Thomas Stockhausen: Grundwissen Chronisches Schmerzsyndrom
Rezensiert von Prof. Dr. med. et Dr. disc. pol. Andreas G. Franke, 19.06.2025

Thomas Stockhausen: Grundwissen Chronisches Schmerzsyndrom. Sozialmedizinische Perspektive. UTB (Stuttgart) 2025. 215 Seiten. ISBN 978-3-8252-6481-9. D: 27,90 EUR, A: 28,70 EUR, CH: 35,60 sFr.
Thema & Zielsetzung
Der Titel des Buches gibt bereits unmissverständlich Auskunft über das Thema: Es geht um chronische Schmerzen, an denen viele Menschen leiden und deren Präsenz oft erhebliche Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Betroffenen hat.
Der Autor richtet mit seinem Buch an alle, die im professionellen Kontext mit chronischen Schmerzen zu tun haben bzw. mit Patienten oder Klienten, die an chronischen Schmerzen leiden. Chronische Schmerzen sollen den Lesenden im sozialmedizinischen Kontext nähergebracht werden, um Verständnis für die Betroffenen zu erlangen und kompetent mit Letzteren umgehen zu können.
Herausgeber bzw. Autor:innen
Prof. Dr. med. Thomas Stockhausen ist Facharzt für Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Spezielle Unfallchirurgie und Notarzt und Chefarzt der Abteilung Orthopädie im Klinikzentrum Lindenallee in Bad Schwalbach und zudem Honorarprofessor im Fachbereich Wiesbaden an der Business School der Hochschule RheinMain (HSRM). Dort lehrt er im Studiengang Gesundheitsökonomie.
Viele Jahre war er an Kliniken in Rüdesheim und Idstein in leitenden Funktionen tätig, bevor er Chefarzt am Klinikzentrum Lindenallee Bad Schwalbach wurde.
Entstehungshintergrund/​Vorgeschichte
Zwar wird kein expliziter Entstehungshintergrund bzw. keine explizite Vorgeschichte benannt; allerdings weist der Autor gleich zu Beginn des Buches darauf hin, dass ca. 1/5 bis ¼ der (deutschen) Bevölkerung unter langanhaltenden oder chronischen Schmerzen leidet, die im Alltag durchaus zermürbend sind und die Betroffenen einsam machen. Die Präsenz chronischer Schmerzen ist somit nicht nur häufig und damit epidemiologisch bedeutsam, sondern bedeutet auch ein „Leben mit dem Leiden“.
Aufbau & Inhalt
Das Buch gliedert sich nach einem Abkürzungs- und Inhaltsverzeichnis in einen Prolog, einen kurzen Abriss über „Wissenswertes zum Chronischen Schmerzsyndrom“ und darauf folgend in Teil drei über „Chronische Schmerzen verstehen“, „Die sozialmedizinische Dimension erkennen“ und „Mit chronischen Schmerzen leben“. Am Ende folgen noch ein kurzer Epilog sowie ein Stichwortregister. Überall finden sich anschauliche Fallgeschichten, die den Inhalt sehr gut illustrieren und plastisch machen, was der Autor theoretisch ausführt. Darüber hinaus findet der Leser übersichtliche Tabellen, farbige Schaubilder und Schemata, etc., um den Inhalt des Buches besser zu vermitteln.
Der Prolog definiert den Begriff der chronischen Schmerzen, ordnet ihn kurz epidemiologisch ein und stellt den Aufbau bzw. die Aufteilung des Buches kurz dar.
Das darauf folgende (vorbereitende) Kapitel über „Wissenswertes zum Chronischen Schmerzsyndrom“ stellt klar, dass alle Lebensbereiche von vorhandenen chronischen Schmerzen betroffen sind und dass das Phänomen somit eine ganzheitliche Bedeutung hat.
