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Julia Hahmann, Kira Baresel et al. (Hrsg.): Gerontologie gestern, heute und morgen

Rezensiert von Prof. Dr. Fred Karl, 13.06.2025

Cover Julia Hahmann, Kira Baresel et al. (Hrsg.): Gerontologie gestern, heute und morgen ISBN 978-3-658-43167-9

Julia Hahmann, Kira Baresel, Marvin Blum, Katja Rackow (Hrsg.): Gerontologie gestern, heute und morgen. Multigenerationale Perspektiven auf das Alter (n). Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH (Wiesbaden) 2023. 2. Auflage. ISBN 978-3-658-43167-9.
Reihe: Vechtaer Beiträge zur Gerontologie.

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Thema

Der Titel „Gerontologie gestern, heute und morgen“ weckt hohe Erwartungen. Wird ein Überblick über den Stand der Alternswissenschaften – grundlagentheoretisch und angewandt – im Zeitverlauf gegeben? Dem Klappentext nach kommen Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Generationen mit der Pluralität ihrer Themen, Zugänge, Theorien und Methoden zu Wort.

Herausgeberschaften

Die drei Herausgeberinnen und der Herausgeber sind mittleren Alters und haben noch einige Karriereschritte vor sich. Julia Hahmann nimmt gegenwärtig eine Professur für Soziale Arbeit an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden wahr, Kira Baresel und Katja Rackow sind Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Gerontologie der Universität Vechta und Marvin Blum arbeitet bei der AWO integra GmbH Bremen.

Entstehungshintergrund

Es handelt sich um eine Festschrift anlässlich des 65. Geburtstags von Harald Künemund an der Universität Vechta, der dort eine Professur für Empirische Alternsforschung und Forschungsmethoden inne hatte. Der Sammelband ist in der Reihe der „Vechtaer Beiträge zur Gerontologie“ erschienen.

Aufbau und Inhalt

Das Werk ist in sechs Teile mit jeweils zwei bis drei Beiträgen gegliedert.

Im Kapitel 1 („Grundsätze in Frage gestellt“) überprüft Klaus R. Schroeter, wieweit Gerontologie bisher den Anspruch der Interdisziplinarität eingelöst hat. Er geht dabei auch auf die Geschichte der Gerontologie ein. Des Weiteren hinterfragt Kai Brauer den Sprachgebrauch am Beispiel von Begrifflichkeiten wie “Überalterung” und “Schrumpfung” und deren Auswirkungen auf das „Heimat“-Selbstverständnis im regionalen Kontext Kärntens.

Das Kapitel 2 („Generationen und Kohorten“) enthält drei Beiträge. Martin Kohli setzt sich grundsätzlich mit Konfliktlinien in alternden Gesellschaften auseinander und fragt nach dem Stellenwert der Kategorien Generation, Alter und Klasse. Der Musikgeschmack verschiedener sozialer Schichten wird von Ludwig Amrhein anhand von ALLBUS-Daten zu zwei Zeitpunkten analysiert. Der Beitrag von Marvin Blum behandelt das Zusammenleben (die Koresidenz) verschiedener Generationen und im Besonderen die Nutzung dieser Koresidenz bei älteren Aussiedlerinnen und Aussiedlern in Niedersachsen.

Im Kapitel 3 („Lebenslauf und Biographie“) werden von Kira Baresel mit dem Erkenntnisinteresse einer gesellschaftlichen Neugestaltung von Lebensläufen Erfahrungen mit Sabbaticals (aus Unternehmensperspektive) diskutiert. Julia Hahmann analysiert zwei weibliche Ehrenamts-Biographien aus der US-amerikanischen „Upper Class“ und rekonstruiert deren „Berufungen“ und Motive aus ihrer sozialen Herkunft.

Auch das Kapitel 4 („Erwerbstätigkeit und Rente“) enthält zwei Beiträge. Frerich Frerichs thematisiert das Altern in der Erwerbsarbeit. Er betont dabei die Wichtigkeit von lebenslanger Weiterbildung als bewusste Laufbahngestaltung. Uwe Fachinger beschäftigt sich mit Armutsvermeidung in den verschiedenen Systemen der finanziellen Alterssicherung, wobei er feststellt, dass die Kürzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht durch ergänzende Leistungen aus der betrieblichen und privaten Altersvorsorge aufgefangen werden können.

Im Kapitel 5 („Ehrenamt“) weist Claudia Vogel mit Daten mehrerer Durchgänge des Deutschen Alterssurveys (DEAS) nach, wie stabil im Zeitverlauf die Zusammenhänge zwischen Bildung, Gesundheit und sozialer Ungleichheit mit ehrenamtlichem Engagement in der zweiten Lebenshälfte ausfallen. Simone Scherger vergleicht Formen und Ausmaß freiwilligen Engagements mit dem Umfang und der Art bezahlter Erwerbstätigkeit im Rentenalter.

