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Jochen Reb, Shenghua Luan et al.: Smart Management

Rezensiert von Prof. Dr. Christian Philipp Nixdorf, 27.10.2025

Cover Jochen Reb, Shenghua Luan et al.: Smart Management ISBN 978-3-593-52039-1

Jochen Reb, Shenghua Luan, Gerd Gigerenzer: Smart Management. Mit einfachen Heuristiken gute Entscheidungen treffen. Campus Verlag (Frankfurt) 2025. 304 Seiten. ISBN 978-3-593-52039-1. D: 49,00 EUR, A: 50,40 EUR.

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Autor:innen

Jochen Reb ist Professor für Organisationsverhalten und Personalwesen und Gründungsdirektor der Achtsamkeitsinitiative an der Lee Kong Chian School of Business, Singapore Management University.

Shenghua Luan ist Professor für Psychologie und leitender Forscher des Labors für Risiko- und Unsicherheitsmanagement am Institut für Psychologie der Chinesischen Akademie der Wissenschaften.

Gerd Gigerenzer ist Psychologe und Direktor des Harding-Zentrums für Risikokompetenz an der Universität Potsdam und Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin.

Thema

In einer Welt der Ungewissheit sind einfache Heuristiken oft bessere Entscheidungsstrategien als komplexe Optimierungsmodelle – so die Kernthese des Buches, welche anhand zahlreicher Beispiele veranschaulicht wird. Die Autoren unterscheiden zwischen kleinen Welten, in denen Risiko, Ambiguität und Wahrscheinlichkeiten zumindest theoretisch bekannt sind und großen Welten, die durch Unlösbarkeit, Ungewissheit und Unvollständigkeit von Informationen geprägt sind. Optimierung glänzt in kleinen Welten, in großen Welten liefern Heuristiken robustere und oft präzisere Ergebnisse, machen Reb, Luan & Gigerenzer deutlich. Heuristiken sind schneller, sparsamer und leichter zu kommunizieren. An diesem Kernprinzip orientiert sich das ganze Buch: Teil 1 führt in ökologische Rationalität und den adaptiven Werkzeugkasten ein, Teil 2 zeigt Heuristiken in zentralen Managementbereichen, Teil 3 behandelt Intuition, Entscheidungskulturen und das Zusammenspiel von KI und „psychologischer Intelligenz“ sowie das Lehren und Lernen von Heuristiken.

Aufbau und Inhalt

Das Buch ist in 13 Kapitel unterteilt, die sich auf rund 300 Seiten verteilen. Kapitel 1 mit dem Titel „Was Sie (wahrscheinlich) nicht an der Business School gelernt haben“ zeigt, dass die klassische Managementausbildung meist auf die Maximierung des erwarteten Nutzens und auf vollständige Informationsanalyse setzt. Dies aber ist den Autoren zufolge ein Ansatz, der in einer unsicheren, komplexen Welt (VUCA) oft versagt. Stattdessen plädieren Gigerenzer, Luan & Reb für den bewussten Einsatz von Heuristiken, also von einfachen Entscheidungsregeln, die unter Ungewissheit schnelle, sparsame und oft überlegene Ergebnisse liefern. Anhand der Erkenntnisse dreier Nobelpreisträger wird diese Haltung von ihnen illustriert:

Herbert Simon habe das unrealistische Ideal voll rationaler Entscheidung kritisiert und das Konzept des Satisficing- „gut genug“ statt optimal geprägt. Menschen suchten praktikable Lösungen, zumal vollständige Informationen und Berechnungen unmöglich seien. Harry Markowitz, der Entwickler der modernen Portfoliotheorie, habe die einfache 1/N-Regel (gleichmäßige Aufteilung des Vermögens) genutzt. In unsicheren Märkten sei diese robuste Heuristik häufig erfolgreicher als überangepasste Modelle. Und Reinhard Selten, Mitbegründer der Spieltheorie, habe erkannt, dass mathematisch perfekte Strategien in der realen Wirtschaft oft nicht griffen. Er habe Intuition und begrenzte Rationalität als realistische Grundlagen von Entscheidungen betont.

