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Jürgen Wingchen: Kommunikation und Gesprächsführung für Pflegeberufe

Rezensiert von Prof. Dr.rer.medic. Christa Winter von Lersner, 25.07.2006

Cover Jürgen Wingchen: Kommunikation und Gesprächsführung für Pflegeberufe ISBN 978-3-89993-439-7

Jürgen Wingchen: Kommunikation und Gesprächsführung für Pflegeberufe. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Brigitte Kunz Verlag (Hagen) 2006. 2., aktualisierte Auflage. 296 Seiten. ISBN 978-3-89993-439-7. 19,90 EUR. CH: 33,90 sFr.

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Einführung

Direktes pflegerisches Handeln im Kontext von Gesundheitsförderung, Verhütung und Linderung von Erkrankungen, Behinderungen und von menschlichem Leiden ist immer auch ein Beziehungs- und Gestaltungsprozess zwischen Pflegenden und dem/der zu Pflegenden. Die verschiedenen Wege zum Erreichen des Ziels einer einfühlsamen und zugleich wirksamen Kommunikation mit Patienten/Klienten/Bewohnern im allgemeinen und mit sogenannten "schwierigen" Patienten im speziellen zeigt die zweite Auflage des Lehr- und Arbeitsbuches stringent, anschaulich und gut verständlich auf.

Autor und Hintergrund für die Entstehung des Buches

Der Autor, Diplom-Pädagoge und erfahrener Dozent in der Aus- Fort- und  Weiterbildung von Gesundheitsfachberufen in Köln befasst sich in der vorliegenden zweiten und aktualisierten Auflage mit einem für Pflegende zentralen Wissens- und Kompetenzbereich der Kommunikation und Gesprächsführung. Dieser wird im ersten Teil des Buches unter Verwendung von  einschlägigen Kommunikationstheorien und -modellen systematisch und praxisnah dargelegt; Im zweiten Teil des Buches werden am Beispiel von ausgewählten Pflegephänomenen (Sterben, Trauer; Aphasie; Krisensituationen)  einzelne Aspekte der Kommunikationstheorien auf klinische Situationen übertragen. Damit leistet der Autor einen wichtigen Beitrag zur Erweiterung und Vertiefung der kommunikativen Kompetenz von Pflegenden, aber auch zur Entwicklung und Aufrechterhaltung von Kommunikationsfähigkeit.

Aufbau und Inhalte

Das Buch ist in zwei große Bereiche und 14 Kapitel unterteilt. Am Ende eines jeden Kapitels finden sich Hinweise und Anschriften zur themenzentrierten Fort- und Weiterbildung und ein detaillierter Lernzielkatalog, um das aktuell erworbene Wissen zu überprüfen kann. In die zweite Auflage neu aufgenommen wurden vor allem praxisnahe Kapitel, die den Pflegenden eine besondere kommunikative Sensibilität und Reflexivität abverlangen: Kapitel 10 (Begleitung Sterbender und Trauernder), Kapitel 11 (Kommunikation und Aphasie), Kapitel 12 (Kommunikation und Mitarbeiterführung), Kapitel 13 (Angehörigenarbeit und Beschwerdemanagement) und Kapitel 14 (Kommunikation in Krisensituationen). Ein Literatur- und ein Stichwortregister schließen das Fachbuch ab.

