Manfred Isemeyer (Hrsg.): Wofür es sich zu streiten lohnt
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 12.06.2025

Manfred Isemeyer (Hrsg.): Wofür es sich zu streiten lohnt. Humanismus : 120 Jahre Engagement für Aufklärung, Menschenrechte und Humanität.
AG SPAK Bücher
(Neu Ulm) 2025.
293 Seiten.
ISBN 978-3-945959-75-6.
D: 25,00 EUR,
A: 25,00 EUR,
CH: 25,00 sFr.
Reihe: Arbeitsgemeinschaft Sozialpolitischer Arbeitskreise: Materialien der AG SPAK - M 372.
Thema
Frieden ist der Anfang aller Menschlichkeit. „Wir müssen (…) lernen, einander zuzuhören, andere Meinungen zu respektieren und auch im Sinne des großen demokratischen Ganzen zu akzeptieren, dass sich die eigene Sicht der Dinge nicht immer durchsetzen kann“ (Manuela Schmidt).
Entstehungshintergrund und Herausgeber
FreidenkerInnen und freie WeltanschauungsdenkerInnen sind überzeugt, dass „Frieden (..) nicht Abwesenheit von Krieg, (sondern) eine Tugend, eine Geisteshaltung, eine Neigung zu Güte, Vertrauen, Gerechtigkeit (ist)“ < Spinoza>. Im gesellschaftlichen Diskurs gibt es immer wieder Initiativen, diese Einstellungen zu propagieren und in das Bewusstsein der Menschen zu bringen. Der „Humanistische Verband“ (HVD) in Deutschland ist historisch und gesellschaftspolitisch aus vielfältigen, freidenkerischen Aktivitäten entstanden. Der Politologe und Pädagoge Manfred Isemeyer, Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender des HVD Berlin-Brandenburg, legt einen Sammelband vor, in dem auf „120 Jahre Engagement für Aufklärung, Menschenrechte und Humanität“ zurückgeschaut wird und Perspektiven für die Gegenwart und Zukunft visioniert werden.
Aufbau und Inhalt
Neben dem Geleitwort der Präsidentin des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg und der Einführung in die Thematik durch den Herausgeber wird die Studie in drei Bereiche gegliedert. Im ersten werden „Historische Quellen und aktuelle Herausforderungen des Humanismus und Freidenkertums“. Im zweiten geht es um die „Entstehung von freireligiösen, ethischen und freidenkerischen Oppositionsbewegungen im 19. Jahrhundert“. Im Dritten über die „Geschichte und Aktualität des Humanistischen Verbandes“. Der Philologe (em.) Hubert Cancik dokumentiert in einer dokumentierten Zeittafel „Historische Quellen und aktuelle Herausforderungen des Humanismus und Freidenkertums“. Es sind die Lessing‘schen monotheistischen Ringe – Judentum, Christentum, Islam – die zur Toleranz und Friedfertigkeit auffordern. Der Leipziger Religionswissenschaftler Horst Junginger setzt sich mit dem Beitrag „Die Quellen des Freidenkertums“ mit den historischen, kulturellen. philosophischen und ideellen Entwicklungen lokal und global auseinander. Der Berliner Philosoph, Politik- und Literaturwissenschaftler Ralf Schöppner analysiert mit dem Beitrag „Selbstbestimmung, Verantwortung, Pluralismus und Sinn“, mit Hinweis auf den römischen Denker Marcus Tulius Cicero, die bedeutenden Begrifflichkeiten und Entwicklungen. Es sind Optimismus und Hoffnung, die die Lebenshaltung ermöglicht: „Heitere Melancholie ist das ‚trotz allem‘ menschlicher Lebensfreude“. Der Philosoph und Rektor der Humanistischen Hochschule Berlin, Julian Nida-Rümelin, stellt fest: Humanismus in der Krise der Demokratie“. Er zeigt die Entwicklungen und Wirkungen auf, die sich für die conditio humana auftun, und er ruft zu einem „erneuerten kosmopolitischen Humanismus“ auf.
Der Journalist und Autor Carsten Frerk setzt sich als Leiter der Forschungsgruppe „Weltanschauungen in Deutschland“ und Chefredakteur des Humanistischen Pressedienstes mit dem Beitrag „Konfessionsfreie in Berlin 1864 – 2023“ mit der Geschichte des Freidenkertums auseinander. Interessant und bemerkenswert, so ergaben die vier Volkszählungen in der Nachkriegszeit, dass in West-Berlin immerhin rund 15 % der Bevölkerung konfessionsfrei waren und sich die Entwicklung bis heute verstärkte. Der Freiburger Historiker und Archivar Olaf Schlunke zeigt mit „Kissing Cousins?“ die freireligiösen, ethischen Freidenkerbewegungen auf. Es waren immer einzelne Persönlichkeiten, die eine Trennung von Staat und Kirche wollten und sich damit auseinandersetzten. Der Kulturwissenschaftler und Direktor der Humanistischen Akademien in Deutschland, Horst Groschopp, dokumentiert die Entwicklung der „Humanistischen Gemeinde Berlin“ und zeigt in einer Zeittafel von 1841 bis 2013 die vielfältigen Aktivitäten auf.
