Silke Luca Obenauer, Andreas Obenauer: Kinderlos dem Leben auf der Spur
Rezensiert von Prof. em. Dr. rer. nat. Udo Rauchfleisch, 27.10.2025
Silke Luca Obenauer, Andreas Obenauer: Kinderlos dem Leben auf der Spur. Vier-Türme (Münsterschwarzach) 2025. 144 Seiten. ISBN 978-3-7365-0685-5. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR.
Thema
Das Buch richtet sich an Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, keine Kinder haben. Die Autor:innen möchten mit ihren Ausführungen zeigen, dass diese Lebensform „mit ihren spezifischen Herausforderungen, Grenzen und Chancen erfüllt und fruchtbar sein“ kann (S. 11).
Autor:innen
Dr. Silke Luca Obenauer (geb. 1975) und Dr. Andreas Obenauer (geb. 1968) bieten seit mehreren Jahren Workshops für Menschen ohne Kinder an. Beruflich sind sie als Pfarrpersonen nach einer Zeit im Gemeindepfarramt nun im Bildungsbereich der Evangelischen Landeskirche in Baden tätig. Silke Luca Obenauer gehört der Oblatengemeinschaft der Benediktinerabtei Münsterschwarzach an.
Entstehungshintergrund
Das Werk basiert auf den Erfahrungen, die Silke Luca Obenauer und Andreas Obenauer in Workshops zum Thema „Ohne Kinder fruchtbar leben“ in der Abtei Münsterschwarzach sowie aufgrund eigener Erfahrungen im privaten Bereich wie auch beruflich als Pfarrpersonen gesammelt haben. „Bei den Workshop-Wochenenden entstand auch die Idee an diesem Buch, um anderen in ähnlicher Situation Anregungen für ihre Spur des Lebens zu geben“ (S. 11).
Aufbau und Inhalt
Das Buch enthält ein Vorwort „Aus meinem Leben – zu diesem Buch“ von P. Meinrad Dufner OSB, acht Kapitel, in denen die Autor:innen verschiedene Situationen von Menschen, die ohne Kinder leben, darstellen, sowie Übungen zu den verschiedenen Themen. Dabei sind die Kapitel so konzipiert, dass sie je für sich einzeln verständlich sind, so dass die Leser:innen irgendwo mit der Lektüre beginnen können. Den Abschluss des Buches bildet ein kurzes Verzeichnis ausgewählter Literatur.
Im Kapitel 1 (S. 11 – 14) „Dem Leben auf der Spur – ohne Kinder“ wird das Konzept des Buches dargestellt.
Kapitel 2 (S. 15 – 30) „Gesellschaftliche Prägungen: Warum die Kleinfamilie als ‚normal’ gilt, obwohl viele anders leben“ widmet sich den gesellschaftlichen Bildern und der historischen Entwicklung, die dazu geführt hat, dass die Kleinfamilie mit Mutter, Vater und Kinder(n) als „normal“ angesehen wird, obwohl in Deutschland heute die Kinderlosenquote laut Mikrozensus bei 20 Prozent liegt. Eng mit der Idee der bürgerlichen Kleinfamilie hängt der „Muttermythos“ zusammen, nämlich ein „Frauenbild, das Frauen vor allem von ihrer Mutterrolle her wahrnimmt und auf diese festlegt“ (S. 19). Auch dies ist eine historisch bedingte Auffassung, die aber nach wie vor eine starke Wirkung auf die öffentliche Meinung ausübt. Da diese Prägungen sich normierend auswirken, üben sie eine starke Wirkung aus, auch wenn sie sich in der Gegenwart langsam wandeln und weiten. Wer dem „Narrativ vom glücklichen Leben in der Kleinfamilie“ (S. 20) nicht entspricht, anders fühlt und lebt, kommt sich irgendwie fremd vor in dieser Welt. Für diese Menschen fühlt sich das Leben nicht richtig an, es macht sich das Gefühl breit, nicht dazuzugehören, und sie sehen sich ständig mit der Situation konfrontiert, sich vor anderen rechtfertigen zu müssen. Ganz besonders schwierig ist die Situation für Frauen mit „regretting motherhood“, d.h. Frauen, die es im Nachhinein bedauern, Mutter geworden zu sein, obwohl ihr Kind bei Geburt ein Wunschkind war und obwohl sie ihr Kind nach wie vor lieben. Wichtig erscheint den Autor:innen in allen diesen Situationen, dass sich Menschen, die kinderlos sind, sich dessen bewusst sind: „Die Kleinfamilie ist keine Lebensform, die uns die Natur oder eine übernatürlich Macht vorgibt. Deshalb ist sie auch nicht die einzige Möglichkeit, um (sinnvoll) Leben und Zusammenleben zu gestalten. (...) Und jeder ist herausgefordert, einen Umgang mit den eigenen Begrenzungen und durchkreuzten Plänen zu finden“ (S. 22).