  • Das erste Kapitelgibt einen Überblick über Ziele, Aufbau und Inhalte des Buches.
  • Das zweite Kapitel wurde vom Autor als Grundlagen-Kapitel konzipiert. Es werden die Unterschiede zwischen Kommunikations- und Interaktionsprozessen ebenso erörtert wie die Steuerung menschlicher Kommunikation durch neurologische und hormonelle Einflussfaktoren. Ferner enthält dieses Kapitel grundlegende Informationen zum Inhaltsaspekt und Beziehungsaspekt von Kommunikation und zur Frage, auf welche Weise individuelle Wünsche und Bedürfnisse den Verlauf einer Kommunikation beeinflussen. Die folgenden vier Kapitel sind einschlägigen Modellen der Kommunikation gewidmet.
  • Das dritte Kapitel widmet sich der nondirektiven, personzentrierten Gesprächsführung von Carl R. Rogers (vgl.: Die klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie, München, 1973), einem der Begründer und Hauptvertreter der Humanistischen Psychologie. Diese gut elaborierte Kommunikationstheorie mag für manche  Pflegende und manchen Pflegenden von historischer und von aktueller Bedeutung sein: Die renommierte US-amerikanische Krankenschwester und Pflegewissenschaftlerin Faye Glenn Abdellah zählt mit ihren Kolleginnen (Beland, Martin, Matheney) zu den Pionierinnen der Pflegewissenschaft, die mit dem 1960 erschienenen Lehrbuch "Patiented-centered approaches to nurses" professionelles Pflegen auf dem Menschenbild der Humanistischen Psychologie und der nondirektiven Kommunikationstheorie von Carl Rogers gründen. Damit leiteten Abdellah et al. Anfang der 1960er Jahre den Paradigmenwechsel von der Funktionspflege zur patientenorientierten Pflege ein, der seit dieser Zeit Gültigkeit besitzt. Beruflich relevant für Pflegende ist der Rogersche Gesprächsansatz ferner dadurch, dass mehrere Pflegetheorien der ersten Generation auf dem Menschenbild und dem klientenbezogenen Gesprächsansatz von Rogers aufbauen. Im Abschnitt 3.1. wird in das Persönlichkeitsmodell Carl Rogers mit seinen drei Schlüsselbegriffen (Aktualisierungstendenz, organistischer Bewertungsprozess, Selbstkonzept) eingeführt und günstige Rahmenbedingungen für seelisches Wachstum und eine effektive Kommunikation erörtert. Sodann werden im Abschnitt 3.2.2. die grundlegenden Therapeutenvariablen "Akzeptanz", "Kongruenz" und "Empathie", durch zahlreiche Gesprächsausschnitte veranschaulicht, beschrieben.
  • Das vierte Kapitel führt in die Grundsätze der Rational-Emotiven Therapie (RET) und der Rational Emotiven Verhaltentherapie (REVT) von Albert Ellis (1979) ein. Hierbei handelt es sich um einen Gesprächs- und Therapieansatz, der auf der Grundannahme der untrennbaren Wechselbeziehung von Denken und Fühlen beruht und inhaltlich zwischen  Psychoanalyse und kognitiver (Verhaltens-) Psychotherapie angesiedelt ist. Neben der Beschreibung der grundlegenden Komponenten der RET werden vom Autor ausführlich die "Anatomie der Emotionen" beschrieben, die auch als "ABC der Emotionen" bezeichnet wird: Dabei bedeutet "A" (Aktivierendes Ereignis),"B" (Beliefs, Einstellungen), "C" (Consequences: Gefühls- oder Verhaltensreaktionen). Ausführlich beschrieben werden vom Autor ferner die "iB" (irrationale Ideen und Glaubenssätze) und  "Muss-Vorstellungen ("Ich muss."; "Du musst." ; das "Leben muss."), die das Denken, Fühlen und Handeln der betroffenen Menschen erheblich beeinträchtigen können. Die Methode des "Sokratischen Dialog", die auf den griechischen Philosophen zurückgeht und durch ein gezieltes (Nach-) Fragen charakterisiert ist, ermöglicht dem Gesprächspartner (Klienten) Selbstprüfung, eine Erweiterung der Erkenntnis und die Initiierung einer günstigen Verhaltensänderung. In Kapitel 4.4. werden Voraussetzungen für eine pflegerisch - therapeutische Kommunikation nach Ellis und die einzelnen Phasen des Kommunikationsprozesses, des Umgangs mit irrationalen Lebensauffassungen (iBs), die Anwendung der REVT in der psychosozialen Beratung und die "rationale Selbsttherapie" (Schwartz, 2002) beschrieben. Eine breite Anwendung finden die RET und REVT ferner in der Paartherapie, der Familientherapie und in der Psychotherapie von depressiven, psychotischen und Borderline-Patienten.
