Sunil S. Amrith: Brennende Erde
Rezensiert von Peter Flick, 23.10.2025
Sunil S. Amrith: Brennende Erde. Eine Geschichte der letzten 500 Jahre. Verlag C.H. Beck (München) 2025. 505 Seiten. ISBN 978-3-406-82927-7. 32,00 EUR.
Thema
Die Erde reagiert auf den Verbrauch von fossilen Brennstoffen mit Temperaturanstiegen, Flächenbränden und dem Anstieg der Meeresspiegel. Statt energischer Gegenmaßnahmen zum Klimawandel erleben wir gerade, wie aus Gründen wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit die Energiewende in Deutschland und Europa ausgebremst wird.
Mit seiner global angelegten Umweltgeschichte will Sunil Amrith die historischen Wurzeln eines Machtdenkens erforschen, die das „Ende des fossilen Zeitalters“ verdrängt. Dabei lässt er sich von der These leiten,dass in der Geschichte des zivilisatorischen Fortschritts ein notwendiger Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung, sozialer Ungleichheit und der Ausbreitung militärischer Gewalt angelegt ist. Keimformen dieser Entwicklung erkennt der Autor schon im 13. Jahrhundert, in dem die „Besitzgier“ der Mächtigen zur Aneignung des Gemeinschaftseigentums führt. Aber erst in den letzten 500 Jahren hat die Naturzerstörung durch eine westlich geprägte Modernisierung eine neue Dynamik angenommen, die die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschen und anderer Spezies auf der Erde bedroht.
Gegen alle „Schwarzmalereien“ registriert Sunil Amrith in den ländlichen und urbanen Weltregionen eine „Gegenmacht“. Das sind für ihn vor allem Umwelt- und Protestbewegungen, deren Widerstand durch ein Gefühl der „Verbundenheit“ mit der Natur und eine kosmopolitische Orientierung motiviert wird.
Autor
Sunil Amrith, 1979 in Kenia geboren, wuchs in Singapur auf und lebt heute in Connecticut. Nach seinem Studium an der University of Cambridge, unterrichtete er als Historiker an der Birkbeck College der University of London und der Harvard University. Heute lehrt er Geschichte mit den Forschungsschwerpunkten globale Umweltgeschichte, Migration und asiatische Geschichte an der Yale University.
Aufbau und Inhalt
Nach zwei einleitenden Kapiteln („Prolog“ und „Einleitung“) ist der Text in drei große Abschnitte gegliedert, die für den Autor die Zäsuren einer globalen Umweltgeschichte markieren.
- Prolog: Fluchtträume '(9 ff.)
In seinem „Prolog“ reflektiert der Autor seine Erfahrungen während eines Studienaufenthaltes in Südostasien und Indien. Sie haben ihm die zentrale Einsicht des französischen Historikers Fernand Braudel nahegebracht, dass „die Erde wie unsere Haut“ dazu verdammt sei, „die Spuren unserer alten Verletzungen zu bewahren.“ (Amrith, 10). Das Extremhochwasser in den Städten Mumbai, Bangkok und Yangon hatte unübersehbar Narben in der Stadtlandschaft hinterlassen, ohne allerdings einen Mentalitätswandel in der Stadtpolitik bewirkt zu haben. Ist es Resilienz oder Blindheit, die Menschen dazu bringt, die von ihnen gemachten Naturkatastrophen zu verdrängen? In jedem Fall war diese Erfahrung ein Ansporn für den Autor, sich stärker als bisher einer Umweltgeschichte zuzuwenden, die ein „Gespür für die Textur einer bestimmten Landschaft“ (13) erkennen lässt. Was ihm mit seinem Buch vorschwebt, ist „die Geschichte eines urbanen, globalisierten und geteilten Planeten“ (13), die im industriellen Zeitalter mit „allzu menschlichen Träumen“ (13) von Freiheit begonnen hat, aber jetzt offensichtlich zu Ende geht.
- Einleitung: Natur und Freiheit (15 ff.)
