Lisa Jares (Hrsg.): Diversität im Sozialraum Kindertageseinrichtung
Rezensiert von Alexandra Großer, 14.10.2025
Lisa Jares (Hrsg.): Diversität im Sozialraum Kindertageseinrichtung.
Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2025.
220 Seiten.
ISBN 978-3-7799-8781-9.
D: 28,00 EUR,
A: 28,80 EUR.
Reihe: Die Kita im sozialen Raum.
Thema
In diesem Buch nehmen verschiedene Autor*innen das Thema Diversität im Sozialraum Kita in den Fokus. Die Autor*innen bieten einen breit gefächerten Einblick über die verschiedenen Aspekte von Diversität. Pädagogische Fachkräfte erhalten ein vertieftes Verständnis, Praxisimpulse sowie Handlungsempfehlungen, um eine inklusive Kita zu schaffen. Das Buch zeigt eindrücklich, dass Diversität eine wertvolle Ressource für Kinder darstellt. Es fordert pädagogische Fachkräfte zur Selbstreflexion sowie Analyse der Kitapraxis auf.
Autor:innen und Herausgeberin
Lisa Jares ist pädagogische Fachberaterin für Kindertageseinrichtungen, Chefredakteurin des frühpädagogischen Fachportals ErzieherIn.de sowie freie Fortbildnerin und Lehrbeauftragte in kindheitspädagogischen Studiengängen an verschiedenen Hochschulen.
Neben der Herausgeberin haben neun Autor*innen an dem Buch mitgearbeitet. Eingeflossen sind ihre unterschiedlichen Perspektiven aus ihren fachlichen Gebieten. Alle Autor*innen werden am Ende des Buchs vorgestellt.
Aufbau
In insgesamt neun Kapiteln beschäftigen sich unterschiedliche Autor:innen mit dem Thema Diversität im Sozialraum Kita.
Inhalt
1. Der Sozialraum Kita
Lisa Jares betont, dass Kitas „die Vielfalt und Diversität der Kinder berücksichtigen“ (S. 11) müssen, um „erfolgreiche Bildungsarbeit“ (ebd.) leisten zu können. In ihren Ausführungen erklärt sie zunächst den Sozialraumorientierten Ansatz. Im Anschluss zeigt sie auf, dass Kitas zum einen als eigener sozialer Raum gelten und zum anderen im sozial Raum ihres Umfelds integriert sind. In diesem Zusammenhang betont sie die „Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen Institutionen“ (S. 14), um die Ressource des sozial Raums optimal in die Bildungsarbeit einzubinden. Zugleich weist sie darauf hin, dass pädagogische Fachkräfte „eine räumlich-reflexive Haltung einnehmen“ (ebd.) müssen.
2. Diversität und Vielfalt im Sozialraum Kita
Carolin Ali-Tani geht zunächst auf die unterschiedlichen Begriffe ein, die sich im Zusammenhang von Diversität etabliert haben und oft synonym verwendet werden. Sie beschreibt die verschiedenen Strömungen und Schwerpunkte die mit dem Diversity-Ansatz einhergehen. „Im Elementarbereich hat sich der Inklusionsbegriff“ (S. 19) sowie der Diversitätsbegriff gefestigt. Sie hebt hervor, dass es sich bei Inklusion um einen Prozess handelt der alle Kinder und deren Bedürfnisse im Blick hat. Dies bedeutet, dass nicht die Kinder sich an das System Kita anpassen müssen, sondern die Kita sich an den individuellen Bedürfnissen der Kinder und deren Teilhabe in der Kita. Des Weiteren benennt die Autorin relevante Diversitätsmerkmale. Sie orientiert sich dabei am Modell von Gardenwartz und Rowe, welche vier Diversitätsdimensionen beschreiben. In diesem Kontext benennt sie ebenfalls die Diskriminierungsformen, die es zu erkennen gilt und abzubauen. Für den Umgang mit Diversität in der Kita empfiehlt Carolin Ali-Tani das individuelle Kind als auch dessen „familiären Hintergründe und Lebenswelten“ (S. 31) in den Blick zu nehmen. Nachfolgend beschreibt sie relevante Kompetenzen, die „eine diversitätsbewusste und diskriminierungsbewusste pädagogische Haltung“ (S. 38) ausmachen.
