Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Vera King, Karin Flaake (Hrsg.): Männliche Adoleszenz. Sozialisation und Bildungsprozesse zwischen Kindheit und Erwachsensein

Rezensiert von Angela Schmidt-Bernhardt, 06.08.2007

Cover Vera King, Karin Flaake (Hrsg.): Männliche Adoleszenz. Sozialisation und Bildungsprozesse zwischen Kindheit und Erwachsensein ISBN 978-3-593-37842-8

Vera King, Karin Flaake (Hrsg.): Männliche Adoleszenz. Sozialisation und Bildungsprozesse zwischen Kindheit und Erwachsensein. Campus Verlag (Frankfurt) 2005. 300 Seiten. ISBN 978-3-593-37842-8. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 52,20 sFr.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand
Kaufen beim Verlag

Thema

Wer die pädagogischen Debatten der vergangenen Jahre verfolgt, bekommt mit, dass der geschlechtsspezifische Aspekt in einer neuen Dimension diskutiert wird. Spätestens seit im beginnenden dritten Jahrtausend die Zahl der Abiturientinnen in Deutschland die der Abiturienten übersteigt und sich an den bundesdeutschen Hochschulen mehr junge Frauen als junge Männer einschreiben, ist das Thema von den vernachlässigten Jungen und vom Scheitern der Jungen in der Öffentlichkeit präsent. Häufig wird der Schule pauschal vorgeworfen, sich nicht adäquat um die adoleszenten Jungen zu kümmern.
An dieser Stelle wird deutlich, dass hier in der theoretischen Debatte eine Lücke zu schließen ist.  Es fehlen Studien zur männlichen Adoleszenz, die den theoretischen Hintergrund zum Verständnis der konstatierten Problematik bieten könnten ebenso wie fundierte  Ansätze pädagogischer und sozialpsychologischer  Handlungsentwürfe, die den spezifischen männlichen Entwicklungsprozessen Rechnung tragen.

Ausgewählte Inhalte

Der vorliegende Sammelband bringt wertvolle Anstöße zur Vertiefung dieser Debatte. Die Herausgeberinnen Karin Flaake und Vera King versammeln unterschiedliche Beiträge, die die männliche Adoleszenz aus verschiedenen theoretischen aber auch praktischen Blickwinkeln beleuchten. Es sind dies die Themenschwerpunkte

  • Bildung und Schule,
  • Migration und Bildung,
  • Sexualität und Initiation,
  • Freundschaften und Peers und
  • Risiko und Ritual.

Die Autorinnen und Autoren stammen entsprechend aus den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, der Soziologie, der Erziehungswissenschaft, der Entwicklungspsychologie, der Psychoanalyse und der Psychosomatik.
So gehen Jürgen Budde und Hannelore Faulstich-Wieland in ihrem Beitrag "Jungen zwischen Männlichkeit und Schule" der Frage nach, welche Möglichkeiten zur Konstruktion von Männlichkeit das Feld Schule den Schülern bietet. Anhand von empirischen Beispielen beleuchten die Autoren schulische Interaktionen. Sie verdeutlichen, dass in der zentralen Sozialisationsinstanz die Interaktionen von Mitschülern und Mitschülerinnen, die Kommunikationsprozesse mit den Lehrkräften und die institutionellen Vorgaben für die Konstruktion von Männlichkeit bedeutsam sind. Sie zeigen Situationen auf, in denen der formale Rahmen der Schule ebenso wie die Interaktionsprozesse seitens der Lehrkräfte Inszenierungen von Männlichkeit verstärken.
Vera King bringt in ihrem Beitrag "Bildungskarrieren und Männlichkeitsentwürfe bei Adoleszenten aus Migrantenfamilien" die interkulturelle Perspektive in die Debatte. Anhand von empirischem Material geht die Autorin auf den Zusammenhang zwischen dem Migrationshintergrund, der Familiendynamik und dem Bildungserfolg männlicher Jugendlicher ein. Der Vater-Sohn-Beziehung kommt hierbei besondere Bedeutung zu. Drei Konstellationen arbeitet sie in der Auswertung ihrer Interviews heraus:

  1. Die forcierte adoleszente Abgrenzung und "negative" Autonomie in der Peergroup gehen einher mit ungünstigen Bildungsverläufen.
  2. Vermiedene adoleszente Trennung und Individuation gehen zunächst einher mit der Übernahme elterlicher Bildungsaspirationen, später mit Abbruch der Bildungskarriere.
  3. Bildungsaspiration wird zunächst übernommen, im Verlauf einer krisenhaften Adoleszenz mit der Suche nach Eigenem verknüpft.