In Kapitel 3 (S. 31 – 37) „Ein Blick in die Bibel: Die Vielfalt an Lebensformen neu entdecken“ wird aufgezeigt, dass die Vermutung, die Bibel erwarte eine Lebensform, die eigene Kinder einschließe, nicht zutrifft. Dies gilt sowohl für das Alte wie das Neue Testament.
Dem Thema „Kein Kind im Haus: Vom Umgang mit Trauer, Wut und Co. – und wieso sie manchmal gar nicht da sind“ ist das Kapitel 4 (S. 38 – 71) gewidmet. Der Tatsache, keine Kinder zu haben, liegen viele verschiedene lebensgeschichtliche Hintergründe und Lebenskonstellationen zugrunde. Dementsprechend ist die Art, wie die Kinderlosigkeit erlebt wird, auch völlig unterschiedlich. So gibt es Menschen, denen es wehtut, keine Kinder zu haben (S. 42 – 62), wobei es hier nicht nur auf den einzelnen Mensch ankommt, sondern auch wichtig ist, dass sie „als Paar auf dem Weg bleiben angesichts unterschiedlicher Gefühle und Bedürfnisse“ (S. 62 – 66). Bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Kinderlosigkeit ist schließlich auch die „Aussöhnung mit der eigenen Kinderlosigkeit“ (S. 66 – 71) von großer Bedeutung.
In Analogie zum Buchtitel wird im Kapitel 5 (S. 72 – 100) das Thema „Kinderlos dem Leben auf der Spur: Erfüllt leben ohne eigene Kinder“ behandelt. Eine zentrale Frage dabei ist die nach der Generativität, „Was kann ich an die nächste Generation weitergeben?“ (S. 74 ff.). Die Autor:innen zeigen auf, dass es in dieser Hinsicht viele verschiedene Möglichkeiten gibt: hilfreiches Wissen und hilfreiche Erfahrungen an Kinder und Jugendliche im eigenen Verwandten-, Bekannten- oder Freundeskreis oder an nachfolgende Generationen weiterzugeben, ferner ein politisches und soziales Engagement, ein ökologischer Lebensstil, Tätigkeiten im künstlerischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich sowie eine „parentale Form der Generativität“ (S. 77), indem Menschen sich erzieherisch um Kinder kümmern, die nicht ihre leiblichen Nachkommen sind. Wichtig und sinnstiftend ist in der Lebensform ohne Kinder auch die Verbundenheit mit anderen Menschen (S. 90 – 94), wie sie auf verschiedenen Ebenen gelebt werden kann. Weitere wichtige Aspekte des Lebens ohne Kinder sind „spezifische Freiheiten“ (S. 95 – 96), „als Paar dem Leben auf der Spur“ zu sein (S. 97) und für christlich oder sonst religiös/spirituell geprägte Menschen „Meine Lebensspur und Gott“ (S. 98 – 100).
