Klaus Lionnet, Annette Lionnet: Handbuch der [...] Schiedsgerichtsbarkeit
Rezensiert von Dr. iur. Marcus Kreutz, 25.04.2006
Klaus Lionnet, Annette Lionnet: Handbuch der internationalen und nationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Systematische Darstellung der privaten Handelsschiedsgerichtsbarkeit für die Praxis der Parteien.
Richard Boorberg Verlag
(Stuttgart) 2005.
3., neubearbeitete Auflage.
895 Seiten.
ISBN 978-3-415-03430-3.
198,00 EUR.
CH: 299,00 sFr.
Einschließlich CD-ROM mit einschlägigen Normen und Regelwerken.
Die Schiedsgerichtsbarkeit als echte Rechtsprechung
Unternehmen, die internationale Geschäftstätigkeiten entfalten, vereinbaren in vielen Fällen mit ihren Geschäftspartnern schon seit Jahrzehnten, dass im Falle von Streitigkeiten Schiedsgerichte eine einvernehmliche Regelung herbeiführen sollen. Aber auch auf nationaler Ebene begegnet diese Form der Jurisdiktion immer öfter. So haben z.B. die öffentliche Hand einerseits und die Firma TollCollect andererseits bei der Schaffung des Mautsystems auf deutschen Autobahnen für Lastkraftwagen ebenfalls die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts für die Entscheidung von Meinungsverschiedenheiten vereinbart. Die Beweggründe der beteiligten Parteien für die Verlagerung von Rechtsprechung auf private Gerichtsbarkeit sind dabei sehr unterschiedlich. Zum einen haben es die Parteien bei der Schiedsgerichtsbarkeit weitestgehend selbst in der Hand, eigene Verfahrensregelungen zu schaffen. Dies führt zu einer größeren Flexibilität des Schiedsgerichts, die auch eine schnellere Entscheidungsfindung im Vergleich zur staatliche Gerichtsbarkeit mit sich bringen kann und soll. Zum anderen können die Parteien auch auf die Zusammensetzung des Schiedsgerichts insoweit Einfluss nehmen, als dass sie fach- und sachkundige Schiedsrichter benennen, so dass es für diese obsolet werden kann, sich erst in alle Einzelheiten des Streitfalls einzuarbeiten, um erst dann ein fundiertes und überzeugendes Urteil zu fällen. Auch dies führt daher zu Effizienzsteigerungen. Nicht zu vernachlässigen ist auch der Umstand, dass bei einer Einflussnahme auf die Bestellung der Schiedsrichter - selbstverständlich unter Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze - die Parteien auch viel eher bereit sind, den Schiedsspruch auch gegen sich gelten zu lassen. Wegen dieser Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit und vor allem auch wegen ihrer internationalen Üblichkeit im Geschäftsleben, sieht die ZPO die Schiedsgerichtsbarkeit als echte Gerichtsbarkeit vor. Bei der Schiedsgerichtsbarkeit handelt es sich demnach um echte Rechtsprechung, die an die Stelle staatlicher Rechtsprechung tritt. Auch für Einrichtungen, die soziale Dienstleistungen erbringen, kann die Schiedsgerichtsbarkeit Vorteile bringen. Auch solche Organisationseinheiten sind oft auf schnelle Entscheidungen angewiesen. Nur so kann unter immer unsicher werdenden Handlungsparametern eine gewisse Planungssicherheit erzielt werden. Auch der psychologische Aspekt der größeren innerlichen Annahmebereitschaft des Judizes, wenn man auf die Schiedsrichterbestellung Einfluss genommen hat, ist nicht unterschätzen. Schließlich sind soziale Dienstleistungserbringer aber auch immer öfter grenzüberschreitend tätig, so dass auch insofern die Konstituierung eines Schiedsgerichts zusammen mit den ausländischen Vertragspartner unter Umständen empfehlenswert ist. Aus diesen Gründen ist eine Vorstellung des hier zu besprechenden Werkes angezeigt. Vorweggeschickt sei die Aussage, dass der Nutzer des Buches nicht die Erläuterung der Vereinsschiedsgerichtsbarkeit durch die beiden Autoren des Werkes erwarten darf. Dies konzentrieren sich vielmehr ausschließlich auf die Handelsgerichtsbarkeit.