3. Inklusion im Sozialraum Kita: Konzepte und Erfahrungen zur inklusiven Bildung
Henning Rosenkötter erläutert zunächst die gesetzlichen Grundlagen, die für Kitas im Zusammenhang einer inklusiven Bildung relevant sind. Diese verbindet er praxisbezogen mit Zielen für die inklusive Arbeit in Kindertageseinrichtungen sowie für pädagogische Fachkräfte. Im Praxisteil zeigt der Autor Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder mit Behinderung auf. Mit Impulsen zum Sozialraum der Kinder und möglichen Kooperationspartner*innen, regt er zur Reflexion der eigenen inklusiven Praxis an und formuliert Praxisimpulse zu Themen und Projekten zur pädagogischen Umsetzung in der Kita.
4. Geschlechterbewusste Pädagogik im Sozialraum Kita
Silke Hubrig beschäftigt sich in ihrem Artikel mit der Vielfalt von Geschlechtern als auch den „unterschiedlichen Definitionen und Konzeptualisierungen von Geschlecht“ (S. 82). Sie zeigt mittels Studien auf, dass es zwischen Männern und Frauen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gibt und erläutert, weshalb weibliche und männliche Stereotypen in der Gesellschaft erhalten bleiben. Auch wenn mittlerweile die „traditionelle Vorstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit“ von jüngeren Generationen hinterfragt und Geschlechterrollen diversifiziert werden (vgl. ebd.). Im Fokus ihrer Ausführungen steht die die Entwicklung der Geschlechtsidentität nach dem kognitionspsychologischen Stufenmodell von Lawrence Kohlberg von Kindern im Kitaalter. Sie weist jedoch auch drauf hin, das Kohlbergs Theorie im historischen Kontext zu betrachten, dem damit die Berücksichtigung intergeschlechtlicher Identitäten fehlt. Auch wenn es für die geschlechtsbewusste Pädagogik viele Begrifflichkeiten gibt, beziehen sie alle „das Geschlecht der Kinder in alle pädagogischen Überlegungen und Handlungen ein. Dabei wird berücksichtig, dass Geschlecht sozial konstruiert ist und es mehr als zwei Geschlechter und Identitäten gibt“ (S. 93). Zu einer geschlechterbewussten Pädagogik gehört für pädagogische Fachkräfte die Reflexion und „Auseinandersetzung mit geschlechtsbezogenen Rollen, Normen und Werten sowie […] eigenen Geschlechtsidentität“ (S. 94) und Geschlechterstereotypen. Damit einhergeht die Kitaräume, Spielmaterialien, Medien, Angebote und Sprachgewohnheiten auf „geschlechtsspezifische Zuordnungen“ (S. 96) wie traditionelle Rollenbilder und Stereotypen zu analysieren und geschlechtersensibel zu gestalten als auch geschlechtsbewusst zu handeln.
5. Armutssensibles Handeln in der frühen Bildung
Irina Volf nimmt in ihrem Beitrag das Thema Armut und Armutssensibles Handeln in den Fokus. Zunächst differenziert sie zwischen „Armutsauslösern, Armutsursachen und -folgen“ (S. 112) bevor sie auf die verschiedenen Dimensionen von Armut eingeht. Während die Bekämpfung von Armutsursachen eine Aufgabe auf politischer Ebene ist, sieht sie die Reduzierung von Armutsfolgen als eine Aufgabe von pädagogischen Fachkräften. „Armutssensibilität stellt dabei eine Voraussetzung für Armutsbekämpfung dar“ (S. 118). Irina Volf unterteilt das Armutssensiblen Handeln in zwei Bereiche. Einmal mit dem Fokus auf das Kind und einmal mit dem Fokus auf die Einrichtung. Ihre nachfolgenden Betrachtungen beziehen sich auf die Armutssensibilität als Kompetenz pädagogischer Fachkräfte mit dem Fokus auf das Kind. Armutssensibles Handeln mit dem Blick auf das Kind richtet sich an drei Bereichen aus: Wissen, Haltung und Handeln. Im Bereich Wissen werden Informationen zum Kind, seinem sozialen Umfeld und Lebensumständen gesammelt. Im Bereich Haltung reflektieren pädagogische Fachkräfte ihre Haltung, Rolle und Einstellung gegenüber dem Kind. Im Bereich Handeln analysieren und entwickeln pädagogische Fachkräfte Handlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten für das Kind und seine Familie. Mittels eines Praxisbeispiels mit Aufgaben und Fragen führt sie die drei Aspekte weiter aus.
