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Johanne Pundt (Hrsg.): Professionalisierung im Gesundheitswesen

Rezensiert von Prof. Dr. Michael Ewers, 04.04.2006

Cover Johanne Pundt (Hrsg.): Professionalisierung im Gesundheitswesen ISBN 978-3-456-84232-5

Johanne Pundt (Hrsg.): Professionalisierung im Gesundheitswesen. Positionen – Potenziale – Perspektiven. Verlag Hans Huber (Bern, Göttingen, Toronto, Seattle) 2006. 292 Seiten. ISBN 978-3-456-84232-5. 34,95 EUR. CH: 56,00 sFr.

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Einführung ins Thema

Schon quantitativ betrachtet ist die Relevanz des Themas, dem sich dieser Reader zuwendet, kaum von der Hand zu weisen. Zwar werden nicht alle der auf dem Buchdeckel genannten vier Millionen Beschäftigen im Gesundheitswesen von den aktuellen Bestrebungen zur Professionalisierung erfasst. Dennoch ist es schon lange nicht mehr nur allein die Berufsgruppe der Ärzte, die mit Begriffen wie Profession, Professionalität oder Professionalisierung in Verbindung gebracht wird. Vor Jahren noch undenkbar und geradezu als "suspekt" bezeichnet, streben neben Pflegenden längst auch Physio-, Ergo- und Logotherapeuten oder Hebammen an die Hochschulen, wenden sich etablierte Sozialdisziplinen - wie etwa die Sozialarbeit oder die Pädagogik - mehr und mehr Gesundheitsthemen zu und werden schließlich differenzierte Qualifizierungsprogramme auf Bachelor- und Masterniveau für Handlungsfelder aus der Taufe gehoben, die noch vor wenigen Jahren kaum jemand kannte - etwa für die Gesundheitskommunikation. Befördert werden diese Entwicklungen durch zahlreiche Faktoren - darunter beispielsweise den demographischen und epidemiologischen Anforderungswandel, die rasch voranschreitende Ökonomisierung des Gesundheits- und Bildungswesens oder auch die Internationalisierung des tertiären Bildungssektors (Stichwort: Bologna-Prozess). Der Wandel traditioneller Berufsbilder, die Ausdifferenzierung neuer Rollen und Funktionen, die zunehmende Spezialisierung im Gesundheitswesen aber auch begriffliche und konzeptionelle Unschärfen bei der Verwendung von Begrifflichkeiten wie Beruf, Profession, Professionalität oder Professionalisierung  tragen ihren Teil zur Unübersichtlichkeit der Situation bei. Angesichts dessen den Überblick zu bewahren, sich im Dschungel der zahllosen Angebote zu orientieren oder die Entwicklungen in den Teilsegmenten des Gesundheitswesens zu erfassen, fällt selbst Experten schwer. Umso wichtiger ist, nach einem einen "roten Faden"  bzw. einem tragfähigen theoretischen Zugriff Ausschau zu halten und die unterschiedlichen Aktivitäten zur Professionalisierung im Gesundheitswesen in einer kritischen Gesamtschau zu betrachten - eben das will der hier vorgestellte Reader leisten.

Entstehungshintergrund

Johanne Pundt,Herausgeberin des Readers, ist Sozial- und Gesundheitswissenschaftlerin mit einem - wie sie salopp formuliert - "Doktorhut" in Public Health (vgl. ihren Beitrag in dem Reader). Wenn auch zumeist aus dem Hintergrund hat sie die Einführung von Public Health und die Entwicklung dieser für Deutschland noch relativ jungen wissenschaftlichen Disziplin von der ersten Stunde an begleitet. Anfänglich selbst Studentin der Gesundheitswissenschaften im Modellstudiengang Public Health an der Technischen Universität Berlin, wurde sie zunächst Koordinatorin dieses postgradualen Studiengangs. Seit 2000 ist sie für die Planung, Koordination und das Management von universitären Weiterbildungsangeboten an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld verantwortlich. Dies sei aus folgenden Gründen erwähnt: Zum einen hat die Herausgeberin das von ihr bearbeitete Thema lange, intensiv und aus unterschiedlichen Perspektiven kennen gelernt. Zum anderen wird damit der Entstehungskontext des Buches transparent, ist doch die Fakultät für Gesundheitswissenschaften eines der universitären Zentren, das sich in den letzten Jahren für  die Professionalisierung der Gesundheitsdisziplinen in besonderer Weise stark gemacht haben. Beides lässt eine souveräne und sachkundige Bearbeitung des aufgegriffenen Themas erwarten.