Die folgende „Einleitung“ mit dem Titel „Natur und Freiheit“ (15 ff.) vertieft die im „Prolog“ beschriebene Spannung zwischen „fossil befeuerten Fluchtträumen“ (13) die Kritik an einer Vorstellung von Freiheit auf der Basis einer Naturbeherrschung, die die natürlichen Grenzen menschlicher Existenz missachtet. Wo sich vormoderne Kulturen noch dieser Grenze bewusst waren, da die Macht der Natur in Gestalt von „Pandemie und Hungersnot“ (15) immer präsent blieb, verbreitete sich mit der beginnenden europäischen Moderne im „mächtigsten Teil der Menschheit“ der Glaube, „dass die menschliche Schlacht gegen die Natur zu gewinnen sei.“ (15).
Der moderne Fortschrittsglaube bedeutet in den Augen des Autors den eigentlichen Sündenfall in der Geschichte der Menschheit: Die „Entfesselung fossiler Energien“ habe den Irrglauben begünstigt, dass„ die Menschen völlig frei“ seien, „zu tun und zu lassen, was sie wollten – und die Kapitalbesitzer anhäufen konnten, so viel sie wollten.“ (19).
Teil I: Keime der Veränderungen (1200-1800) (25 ff.)
Die Keime einer Unfähigkeit, sich „unsere Verwandtschaft mit anderen Menschen vorzustellen, ganz zu schweigen mit anderen Spezies“ (23), finden sich schon im 12. und 13. Jahrhundert. Die „Verwandlung der Welt“ begann für den Autor „mit der Begierde mächtiger Herrscher“, die nach den „Erzeugnisse der Erde in Eurasien“ (37) trachteten. Der Autor lenkt den Blick auf das China der Yuan-Dynastie im 14. Jahrhundert, deren Niedergang nicht allein durch den Konflikt mit den mongolischer Herrscherelite erklärbar sei.
Das „Zurückschlagen“ der Naturerklärt Amrith am Beispiel derVerbreitung des ursprünglich nur in der zentralasiatischen Steppe beheimateten Pestbakteriums, dem Mitte des 14. Jahrhunderts mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Europa, im Nahen Osten und Asien zum Opfer fiel. Sie ist für ihn eine „unbeabsichtigte Nebenfolge“ des Aufblühens der Agrarkulturen und des überregionalen Handels.
Schließlich beschreibt das Kapitel „Vororte der Hölle“ (95 ff.) die brutalen Formen der europäischen Kolonialisierungsfeldzüge des 15. und 16. Jahrhunderts. Die spanischen Eroberungen brachten nicht nur der einheimischen Bevölkerung in Lateinamerika den millionenfachen Tod durch Gewalt, Versklavung, Hunger und den Tod durch die von den Kolonisten eingeschleppten Krankheiten. Amrith geht dann auf die Schattenseiten des durch den kolonialen Reichtum bewirkten „Wachstums der Städte“ in England und den Niederlanden ein, samt den dadurch angerichteten ökologischen Verwüstungen, denen sich schon damals Bewegungen zu „Verteidigung der lokalen Ökologie“ (115) entgegenstellten.
Teil II: Die Ketten sprengen (1800-1945) (125 ff.)
War der erste Teil zur Frühen Neuzeit der Etablierung kolonialer Systeme und dem beginnenden Imperialismus gewidmet, in der kolonialen Systeme neue politische Machtstrukturen etablierten, beschäftigt sich der zweite Teil mit der wirtschaftlichen Globalisierung im 19. Jahrhundert und der imperialen Epoche, die in zwei Weltkriege mündete. Mitte des 19. Jahrhunderts begannen die wirtschaftlichen und militärische Expansionen europäischer Staaten und Russlands, die von ökologischen Zerstörungen und Versklavung begleitet waren. Der Autor geht in diesem Zusammenhang auch auf die Verelendung in den Industriestädten Westeuropas ein, wie sie Friedrich Engels als zeitgenössischer Beobachter schon in der „Lage der arbeitenden Klasse in England“ beschrieben hat („Unmögliche Städte“,175 ff.).
Die schrittweise Verbesserung der sozialen Lebensbedingungen in West- und Mitteleuropa war kein „wohltätiges Geschenk sozialer Eliten“ (174), sondern sie mussten gegen eine fortbestehende Ignoranz gegenüber dem Elend erst erkämpft werden. Auf einem ganz andern Blatt steht für den Autor die Welle eines Massensterbens durch Hungersnöte und imperiale Kriege, die die Menschen in Asien, Afrika und Lateinamerika „überrollt“ hat. Wie die Überschrift „Krieg gegen die Erde“ (233 ff.) signalisiert, wirkten die beiden Weltkriege nicht nur in Europa, sondern auch in großen Teilen Asiens als ökologische Verwüstungen.