Teil I des Buches über „Chronische Schmerzen verstehen“ hat wiederum zwei Teile, die sich zunächst (Kap. 1) allgemein mit Schmerzen und dann (Kap. 2) spezifischer mit Rückenschmerzen beschäftigen. In Kap. 1 wird zunächst eine neurophysio- und neuropathologische Grundlage gelegt. Darauf basierend werden die Sensibilisierung und die Schmerzspiralen thematisiert, ohne zu fachspezifisch zu sein. Primär werden hier Schmerzarten erläutert. Mit Kap. 2 widmet sich der Autor dann der Schmerzlokalisation am/im Rücken (Rückenschmerzen). Dabei thematisiert er als wesentlichen (Schmerz-) Faktor die Wirbelsäule mit den damit assoziierten anatomischen Strukturen. Darüber hinaus werden Schmerzskalen und Schmerzmittel angesprochen; auch der Einsatz von Cannabis (Medizinalhanf) wird nicht ausgespart. Abgesehen davon werden andere therapeutische Mittel m.o.w. ausführlich thematisiert (Injektionstherapie, Stimulationsverfahren, chirurgische Verfahren).
Nach dieser Einführung wendet sich der Autor im zweiten Teil des Buches der sozialmedizinischen Dimension des Themas zu. In Kapitel drei wird das „Biopsychosoziale[s] Krankheitsmodell“ eingeführt. Dies wird in die „Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit“ (ICF) eingeordnet. Dem wird zunächst die „International Classification of Diseases“ (ICD) gegenüber gestellt. Hier werden zunächst die (An-) Teil des ICF dargestellt und erklärt; dabei werden mehrere Beispiele und Fallkonstellationen zur Illustration benutzt. Schließlich wird das Konzept der ICF auf die Endoprothetik angewendet. Im Anschluss wird die Relevanz der (verbliebenen) Fähigkeiten ausgeführt.
Im Zuge der COVID-19-Pandemie wird im vierten Kapitel die „Erschöpfung“ thematisiert. Hier werden verschiedene Begrifflichkeiten benutzt und näher beleuchtet (Fatigue Müdigkeit und Erschöpfung), um im folgenden Unterkapitel die physische Ausdauer zu thematisieren. Auch das Burnout-Syndrom bleibt in diesem Kapitel nicht ausgespart, sondern wird explizit „unter die Lupe genommen“. Im Anschluss macht der Autor kurz einen Ausflug auf das Gebiet der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Schließlich schwenkt er auf nicht-pathologisch besetzte Begriffe wie das „Zeitmanagement“ um und führt dabei verschiedene dafür (sozialmedizinisch) relevante Aspekte und lösungsorientierte Ansätze um (Prokrastination, Zielformulierung, Prioritätenliste, etc.). Auch der Begriff der „Entschleunigung“ wird vom Autor näher betrachtet. All das geschieht aber unter ständiger Betrachtung des Themas des Buches (chronische Schmerzen).
Das nächste, größere Kapitel 5 widmet Stockhausen dem „Schlaf“. In Deutschland seien, so der Autor, ca. sechs Millionen Menschen von chronischen Schlafstörungen betroffen. Zu diesem Thema liefert Thomas Stockhausen zunächst physiologische Grundlagen, um dann auf die sozialmedizinische Dimension bzw. das heutige sozialmedizinisch relevante Problem des Schlafes zu sprechen zu kommen: Schichtarbeit. Direkt im Anschluss liefert Prof. Stockhausen Lösungsvorschläge in Form der kognitiven Verhaltenstherapie und der medikamentösen Behandlung, benennt aber auch das Problem der Tagesschläfrigkeit. Ähnlichkeit geht er mit dem Thema der „Einsamkeit“ im sechsten Kapitel vor.
Kapitel sieben widmet sich dann der „Leistungsbeurteilung“ als zentraler Kategorie der Sozialmedizin bzw. der sozialmedizinischen Beurteilung. Hier greift Professor Stockhausen auf verschiedene zentrale Aspekte des sozialmedizinischen Leistungsbildes (Belastung, Beanspruchung, Arbeitsunfähigkeit, Wegefähigkeit, Leistungsvermögen, Erwerbsminderung, etc.) zurück und erklärt und betrachtet diese genauer. Am Ende wendet sich der Autor dem Aspekt der Rückkehr in das „Leben“ (Return to life) zu. Hier reißt er verschiedene sozialmedizinische Methoden/Maßnahmen an, wie beispielsweise die Wiedereingliederung, Umgestaltung/​Anpassung von Arbeitsplätzen und Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben.
