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Marianne Schmidt-Grunert: Das Gruppengespräch in der Sozialen Arbeit

Rezensiert von Prof. Dr. Joachim König, 14.02.2006

Cover Marianne Schmidt-Grunert: Das Gruppengespräch in der Sozialen Arbeit ISBN 978-3-7841-1616-7

Marianne Schmidt-Grunert: Das Gruppengespräch in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung in qualitative Analyse und Evaluation. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2005. 220 Seiten. ISBN 978-3-7841-1616-7. D: 16,00 EUR, A: 14,00 EUR, CH: 28,60 sFr.

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Hintergrund und Funktion des Buches

Ein doppelter und in beiden Fällen hoher Anspruch wird formuliert! Das Buch will zum einen "Studierenden und Praktikerinnen eine Anleitung zur Durchführung von Forschungs- und Evaluationsprojekten an die Hand geben und sie motivieren, diese in eigener Regie durchzuführen." Zum anderen beabsichtigt es - mindestens genauso ambitioniert -"einen Beitrag zur Entwicklung einer aus der Empirie begründeten Theorie der Kleingruppe in der Sozialen Arbeit" zu leisten. Die Autoren ist aber - kurzer Blick in ihre Vita - durchaus prädestiniert dazu, diesen Anspruch auch einzulösen. War sie doch, inzwischen langjährige Professorin für Theorien und Methoden Sozialer Arbeit in Freiburg und Hamburg, während ihres eigenen Studiums eine Schülerin Heinrich Schillers, der in seiner Zeit als Hochschullehrer und Präsident an der Ev. Fachhochschule Nürnberg ganz wesentlich zur Entwicklung des "Social Group Work" beigetragen hat. Außerdem sprechen auch ihre langjährigen Berufserfahrungen außerhalb der Hochschule im Bereich der Arbeit mit und Leitung von Gruppen für eine solide Einlösung dieses Anspruchs.

Inhaltliche Einblicke in das Buch

Den grundlegenden Einstieg bildet Definitorisches zum Begriff der sozialen Gruppe, zur Kleingruppenforschung und zur problematischen und zunächst wohl eher verwirrenden begrifflichen Abgrenzung zwischen den Bedeutungen von Gruppengespräch und Gruppendiskussion. Eine echte Trennschärfe ist durch das gesamte Buch hindurch in dieser Hinsicht kaum zu erkennen und: Zu dieser Unklarheit kommt eine zweite, die - zumindest für die inhaltlich eher noch distanzierte LeserIn - die Sache nicht einfacher macht: Vom Gruppengespräch (respektive der Gruppendiskussion) ist sowohl als Methode qualitativer Forschung in der Sozialen Arbeit als auch als deren Gegenstand die Rede. Gespräche als Bestandteil der Praxis der Sozialen Arbeit sollen also zum einen erforscht und zum anderen als Instrument der Datenerhebung zur Erforschung dieser Praxis verwendet werden. Wer diese Zweigleisigkeit verstanden und auch akzeptiert hat, profitiert dann aber von der weiteren Lektüre der vier Teile dieses Buches durchaus - und zwar in vielerlei Hinsicht:

Im ersten Teil wird das Gruppengespräch in methodologischer Hinsicht im Rahmen verschiedener qualitativer Paradigmata verortet, vor allem seine Bedeutung als Datenerhebungsinstrument vor dem Hintergrund der "grounded theory" (Straus & Corbin, 1996) wird herausgearbeitet. Dann (zweite Ebene!) konzipiert die Autorin das Gespräch als Gegenstand empirischer Forschung. Dazu schlägt sie ein konkretes Forschungsdesign im Hinblick auf die Formulierung von Hypothesen, die Erhebung und Aufbereitung der Daten und ihre Analyse auf - zugegeben - hohem Niveau vor.

Im zweiten Teil bietet dieses Buch dann konkretes empirisches Anschauungsmaterial zur Erforschung von Gruppengesprächen: Aus dem Bereich der stationären Jugendhilfe werden Sequenzen aus Gesprächen vorgestellt und - immer wieder beispielhaft - ihre Auswertung gut nachvollziehbar dargestellt. Vor allem die komparativen Analysen geben einen schönen Einblick in die Reichweite konzeptionell hoch spannender Interpretationen, - allerdings auch in den enormen Aufwand und in die Komplexität, die mit solchen Formen qualitativer Sozialforschung verbunden sind.

