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Hans-Jürgen Urban (Hrsg.): Gute Arbeit gegen Rechts

Rezensiert von Thomas Barth, 10.06.2025

Cover Hans-Jürgen Urban (Hrsg.): Gute Arbeit gegen Rechts ISBN 978-3-96488-225-7

Hans-Jürgen Urban (Hrsg.): Gute Arbeit gegen Rechts. VSA-Verlag (Hamburg) 2024. 133 Seiten. ISBN 978-3-96488-225-7. D: 10,00 EUR, A: 10,30 EUR.
Reihe: Arbeitspolitik: Theorie, Praxis, Strategie.

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Thema

An Warnungen vor einem Abrutschen unserer politischen Kultur nach Rechts ist kein Mangel. Vom Rechtsruck westlicher Gesellschaften sind auch Gewerkschaften betroffen, denn rechtsradikale Einstellungen und Wahlvoten für die AfD finden sich selbst unter organisierten Beschäftigten. In der Industrie, aber zunehmend auch im sozialen und Gesundheitsbereich drohen rechtsextreme Aktivisten die betrieblichen Gremien zu infiltrieren, wie hier konkret beschrieben wird. Soziale Ungleichheit und die Unsicherheit in der Arbeitswelt sind ein Nährboden für rechtspopulistische Ideologien. Gewerkschaften müssen eine zentrale Rolle im Kampf gegen Rechts spielen, indem sie sich für gute Arbeitsbedingungen, soziale Gerechtigkeit und Solidarität einsetzen. Ein Kernergebnis des vorliegenden Bandes ist: Wer die Demokratie stärken will, muss den Beschäftigten Mitsprache und Sicherheit im Wandel bieten, statt sie durch Erosion von erkämpften Rechten gesellschaftlich zu entwurzeln. Dies ist leider in den letzten Jahrzehnten im Zeichen der „neoliberalen Verwilderung“ (so H.-J.Urban) eines absurden Kapitalismus geschehen, verstärkt durch Krisen (Corona, Klima, Krieg, Inflation) und Transformationsprozesse (Digitalisierung nebst psychischer Fragementierung, Dekarbonisierung). Betriebliche Praktiker:innen sowie Vertreter:innen aus Gewerkschaft und kritischer Wissenschaft geben hier einen Überblick zu aktuellen Fakten und Debatten.

Autor:innen und Hintergrund

Prof. Dr. Hans-Jürgen Urban ist Honorarprofessor für Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, war im Kuratorium der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und ist Vorstandsmitglied der IG Metall; weitere Beiträge stammen von Christiane Benner, erste Vorsitzende der IG Metall, Charlotte Boebel, Carsten Büchling, Richard Detje, Dr. Ernesto Klengel, Tomas Knabel, Rhonda Koch, Bernd Lösche, Dirk Neumann, Klaus Pickshaus, Dr. Jürgen Reusch, Prof. Dr. Dieter Sauer, Dr. Johanna Sittel, Dr. Ursula Stöger, Dr. Hilde Wagner. Nach dem Auslaufen der Jahrbücher »Gute Arbeit« im Jahr 2023 soll die mit diesem Band 2024 beginnende Buchreihe »Arbeitspolitik: Theorie, Praxis, Strategie« ein neues Forum für Diskussionen und Impulse rund um eine gerechte und zukunftsfähige Arbeitswelt bieten. Der Buchtitel bezieht sich erstens auf die dokumentierte gewerkschaftliche Arbeit gegen Rechtspopulismus; er verweist aber zugleich auf eine Kernthese des Bandes: Dass „gute Arbeit“, verstanden als Arbeit, die fair bezahlt sowie für die Beschäftigten sozial und gesundheitsförderlich gestaltet ist und durch betriebliche Mitbestimmung Erlebnisse demokratischer Selbstwirksamkeit bietet, der Ausbreitung rechtsextremer Ideologien entgegenwirkt.