In den jeweiligen Konstellationen spielen die abgrenzenden Bezugnahmen auf die Väter und der Umgang mit den migrationsbedingten Diskriminierungserfahrungen der Väter eine wesentliche Rolle für den Individuationsprozess und den Bildungsverlauf.

Annelinde Eggert-Schmid Noerr beschäftigt sich mit männeruntypischen Lebensentwürfen. Sie bezieht sich auf junge Männer im weiblich konnotierten Studiengang Soziale Arbeit und diskutiert Möglichkeiten der Überwindung geschlechterpolarisierter Zuständigkeiten.
Renate Luca erläutert anhand des Films "Billy Elliot - I will dance" Möglichkeiten sich über eine detaillierte Filmanalyse einem "untypischen" Männlichkeitsentwurf verstehend anzunähern. Insbesondere die im Film entfaltete Vater-Sohn-Beziehung beleuchtet Luca überzeugend.
Karin Flaake analysiert Mutter-Vater-Sohn-Beziehungen und hierbei insbesondere die Veränderungen der Beziehungen in der Adoleszenz der Söhne sowie die unterschiedlichen Verarbeitungsmuster der Familien. In ihren Studien werden die vielfältigen Aufgaben der Adoleszenz für die Söhne, aber auch für Vater und Mutter deutlich. Wie die Eltern die Herausforderungen und Anforderungen dieser familiären Lebensphase annehmen und bewältigen, beeinflusst die familialen Beziehungen und die jeweiligen Entwicklungschancen von Jugendlichen und Erwachsenen.
Hans Bosse befasst sich mit der "Bedeutung moderner Rituale für die Entstehung männlicher Lebensentwürfe". Er vergleicht die Rituale der "Vermännlichung" in der Vormoderne mythisch-magischer Weltbilder mit den jugendlichen Ritualen in der Moderne. Die Moderne zeichnet sich - so Bosse -  dadurch aus, dass zum einen die Jugendlichen zunehmend selber Subjekte der rituellen Inszenierungen werden, und zum anderen moderne adoleszente Rituale außerhalb von religiösen Bezugsrahmen liegen. In den adoleszenten Ritualen werden die intergenerationellen Themen Trennung, Rivalität und Anerkennung inszeniert. Die Rituale können für die Jugendlichen als eine Übergangswelt fungieren, vergleichbar den Winnicottschen Übergangsobjekten, eine Welt, in der kreative Lebensentwürfe ausgebildet werden können.
Dies ist nur eine Auswahl aus der Vielzahl der Beiträge, die die Herausgeberinnen in diesem Band versammelt haben. Den thematisch unterschiedlich fokussierten Beiträgen aus den Bereichen der Medizin, Psychologie, Soziologie und Erziehungswissenschaft ist gemeinsam, dass sie Antworten auf die Frage nach der Herausbildung von Geschlechtsidentität enthalten, dass sie die spezifischen Entwicklungsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten der Adoleszenz aufzeigen, und dass sie die gesellschaftlich-historischen Wandlungen der Konstruktionsprozesse von Männlichkeit berücksichtigen.

Fazit
Allen, die in pädagogischen Kontexten oder in beratenden und therapeutischen Zusammenhängen mit Jugendlichen, und gerade auch mit männlichen Jugendlichen, zu tun haben, sei das Buch zur Lektüre, als Anstoß zum kreativen Mitdenken und Weiterdenken empfohlen.

Rezension von
Angela Schmidt-Bernhardt
wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Philipps-Universität Marburg im Fachbereich Erziehungswissenschaft
Mailformular

Es gibt 8 Rezensionen von Angela Schmidt-Bernhardt.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245