Alle drei Experten verdeutlichten, dass Ungewissheit nicht gleich ein Risiko darstelle. Optimierung funktioniere nur in Kontexten mit stabilen, berechenbaren Wahrscheinlichkeiten. Reale Entscheidungen fänden dagegen in unübersichtlichen Kontexten statt, die durch Komplexität, Überraschungen und Informationslücken geprägt seien. Das Kapitel mündet in die zentrale Botschaft, in einer unvorhersehbaren Welt führten einfache, erfahrungsbasierte Heuristiken oftmals zu besseren, nachvollziehbareren und effizienteren Entscheidungen als komplexe Modelle. Führungskräfte sollten diese Instrumente bewusst einsetzen und zu einem smarten Umgang mit Ungewissheit finden.

Kapitel 2 trägt den Titel „Warum Heuristiken?“ Hier wird dargelegt, warum einfache Entscheidungsregeln unverzichtbar seien, wenn Menschen in einer Welt der Ungewissheit handelten. Der Begriff „Heuristik“ stamme vom griechischen heuriskein („entdecken“) ab und bezeichne Verfahren, die das Finden von Lösungen erleichterten, wenn rechnerische oder analytische Optimierung unmöglich sei. Die Autoren grenzen kleine Welten (Risikosituationen) von großen Welten (Ungewissheit) ab. In kleinen Welten sind ihnen zufolge alle Handlungsoptionen, Zustände, Konsequenzen und Wahrscheinlichkeiten bekannt. Dort funktionieren klassische Modelle wie die Maximierung des erwarteten Nutzens.

In großen Welten hingegen fehlten Wissen, Berechenbarkeit und Stabilität. Heuristiken würden hier zu praktikablen Strategien. Beispiele seien Personalentscheidungen, Marktprognosen oder strategische Planung, bei denen sich weder alle Optionen erfassen noch Wahrscheinlichkeiten bestimmen ließen. Gigerenzer und seine Mitautoren betonen, dass die meisten realen Managementprobleme große Welten darstellen. Dennoch lehrten Wirtschaftshochschulen fast ausschließlich kleine-Welt-Modelle. Damit ignorierten sie die fundamentale Einsicht, dass rationales Handeln unter Ungewissheit etwas anderes bedeutet als mathematische Optimierung.

Der populäre Begriff VUCA (Volatilität, Ungewissheit, Komplexität, Ambiguität) wird seitens der Autoren als Beschreibung einer großen Welt neu interpretiert. Volatilität meine unvorhersehbare Veränderungen, Ungewissheit das Fehlen bekannter Zustände, Komplexität die Unlösbarkeit vieler Probleme und Ambiguität den Mangel klarer Wahrscheinlichkeiten. Die zentrale Botschaft des Kapitels lautet, dass Heuristiken keine Notlösungen seien, sondern Werkzeuge ökologischer Rationalität. Sie passten Denken und Entscheiden an die reale, unsichere Umwelt an. In großen Welten sei ein damit verbundenes Weniger oft mehr.

Der adaptive Werkzeugkasten ist das 3. Kapitel betitelt. Hier wird beschrieben, wie Menschen und Organisationen mit einer Vielzahl einfacher Entscheidungsstrategien ausgestattet seien, die je nach Situation flexibel eingesetzt würden. Die Autoren stellen mehrere Hauptkategorien solcher Heuristiken vor, die in bestimmten Umwelten besonders effektiv seien.

  • Wiedererkennungsheuristiken nutzten das Gedächtnis als Informationsfilter: Was bekannt sei, gelte oft als besser oder relevanter. Diese Regel funktionierte gut in stabilen, erfahrungsbasierten Kontexten.
  • Ein-Grund-Heuristiken träfen Entscheidungen, indem sie nur ein einziges entscheidendes Kriterium heranzögen, etwa beim „Take-the-best“-Prinzip, das das erste Unterscheidungsmerkmal nutze, das relevant erscheine. Solche Heuristiken sparten Zeit und Information, ohne Genauigkeit zu verlieren.
  • Gleichheitsheuristiken wie die 1/N-Regel verteilten Ressourcen oder Aufmerksamkeit gleichmäßig, wenn Datenunsicherheit groß sei.
  • Anspruchsniveauheuristiken hälfen, zufriedenstellende statt optimale Lösungen zu finden, indem Ziele definiert würden, die „gut genug“ seien.
  • Soziale Heuristiken leiteten Entscheidungen aus Vertrauen, Kooperation oder Reziprozität ab, was besonders in Teams, Netzwerken oder Verhandlungen nützlich sein könne.