  • Die Grundlagen der Transaktionsanalyse von Eric Berne (1988) werden im fünften Kapitel beschrieben. Kapitel 5.1. führt in das Persönlichkeitsmodell der Transaktionsanalyse ein, das eine inhaltliche Nähe zum Instanzenmodell der Psychoanalyse Sigmunds Freuds erkennen lässt. Berne verzichtet in seinem Kommunikationsmodell hingegen bewusst und persönlich begründet auf die Terminologie der Psychoanalyse. Die einzelnen Begriffe der Strukturanalyse, das "Kind-Ich" ("C"=Child), "Eltern-Ich"("P"= Parents) und das "Erwachsenen-Ich" ("A"=Adult) werden vom Autor anschaulich dargelegt, bevor in  Kapitel 5.2. auf die Transaktionsanalyse als Kommunikationsmodelleingegangen wird. Grafisch anschaulich werden die Grundformen menschlicher Transaktionen dargestellt: die komplementären Transaktionen (syn.: parallele Transaktionen), die gekreuzten Transaktionen, die verdeckten Transaktionen (syn.: komplizierte Transaktionen, z.B. Duplex-Transaktion, Angulär-Transaktion) und die komplexen Transaktionen.  
  • Kapitel 6 widmet sich detailliert dem von Grinder und Bandler(1988) entwickelten Kommunikationsmodell des Neurolinguistischen Programmierens (NLP). Ausgehend von Erkenntnissen der Systemtheorie, Linguistik, Neurophysiologie und Psychologie, werden mittels NLP Prozesse analysiert, wie Menschen sich selbst und ihre Umwelt wahrnehmen, diese Informationen auf ihre je eigene Weise verarbeiten, entsprechend  kommunizieren, danach  handeln und sich selbst verändern (können). Ziele von NLP sind u.a. Interventionstechniken zur Verfügung zu stellen, das Verständnis für zwischenmenschliche Kommunikationsprozesse zu verfeinern, sich "leichter" auf die innere Wirklichkeit des jeweils anderen einzustellen und Flexibilität im eigenen Denken und Fühlen zu entwickeln. NLP versucht, mittels spezifischer Methoden  produktive, heilende Veränderungen im Menschen zu initiieren: Z.B. das Herstellen von Rapport-"Ankern", d.h. das Setzen von äußeren Reizen, um innere Reaktionen, Gefühle, hervorzurufen.
  • In Kapitel 7 wird die non-verbale Kommunikation behandelt. Die non-verbale Kommunikation ist eine Kommunikationsart, die in stärker entwickelten Ländern durch die Fokussierung auf verbale (digitale) Botschaften häufig vernachlässigt wird. Für eine unmissverständliche Kommunikation bedeutet die Berücksichtigung der non-verbalen Kommunikation hingegen eine unverzichtbare Dimension, welche die Einstellung der eigenen Wahrnehmung auf die inneren Welt des Gesprächspartners, dessen Gefühle, Mimik, Gestik, Körpersprache, Haltung und Gang ermöglicht. Besonders anzuerkennen ist, dass der Autor auf  den Seiten 167-173 die biographisch und kulturell unterschiedlichen "Territorialzonen" von gesunden und kranken Menschen behandelt, die einen entscheidenden Schutz vor Scham und Verletzung des Selbstwertgefühls bewirken, von  professionellen "Berührern", wie z.B. Pflegenden und Ärzten hingegen immer wieder durchbrochen werden (müssen?).
  • Kapitel 8 Lachen in der therapeutischen und pflegerischen Kommunikation beleuchtet ein Alltagsphänomen in seinen unterschiedlichsten Funktionen: der physiologischen, verhaltensbiologischen (Eibl-Eibesfeld, 1974), pflegewissenschaftlichen (Juchli, 1997) tiefenpsychologischen (Freud, 1905) und der psychotherapeutischen (Harris, 1987; Wippich, 1996; Titze, 1997; Hirsch, 1999). In Kapitel 8.4. werden einige "Lach-Techniken" wie z.B. Übertreibungen, Untertreibungen, Inkongruenzen, Verwendung von "Kunstworten" erläutert, mittels derer die "heilende Kraft des Lachens" (Juchli) geweckt und gefördert werden kann.