Aufbau und Inhalt

Dem Geleitwort der IG Metall-Vorsitzenden Christiane Benner, folgt ein Vorwort des Herausgebers H.-J. Urban und sein einleitendes Kapitel „Demokratiepolitik im Betrieb: Perspektiven einer demokratischeren Arbeitswelt“. Es folgen sieben weitere Beiträge und Interviews, 1.„Der Siegeszug der radikalen Rechten und seine Hintergründe“; 2. Interview: „Je mehr Beteiligung, desto weniger rechte Einstellungen“; 3. Interview: „Demokratieerfahrung und Selbstermächtigung: Erfahrungen, die der Rechten zuwiderlaufen“; 4. „Transformative Ängste und rechtspopulistische Orientierungen“; 5. Interview mit Chaja Boebel: „Was kann die Bildungsarbeit leisten?“; 6. Ernesto Klengel: „Rechte Hetze, interkulturelle Zusammenarbeit und Aufgaben betriebsrätlicher Interessenvertretung“; Fazit und Abschluss bildet mit zahlreichen Tabellen das umfangreichste Kapitel von Jürgen Reusch: „Arbeitspolitik 2024“ mit Fakten, Literatur und Internet-Links.

Einen Überblick über Hintergründe und Problemstellung des Bandes gibt in seinem einleitenden Kapitel „Demokratiepolitik im Betrieb: Perspektiven einer demokratischeren Arbeitswelt“ der Herausgeber Prof. H.-J. Urban (Arbeitsgebiete: Soziologie der Arbeitsbeziehungen und der Wohlfahrtsstaaten, Arbeits- und Gesundheitssoziologie, Gewerkschaftsforschung, Europäische Integration, Public Sociology). Der Resonanzraum rechter Erzählungen reiche, so Urban, heute bis in die gesellschaftliche Mitte. Bei Wahlen seien immer nur die zu erkennen, die an der Wahlurne bereits Schlussfolgerungen aus ihrer Gesinnung gezogen hätten. Jenseits der Wahlergebnisse müsse konstatiert werden: Rechtspopulismus und menschenfeindlicher Autoritarismus hätten sich zunehmend in Gesellschaft und staatlichen Institutionen festgesetzt. Die weitere Durchschlagskraft der Rechtsparteien hänge maßgeblich vom Verhalten der konservativen Parteien ab. Befürchtungen seien hier leider begründet: Auf europäischer Ebene hielt sich die Präsidentin der EU Kommission, Ursula von der Leyen (CDU), bereits vor der Europawahl die Kooperation mit europäischen Rechtsradikalen offen. Lokalpolitiker der CDU ließen sich zu Aussagen hinreißen, dass eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht ausgeschlossen sein sollte. Wenn die parteipolitische Brandmauer weiter bestehen solle, müsste sie dringend instand gesetzt werden. Rechtspopulistische Weltsichten finden sich auch unter organisierten Beschäftigten, so zitiert Urban eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung von 2023 zu AfD-wählenden Erwerbspersonen. Schlechtere Arbeitsbedingungen, fehlende Anerkennung, ein geringes Vertrauen in Institutionen sowie ein subjektiv hoch empfundenes Sorgen- und Belastungslevel triggern offenbar Pro-AfD-Einstellungen. (S. 12) Dazu kommen die „sogenannten Social Media“, dort entfalten sich oft aggressive Meinungsbekundungen, emotionale Ausfälle und persönliche Angriffe, so Urban, dort florieren rechte antidemokratische Botschaften (S. 15), die in der spektakelorientierten, emotionalen „neuen Aufmerksamkeits-Ökonomie“ leicht konsumierbar sind (S. 29). Rechtsextreme Vorstöße in die Arbeitswelt bleiben daher nicht aus: Im Bereich der IG Metall versucht seit 2009 ein rechtsextremer, der AfD nahestehender Verein, das „Zentrum“ (vorher „Zentrum Automobil“) bundesweit bei Betriebsratswahlen mit rechtsradikalen Themen und Methoden Fuß zu fassen, wie Urban beschreibt. Vereinzelt gewannen dessen Vertreter dabei Mandate, eine Fortsetzung der Wahlerfolge in Parlamenten von Bund und Ländern blieb jedoch -dank gewerkschaftlicher Gegenwehr- aus. Der Verein versuche zunehmend auch im sozialen und Gesundheitsbereich rechtsextreme Aktivisten in die betrieblichen Gremien einzuschleusen (S. 26). 