Zentral für heuristisch geschicktes Handeln sei das Prinzip der ökologischen Rationalität. Eine Heuristik an sich sei werde „gut“ noch „schlecht“. Sie sei nur dann effektiv, wenn sie zur Umwelt passe. Komplexe Modelle könnten in stabilen, datenreichen Situationen überlegen sein. Einfache Regeln dagegen seien in dynamischen, unvorhersehbaren Umgebungen robuster und weniger fehleranfällig. Überdies gelte, dass komplexe Modelle zur Überanpassung an Vergangenes neigten, während einfache Heuristiken zwar gröbere, aber stabilere Entscheidungen ermöglichten. Das zu berücksichtigen erlaube es Führungskräften, situativ zu denken und passend intelligent zu entscheiden, meinen die Autoren.

Kapitel 4 ist mit Einstellen und entlassen überschrieben. Hier wird aufgezeigt, wie Heuristiken im Personalmanagement helfen können, bessere, schnellere und fairere Entscheidungen zu treffen. Personalentscheidungen von der Auswahl über Beurteilung bis zur Trennung seien hochgradig ungewiss, da weder zukünftige Leistung noch kulturelle Passung exakt vorhersehbar seien. Statt sich auf überkomplexe Punktesysteme, Interviews mit dutzenden Kriterien oder algorithmische Scorings zu verlassen, argumentieren die Autoren für einfache, transparente Regeln, die auf Erfahrung und ökologischer Rationalität beruhten.

Beispiele machten den Nutzen so eines Vorgehens deutlich. Elon Musk etwa verwende eine Einstellungsheuristik, die auf wenige Schlüsselfragen und Beobachtungen reduziert sei, etwa, ob jemand ein echtes Verständnis für Probleme zeige. Jeff Bezos nutze eine Entscheidungsstruktur mit wenigen Ja/Nein-Fragen, um rasch zu guten Einstellungsentscheidungen zu gelangen. Mit der Delta-Inferenz-Heuristik könnten Manager:innen zwischen zwei Bewerber:innen wählen, indem sie nur das Merkmal berücksichtigen, das sie am stärksten unterscheidet. Auch soziale Heuristiken spielten eine Rolle, sind die Autoren überzeugt. Vertrauen, Fairness und Reziprozität förderten nicht nur die Teamkohärenz, sondern wirkten auch diskriminierungsmindernd.

Transparente, regelbasierte Verfahren wie z.B. standardisierte Entscheidungsbäume verringerten Vorurteile und erhöhten die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen. Die Autoren widerlegen verbreitete Mythen wie die, dass mehr Interviews oder mehr Daten automatisch zu besseren Urteilen führten. Das sei mitnichten der Fall. Zu viele Informationen erzeugten Rauschen und förderten Bias statt Objektivität. Stattdessen brauche es für gute Personalarbeit klare, einfache Regeln und den Mut, Intuition und Erfahrung zuzulassen. Heuristiken sollten dabei nicht als primitive Vereinfachungen verstanden werden, sondern als intelligente Werkzeuge, die Effizienz, Fairness und Verantwortlichkeit im Personalmanagement steigerten, wenn sie reflektiert zur Anwendung kämen.

Strategie ist das Thema des 5. Kapitels. Hier übertragen die Autoren das Denken in Heuristiken auf den Bereich der Unternehmensstrategie. Strategische Entscheidungen fänden fast immer unter Ungewissheit statt, betonen sie. Neue Märkte, Innovationen oder Wettbewerbsdynamiken ließen sich kaum exakt vorhersagen. Komplexe Analysen und Prognosemodelle versagten hier oftmals, da sie häufig vergangenheitsorientiert und überangepasst seien. Stattdessen zeigen die Autoren, dass einfache strategische Regeln für Unternehmen oft hilfreicher seien, um sich erfolgreich anzupassen. Ein zentraler Gedanke dabei sei die Imitationsheuristik. Erfolgreiche Unternehmen kopierten bewährte Geschäftsmodelle oder Praktiken und passten sie leicht an. Dies sei ein Ansatz, der als innovative Imitation bezeichnet werde.

Beispiele aus Wirtschaft und Geschichte zeigten, dass viele Durchbrüche nicht aus radikaler Innovation entstanden seien, sondern aus kluger Nachahmung. Staaten wie Japan oder Südkorea, aber auch Firmen wie Samsung oder McDonald’s hätten imitierende Strategien häufig erfolgreich genutzt. Heuristiken helfen auch zu entscheiden, wann Nachahmung sinnvoll ist, sind die Autoren überzeugt. Frühe Marktteilnehmer („First Movers“) trügen hohe Risiken, während „Late Movers“ durch gezielte Imitation profitieren könnten. Einfache Regeln wie „Imitiere nur, wenn die Erfolgsbedingungen sichtbar und reproduzierbar sind“ schützten vor blindem Kopieren.