Teil B des Lehr- und Praxisbuches (Kapitel 9-14) ist ausgewählten Kommunikationsfeldern und Pflegephänomen gewidmet, die für Pflegende erfahrungsgemäss eine besondere Herausforderung bedeuten.

  • Kapitel 9 thematisiert den - als Folge des demographischen Strukturwandels - an Bedeutung stark zunehmenden Bereich der Kommunikation und Gesprächsführung in der Gerontopsychiatrie. Am Beispiel häufig wiederkehrender Phänomene,  z.B. der Verwirrtheit, werden unterschiedliche Facetten der Verwirrtheit mit Kommunikationsmodellen, z.B. der Transaktionsanalyse und des personzentrierten Ansatzes von  Kitwood (2004) in Verbindung gebracht. Und vice versa.
  • Kapitel 10  behandelt kommunikative Aspekte der Begleitung Sterbender und Trauernder. Auf der Grundlage von unterschiedlichen Phasenmodellen von Sterbenden (Kübler-Ross, 1974; Radebold,1984; Willig, 1996) werden vom Autor Informationen und Hinweise gegeben, um die Kommunikation in der Begleitung Sterbender "konstruktiv zu gestalten" (S. 230). Der Abschnitt 10.1.2.3 beschreibt die Symbolsprache der Sterbenden,und wie Symbole angesichts des Todes von den Pflegenden zu entschlüsseln und zu verstehen sind. Abschnitt 10.2. Verlassen sein: Die Trauerbeschreibt detailliert ausgewählte Trauermodelle (E.Kübler-Ross; H. Petzold; H. Buijssen; H.Radebold; V. Kast). In Grafiken gegeneinander gestellt, werden diese vom Autor ausführlich kommentiert. Die zentrale Frage der jeweiligen Anforderung, die in einem bestimmten Abschnitt des Sterbens vom Betroffenen zu bewältigen oder zu meistern ist, wird besonders herausgearbeitet.
  • Im Kapitel 11  Kommunikation und Aphasie werden zunächst spezifische, organisch bedingte Aphasie-Formen  (Neglect-Syndrom, Amnestische Aphasie, Broca-Aphasie, Wernicke-Aphasie, Global-Aphasie) erläutert. Daran anschliessend werden auf der Grundlage der Therapeuten-Variablen nach Carl R. Rogers (Kongruenz, Akzeptanz, Empathie) besondere Empfehlungen und Hinweise für die Kommunikation mit Menschen mit Aphasie-Störungen gegeben.
  • Kapitel 12  Kommunikation im Team. Am Beispiel von - in Teambesprechungen von Pflegenden - am häufigsten vorkommenden Gesprächsformen (Informationsgespräche, Beurteilungsgespräche, Kritikgespräche) werden unter Rückgriff auf die eingangs beschriebenen Kommunikationsmodelle theoriegestützte Anleitungen für eine wirksame Kommunikation in einem entspannten Gesprächsklima abgeleitet.
  • Kapitel 13 ist dem Thema Angehörigenarbeit und Beschwerdenmanagement gewidmet. Es werden spezifische Informations- und Kommunikationsbedürfnisse von Angehörigen erläutert und am Beispiel der Gesprächsvariablen von Carl R.Rogers und der Rapport-Techniken des NLP anschaulich erörtert. 
  • Kapitel 14 Kommunikation in Krisenzeiten. Hier werden auf der Grundlage des Konzeptes der Krisenbewältigung von Gerald Caplan und des Modells des Krankheits-Prozesses von Klaus Dörner unterschiedliche Risiken und (Bewältigungs-) Chancen beschrieben, die eine Krise im allgemeinen kennzeichnen. Einzelne Facetten der in Teil A des Buches beschriebenen  Kommunikationsmodelle -  z.B. aktives Zuhören, empathisches Spiegeln oder das Infragestellen irrationaler Glaubenssätze (iB) -  werden als hilfreiche Interventionen genannt.

Ein detailliertes Literaturverzeichnis und ein Register schließen das Fachbuch ab. 

Zielgruppen

Das Buch eignet sich in besonderer Weise für Lehrende und Lernende der Gesundheits- und Krankenpflege. Darüber hinaus ist diese aktualisierte Auflage allen Angehörigen von Gesundheitsfachberufen zu empfehlen, die interessiert sind, ihre kommunikative Kompetenz theoretisch hinreichend fundiert zu erweitern und zu vertiefen.

Einschätzung und Fazit

Die zweite, aktualisierte Auflage der "Kommunikation und Gesprächsführung für Pflegeberufe" liefert eine theoretisch gut fundierte und anwendungsbezogene Einführung in  zentrale Kommunikationsmodelle. Für professionell Pflegende, die berufliches Handeln immer auch als kommunikativen Prozess verstehen und gestalten möchten, ist das vorliegende Lehr- und Praxisbuch ein ebenso unverzichtbarer wie verlässlicher Begleiter.

Rezension von
Prof. Dr.rer.medic. Christa Winter von Lersner
Hochschullehrerin Hochschule Fulda, Fachbereich Pflege und Gesundheit
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Es gibt 12 Rezensionen von Christa Winter von Lersner.

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ISSN 2190-9245