Der dritte Teil widmet sich wiederum der Methodenperspektive. Das Gespräch als Instrument zur Evaluation wird in aller Breite und zunächst grundsätzlich entfaltet: Verschiedene Begriffe und Konzepte von Evaluation, methodologische Standards und Gütekriterien sowie Prinzipien zur Erhebung von Evaluationsdaten spielen dabei eine wesentliche Rolle. Dass die Autorin dann in einem eigenen Kapitel auf konkrete, didaktisch-metodische Überlegungen zum Gruppengespräch als Evaluationsinstrument eingeht, macht Sinn, weil sich ja erfahrungsgemäß gerade an der Stelle entscheidet, wie es um die Validität der gewonnen Daten schließlich bestellt ist. Allerdings verwirrt die Überschrift: "Überlegungen zur Durchführung der Evaluation von Gruppengesprächen" impliziert- siehe oben -, es ginge wieder darum, das Gespräch als Gegenstand von Evaluation zu betrachten.

In einem kurzen vierten Teil wird schließlich zusammen gefasst: Zugespitzt auf das "subjektive Interesse" der GesprächsteilnehmerInnen als zentraler Kategorie, analysiert die Autorin das vorliegende Datenmaterial entlang den methodischen Grundüberlegungen der "grounded theory" und kommt nach einigen interessanten, thesenhaft formulierten Zwischenergebnissen zu dem zentralen Fazit, "dass es für Gruppenpädagoginnen, Teamleitungen und auch Moderatoren hilfreich sein kann, den in sozialen Gruppen sich artikulierenden subjektiven Interessen Aufmerksamkeit zu widmen. Das Ernstnehmen der subjektiven Handlungsentwürfe ist die Voraussetzung dafür, die qualitativen Strukturen des Alltagshandelns in Sozialen Gruppen aller Art im Selbstverständnis der Akteure wahrzunehmen, also darin, wie sie absichtsvoll in Szene gesetzt sind, um sich auf dieser authentischen Basis des wirklichen Lebens auseinander zu setzen."

Fazit

Die Zweigleisigkeit des Buches macht seinen Reiz aus: Gruppengespräche werden als Methode zur Gewinnung von Daten zu verschiedenen Gegenständen und als Gegenstand der Forschung selbst thematisiert. Der Wechsel zwischen den beiden Ebenen der Betrachtung (in manchen Teilen geht es wohl auch um beide gleichzeitig!) könnte den geneigten Leser aber möglicherweise auch etwas verwirren oder letzten Endes von einer Gewinn bringenden Lektüre sogar abhalten. Zumal die Komplexität der entwickelten empirisch-qualitativen Methodik insgesamt nicht unerheblich ist!

Ansonsten handelt es sich um ein theoretisch wie auch empirisch-methodisch gehaltvolles Buch, das vor allem wegen seiner Nähe zur Praxis der Sozialen Arbeit, aus der die Gegenstände empirischer Analysen gewonnen werden, sehr zu empfehlen ist. Einen Beitrag zur Entwicklung einer aus der Empirie begründeten Theorie der Kleingruppe leistet es allemal. Ob es allerdings wirklich auch - im Sinne einer Handreichung oder eines Lehrbuchs - geeignet ist, Studierenden und Praktikerinnen eine Anleitung zur Durchführung von Forschungs- und Evaluationsprojekten an die Hand zu geben und sie zu motivieren, diese in eigener Regie durchzuführen, mag - vor dem Hintergrund der Komplexität der Materie - zumindest bezweifelt werden.

Rezension von
Prof. Dr. Joachim König
Evangelische Hochschule Nürnberg
Allgemeine Pädagogik & Empirische Sozialforschung
Leiter des Instituts für Praxisforschung und Evaluation
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Es gibt 26 Rezensionen von Joachim König.

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Zitiervorschlag
Joachim König. Rezension vom 14.02.2006 zu: Marianne Schmidt-Grunert: Das Gruppengespräch in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung in qualitative Analyse und Evaluation. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2005. ISBN 978-3-7841-1616-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/3371.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.


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