Der adaptive Werkzeugkasten strategischer Heuristiken umfasse Prinzipien wie „Wähle Märkte, in denen du bereits Kompetenzen hast“, „Diversifiziere gleichmäßig“ oder „Setze klare Abbruchregeln für Projekte“. Solche Heuristiken ermöglichten strategische Agilität, indem sie Komplexität reduzierten und Handlungsfähigkeit sicherten. Viele erfolgreich Strategien, z.B. in Start-ups oder Familienunternehmen, basierten auf einfachen Faustregeln und nicht auf ausgefeilten Plänen. Smarte Strategien seien nicht die komplexesten, sondern die ökologisch rationalsten. Erfolgreiches Management bedeute, die passende Heuristik für die jeweilige Umwelt zu wählen.

Kapitel 6 ist mit Innovation überschrieben. Behandelt wird hier, wie Unternehmen durch Heuristiken kreativer und erfolgreicher innovieren können. Innovation fände fast immer unter Ungewissheit statt, denn weder Marktreaktionen noch technologische Entwicklungen ließen sich vorhersagen. Komplexe Analysen und Businesspläne böten oft eine trügerische Sicherheit, schreiben die Autoren. Sie legen dar, warum große Innovationen oft von kleinen Start-ups kämen. Diese seien flexibler, mutiger und nutzten Heuristiken intuitiv, während Großunternehmen Risiken vermieden und zu viel planten. Ungewissheit werde in „jungen“ Unternehmern nicht als Bedrohung gesehen, sondern als Voraussetzung für Innovation verstanden. Wer alles vorhersagen wolle, verhindere Neues, so der Tenor. Verschiedene Innovationsheuristiken seien etwa die Folgenden:

  • „Fail fast, learn fast“: Schnell ausprobieren und früh aus Fehlern lernen, statt auf perfekte Planung zu warten.
  • „Keep it simple“: Komplexität vermeiden und sich auf wenige Schlüsselfunktionen oder Märkte konzentrieren.
  • „Copy – but improve“: Bestehende Ideen aufnehmen und besser machen, eine Form der innovativen Imitation.
  • „Use available resources“: Mit vorhandenen Mitteln improvisieren, statt auf ideale Bedingungen zu warten.

Auch beim Produktdesign sollten einfache Regeln gelten. Orientierung an klaren Nutzerbedürfnissen, Prototypen statt Theorien, Testen statt Spekulieren. Ein weiteres Prinzip ist den Autoren zufolge die „Weisheit der Vielen“. Durch Crowdsourcing, offene Innovationsplattformen oder kollektive Intelligenz entstünden oft bessere Lösungen als durch einzelne Expert:innen.

Verhandeln in der echten Welt ist der Titel des 7. Kapitels, in dem aufgezeigt wird, dass viele Lehrbücher Verhandlungen als rationale Prozesse mit komplexen Modellen, Strategiematrizen und Nutzenfunktionen. Darstellten, obgleich reale Verhandlungen selten berechenbar seien. Sie seien von Ungewissheit, Emotionen und sozialen Dynamiken geprägt. Die Autoren argumentieren, dass erfolgreiche Verhandler:innen intelligente Nutzer:innen von Heuristiken seien. Die Autoren beschreiben verschiedene Verhandlungsheuristiken:

  • Ankerheuristik: Das erste Angebot setzt einen psychologischen Bezugsrahmen.
  • Aspiration Level: Ein realistisches, aber ambitioniertes Ziel zu definieren, verbessert die Ergebnisse.
  • Tit-for-Tat: Kooperation erwidern, aber Ausnutzung sofort bestrafen – eine einfache Regel, die Vertrauen und Fairness fördert.
  • Take-the-best: In komplexen Situationen nur das entscheidendste Kriterium berücksichtigen.

Welche Heuristik erfolgreich sei, hänge vom Verhandlungskontext ab, da z.B. kulturelle Normen, Machtverhältnisse oder Informationsasymmetrien zu berücksichtigen seien. In stabilen, klaren Settings könne analytisches Kalkül funktionieren, in dynamischen, unvorhersehbaren Situationen seien Heuristiken hingegen fast immer überlegen. Anhand realer Beispiele zeigen die Autoren, dass erfolgreiche Verhandler Intuition und Erfahrung gezielt einsetzen. Sie dächten zumeist in einfachen Wenn-dann-Regeln statt in komplexen Gleichungen.