Was kann die Bildungsarbeit leisten?“ fragt ein Interview mit Charlotte Boebel, Bildungsreferentin und in der Grundsatzabteilung des IG Metall-Vorstandes. Sie ist Expertin für den Kampf gegen Rechtsextreme in Unternehmen. Boebel analysiert den gewerkschaftlichen Kampf gegen den Verein, der sich heute „Zentrum“ nennt und ausgehend von der Automobilindustrie in wachsender Nähe zur AfD die Arbeitswelt infiltriert. Sie zieht historische Parallelen zu den NS-Betriebszellen, mit denen Hitler versuchte, die Arbeiterbewegung zu unterwandern (S. 89). Das „Zentrum“ habe zunächst versucht, in Mercedes-Belegschaften bei Betriebsratswahlen Fuß zu fassen, mit vorerst mäßigem Erfolg. Seit 2018 dringe die Gruppe in andere Betriebe vor, wie das VW-Werk Zwickau „mit einem vorgeschobenen Kandidaten, der sich dann später zum 'Zentrum' bekannt hat“ (S. 86); die AfD sei trickreich vorgegangen, habe eine angebliche Abgrenzung zum rechtsradikalen Verein erklärt und wieder zurückgenommen. 2017 sei auf einer Konferenz des rechtsradikalen Compact-Magazins aber öffentlich geworden, dass es einen „Auftrag des rechten Netzwerks“ gibt, „den Marsch durch die Betriebe anzutreten“ (ebd.). Die Rechtsextremen bemühten sich um Anschluss an Querdenker-Themen und pflegen personelle Beziehungen zur Neonazi-Szene (S. 88), man finde auch Migranten unter ihren Aktiven, die den Rechtsextremismus der Herkunftsländer mitbrächten, die griechische „Morgenröte“, kroatische „Ustascha“, türkische „Graue Wölfe“ -wobei sich AfD-nahe Wahllisten mit diesen rechtsradikalen Migranten als weltoffen darzustellen versuchen (S. 91). Bildungsarbeit müsse dagegenhalten, aufklären, zu innerbetrieblicher Demokratie motivieren. Boebel verweist auf Untersuchungen, „denen zufolge in den Betrieben, in denen Mitbestimmung wirklich aktiv gelebt wird, eine gewisse Resilienz gegenüber rechten Haltungen und Positionen besteht.“ (S. 92)

Im Detail werden solche Untersuchungen im Beitrag „Der Siegeszug der radikalen Rechten und seine Hintergründe: Daten, Erklärungsansätze, empirische Befunde aus der Arbeitswelt“ von Detje, Sauer, Stöger und Wagner dargelegt und analysiert. Sie referieren Dutzende von Rechtsextremismus-Studien und beziehen sie erklärend auf theoretische Konzepte. Ein besorgniserregender Trend deutet auf eine Vergrößerung dieser Tendenzen auch gerade bei jüngeren Menschen. Im Hintergrund stehen diverse Krisen von Krieg, Klima, Inflation usw., die sich zur „Polykrise“ verdichten. Der Faschismusforscher Wilhelm Heitmeyer zeigt, dass dies verunsichert und das Autoritäre diene „zur Reduktion von ökonomischer, sozialer und politischer Komplexität“ -zu Lasten von Freiheitsräumen (S. 41). Rechtsextreme Ideologie ziele dann auf die Brutalisierung von Ausgrenzung und Kriminalisierung des 'Anderen' (S. 43). Der Rechtsextremismus würde zu einer noch bedrohlicheren Gefahr, sollte ihm gelingen, „weiter in das Terrain der Arbeit vorzustoßen und die Klassenspaltung der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft“ in andere Formen von Ungleichheit umzudeuten, etwa durch Hetze gegen Migranten (S. 49). Rechtspopulistische Einflüsse erfolgten gegenwärtig über heimliche Infiltration und die sozialen Medien (S. 51; die praktische Abwehr eines solchen AfD-Infiltrationsversuches durch Betriebsräte und IG Metall führt das folgende Interview mit Thomas Knabel am konkreten Beispiel der Zwickauer Werke aus, S. 63–71). Mit Erfahrungen von Handlungsfähigkeit sinke jedoch die Zustimmung zu rechter Propaganda (S. 53). So könnten „Erfahrungen der Selbstwirksamkeit in kollektiven Zusammenhängen als Gegengifte gegen rechten Autoritarismus“ wirken (S. 54).