Das Kapitel 6 „Ich und die anderen: Das Kinderthema im sozialen Umfeld“ (S. 101 – 115) widmet sich der Frage, welche Auswirkungen die Kinderlosigkeit bei Eltern, im Freundeskreis, im Beruf und in der Kirchengemeinde hat. Es sind Themen, mit denen sich Menschen, die ohne Kinder leben konfrontiert sehen und mit denen sie sich auseinandersetzen müssen.
Ähnlich ist es mit den Reaktionen der Umgebung, die im Kapitel 7 (S. 116 – 141) „Alltag ohne eigene Kinder: Was man so zu hören bekommt und welche Reaktionsmöglichkeiten es gibt“ behandelt werden. Immer wieder sehen sich Menschen ohne Kinder im Alltag, sei es im Familien- und Freundeskreis oder im Small-Talk-Gespräch mit Fremden, mit Fragen nach Kindern konfrontiert, die für sie verletzend, übergriffig oder in anderer Weise unangenehm sind. Es sind Fragen und Feststellungen wie „Wann ist es denn bei euch so weit?“, „Haben Sie Kinder?“, „Warum habt ihr keine Kinder? Wollt ihr keine Kinder – oder könnt ihr keine bekommen?“, „Hast du keine Angst, das später zu bereuen, keine Kinder zu haben?“, „Hast du keine Angst, im Alter allein zu sein?“, „Du kannst ja öfter Urlaub machen, so ohne Kinder!“, „Du willst ja bloß keine Verantwortung übernehmen!“, „Meine Kinder zahlen deine Rente!“, „Fehlt dir nichts im Leben, so ohne Kind?“ und „Mutter sein ist doch die tiefste Bestimmung einer Frau“.
Das 8. Kapitel „Statt eines Nachworts“ (S. 142 - 143) trägt den Titel „Sei gesegnet“. Es sind Segnungen, die ein Leben ohne Kinder betreffen und enden mit der Segnung „Sei gesegnet auf deinem Weg durchs Leben. Er ist dein Weg! Du bist Segen! Sei gesegnet!“ (S. 142).
Diskussion
Das von Silke Luca Obenauer und Andreas Obenauer verfasste Buch behandelt ein Thema, das zwar 20 Prozent unserer Bevölkerung betrifft, das aber in der Öffentlichkeit und selbst im wissenschaftlichen Bereich kaum wahrgenommen wird. Dabei zeigen die Autor:innen in überzeugender Weise, dass die in unserer Gesellschaft vielfach bestehende negative Haltung gegenüber kinderlosen Menschen die Folge von Vorstellungen ist, die der heutigen Zeit nicht mehr entsprechen, aber wie selbstverständlich, unreflektiert weitergetragen werden und unsere Meinung beeinflussen. Es ist den Autor:innen zu danken, dass sie sich dieses Themas angenommen haben und es in einer sehr differenzierten und zugleich gut verständlichen Weise behandeln. Als hilfreich erweisen sich die in die Kapitel eingeschlossenen Übungen, mit deren Hilfe die Leser:innen sich mit den verschiedenen Themen vertieft auseinandersetzen und sie individuell verarbeiten können. Das von Silke Luca Obenauer und Andreas Obenauer verfasste Werk ist deshalb nicht nur ein Sachbuch, sondern zugleich eine Anleitung zur Selbsterfahrung und zur Auseinandersetzung mit einem für etliche Menschen ohne Kinder schmerzlichen Thema.
Fazit
Ein inspirierendes Buch, das ein weithin vernachlässigtes Thema betrifft. Die differenzierte, gut verständliche Darstellung und die Übungen zu den verschiedenen im Buch behandelten Themen zeichnen dieses Werk aus. Es ist ein Buch, das allen Fachpersonen, die mit Menschen arbeiten, ebenso wie Menschen ohne Kinder und ihren Angehörigen und Freund:innen unbedingt zu empfehlen ist.
Rezension von
Prof. em. Dr. rer. nat. Udo Rauchfleisch
Klinische Psychologie Universität Basel, Psychoanalytiker (DPG, DGPT)/psychologischer Psychotherapeut in privater Praxis in Basel.
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