Kapitel 8 ist betitelt mit “Bessere Teams und Gemeinschaften“. Hier widmen sich Gigerenzer, Luan & Reb der Frage, wie Heuristiken zu erfolgreichem Teamwork und funktionierenden Organisationen beitragen. Die Autoren stellen mehrere Teamheuristiken vor, die auf empirischer Forschung und Praxisbeispielen beruhen. Sie beschreiben auch, wie Teams mit „faulen Eiern“ umgehen sollten. Statt auf aufwendige Evaluationssysteme zu setzen, reichten einfache, klare soziale Normen („Wer nicht beiträgt, fliegt raus“) oft aus, um Trittbrettfahren zu verhindern. In einem weiteren Abschnitt werden virtuelle und Crowdsourcing-Teams betrachtet, in denen direkte soziale Kontrolle fehle. Auch hier helfen Heuristiken, um Selbstorganisation und Motivation zu sichern.

Abschließend thematisieren die Autoren die „Tragödie des Allgemeinguts“: Wenn jeder nur seinen Vorteil suche, scheiterten Gemeinschaften. Smarte soziale Heuristiken wie Tit-for-Tat, Reziprozität und Fairness-Normen verhinderten kollektives Versagen, indem sie Kooperation stabilisierten. Erfolgreiche Teams sind keine Produkte komplexer Strukturen, sondern adaptiver Regeln – so ließe sich die Essenz des Kapitels zusammenfassen. Heuristiken ermöglichen soziale Intelligenz, sind Gigerenzer, Luan & Reb überzeugt. Sie machten Gruppen widerstandsfähig, gerecht und leistungsfähig, ohne Bürokratie oder übermäßige Kontrolle. Gute Führung beinhalte, die richtigen einfachen Regeln zu kultivieren, statt zu versuchen, alle Eventualitäten steuern zu wollen.

Der adaptive Werkzeugkasten der Führungskräfte ist der Titel des 9. Kapitels, in dem das Konzept der Heuristiken auf den Bereich der Führung und Entscheidungsfindung in Organisationen übertragen wird. Die Autoren geben zunächst einen Überblick über klassische Führungstheorien. Diese Modelle hätte laut Gigerenzer, Luan und Reb jedoch eine zentrale Schwäche: Sie unterstellten stabile, vorhersehbare Bedingungen. In der heutigen VUCA-Welt sei Führung aber vor allem Entscheidungsarbeit unter Ungewissheit. Der Werkzeugkasten der Führungsheuristiken umfasse daher einfache Prinzipien wie:

  • „Handle zuerst, analysiere später“ – schnelle Entscheidungen statt lähmender Perfektion.
  • „Höre auf dein Team, wenn Informationen verteilt sind“ – kollektive Intelligenz nutzen.
  • „Vertraue deiner Erfahrung, wenn Zeitdruck herrscht“ – Intuition als Wissensform.
  • „Plane nicht alles, aber sei vorbereitet“ – Flexibilität vor Kontrolle.

Diese Regeln seien heute rational, weil sie zu den Bedingungen passten, in denen Führungskräfte tatsächlich agierten. Die Autoren betonen anhand von Beispielen aus dem Management großer Projekte, dass einfache Entscheidungsbäume oder Stop-Regeln oft bessere Resultate lieferten als datengetriebene Großsysteme. Zum Ende des Kapitels fassen sie die Hauptvorteile heuristischer Führung zusammen: Effizienz, Transparenz, Flexibilität, Robustheit und Menschlichkeit. Erfolgreiche Führung bedeute demnach nicht, alles zu wissen, sondern die richtigen Heuristiken zu wählen – also situativ, einfach und entschlossen zu entscheiden. In einer unsicheren Welt sei das die wahre Form von Führungskompetenz.

Die Macht der Intuition steht im Fokus des 10 Kapitels. Hier widmen sich Gigerenzer, Luan und Reb der engen Verbindung zwischen Intuition und Heuristiken. Sie räumen mit dem verbreiteten Vorurteil auf, Intuition sei irrational oder unzuverlässig. Stattdessen schreiben sie, dass intuitive Entscheidungen auf unbewusster Anwendung von Heuristiken beruhten, also auf Erfahrung verdichteter Intelligenz. Besonders in komplexen, unvorhersehbaren Situationen, in denen Daten fehlten oder widersprüchlich seien, sei Intuition oft der effektivste Weg zu guten Entscheidungen.