Jürgen Reusch beschließt mit dem umfangreichsten Kapitel „Arbeitspolitik 2024: Fakten, Literatur, Links“ den Band. Er gibt einen Überblick über die aktuelle Arbeitswelt und zieht ein Fazit nebst aktionsorientiertem Ausblick. Die vorliegende Datensammlung greife, so Reusch, die von Urban formulierte These von der „Verwilderung der Arbeitsbeziehungen“ auf. Diese beziehe sich auf die seit Langem anhaltende, vor allem seit den verschiedenen Krisen der letzten Jahre beschleunigte Digitalisierung, zeitliche Flexibilisierung und De-Lokalisierung der Arbeitsverhältnisse. Hier spitzen sich Konflikte weiter zu, so Reusch, die auch schon seit der großen Finanzkrise 2008/09 mit dem Begriff der „prekären Vollerwerbsgesellschaft“ auf den Punkt gebracht wurden. Die Zahl der Solo-Selbstständigen, Clickworker usw. beziffert Reusch für das Jahr 2022 mit 1,8 Mio., das sind 4,3 % der Erwerbstätigen (Männer 1,1 Mio., Frauen 0,7 Mio.) und Soloselbstständigkeit sei eine oft prekäre Erwerbsform (S. 115). Zugleich wurden „die politisch leichtfertig herbeigeführten Finanzierungsprobleme des Rentensystems“ durch Anhebung der Regelaltersgrenze den Arbeitenden aufgebürdet, ohne zu beachten, dass das reale Renteneintrittsalter sinkt (S. 120). Körperliche und psychische Gesundheit sind durch Digitalisierung, Arbeitsverdichtung usw. unter Druck, besonders psychische Erkrankungen sind seit 2005 zur mit Abstand wichtigsten Ursache von Frühverrentungen aufgestiegen (S. 122). Befragungen zeigen, dass eine große Mehrheit der Betriebs- und Personalräte ihren Arbeitgebern und Management nicht zutraut, dass sie in der Lage bzw. bereit sind, die Arbeitsbedingungen so zu verbessern, dass sie Älteren ein gesundes Arbeiten bis zur Rente ermöglichen (S. 124). Die Gefährdungsbeurteilung als Herzstück des präventiven Arbeits- und Gesundheitsschutzes bilde einen permanenten Problemfall. Sie hänge am Vorhandensein eines Betriebsrates, so Reusch, und nur noch acht Prozent aller Arbeitenden sind in Betrieben, die eine solche Arbeitnehmervertretung hätten; auch staatliche und berufsgenossenschaftliche Aufsichtsdienste seien personell inzwischen zu sehr ausgedünnt, um ihrer wichtigen Aufgabe gerecht zu werden (S. 125). Die desolate Lage der Gefährdungsbeurteilung belege, dass es höchste Zeit sei für eine entsprechende rechtsverbindliche Arbeitsschutzverordnung. Das Ausmaß psychischer Belastungen und der damit verbundenen Erkrankungen bzw. Frühverrentungen bestätigen weiter, so Reusch, dass endlich eine Anti-Stress-Verordnung erforderlich sei. Eine Berücksichtigung psychischer Belastungen in der Gefährdungsbeurteilung -auch bei Arbeit im Homeoffice- wäre daher eine überfällige Konkretisierung der Arbeitsstättenverordnung. Überfällig sei auch eine Reform des Berufskrankheitenrechts und der Berufskrankheitenliste: Obwohl arbeitsbedingte psychische Belastung inzwischen eine der Hauptursachen für psychische und psychosomatische Erkrankungen wären, fehlen dazu jegliche Regelungen. Viele arbeitsbedingte Fehlbelastungen hingen mit zu knapper Personaldecke zusammen. Deswegen wäre es auch an der Zeit, die betriebliche Mitbestimmung durch Reform des Betriebsverfassungsgesetzes auf die Personalbemessung auszuweiten. Die Arbeitsschutzbehörden seien mit mehr Personal und mehr Durchsetzungsmöglichkeiten auszustatten. Das Arbeitsschutzgesetz sei weit hinter der Entwicklung zurückgeblieben, zudem enthalte es „keine ausreichenden Regelungen zu Ordnungswidrigkeiten und Bußgeldern“ (S. 128).

