Joachim König: Einführung in die Selbstevaluation
Rezensiert von Prof. Dr. Harro Kähler, 01.02.2001
Joachim König: Einführung in die Selbstevaluation. Ein Leitfaden zur Bewertung der Praxis Sozialer Arbeit. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2000. 171 Seiten. ISBN 978-3-7841-1285-5. 17,00 EUR. CH: 30,70 sFr.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-7841-1780-5 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Thema
Dieses Buch füllt eine Lücke zwischen anspruchsvollen Veröffentlichungen von Evaluationsexperten für andere Evaluationsexperten (z.B. das Buch "Aus Erfahrung lernen" von Hiltrud von Spiegel) einerseits und Beispielen von durchgeführten Selbstevaluationsprojekten (z.B. die von Maja Heiner herausgegebenen Sammelbände). Für die in der Praxis stehenden Adressaten waren diese Veröffentlichungen nur bedingt geeignet oder gar ausreichend, eigene Selbstevaluationsprojekte zu planen und zu realisieren, es sei denn, sie hatten Gelegenheit, sich an angeleiteten oder begleiteten Selbstevaluationsprojekten zu beteiligen. Die Unzulänglichkeit hat vor allem damit zu tun, dass die Planung, Durchführung und Auswertung von Selbstevaluationsprojekten viele Kenntnisse und Erfahrungen voraussetzen, die die bisherigen Materialien nur ansatzweise und unsystematisch bereitstellen konnten. Nun kann aber über Selbstevaluation noch so viel geschrieben werden: solange die BerufsvertreterInnen Sozialer Arbeit nicht über taugliche Anleitungen für diese immer noch nicht allzu verbreitete Form der Praxisreflexion verfügen, kann es nur selten zu Selbstevaluationen kommen. Dies könnte sich jetzt ändern, seit die Einführung in die Selbstevaluation von Joachim König vorliegt, die im Untertitel einen "Leitfaden zur Bewertung der Praxis Sozialer Arbeit" verspricht.
Entstehungshintergrund
Joachim König ist als Professor an der Evangelischen Fachhochschule in Nürnberg tätig und seit Jahren mit dem Thema Selbstevaluation u.a. durch Fortbildungsveranstaltungen vertraut. Aus seiner Feder liegen auch Vorläufer des Buchs in Form von Kurzfassungen in nicht jederfrau/jedermann verfügbaren Fachzeitschriften vor – die Titel dieser Veröffentlichungen charakterisieren auch das jetzt vorliegende Buch: "Qualität entwickeln und belegen" oder "Wie gut sind wir eigentlich?" Hier wird deutlich, dass es dem Autoren darum geht, eine Arbeitshilfe bereitzustellen, die es Praktikern ermöglicht, die Qualität der beruflichen Arbeit in Eigenregie zu untersuchen, zu bewerten und daraus geeignete Schlüsse zu ziehen. Der Autor nimmt damit die Ausgangssituation der Adressaten von Selbstevaluation in der Sozialen Arbeit ernst und versucht, die notwendigen Grundlagenkenntnisse bereitzustellen, um Selbstevaluation in die Hände derer zu geben, die letztlich darüber entscheiden, ob Selbstevaluationen zu einem selbstverständlichen Teil beruflicher Tätigkeit werden.
Aufbau und Inhalte
Selbstevaluation kann nach Ansicht des Autoren in dreifacher Hinsicht nützlich sein: für die Soziale Arbeit als gesellschaftliches Subsystem, als wissenschaftliche Disziplin und als Profession. Im ersten Teil geht der Autor deshalb auf die Herausforderungen in diesen drei Bereichen ein und verknüpft auf diese Weise das Thema Selbstevaluation mit aktuellen Diskursen. Evaluation wird dabei als ein möglicher Ansatz der Qualitätssicherung angesehen, diese wiederum als ein Ansatz des Qualitätsmanagements. Selbstevaluation erhält in dieser Darstellung eine klare, relativ bescheidene, dennoch anspruchsvoll genug bleibende Positionierung: "Selbstevaluation meint die Beschreibung und Bewertung von Ausschnitten des eigenen alltäglichen beruflichen Handelns und seiner Auswirkungen nach selbst bestimmten Kriterien" (S. 38, dort kursiv).