Zunächst klären die Autoren, was Intuition nicht sei, nämlich kein mystisches Bauchgefühl oder spontanes Raten, sondern das schnelle Wiedererkennen relevanter Muster. Ein erfahrener Chirurg, Pilot oder Manager träfe Entscheidungen intuitiv, weil er über viele ähnliche Situationen verfügte, die sein Gehirn automatisch vergleiche. Diese „unbewusste Expertise“ mache Intuition zu einem verlässlichen Instrument. Zahlreiche Studien belegten denn auch, dass erfahrene Führungskräfte häufig intuitiv entschieden, dies aber nicht offen zugeben, da Intuition im Management oft als unprofessionell gelte. Diese „Angst vor dem Eingeständnis“ führe dazu, dass intuitive Entscheidungen im Nachhinein rationalisiert oder mit scheinbar objektiven Analysen gerechtfertigt würden.

Ein zentrales Beispiel dafür sei die Geläufigkeitsheuristik. Wenn eine von zwei Optionen vertrauter erscheine, werd sie oft als besser eingeschätzt – und erstaunlich oft liege man damit richtig. Solche Heuristiken erklärten, warum Intuition in unsicheren Umgebungen zu treffsicheren Urteilen führten. Betont wird, dass Organisationen Intuition oft durch Bürokratie, Angstkultur oder übermäßige Datenabhängigkeit systematisch blockierten. Dabei sei Intuition kein Gegensatz zur Analyse, sondern ihre Ergänzung. Sie liefere Orientierung, wenn Berechnung versage. Die Autoren schließen mit Einsteins Satz: „Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk und der rationale Verstand sein treuer Diener.“ Gute Führung heiße, beide zu vereinen. Intuition sei die höchste Form pragmatischer Intelligenz.

Kapitel 11 ist betitelt mit Smarte Entscheidungskulturen schaffen. Behandelt wird hier, wie Organisationen Strukturen und Denkweisen entwickeln können, die gute Entscheidungen systematisch fördern. Während frühere Kapitel individuelle Heuristiken fokussierten, geht es hier um die kollektive Ebene. Gefragt und beantwortet wird, welche Unternehmenskultur es ermögliche, in einer unsicheren Welt mutig, lernfähig und rational zu handeln. Die Autoren beginnen zwecks dessen mit einem Reality-Check: Zwischen der Rhetorik rationaler Entscheidungsfindung und der gelebten Praxis vieler Unternehmen klaffe eine Lücke, postulieren sie. In der Theorie betonten Manager:innen Objektivität und Datennutzung, in der Realität dominierten dagegen Angst vor Fehlern, politisches Kalkül und Absicherungsdenken. Dieses Umfeld erzeuge, was Gigerenzer, Luan und Reb „Fehlentscheidungskulturen“ nennen. Sie unterscheiden mehrere dysfunktionale Typen:

  • Rationalisierungskultur: Entscheidungen werden im Nachhinein mit Analysen legitimiert, statt durchdacht vorbereitet.
  • Absicherungskultur: Hauptziel ist, Risiken zu vermeiden, nicht Chancen zu nutzen.
  • Truthahn-Illusions-Kultur: Der Glaube, vergangene Stabilität garantiere zukünftige Sicherheit.
  • VUCA-Leugnungskultur: Man verdrängt Unsicherheit und überbewertet Kontrolle.

All diese Kulturen verhinderten Lernen und Innovation, weil sie Intuition und Verantwortung unterdrückten. Eine smarte Entscheidungskultur erkenne Ungewissheit an, nutze Heuristiken bewusst und erlaube es, Fehler als Lernquellen zu nutzen. Sie basiere auf Transparenz, Vertrauen und einer offenen Kommunikation über Entscheidungsprozesse. Führungskräfte förderten solche Kulturen, indem sie Entscheidungen sichtbar machten, Feedback einholten und Fehlermanagement systematisch etablierten.