Manfred Isemeyer leitet mit dem Beitrag „Freidenker und Feuerbestattung in Deutschland“ den dritten Teil des Sammelbandes ein. Religiöse und politische Verläufe und Widerstände trugen dazu bei, dass sich die Freidenkerbewegung von der „Hilfskasse“ zur „Weltanschauungsgemeinschaft“ entwickeln konnte. Die Leipziger Religionswissenschaftlerin Katharina Neef thematisiert „Die Freidenkerbewegung in der Weimarer Republik“. Sie stellt eine sozialdemokratische und kommunistische „Politisierung des Freidenkertums“ fest, die durch den Nationalsozialismus abrupt zum Ende kam. Der Politologe Michael Schmidt verdeutlicht mit „Verfolgung und Widerstand“ die Aktivitäten und Leiden der sozialistischen Freidenkerbewegung unter dem Nationalsozialismus. In Porträts erinnert er an Widerständler und Freiheitskämpfer, und an deren Verdienste beim Wiederaufbau des DFV nach dem Krieg.
Manfred Isemeyer stellt, unter Mitarbeit des Historikers und Archivars Olaf Schlunke, die „Organisationsgeschichte des Berliner Freidenker-Verbandes nach 1945“, dar. Zahlreiche Quellenmaterialien und Faksimile-Dokumente verweisen auf die nationale und internationale Aufbruchstimmung „vom freidenkerischen zum humanistischen Selbstverständnis“. Der Berliner Historiker Eckhard Müller informiert über die „Gründung des Verbandes der Freidenker der DDR (1988 – 1990) von oben“. Die Kirchenpolitik der DDR war bestimmt von Repression und Dialog. Es war der diktatorische, ideologische Umgang mit Andersdenkenden, der staatspolitische Einflüsse erzwang. Der Berliner Historiker und Politikwissenschaftler Siegfried Heimann fragt: „Wo ist der Unterschied?“, nämlich zwischen „Politbüro-Gründung (des Verbandes der Freidenker der DDR) versus Stasi-Gründung“. Die Antwort ist klar: Beide exekutieren die Staatssicherheit der DDR. Der Pädagoge Bruno Osuch spricht von der „Humanistische(n) Wende“, indem er die Entwicklung vom Deutschen Freidenker-Verband zum Humanistischen Verband Deutschland (HVD) aufzeigt. Es sind die politischen, gesellschaftlichen, ökonomischen und ökologischen Veränderungsprozesse, die einen Perspektivenwechsel hin zur humanistischen Identität der Menschheit erfordern. Die Bibliothekarin und Redakteurin Patricia Block fragt mit dem Beitrag „Vom Nischenangebot zum Dauerbrenner“ nach der Entwicklung des Humanistischen Lebenskunde-Unterrichts in Berlin und Brandenburg nach 1945. Obwohl es schwierig war, das Schulfach Humanistische Lebenskunde durchzusetzen, beruft sich der HVD weiterhin auf das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
Neben dem Orts- und Personenregister und dem AutorInnenverzeichnis werden im Abbildungsverzeichnis die zahlreichen Fotos, Faksimile und Zeitungsausschnitte ausgewiesen.
Diskussion
Der Gedanke ist auch Bestandteil der globalen Arbeit der UNESCO. In deren Verfassung kommt zum Ausdruck: „Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden“. In der „Erklärung von Yamoussoukro“ (1989) wird Frieden im Denken und Handeln der Menschen deklariert als „Ehrfurcht vor dem Leben, als das kostbarste Gut der Menschheit, mehr als das Ende bewaffneter Auseinandersetzungen, als tiefverwurzelte Bindung an die Prinzipien der Freiheit, der Gerechtigkeit und der Solidarität zwischen allen Menschen und als eine harmonische Partnerschaft von Mensch und Umwelt“ [1].
Fazit
Die Forschungsarbeit und Chronik der Geschichte und Wirkung des Humanistischen Verbandes Berlin-Brandenburg ist Rückblick, aktuelle Bestandsaufnahme und Zukunftsvision. Sie ist notwendig angesichts des kakophonen Zustandes, dass ego-, ethnozentristische, rassistische, faschistische und populistische Entwicklungen weltweit zunehmen – und global lediglich 3,5 % der Weltbevölkerung in zivilgesellschaftlichen Staaten leben, die ihren Bürgerinnen und Bürgern ein freiheitliches Leben ermöglichen [2].
[1] Deutsche UNESCO-Kommission, Internationale Verständigung, Menschenrechte und Frieden als Bildungsziel, Bonn 1992, S. 39
[2] Brot für die Welt, Atlas der Zivilgesellschaft, 2025
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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