Teil III: Die menschliche Ausnahme (1945-2025) (271 ff.)
Der dritte Teil umfasst die globalen Neuordnung nach 1945, die in der der Phase des Kalten Krieges von einem blockübergreifenden Fortschrittsbegriff und damit verbundenen Freiheitsversprechen geprägt war. Den partiellen Fortschritten im Zuge der Dekolonisierung und Ansätzen zu einer internationalen Entwicklungszusammenarbeit finden dann in den 1970er Jahren durch die beginnende Ära der neoliberalen Globalisierung ein Ende, wie der Autor anhand einer Fülle von Beispielen zeigt.
Wie Umweltzerstörung und soziale Ungleichheit miteinander verknüpft sind, hätten in den „technik- und fortschrittsgläubigen“ 1960er und 1970er Jahren allerdings schon einzelne, vorausschauende Denkerinnen erkannt. Amrith verweist auf Hannah Arendts Skepsis gegenüber einem technischen und sozialen Fortschrittsbegriff, auf die wissenschaftlichen Darstellungen der US-amerikanischen Biologin Rachel Carson und auf die Reden der indische Politikerin Indira Ghandi.
Insbesondere Indira Gandhi habe schon auf „der ersten Umweltkonferenz 1972“ (430) auf zwei entscheidende Punkte hingewiesen, die für den Autor bis heute ihre Gültigkeit bewahrt haben: erstens, für ein pluralistisches Verständnis der Erde als Ort, den der Mensch mit seinesgleichen und anderen Spezies gemeinsam bewohnt, kann ein menschlicher Freiheits- und Herrschaftswille über die Natur nur zerstörerisch wirken. Zweiten, „die Anstrengungen für den Schutz der Umwelt“ müssten „schlichtweg scheitern, wenn sie isoliert von sozialer Gerechtigkeit verfolgt werden.“ (430). Ein wie immer geartetes planetarisches Projekt zur Rettung der Erde, so der Autor, müsse sich auch heute von diesen Ideen leiten lassen. Nur so könnten die dunklen „Hinterlassenschaften“ (430) einer westlichen Fortschrittsgeschichte überwunden werden.
- Epilog: Wege zur Wiederherstellung (431 ff.)
In seinem Epilog setzt der Autor auf soziale Bewegungen in ländlichen Gebieten und in den kreativen kosmopolitischen Milieus der Städte, die sich für eine „Wiederherstellung oder Restaurierung der Natur“ (437) einsetzen. Jedes neu erfundene „umweltbewusste Video-Game“ (440), jeder „neu gepflanzte Baum“ (440) symbolisiert für Amrith ein Stück Resilienz gegen die Kräfte eines Autoritarismus, der das Ende des fossilen Zeitalters verleugnet.
Diskussion
Das „Haus der modernen Freiheit“ sei nach Dipesh Chakrabarty, den der Autor hier zustimmend zitiert, „auf dem immer weiter expandierenden Fundament des Gebrauchs fossiler Brennstoffe“ (19) aufgebaut. Da auch die vom Autor zitierte „Erd-Charta“ von 2001 feststellt, dass viele Prozesse der Naturzerstörung irreversibel sind, macht die Rede des Autors von einem „Schutz der Natur“ vor herrschaftlichen Eingriffen fragwürdig. Auch Amrith These von der „toxischen Beziehung zwischen menschlicher Freiheit und ökologischer Vitalität“ (21) wirft eine Reihe von Fragen auf:
- Ist der historisch in Westeuropa entstandene moderne Subjekt- und Freiheitsbegriff wirklich so eindimensional und „triumphalistisch“ angelegt, dass er unfähig wäre, die Verantwortung des Menschen als „erdgeschichtlicher Akteur“ zu reflektieren? Gerade die historisch in Westeuropa entstandenen Naturwissenschaften und ihre modernen Technologien ermöglichen uns heute die Grenzen des fossilen Wachstumsvorstellungen zu erkennen. Amriths Vorschlag, die „humanozentrische“ oder „anthropozentrische“ Perspektive zugunsten einer „Liebe zur Erde und zur Natur“ zu überwinden, wird der Problemlage nicht gerecht. Fällt eine Rhetorik der „Erhaltung der Natur“ und der „Nachhaltigkeit“, die suggeriert, dass eine Rückkehr zu intakten Verhältnissen oder ein „Schutz der Natur“ möglich wäre, nicht hinter ein Wissen um die bereits eingetretenen, irreversiblen Eingriffe des Menschen in die Natur zurück? (Zur Gefahr des politischen Antimodernismus: Seyla Benhabib, Kosmopolitismus im Wandel, Zwischen Demos, Kosmos und Globus, 2024).