Diskussion

Ein unverblümtes Fazit aus dem Überblick über die Arbeitswelt würde wohl lauten: Ausbeuter und Leuteschinder haben weitgehend freie Hand, ihren Profit zu Lasten der Arbeitenden zu steigern und sich damit auch unfaire Marktvorteile zu verschaffen. Prekarität im weitesten Sinne wird daher immer mehr zur „normalen“ Organisationsform der Arbeitsverhältnisse. Das Normalarbeitsverhältnis erodiert unter dem neoliberalen Deregulierungs-, Privatisierungs- und Prekarisierungsdruck zu Lasten der Arbeitenden: Der obszöne Reichtum der oberen Prozent explodiert, prekäre Arbeit wird unerträglich und kaum noch auskömmlich. Warum ist die Öffentlichkeit über diese bedeutsamen Wurzeln des rechtspopulistischen Vormarsches so wenig informiert? Medien und Politik lassen sich von Unternehmen und Lobbyisten hofieren und alimentieren, „die Abgehobenen“ der Journalistischen Klasse üben sich oft in Ignoranz und Zynismus gegenüber den Opfern der von ihnen propagierten und mit durchgesetzten „Reformen“. In unserer öffentlichen Debatte herrscht an Warnungen vor einem politischen Abrutschen unserer Gesellschaft nach Rechts zwar kein Mangel. Doch wird von unseren Medien oft nur dargestellt, was der Staat, Behörden, Justiz dagegen unternehmen, ferner wie tapfer die Medien selbst berichten, vielleicht noch, was ethnische und religiöse Gruppen etwa gegen Antisemitismus tun. Ausgeblendet bleibt meist der große gesellschaftliche Bereich der Arbeitswelt und die dort organisierten Gewerkschaften. Dies ist Teil eines interessengeleiteten Medien-Narrativs, welches das Feld Arbeit und insbesondere private Unternehmen tendenziell zu einer entpolitisierten Zone stilisiert, in der es allenfalls noch um Tarifverhandlungen gehen soll.

Dieses Medien-Narrativ spielt der Arbeitgeberseite in die Hände -z.B. können Streiks so tendenziell zu lästigen Eingriffen ins Wirtschaftsgeschehen stilisiert werden, statt sie als wichtigen Ausdruck politischer Freiheitsrechte zu würdigen. Mitbestimmung, Betriebsräte, Vertrauensleute und ihr täglicher politischer Kampf für bessere Arbeitsbedingungen sind in den meisten Medien praktisch inexistent. Dies entspricht aber nicht der gesellschaftlichen Realität. Gewerkschaften stellen sich dem Rechtspopulismus entgegen, versuchen ihre Mitglieder, deren Familien und Kolleg:innen mit politischen Aktionen zu erreichen. Der medial verbreiteten Haltung tritt Urban mit einem freudo-marxistischen Klassiker der berühmten Frankfurter Schule entgegen und zitiert Max Horkheimer: „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, der sollte auch vom Faschismus schweigen.“ (S. 33) Er erklärt den gesellschaftlichen Rechtsruck auch mit der Ungewissheit, die Arbeitende in Bezug auf ihren Arbeitsplatz, ihren Wert als Arbeitskraft und ihre künftige finanzielle Absicherung durch Jahrzehnte neoliberaler Verwilderung des Kapitalismus erleiden mussten.

Doch die Involvierung unserer Medien in die Steuerung der Öffentlichkeit nach Rechtsaußen geht noch weiter, wie Detje et al. begründen. „Sind die Migranten in der öffentlichen Meinung erst einmal der Kategorie potentieller Terroristen zugeordnet, stehen sie außerhalb des Bereichs moralischer Verantwortung“, zitieren sie den Sozialphilosophen Zygmund Bauman. (S. 43) Eine auffällige Häufung von Terrormorden vor den letzten Bundestagswahlen, die medial mit dem Migrationshintergrund der Täter kommuniziert wurden, spielte einer AfD-nahen harten Haltung gegen Migranten in die Hände. Statt stereotyp in Dauerschleife über Anschläge, Täter und Opfer zu berichten und damit implizit über einen Zusammenhang von Migration und Terror zu spekulieren, hätten die Medien ja z.B. auch über Terrorismus als „Jakarta-Strategie“, um Gesellschaften in den Faschismus zu treiben, diskutieren können. Union und SPD reagierten mit Anpassung an AfD-Positionen und wagten nicht, der medial erzeugten Stimmung mit klarem Kurs entgegenzutreten. Doch das Wahlergebnis zeigte, dass die Wähler lieber das fremdenfeindliche Original wählen. Die AfD vertritt, auch wenn sie sich als Anwalt der 'kleinen Leute' geriert, ökonomisch stramm Arbeitgeber-Positionen, etwa neoliberale Steuersenkungspolitik. Gewerkschaften haben neben der Verteidigung von Demokratie und Menschenrecht also allen Grund, die AfD zu bekämpfen. In der Arbeitswelt möchten einige Akteure jedoch vordemokratische Zustände konservieren. Bei bislang ungenügenden Rechtsmitteln betrieblicher Mitbestimmung, leidet der Kampf gegen Rechtsextremismus darunter, wie Urban schreibt, dass jeder Aktionsplan erst „durch das Nadelöhr der Arbeitgeberzustimmung hindurch muss.“ (S. 20)