Die Autoren
Bei den beiden Autoren handelt es sich um ausgewiesene Kenner ihres Fachs. Dr. Klaus Lionnet ist Rechtsanwalt in Erlangen. Zuvor war er Leiter der Siemens Rechtsabteilung ebenda. In dieser Eigenschaft hat er jahrelange Erfahrungen in der Schiedsgerichtsbarkeit gesammelt. Er hatte dabei Gelegenheit, als Schiedsrichter in vielen internationalen Schiedsverfahren zu sein. Er ist Mitglied der ICC Commission on International Arbitration in Paris und der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS) in Köln. In den Jahren 1985 bis 2000 war er Mitglied des Vorstand der DIS. Annette Lionnet ist gleichfalls als Rechtsanwältin in einerwirtschaftsrechtlich ausgerichteten Kanzlei in Nürnberg tätig. In der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. ist die Mitglied.
Aufbau des Werks
Das Buch gliedert sich in übersichtlicher Weise in insgesamt zehn Kapitel nebst einem Anhang. Bei diesen zehn Kapiteln handelt es sich um:
- Einleitung
- Rechtsgrundlage der Schiedsgerichtsbarkeit
- Schiedsvereinbarung
- Schiedsgericht
- Durchführung des Schiedsverfahrens
- Schiedsspruch
- Besondere Probleme des Schiedsverfahrens
- Besondere Verfahren
- Schiedsgerichtsinstitutionen
- Kosten
Der Anhang enthält wichtige Statuten, die sowohl in englischer als auch in deutscher Sprache abgedruckt werden. Dazu gehören u.a. die New York Convention 1958, die ICC Rules 1998, die AAA Int. Arb. Rules 2003 sowie die UNCITRAL Arbitration Rules 1976. Ein ausführliches Literaturverzeichnis zu Beginn des Werks sowie ein umfassendes Stichwortverzeichnis am Ende des Buchs runden das wichtige Arbeitsmittel für Juristen, die sich mit der Schiedsgerichtsbarkeit fassen, ab. Eine weitere Entwicklungsstufe der Handhabbarkeit erfährt das Buch durch die beiliegende CD-Rom. Sie enthält das komplette Buch in elektronischer Form und bietet so wertvolle Funktionen wie indexierte Volltextsuche, Links zu allen Normen und Regelwerken in deutscher und englischer Sprache sowie in das Internet. Wichtig für die Praxis sind auch die auf der CD-Rom zu findenden Checklisten. Für Studenten besonders vorteilhaft sind auch die E-Learning-Tools, die sich auf der CD-Rom befinden.
Bewertung einzelner Erläuterungen
Die beiden Autoren äußern sich in Kapitel 1 (S. 86 ff.) zur rechtspolitischen Bedeutung der nationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Die Gründe für immer größer werdende Beliebtheit von Schiedsgerichten auch auf nationaler Ebene sehen sie in der wesentlich größeren Parteiautonomie. Dies führt nach richtiger Ansicht der Verfasser zu mehr Effizienz und Akzeptanz der Schiedssprüche. Dies stellen große Vorteile des konsensual konzipierten Schiedsverfahren im Vergleich zur staatlichen Gerichtsbarkeit dar, welche eher auf hoheitlicher Autorität und antagonistischer Parteistellung beruht. Als weiteren Grund, der für die verstärkte Berücksichtigung von Schiedsgerichten im Wirtschaftsleben spricht, nennen die Autoren die Knappheit der Ressource Recht. Staatliche Gerichte erfahren bereits seit Jahrzehnten ein ungekanntes Maß von Inanspruchnahme, so dass von zeitnaher Rechtsprechung oft nicht die Rede sein kann (S. 87). So richtig und wichtig diese Gründe für die Intensivierung der privaten Gerichtsbarkeit durch Schiedsgerichte sind, so unbeachtet bleibt dabei jedoch die Tatsache, dass im Ernstfall noch ein staatliches Gericht den Schiedsspruch für vollstreckbar erklären muss. Zwar führen die Verfasser in diesem Zusammenhang aus, dass Schiedssprüche in der Regel freiwillig erfüllt werden (S. 417). Dies mag in der Praxis tatsächlich der Regelfall sein. Zu vernachlässigen ist das evtl. dann doch erforderliche Vollstreckbarkeitsverfahren (sog. Exequator) aber dennoch nicht. Denn dadurch kann sich der Vorteil des Schiedsverfahrens (schnelle Entscheidung) doch wieder in ihr Gegenteil (Notwendigkeit der Vollstreckbarerklärung durch staatliches Gericht) verkehren. Eine ausschließlich positive Sicht auf das Schiedsverfahren ist daher nicht unbedingt angebracht.