- Müsste Amrith nicht seine Kritik am Fortschrittsbegriff dahingehend präzisieren, dass er die Differenzierungsgewinn der Moderne von einem libertären Freiheits- und Fortschrittsbegriff unterscheidet, der das bestehende Wissen über die mögliche Rückwirkungen der wirtschaftlichen Eingriffe auf die Biosphäre ignoriert? Dieser „Effekte der Abschottung gegen Erfahrungen“ (Rahel Jaeggi, Fortschritt und Regression, Berlin 2023) ist als Regression nicht nur bei politischen und wirtschaftlichen Eliten festzustellen.
- Sind es tatsächlich nur die „Mächtigen und Privilegierten“ (442), die die Natur und die Menschen „im Würgegriff“ (442) halten? Die rechtlichen und politischen Forderungen einer ökologischen Transformation der Gesellschaft gerade in Demokratien haben noch mit ganz anderen „Blockaden“ zu kämpfen.
Es braucht neue globale Instrumente der demokratischen Selbststeuerung, um die destruktive „Naturgewalt“ der Menschheit einzuhegen. Aber angesichts einer eher bedrohlicher Zukunft klammern sich nicht nur in den westlichen Demokratien die Menschen lieber an die Gegenwart oder ihre Vorstellungen von einer besseren Vergangenheit statt „grünen“ Zukunftsvisionen zu folgen. Gegen die Haltung „Augen zu und durch“ der „Klimaleugner“ werden noch mehr Ökoprotest und Aufklärung über die Notwendigkeit eines kosmopolitischen Bewusstseins nur bedingt helfen, so wichtig sie auch weiterhin sind. (vgl. Philipp Staab: „Systemkrise. Legitimationsprobleme im grünen Kapitalismus“. Berlin 2025).
Sunil Amrith globale Umweltgeschichte gibt einen wertvollen Einblick in das das dicht gewobenen historische Geflecht aus Umweltzerstörung, sozialer Ungleichheit und dem Wiederaufleben militärischer Gewalt. Wenn er am Schluss seines Buchs feststellt, dass „nicht die Natur uns Menschen“ brauche, sondern „wir Menschen die Natur“ kann man ihm darin nur zustimmen. Seine optimistische These, dass die „planetarische Krise“ als Gegenreaktion ungeahnte politische Widerstandskräfte gegen die Naturzerstörung freisetzen wird, erscheint dagegen mehr als fragwürdig. Die vom Autor beschworene „Liebe zur Erde“ und die damit verbundene „ökologische Trauer“ über verschwundene Landschaften können auch von reaktionären Bewegungen instrumentalisiert werden – eine Möglichkeit, die der Autor in seinem Buch nicht thematisiert.
Fazit
Das Buch Sunil Amriths über 500 Jahre globaler Umweltgeschichte, vom westlichen Kolonialismus bis zu heutigen Formen ökologischer Ungleichheit, überzeugt durch seine Darstellung des Zusammenhangs zwischen Naturzerstörung und sozialer Ungleichheit. Auch wenn man den Optimismus des Autors in die Kraft der Umwelt- und Klimabewegungen nicht teilt, so muss man doch hoffen, dass es bezogen auf Europa und die globale Klimapolitik gelingen kann, wirksame Maßnahmen zur Reduktion des CO₂-Austoßes mit Hilfen für einkommenschwache Schichten und einem Ausgleich für arme Länder zu verbinden.
Rezension von
Peter Flick
Lehrer, unterrichtet die Fächer Sozialwissenschaften, Praktische Philosophie und Deutsch
Mailformular
Es gibt 43 Rezensionen von Peter Flick.