Im abschließenden Kapitel 6 mit der Überschrift „Methodische Reflexionen“ geht Daniela Schiek auf den Einsatz qualitativer Forschungsmethoden im Rahmen von Familieninterviews bei der Untersuchung von intergenerationeller Armutstransmission ein. Katja Rackow beschreibt Schwierigkeiten und Herausforderungen quantitativer Forschung im Ländervergleich bei der Auswertung von Daten des World Values Surveys, um dem Wertewandel in Ghana auf die Spur zu kommen.

Diskussion

Bei einer Festschrift anlässlich eines runden Geburtstags bzw. einer Pensionierung stellt das Wirken des zu ehrenden Jubilars das verbindende Glied dar. In einigen Beiträgen werden thematische, methodische oder persönliche Bezüge zu Harald Künemund angesprochen. Im Vorwort wird beschrieben, in welchem Arbeitszusammenhang die Autor/-innen zu ihm standen, etwa als sein Doktorvater an der FU Berlin, als Kolleginnen und Kollegen in Vechta bzw. im Vorstand der Sektion Altern und Gesellschaft der Deutschen Gesellschaft für Soziologie sowie als frühere wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen und Studierende.

Es ist die Crux von Sammelbänden, dass – bei nicht klar definierten Vorgaben – Beiträge eingereicht und angenommen werden, die nur in einem losen inhaltlichen Zusammenhang zum Arbeitstitel des Buchprojekts stehen. Diese Beiträge werden dann, so gut es geht, thematisch gegliedert und dem Ganzen wird abschließend ein übergreifender Titel verpasst. Im vorliegenden Fall wurde der verkaufsträchtige Titel „Gerontologie gestern, heute und morgen“ gewählt, der mehr verspricht als er einlösen kann. Der Band versammelt Themen aus der Soziologie und Sozialpolitik des Alter(n)s, es wird aber nicht das gesamte Spektrum der multidisziplinären Gerontologie abgebildet. Insofern ist der Titel irreführend, denn die in der deutschen Gerontologie lange Zeit dominierende Psychologie des Alterns bleibt außen vor. Auch beim Untertitel „Mehrgenerationale Perspektiven auf das Alter(n)“ kommt eine begriffliche und methodische Sorgfalt, die die Editor/-innen bei Harald Künemund gelernt haben sollten, nicht zum Tragen. Ist es zuviel verlangt, dass bei einem solchen Buchtitel der Generationenbegriff expliziert wird? Welche Generationen lassen sich unterscheiden? Gibt es auch Gerontolog/-innen-Generationen? Wenn ja, welche der Autor/-innen gehört welchen an? Eine sehr spannende Frage hierbei wäre das „Altern der Gerontolog/-innen“ – verschenkt. Also ins Notizbuch Forscherinnen und Forscher unterschiedlichen Alters: Habe ich schon reflektiert, ob das eigene Alter den Blick auf den Gegenstand beeinflusst?

Gleichwohl sind die im Band zusammengetragenen Einzelarbeiten theoretisch wie empirisch anspruchsvoll, manche Beiträge hätten jedoch eine Lektorierung hinsichtlich Lesbarkeit und Stringenz (die Beiträge differieren in Umfang von 16 bis 43 Seiten) verdient. Positiv hervorzuheben ist der prägnante Beitrag des ältesten Autors (Martin Kohli) – kein Gerontologe (von) gestern! –, der mit der unterschiedlichen Lebenserwartung je nach Schichtzugehörigkeit die zunehmende wachsende soziale Ungleichheit und damit eines der Hauptprobleme moderner Gesellschaften anspricht.

Fazit

Der Sammelband bearbeitet nicht das, was im Buchtitel „Gerontologie gestern, heute und morgen“ angekündigt wird – er ist weder ein sorgfältig editiertes Werk über die Gerontologie im 20. und 21. Jahrhundert, noch werden „mehrgenerationale Perspektiven auf das Alter(n)“ herausgearbeitet. Zur Gerontologie gehört auch wesentlich ein reflektierter Praxisbezug, in diesem Buch kommt jedoch die Altenarbeit und Altenhilfe, sei sie präventiv, bildend, rehabilitativ oder pflegend, nicht vor. Der Buchtitel mag sich gut im eigenen Publikationsverzeichnis machen, stellt aber eine Themaverfehlung dar.

Rezension von
Prof. Dr. Fred Karl
Fachgebiet Soziale Gerontologie an der Universität Kassel (im Ruhestand)
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Es gibt 5 Rezensionen von Fred Karl.

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ISSN 2190-9245