Der umfangreichste zweite Teil trägt dem Leidfadencharakter des Buchs besonders Rechnung – er ist das Herzstück des Buchs. Hier präsentiert der Autor in zehn Schritten Arbeitshinweise für Selbstevaluationen. Die zehn Schritte sind durch "W-Fragen zur Planung und Vorbereitung einer Selbstevaluation" überschrieben. Auf einer dem Buch beigelegten Karte dienen diese Fragen bei der Lektüre als gute Orientierungshilfe. Jeder Schritt wird mit einem Praxisbeispiel aus jeweils unterschiedlichen Selbstevaluationsprojekten illustriert.
Dies sind die zehn Schritte:
- Warum will ich evaluieren? (Begründungsfrage)
- Unter welchen Bedingungen kann ich evaluieren? (Bedingungsfrage)
- Was will ich evaluieren (Gegenstandsfrage)
- Was genau will ich evaluieren? (Indikatorenfrage)
- Vor welchem Hintergrund will ich evaluieren? (Kriterienfrage)
- Wen will ich evaluieren? (Stichprobenfrage)
- Wie will ich evaluieren? (Methodenfrage)
- Wie kann ich evaluieren? (Durchführungsfrage)
- Wie gut kann ich evaluieren? (Qualitätsfrage)
- Wozu will ich evaluieren? (Verwertungsfrage)
Die beigelegte Karte sowie die zu Beginn jedes neuen Schritts abgedruckte Übersicht erleichtert die Lektüre wesentlich: zu jeder Zeit weiß der Leser, an welcher Stelle des Evaluationsprojekts er sich befindet. Er hat die Sicherheit, nicht verloren zu gehen im Gestrüpp der Details. Insoweit kann dem Autoren bescheinigt werden, didaktisch Hervorragendes geleistet zu haben. Es bleiben gleichwohl Zweifel, ob nicht diese Art der Darstellung eine Klarheit suggeriert, die inhaltlich so gar nicht vorhanden ist. Diese Zweifel haben vor allem mit der Linearität der Schrittfolgen zu tun, mit denen der Autor sein Buch zugunsten der Lesbarkeit gestaltet hat. I n der Praxis der Selbstevaluation werden viele der W-Fragen eben nicht in dieser zeitlichen Abfolge abgearbeitet werden können, sondern parallel und eher in Schleifen bearbeitet werden müssen. Innerhalb der Darstellung ist dies auch immer wieder zu bemerken: insbesondere die Schritte 4, 5, 6, 7, und 8 hängen inhaltlich sehr stark miteinander zusammen, so daß Entscheidungen bei einem Arbeitsschritt notwendig Konsequenzen für andere Schritte haben – der Autor deutet dies auch verschiedentlich an (z.B. S. 75/76; S. 81; S.90). Insofern befürchte ich, dass die gute und überschaulich an Schrittfolgen orientierte Darstellung eine Vorgehensweise nahelegt, die in der Praxis so nicht funktionieren dürfte. Ich sehe allerdings auch das Dilemma: wird der praxisnäheren Zirkularität des Vorgehens in der Darstellung mehr Rechnung getragen, dürfte die Lesbarkeit dieser Einführung Schaden nehmen.
