).

Der Herausgeber stellt einen Fall vor, der für ihn nach erfolgreich verlaufendem assistiertem Suizid, ein polizeiliches Ermittlungsverfahren nach sich gezogen hat. Zu diesem Fall erfolgen juristische Anmerkungen von Tanja Unger.

Diskussion

In seiner Einführung in die Thematik schreibt Matthias Thöns, dass psychiatrisch tätige Ärzt:innen die Suizidhilfe ablehnen. Das erscheint verständlich, da die Behandlung von Selbstmordgedanken finanziell sicher nicht zu verachten ist. In 90 bis 95 % der Fälle kommt es zu Suizidwünschen „aufgrund psychiatrischer Erkrankungen oder Krisen, in denen die Fähigkeit zu realistischer Wahrnehmung und Abwägung eingeschränkt sind“ (S. 72).

Am Ende ihres Beitrags sagt Rita Gabler, dass es ein grundsätzliches Menschenrecht sein soll, dann sterben zu dürfen, wenn man sterben möchte. Das Bundesverfassungsgericht hat am 26.02.2020 hierfür eine juristische Basis geschaffen. Mit diesem Gesetz liegt nun der Schwerpunkt auf der praktischen Umsetzung, v.a. im institutionellen Kontext. Die – mitunter nicht erfolgsgekrönte – leidens- und lebensverlängernde Apparatemedizin ist weiterhin ein lukratives Geschäft (vgl. Thöns 2016).

Fazit

Matthias Thöns versammelt in seinem Werk Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Fachrichtungen, die sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 beziehen. Dieses Urteil richtet sich gegen das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung des Suizids. Wie auf dem Klappentext zu lesen ist, bietet der Herausgeberband die Möglichkeit dazu, „eine eigene fundierte Haltung zur Suizidhilfe zu entwickeln und darauf aufbauend einen rechtlich gesicherten, aber auch persönlich vertretbaren Weg zu finden, mit dem assistierten Suizid umzugehen.“

Literatur

Thöns, Matthias (2016): Patient ohne Verfügung. Das Geschäft mit dem Lebensende. München/​Berlin: Piper Verlag.

Rezension von
Prof. Dr. Carsten Rensinghoff
Hochschullehrer für Heilpädagogik und Inklusive Pädagogik an der DIPLOMA Hochschule
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Es gibt 187 Rezensionen von Carsten Rensinghoff.

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ISSN 2190-9245