Jakarta-Strategie > https://www.socialnet.de/rezensionen/​31988.php

Eine entsprechende Demokratisierung des Betriebsverfassungsgesetzes tut Not. Sie würde nicht nur die Lage der Arbeitnehmer verbessern, sondern zugleich unsere Gesellschaft widerstandsfähiger gegen Rassismus, Autoritarismus und Faschismus machen. Leider wird diese Demokratisierung unter Ägide des designierten Bundeskanzlers Friedrich Merz nicht wahrscheinlicher. Als Ex-Deutschlandchef des weltgrößten Kapitalverwalters Blackrock stehen Arbeitnehmerbelange eher nicht auf seiner Agenda. Schon 2009 diente Merz sich der Kapitalseite dadurch an, dass er in einer Talkshow zur gerade die Öffentlichkeit schockierenden Finanzkrise den Globalisierungskritiker Harald Schumann, den Autor von „Die Globalisierungsfalle“, buchstäblich niederbrüllte (Protokoll und Hintergründe dazu siehe Barth 2009). Der Wirtschaftsanwalt Merz war im Bundestag als Finanzexperte der CDU mitverantwortlich für Deregulierungen, welche die große Finanzkrise 2008/2009 befördert hatten; Schumann versuchte vergeblich, ihn zur Rede zu stellen -auch weil Talkmaster Beckmann ihm das Wort abschnitt -Lobbyismus und mediale Meinungsmache verschleierten gemeinsam Korruption und Finanzkriminalität (vgl. Barth 2008, 2009, 2009b). Fazit kann nur sein: Wir brauchen demokratische Mitbestimmung in Betrieben statt lobbyistischer Infiltration der Demokratie. Das altbekannte Lamento der Unternehmen und ihrer Medien- und Lobby-Experten, die Wirtschaft würde dann zusammenbrechen, sollte in diesem Kontext gesehen werden: Deutschland ist nach den Weltmacht-Giganten USA und China immer noch die drittstärkste Wirtschaftsnation. Es mangelt nur an einer gerechteren Verteilung der durch ein gewaltiges BIP aufgehäuften obszönen Reichtümer. Dieser gerechten Verteilung steht vor allem eines entgegen: Die Ablenkung der Menschen durch rechtspopulistische Sündenbock-Narrative gegen Migranten, Bürgergeldempfänger und andere Minderheiten.

Fazit

Ein wichtiges Buch, das fragt, wie man dem teils schleichenden, teils medial skandalisierten Rechtsruck unserer Gesellschaft auch in der Arbeitswelt begegnen, wie man dort Ursachen finden und bekämpfen kann. Es zeigt auf, wie durch Mitbestimmung im Arbeitsleben und innerbetriebliche Demokratisierung mit dem Ziel sozialer Gerechtigkeit zugleich auch wirksamer Widerstand gegen rechtspopulistische und rechtsextreme Tendenzen geleistet werden kann. Der Band ist eine gute Lektüre insbesondere für alle, die sich im Arbeitsleben, aber auch in anderen Feldern der Gesellschaft dem Rechtsextremismus entgegenstellen wollen.

Quellen

Barth, Thomas: Und keiner nennt es Korruption -Das große Schweigen um die „Leihbeamten“-Affäre, in: Big Business Crime Nr. 3, 2008, S. 19–21.

Barth, Thomas: Finanzkrise, Medien und dezentrale Korruption, in: Elmar Altvater: Privatisierung und Korruption. Zur Kriminologie von Globalisierung, Neoliberalismus und Finanzkrise, Hamburg 2009, S. 68–97.

Barth, Thomas: Finanzkrise, Medienmacht und Corporate Governance, Saarbrücken 2009 (Barth 2009b).

Rezension von
Thomas Barth
Dipl.-Psych, Dipl.-Krim.
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Es gibt 23 Rezensionen von Thomas Barth.

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ISSN 2190-9245