Künstliche Intelligenz und psychologische Intelligenz werden im 12. Kapitel behandelt. Untersucht wird hier das Zusammenspiel zwischen technologischer und menschlicher Entscheidungsintelligenz. Die Autoren argumentieren, dass Künstliche Intelligenz (KI) enorme Rechenleistung besäße, aber nur in stabilen Welten wirklich zuverlässig funktioniere. In ungewissen Umgebungen bleibe der Mensch mit seiner Fähigkeit zu Intuition und Kontextverständnis unersetzlich. KI-Modelle beruhten auf der Annahme, dass die Zukunft der Vergangenheit ähnele. Wenn sich aber Bedingungen änderten, etwa durch Krisen, Marktumbrüche oder neue Technologien, versagten diese Systeme, weil sie keine „Out-of-Population“-Vorhersagen treffen könnten. Menschliche Heuristiken seien dagegen flexibel und anpassungsfähig. Anhand konkreter Beispiele zeigen die Autoren, wie KI und Heuristiken kombiniert werden können:

  • Kaufverhalten vorhersagen: KI kann Muster erkennen, doch heuristische Regeln helfen, untypisches Verhalten zu interpretieren.
  • Mitarbeitende auswählen: Algorithmen sortieren Bewerbungen, aber Menschen erkennen Motivation, Charakter und Passung besser – Dinge, die nicht messbar sind.
  • Kreditrisiken bewerten: Modelle können vergangene Trends abbilden, scheitern aber, wenn neue Marktbedingungen eintreten; einfache Heuristiken wie „verleihe nur, wenn du die Person kennst“ schützen vor Übervertrauen in Daten.

Heuristische Entscheidungsregeln seien nachvollziehbar und erklärbar, während viele KI-Systeme als „Black Boxes“ agierten. In Management und Gesellschaft sei Nachvollziehbarkeit aber wichtiger als maximale Rechenkomplexität. Die Autoren plädieren für eine Koexistenz von künstlicher und psychologischer Intelligenz. KI solle Routinen und Datenanalyse übernehmen, während Menschen Heuristiken und Intuition nutzen sollten, um mit Unsicherheit, ethischen Fragen und unvorhersehbaren Ereignissen umzugehen. Die Zukunft des Managements liege nicht im Ersatz, sondern im Zusammenspiel von KI und menschlicher Intuition. Die KI liefere Daten, der Mensch gebe ihnen Sinn.

Das letzte Kapitel ist mit Smarte Heuristiken lehren und lernen betitelt. Hier zeigen die Autoren auf, wie Wissen über Heuristiken in Bildung, Führung und Organisationen praktisch vermittelt werden kann. Sie kritisieren, dass Business Schools zwar viel über Zahlen, Modelle und Effizienz lehrten, aber kaum über den Umgang mit Ungewissheit. Studierende lernten, wie man „optimale“ Entscheidungen in stabilen Welten treffe, nicht aber, wie man in realen, komplexen Situationen mutig und klug handele. Gigerenzer, Luan und Reb fordern eine Neuausrichtung der Managementausbildung: Statt perfekter Rationalität solle das Verständnis für begrenzte Rationalität und situatives Entscheiden gefördert werden.

Dazu gehöre es, den „adaptiven Werkzeugkasten“ aus heuristischen Strategien zu lehren – also wann und warum einfache Regeln bessere Ergebnisse liefern. Die Autoren beschreiben drei zentrale Lernschritte:

  1. Heuristiken verstehen: Studierende sollen erkennen, dass einfache Regeln keine Notlösungen sind, sondern evolutionär bewährte Strategien.
  2. Heuristiken anwenden: Durch Simulationen, Fallstudien und Experimente lernen sie, welche Heuristik in welcher Umgebung funktioniert.
  3. Heuristiken auswählen: Entscheidend ist die „ökologische Rationalität“ – also die Fähigkeit, den Kontext zu analysieren und die passende Regel zu wählen.

Lernen geschehe durch Erfahrung, Feedback und Reflexion, nicht durch abstrakte Theorien. Führungskräfte müssten Räume schaffen, in denen Intuition und Experimentieren erlaubt seien. So könnten Organisationen eine „Lernkultur der Heuristiken“ entwickeln. Die Zukunft des Managementlernens liege nicht in mehr Daten oder Algorithmen, sondern in der Kultivierung von Entscheidungsintelligenz, sind die Autoren überzeugt. Wer lerne, einfach und flexibel zu denken, könne in einer unsicheren Welt besser führen.

Diskussion

Was lässt sich zu dem Buch nur sagen? Ist es überzeugend? Aus Sicht des Rezensenten lässt sich dazu Folgendes sagen:

Smart Management überzeugt durch seine konsequente Anwendung kognitionspsychologischer Erkenntnisse auf Managementprozesse, was in einer gut verständlichen Sprache dargelegt wird. Das Buch integriert Theorien der bounded rationality, ökologischen Rationalität, evolutionären Kognition und Entscheidungspsychologie in ein praxisnahes Modell. Statt Rationalität als universelle Norm zu definieren, verstehen die Autoren sie als relationale Eigenschaft: Eine Entscheidung ist rational, wenn sie in ihrer Umwelt funktioniert. Damit positioniert sich das Buch gegen normative Modelle der klassischen Ökonomie und gegen die statistische Überbewertung des „Mehr-ist-besser“-Paradigmas.

