Dieter Mersch: Kann KI Kunst?
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 27.10.2025
Dieter Mersch: Kann KI Kunst? Eine ästhetische Kritik. Herbert von Halem Verlag (Köln) 2025. 412 Seiten. ISBN 978-3-86962-709-0.
Artificial Intelligence
Digital Art, als neue, technologische Gestaltungsform, hat in der Kunstwelt, bei Sammlern und Museen eine neue Aufmerksamkeit bewirkt. Die Frage, ob KI Kunst kann, kreativ und künstlerisch oder nur künstlich ist, bestimmt den kontroversen Diskurs. Mathematisches Bewusstsein als rationale, vernunftbestimmte Kompetenz, ist schließlich das Tor hin zur Aufklärung und der immanenten, richtigen wie falschen Fragestellung, ob Maschinen denken können. Es ist der Irrgang, ob die humanen neuronalen Netzwerke Modell für KI sein können, oder ob die menschliche Fähigkeit, Unterscheidbares vom Ununterscheidbarem, Gutes vom Bösen, Richtiges vom Falschen unterscheiden und selbst denken zu können (Immanuel Kant).Es ist die Lebenskraft, Allgemeinurteile fällen zu können (Aristoteles), und es ist die Unterscheidbarkeit zwischen Logik und Paradoxie, die der Conditio Humana ihre Einmaligkeit gibt; „als Denken des Denkens, der Wahrnehmung der Wahrnehmung, der Erkenntnis der Erkenntnisweisen“. Menschlicher Geist ist nicht computerisierbar, was aber nicht bedeutet, dass Künstliche Intelligenz nicht auch kreativ sein kann. Dabei stellt sich weniger die Frage – „Was ist Kunst? – sondern vielmehr: „Wann ist Kunst?“ (Goodman).
Autor und Aufbau
Der (em.) Mathematiker Dieter Mersch war von 2018 bis 2021 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik. Mit der umfangreichen Studie setzt er sich damit auseinander, dass Kunst „Denken eigener Art“ ist. Individuelles, paradigmatisches Denken und Handeln unterscheidet sich grundlegend von der „Macht der (menschengemachten) Maschinen“. Neben der Einleitung gliedert der Autor das Buch „Kann KI Kunst?“ in die Bereiche „Formalisierung von Kreativität. Zur Mathematisierung des Ästhetischen“. Mit einer synoptischen Skizze setzt er sich auseinander mit „Kritik algorithmischer Rationalität“. Er betrachtet mit einer Vorgeschichte maschineller Ästhetiken „Kunst aus dem Computer“. Er thematisiert die „Entwicklung und Arbeitsweise Künstlicher Intelligenzsysteme“. Er reflektiert „Kunstmachen mittels Deep Learnung“ und übt „Ästhetische Kritik der Artifical Art. Er beschließt das Buch mit Perspektiven „Denken, das anders ist als algorithmische Rationalität“.
Inhalt
Im europäischen metaphysischen Denken bildet das universal mathematische, technologische Denken eine Verbindung zum sozial bestimmten Bewusstsein. Es sind die Versuchungen und Täuschungen zwischen Modell, Programm und Realität, die erkennbar und akzeptabel machen, dass Synonym das Gegenteil von Antonym ist. Die Kritik an der algorithmischen Rationalität zeigt, dass die Vernunft dem Verstand Ziele setzt, während „die instrumentelle Rationalität einer Mathematisierung der Wirklichkeit dazu neigt, diese sich restlos anzueignen“. Das Computierbare und das Mathematische sind disparat. Ist Kreativität mathematisierbar? Oder: „Kann KI Kunst?“. Weil künstlerisches Denken und Tun ohne kreative Impulse undenkbar ist, „wie umgekehrt das kreative Moment seinen stärksten Impuls aus dem künstlerischem Denken empfängt“, ist die produktive Einbildungskraft systemrelevant.
In der Auseinandersetzung darüber, was Kunst ist und ob KI Kunst kann, bedarf es der Nachschau, wie „Artificial Neural Network“ funktioniert – „aus Schichten miteinander verbundenen ‚Neuronen‘“. Es ist die Menge und Auswahl von Daten, die aus der Vergangenheit genommen werden, um die Gegenwart und Zukunft zu projizieren. „Dabei steht nicht der Vergleich zwischen humaner und maschineller ‚Intelligenz‘ im Vordergrund, sondern zwischen einer menschlichen Bildersammlung und maschinell erzeugten Artefakten und deren Unterscheidbarkeit“ im Fokus. „Unterscheidbarkeit ist sowohl eine Sache der Auflösung als auch der digitalen Forensik“. Der Unterschied zwischen Kreativität und Emergenz lässt sich herauslesen, dass „zwischen dem Ähnlichen und dem Unähnlichen eine Lücke“ besteht, was wiederum keinen Vergleich mit der Mathematik Künstlicher Intelligenz zulässt.
Wer sind die KI-Künstler*innen? Es sind überwiegend Land-Art-, Farb- und Licht-Projekte und Installationen, Text- und Bild-Generatoren, die monumentale und „griffige“ Produkte digital erzeugen und mit der dreifachen Gleichung – Computer und Gehirn, Gehirn und Denken, Denken und Rechnung – arbeiten. Im kontroversen Diskurs fällt auf, dass die Informationen und Modellbildungen überwiegend technologisch, innovativ und feuilletonistisch, eher selten ethisch, ästhetisch und philosophisch verlaufen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung in pädagogischen, kulturellen, sozialen und medialen Zusammenhängen verläuft eher meta-, denn kritisch.
Diskussion
„Deep Learning“ oder „Machine Learning“ sind Herausforderungen, die gesellschaftsverändernd wirken. Es sind berufliche Veränderungsprozesse, die sich mit und durch KI vollziehen. Es sind urheberrechtliche Fragen, die sich stellen. Es wäre bedeutsam, die künstlichen Intelligenz-Theorien, Praxen und naiven Kunst- und Kreativitätsbegriffe philosophisch zu konfrontieren. Weil nämlich Kunst anderes Denken und Handeln, ästhetische Reflexion und epistemische Praxis ist.
Fazit
Die technologischen und intellektuellen Systeme der Künstlichen Intelligenz können – als Werkzeug und Methode – das Leben auf der Erde erleichtern und voranbringen, physisch und psychisch, etwa in der Medizin, im Umweltschutz…; künstlerisches Schaffen kann und darf es nicht ersetzen!
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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