Ein anderer Aspekt der auffällig ist: die jedem Schritt beigefügten Praxisillustrationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie mehrheitlich "von oben" initiiert wurden. Deutlich in der Minderheit sind Beispiele, bei denen einzelne SozialarbeiterInnen ein Selbstevaluationsprojekt "von unten" initiierten (S.87, S.98, S.117). Dies verwundert etwas, weil es dem Grundanliegen von Selbstevaluation viel eher entspräche, wenn die Motivation für Selbstevaluationen von den MitarbeiterInnen selbst entwickelt wird. Stattdessen überwiegen Beispiele, in denen Vorgesetzte oder höherrangige Mitarbeiter wegen der Notwendigkeit zur Qualitätssicherung Selbstevaluationsprojekte anregen. Die Folgen sind teilweise erkennbar: so berichtet der Autor, dass die beteiligten Mitarbeiter bei einem Selbstevaluationsprojekt, das von der Referentin für Qualitätsfragen, also "von oben" initiiert war, wenig motiviert waren, "weil der übereinstimmende Eindruck entstanden ist, dass die KollegInnen zu wenig an den entscheidenden Fragen bei der Planung und Vorbereitung beteiligt wurden" (S.63). Es stellt sich hier die Frage, ob die MitarbeiterInnen hier und bei anderen Praxisbeispielen die Evaluation nicht als eine Fremdevaluation erlebt haben, obwohl sie intern als Selbstevaluation deklariert war. Ich habe den Eindruck, dass hier noch weiterer Klärungsbedarf besteht, weil die Vorgehensweisen bei Selbstevaluationen doch sehr stark von der Ausgangsmotivation der Beteiligten abhängt. Ob eine Evaluation eine Selbstevaluation ist, hängt entscheidend davon ab, ob die EvaluatorInnen wirklich von sich aus motiviert sind, die Evaluation durchzuführen. Die bloße Etikettierung als Selbstevaluation reicht nicht aus.
Der dritte Teil des Buchs bietet Arbeitsmaterialien zur Selbstevaluation: einige (aus meiner Sicht eher entbehrliche) grundlegende Informationen über Befragungs- und Beobachtungsmethoden, ein (aus meiner Sicht nützliches) kurzgefaßtes Brevier von Methoden und Instrumenten sowie ein (ebenfalls hilfreiches) kommentiertes Literaturverzeichnis.
Tauglichkeit für potenzielle LeserInnen
Das Buch ist didaktisch gelungen und ohne Frage die beste verfügbare Einführung in die Selbstevaluation. Die Grenzen des Nutzens ergeben sich möglicherweise durch eben diese Pluspunkte: das Buch suggeriert eine gradlinig Schritt für Schritt aufeinander aufbauende Vorgehensweise, die dem Verständnis beim Lesen zuträglich ist, bei der Umsetzung in konkrete Projekte aber vielleicht Schwierigkeiten produziert. Dies wird aber letztlich jede Leserin und jeder Leser für sich entscheiden. Schließlich: was hätte eine Einführung genutzt, die der Komplexität der Sache vielleicht mehr Rechnung getragen hätte, deren Verstehbarkeit aber deutlich schlechter ausgefallen wäre. Es bleibt aus meiner Sicht ohnehin die noch nicht völlig geklärte Frage, inwieweit Selbstevaluationen von Außen flexibel begleitet und beraten werden sollten (vgl. S. 65).
Fazit
Wer sich noch nie mit Selbstevaluation beschäftigt hat, findet in diesem Buch einen gut lesbaren, anregenden und gewinnbringenden Einstieg. Für die Umsetzung der zahlreichen Anregungen und Vorschläge in die Praxis empfiehlt sich ohnehin die Suche nach flexibler Beratung und Begleitung von Außen oder und/oder kollegialer Erfahrungsaustausch.
Rezension von
Prof. Dr. Harro Kähler
Bis zur Emiritierung Fachhochschullehrer an den Hochschulen Hagen, Dortmund und Düsseldorf. Bis 2019 Redakteur der socialnet Rezensionen, Mitarbeiter in der Redaktion des socialnet Lexikons.
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Zitiervorschlag
Harro Kähler. Rezension vom 01.02.2001 zu:
Joachim König: Einführung in die Selbstevaluation. Ein Leitfaden zur Bewertung der Praxis Sozialer Arbeit. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb
(Freiburg) 2000.
ISBN 978-3-7841-1285-5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/35.php, Datum des Zugriffs 16.01.2025.
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