Besonders hervorzuheben ist der empirische Anspruch. Viele der vorgestellten Heuristiken sind experimentell überprüft und mathematisch modellierbar. Dadurch wird die Theorie nicht bloß metaphorisch, sondern testbar. Gleichzeitig betonen die Autoren, dass Managemententscheidungen nicht algorithmisch substituierbar sind, weil sie normative, emotionale und soziale Dimensionen enthalten. Die zentrale Botschaft lautet: Gute Entscheidungen entstehen nicht durch mehr Daten, sondern durch das Wissen, wann man aufhören sollte zu rechnen. Heuristiken sind keine „zweite Wahl“, sondern die eigentliche Form menschlicher Rationalität unter Ungewissheit. Im Vergleich zu herkömmlicher Managementliteratur wirkt Smart Management zugleich provokant und befreiend. Es fordert zum Umdenken auf: Weg von der Ideologie der Optimierung, hin zur Kunst des Weglassens.

Trotz seiner Klarheit ist das Buch aus Sicht des Rezensenten aber nicht frei von Schwächen. Zum einen ist zu betonen, dass der Anti-Komplexitätsdiskurs, der im Werk gepflegt wird, mitunter doch stark vereinfacht wirken kann. Zwar sind einfache Regeln oft effektiv, die sich im Buch wieder und wieder findende Betonung von „Weniger ist mehr“ kommt aber manchmal wie eine Geringschätzung analytischer Verfahren daher, die in bestimmten Umgebungen (z.B. Risikoanalyse, Produktionsoptimierung) durchaus angemessen sind. Zweitens bleibt der Begriff der ökologischen Rationalität theoretisch anspruchsvoll und empirisch schwer abzugrenzen.

Wann genau eine Umwelt „passend“ ist, bleibt interpretativ. Die Autoren liefern zwar zahlreiche Beispiele, aber kein formales Kriterium. Drittens wird die Rolle organisationaler Macht, Politik und Kultur nur am Rande behandelt. Heuristiken werden primär als kognitive Instrumente verstanden, weniger als soziale Praktiken, die in Machtkontexten wirken. Hier könnten interdisziplinäre Verbindungen zur Organisationssoziologie oder politischen Ökonomie das Modell vertiefen. Zu guter Letzt ist festzuhalten, dass das Werk enorm redundant ist, was aus didaktischer Sicht nicht schlecht sein muss, aber doch auffällt. Die Kernthese, dass Weniger in unübersichtlichen Welten oft mehr ist, wird mehrfach wiederholt und immer wieder anhand neuer Beispiele bestätigt. 

Trotz dieser Einwände ist der praktische Nutzen von Smart Management zweifellos beträchtlich. Das Buch gibt Führungskräften, Beratenden und Lehrenden anwendbare Denkwerkzeuge an die Hand. Es ermutigt, Entscheidungskompetenz als Fähigkeit zur Vereinfachung und Kontextanpassung zu verstehen und ist damit ein Gegenmodell zum datenfixierten Management. Summa summarum ist Smart Management ein bemerkenswertes Werk an der Schnittstelle von Psychologie, Ökonomie und Managementwissenschaft. Es bietet eine kognitive Wende im Managementdenken: Weg von der Illusion vollständiger Kontrolle, hin zu einer Anerkennung menschlicher Begrenztheit als Stärke. Das Buch trägt damit zur Re-Humanisierung des Managements bei.

Fazit

In einer Welt, die zunehmend von Datenflut, Unsicherheit und Beschleunigung geprägt ist, liefert Smart Management das intellektuelle Rüstzeug für eine neue Art von Management: reflektiert, intuitiv, resilient. Es ist ein Buch über das Entscheiden in der Realität – nicht im Modell.

Rezension von
Prof. Dr. Christian Philipp Nixdorf
Sozialwissenschaftler, Diplom-Sozialarbeiter/-pädagoge (FH), Sozial- und Organisationspädagoge M. A., Case Management-Ausbilder (DGCC), Systemischer Berater (DGSF), zertifizierter Mediator, lehrt Soziale Arbeit an der IU Internationale Hochschule in Braunschweig.
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ISSN 2190-9245