Von immenser praktischer Bedeutung ist die von den Autoren sehr ausführlich behandelte Problematik der sog. Mehrparteien-Schiedsgerichtsbarkeit (S. 430 ff.). Der häufigste Fall eines Schiedsverfahrens mit mehr als zwei Parteien ist ein Rechtsstreit über Ansprüche, die von mehreren Klägern erhoben oder gegen mehrere Beklagte geltend gemacht wird. Bei dieser Konstellation handelt sich um die im deutschen Zivilprozessrecht bekannte sog. Streitgenossenschaft. Die Autoren legen bei der Erörterung dieser Problematik richtigerweise besonderes Augenmerk auf die Thematik des gleichen Einflusses auf die Konstituierung des Schiedsgerichts (S. 438 ff.) Danach müssen die Parteien den gleichen Einfluss auf die Benennung der Schiedsrichter haben. Es muss insofern also eine Einigung der Parteien gegeben sein, die entweder zusammen auf Kläger- oder auf Beklagtenseite stehen. Dazu werden von den beiden Autoren die im deutschen Schiedsgerichtsverfahren vertretenen Literaturauffassungen dargestellt (S. 439 f.). Die Verfasser schließen sich dabei der von Schlosser und Schwab vertretenen Auffassung an, dass keinem Streitgenossen das Grundrecht zur Auswahl und Ernennung eines eigenen Schiedsrichters genommen werden darf. Erfolgt unter dieser Prämisse keine Einigung zwischen der Parteien auf einen Schiedsrichter, werde die Streitgenossenschaft unzulässig mit der Folge, dass die Verfahren getrennt werden müssen oder, falls dies nicht beantragt wird, die Klage abzuweisen ist (S. 439). Dieser Ansicht ist zuzustimmen, da ansonsten der Vorteil des Schiedsverfahrens, eben der eigene Einfluss auf die Schiedsrichterbenennung, verloren ginge. Es bestünde daher kein Anreiz mehr, sich auf die Schiedsgerichtsbarkeit einzulassen. Das Schiedsgericht würde bei anderer Sichtweise genauso funktionieren, wie ein staatliches Gericht, bei deren Besetzung des Richterstuhls man ebenfalls keinen Einfluss hat.
Fazit
Wer sich beruflich, studierend oder wissenschaftlich mit der Handelsschiedsgerichtsbarkeit fundiert auseinandersetzen muss oder will, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Die Autoren verstehen es, sprachlich meisterhaft die praktischen Probleme der nationalen und internationalen Schiedsgerichtsbarkeit zu beleuchten. Die umfassende Darstellung aller Themen, die zu Schwierigkeiten in der forensischen Praxis führen können, macht das Werk unverzichtbar. Der Abdruck auch der internationalen Regelungen befähigen den Nutzer grenzüberschreitende Sachverhalte zu bearbeiten. Die CD-ROM schließlich rundet das Werk in beeindruckender Weise ab. Sie ermöglicht dem Nutzer eine interaktive Nutzung der Informationen, die den Gepflogenheiten moderner Bürokommunikation folgend sofort am Bildschirm und im Internet erfolgen kann.
Rezension von
Dr. iur. Marcus Kreutz
LL.M., Rechtsanwalt. Justiziar des Bundesverbandes Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e.V. in Köln
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Zitiervorschlag
Marcus Kreutz. Rezension vom 25.04.2006 zu:
Klaus Lionnet, Annette Lionnet: Handbuch der internationalen und nationalen Schiedsgerichtsbarkeit. Systematische Darstellung der privaten Handelsschiedsgerichtsbarkeit für die Praxis der Parteien. Richard Boorberg Verlag
(Stuttgart) 2005. 3., neubearbeitete Auflage.
ISBN 978-3-415-03430-3.
Einschließlich CD-ROM mit einschlägigen Normen und Regelwerken.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/3466.php, Datum des Zugriffs 15.10.2024.
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