„Mit chronischen Schmerzen leben“ steht im Fokus des dritten Teils des Buches. Diesen beginnt Stockhausen mit Ausführungen über die „Orthopädische Rehabilitation“. Diese unterzieht er einem Faktencheck und widmet sich den (Unter-) Aspekten der Zuweisung, der sozialen (Un-) Gleichheit sowie dem Placeboeffekt. Die multimodale Schmerztherapie nimmt erwartungsgemäß den größten Teil des achten Kapitels ein. Aber auch die Thematik der Schmerzprävention wird keineswegs unterschlagen. Neben der orthopädischen Rehabilitation werden auch die Anschlussrehabilitation sowie die medizinisch-berufliche Rehabilitation thematisiert. Im Anschluss daran wird die generelle Rehabilitation eklektisch angerissen. Schließlich werden von Professor Stockhausen Perspektiven beispielsweise im Hinblick auf Assistenzsysteme, individuelle Herausforderungen und gesellschaftliche Aufgaben aufgezeigt.
Zielgruppe
Die Zielgruppe des Buches wird bereits im Prolog vom Autor klar benannt: Das Buch richtet sich explizit an all diejenigen, die im professionellen Kontext mit Patienten/​Klienten mit chronischen Schmerzen zu tun haben. Der Autor benennt explizit Studierende der Gesundheits- und Pflegewissenschaften sowie angrenzende Professionen. Dabei zielt er zunächst darauf ab, ein Verständnis für die Betroffenen zu erwirken und ihre Symptome in den sozialmedizinischen Kontext einzuordnen.
Diskussion
Das Buch von Professor Stockhausen erlaubt einen kleinen Einblick in die Welt des chronischen Schmerzes aus sozialmedizinischer Perspektive. Dies wird im (Unter-) Titel des Buches bereits deutlich dargelegt. Das Buch liefert aber deutlich mehr als „nur“ die sozialmedizinische Perspektive, sondern streift vielmehr auch nicht sozialmedizinische Aspekte. Dazu gehören die neurophysiologische, die neuropathologische Perspektive, aber genauso eine psychische bzw. psychologische und soziale Dimension. Somit bietet das Buch weitaus mehr als nur die Ein- oder gar Unterordnung des Plots des chronischen Schmerzes in sozialmedizinische Kategorien. Wer also „nur“ und „tief gehende sozialmedizinische Aspekte erwartet, wird eines Besseren belehrt. Die (sozial-) medizinische Dimension des chronischen Schmerzes wird tendenziell eher angerissen, und es entsteht eine multidimensionale und integrative Betrachtung des chronischen Schmerzes, die aber aufgrund der Unmenge an wichtigen Aspekten und Zusammenhängen dann eher eklektisch ausfällt. Dies ist aber insoweit unproblematisch, als das diverse (Lehr-) Bücher zum „Weiterlesen“ parat stehen, die dann die jeweilige disziplinäre Betrachtung vertiefen. Das Buch ist vielmehr ein multiperspektivischer Einstieg in die Thematik des chronischen Schmerzes und bedient sich leicht zugänglicher Ansätze für diverse Akteure, die mit Patienten/​Klienten mit chronischen Schmerzstörungen arbeiten. Somit kann man die breite eklektische Betrachtung nicht als negativ ansehen, da sie eher als Überblick dient, wobei die diversen Zugänge zu der Thematik nicht durchgängig systematisch wirken. Der Leser erhält einen „wirkungsvollen“ Ein- und Überblick in eine schwierige und hoch komplexe Thematik.
Fazit
Prof. Dr. med. Thomas Stockhausen ist es gelungen, das riesige Feld der chronischen Schmerzstörungen aus sozialmedizinischer Perspektive für all diejenigen zu erschließen, die sich professionell mit Patienten/​Klienten mit chronischen Schmerzstörungen beschäftigen (im Rahmen ihrer Berufstätigkeit) und/oder beschäftigen werden (Studierende). Das Buch erlaubt ihnen einen guten ersten Überblick, der die jeweiligen fachlichen/​disziplinären Ansätze ergänzt und einen Blick über den Tellerrand ermöglicht.
Rezension von
Prof. Dr. med. et Dr. disc. pol. Andreas G. Franke
M.A.
Professur für Medizin in Sozialer Arbeit, Bildung und Erziehung.
Hochschule der Bundesagentur für Arbeit Mannheim
Mailformular
Es gibt 75 Rezensionen von Andreas G. Franke.