6. Kulturelle und sprachliche Vielfalt im Sozialraum Kita
Agnes Steinmetzer, Tina Czada, Anna Heinrich befassen sich in ihrem Artikel mit der kulturellen und sprachlichen Vielfalt in Kindertageseinrichtungen. Zunächst definieren sie den Begriff Kultur, für den es keine einheitliche Definition gibt. Wesentlich für den frühpädagogischen Bereich ist die Familienkultur. Familienkulturen sind aufgrund ihrer vielfältigen Einflüsse, wie beispielsweise Gewohnheiten, Traditionen, Einstellungen Erfahrungen, Sprachen, Religion, Werte und mehr, individuell. Selbst die Kultur einer Kita kann von Gruppe zu Gruppe variieren. Kulturen sind stetig im Wandel. Zunächst nehmen die Autorinnen die kulturell geprägte Perspektive des Einzelnen in den Fokus, erweitern diese auf die Teamebene und anschließend auf die Organisation, die sie mit Impulsen zum Reflektieren und Umsetzen bereichern. Nachfolgend nehmen sie die sprachliche Vielfalt in der Kita unter die Lupe (vgl. S. 152). Die Autorinnen stellen fest, dass „Mehrsprachigkeit […] vielfältig“ (S. 153) ist, wie die Definition von Chilla und Niebuhr-Siebert zeigt, auf die sie sich beziehen. Agnes Steinmetzer, Tina Czada, Anna Heinrich fordern dazu auf, sich mit Sprachideologien auseinanderzusetzen, wenn es darum geht Kitas „sprachlich inklusiv“ (ebd.) zu gestalten. Sie empfehlen diverse Maßnahmen, um sich im Team mit Mehrsprachigkeit in der Kita auseinanderzusetzen und zu reflektieren. Mit dem Ziel „eine diversitätssensible Haltung zur Sprache zu fördern“ (S. 156). Die Autorinnen ermutigen pädagogische Fachkräfte Mehrsprachigkeit im Team als auch die der Kinder im Alltag in verschiedenster Weise einzubeziehen. Der Umgang mit Mehrsprachigkeit sollte auf institutioneller Ebene im Leitbild verankert werden. Im Anschluss erfahren pädagogische Fachkräfte, wie sie die Familiensprachen in der Kita einbeziehen können.
7. Umgang mit Vorurteilen und Diskriminierung im Sozialraum Kita
Sandra Richter zeigt mit ihrem Beitrag, dass Benachteiligung und Diskriminierung in Kindertageseinrichtungen bei pädagogischen Fachkräften und Leitungen noch immer vorhanden sind. Außerdem stellt sie fest, dass der Umgang mit Vorurteilen und Diskriminierung in den Kitas sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Während die einen sich „klar positionieren und Antidiskriminierung als Grundlage ihrer Arbeit verankern“ (S. 165) gibt es andere, die das Thema versuchen zu vermeiden. Die Gesetzeslage, so ihr Hinweis, ist hier eindeutig und spricht sich gegen Diskriminierung und Benachteiligung aus. Sandra Richter erläutert zunächst was Vorurteile, Stereotype und Diskriminierung sind und wie sich diese auswirken, bevor sie auf die Möglichkeiten eingeht, die Kitas haben mit Diversität sowie Diskriminierung umzugehen als auch diskriminierungsbewusst zu arbeiten. In ihre Überlegungen bezieht sie den Ansatz der vorurteilsbewussten Bildung und Erziehung ein und formuliert Ziele für pädagogische Fachkräfte, für die Arbeit mit den Kindern und Familien sowie für Leitungen. Praxisnah und mit Impulsen vermittelt sie Teams eine machtbewusste und diskriminierungskritische Haltung als auch die Lernumgebung in der Kita diskriminierungsbewusst zu gestalten. Am Ende ihrer Ausführungen geht sie auf die zunehmenden diskriminierenden Entwicklungen in der Gesellschaft ein, die inzwischen auch in Kindertageseinrichtungen zu finden sind. Sie fordert nochmals auf klar Position zu beziehen, das Schweigen zu brechen und für Vielfalt und den „Schutz vor Diskriminierung“ (S. 194) einzutreten. Denn „Antidiskriminierung ist aktiver Kinderschutz“ (S. 172).
8. Kita- Sozialarbeit – als Möglichkeit der Vielfalt im Kita-Sozialraum zu begegnen
Lara Sielaff stellt in ihrem Aufsatz die Kita-Sozialarbeit als niedrigschwelliges Beratungs- und Unterstützungsangebot für Familien und pädagogische Fachkräfte vor. Sie erläutert deren Ziele und Aufgaben. Wesentliches Ziel ist, der strukturellen Benachteiligung entgegenzuwirken und Chancengleichheit aller Familien zu fördern (vgl. S. 206).
9. Perspektiven für eine ganzheitliche Diversitätsarbeit in Kindertageseinrichtungen
Lisa Jares führt in ihrem Beitrag aus, wie pädagogische Fachkräfte eine diversitätsbewusste Pädagogik im Alltag verankern sowie „ein diversitätsbewusstes Konzept“ (S. 214) entwickeln. Neben dem Alltag mit den Kindern nimmt sie die Zusammenarbeit mit Kooperationspartner*innen und Eltern in den Fokus. Praxistipps geben Impulse für die systematische Weiterentwicklung diversitätsbewusster Pädagogik.
Fazit – Herausforderungen und Chancen von Diversität im Sozialraum Kita
Lisa Jares ermutigt in ihrem Fazit pädagogische Fachkräfte Diversität als Chance und Ressource für ihre pädagogische Arbeit anzunehmen und als „Teil der Identität von Kitas“ (S. 217) zu akzeptieren. Dazu gehört es eine diversitätsbewusste Haltung zu entwickeln, sich weiterzubilden und „ein Umfeld zu schaffen in dem alle Kinder als gleichwertig angesehen werden“ (ebd.) und sich wohlfühlen.
Diskussion
Die Autor*innen bieten einen umfassenden Einblick in das Thema Diversität in Kindertageseinrichtungen. Sie zeigen praxisnah, wie pädagogische Fachkräfte diesem Thema nähern und in ihrer Praxis umsetzen können. Neben konkreten praktischen Impulsen für die pädagogische Arbeit, erhalten die Leser*innen vertiefte theoretische Grundlagen. Dieses Buch macht deutlich Diversität in Kitas ist mehr als kulturelle Vielfalt. Die Autor*innen zeigen praxisnah, wie pädagogische Fachkräfte eine diversitätsbewusste und inklusive Pädagogik in der Kita verankern. Immer wieder zeigen sie, dass Inklusion und Diversität eine Haltung und ein dynamischer Prozess ist. Deutlich wird auch, dass Diversität und Teilhabe ein Bildungsauftrag ist, den Kitas zu erfüllen haben. Dazu gehört die eigene Praxis und Haltung zu reflektieren, zu überprüfen, zu verändern, weiterzuentwickeln. Die Autor*innen zeigen, wie wichtig es ist, dass Kindertageseinrichtungen sich im Sozialraum mit anderen Kooperationspartner*innen zu vernetzen, als auch die Kita für Beratungsangebote zu öffnen, um diesem Bildungsauftrag auf allen Ebenen gerecht zu werden.
Fazit
Das Buch zeigt sehr differenziert auf, was unter Diversität zu verstehen ist. Es gibt pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen vielfältige Methoden an die Hand, sich mit dem Thema Diversität im Team und der Kita auseinanderzusetzen und eine diversitätsbewusste Pädagogik zu verankern.
Rezension von
Alexandra Großer
Fortbildnerin, päd. Prozessbegleiterin, systemische Beraterin
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