Aufbau und Inhalt

Der Reader, in dem insgesamt 16 Aufsätze zusammengefasst sind, ist übersichtlich und nachvollziehbar gegliedert. In einem einleitenden Aufsatz führt die Herausgeberin zunächst in das Thema ein. Sie erläutert die Konzeption des Buches und stellt die einzelnen Beiträge kurz vor. Diese sind drei großen Themenblöcken zugeordnet:

  1. Forschungsansätze zur Professionalisierung stehen im ersten Themenblock im Zentrum des Interesses. Bernd Dewe eröffnet mit einer berufssoziologischen Betrachtung von Professionsverständnissen, auf diese Weise auch dem mit den Professionstheorien unvertrauten Leser einen soliden Einstieg in das Thema ermöglichend. Angesichts der zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens beschäftigt sich Guido Offermann anschließend mit der Bedeutung der Betriebswirtschafts- und Managementlehre für Gesundheitsprofessionen. David Klemperer widmet sich der Medizin und damit der traditionellen Leitprofession im Gesundheitswesen, die sich gleichwohl einem zunehmenden Wandlungsdruck ausgesetzt sieht. Es folgen Überlegungen zu den mehr oder weniger erfolgreichen Professionalisierungsbestrebungen der Pflege (Heinrich Bollinger, Anke Gerlach, Annette Grewe), der Sozialen Arbeit (Albert Mühlum) oder auch der Ergo-, Physio- und Logopädie (Ursula Walkenhorst).
  2. Einzelne Handlungsfelder der Professionalisierung werden im zweiten Themenblock in den Blick genommen. In vier Beiträgen werden so unterschiedliche Handlungsfelder wie die Gesundheitskommunikation (Peter-Ernst Schnabel), die betriebliche Gesundheitspolitik (Ulla Walter, Bernhard Badura), die Gesundheitsförderung (Eberhard Göpel) oder auch das von Arzthelferinnen geleistete Praxismanagement (Klaus Dieter Thill) beleuchtet. Gemeinsam ist diesen Aufsätzen, dass sie nach dem Bedarf an und den Chancen für Professionalisierung der in diesen Handlungsfeldern zur Bewältigung anstehenden Aufgaben und Funktionen fragen und diese in Beziehung zu den Professionalisierungsbestrebungen der diversen Gesundheitsdisziplinen setzen - nicht immer mit einer schlüssigen Antwort, dafür umso häufiger mit interessanten und weiterführenden Fragen.
  3. Im dritten und letzten Themenblock werden Qualifizierungsanforderungen und -bedarfe für Professionalisierung thematisiert. Zum einen wird nach Schlüsselherausforderungen für die Zukunft der Gesundheitswirtschaft gefragt (Michaela Evans, Josef Hilbert), zum anderen der auf den Gesundheitsdisziplinen lastende Modernisierungsdruck im Lichte des Bologna-Prozesses betrachtet (Karl Kälble). Karrierechancen von promovierten Gesundheitswissenschaftlern und die sich derzeit entwickelten Bemühungen um Graduiertenkollegs (Johanne Pundt) werden in diesem Kapitel ebenso in den Blick genommen wie der Weg aus der Arbeitslosigkeit in einen Pflegeberuf (Corinna Kleinert, Hans Dietrich). Schließlich bleibt auch die Frage, wie sich die Organisationen im Gesundheitswesen verändern und welche Entwicklungsprozesse hin auf ein Mehr an Professionalisierung sie durchlaufen müssen (Herbert Asselmeyer), nicht unberücksichtigt.

Abgerundet wird der Reader mit Hintergrundinformationen zu den insgesamt 21 an der Erstellung beteiligten Autorinnen und Autoren (Autorenverzeichnis). Ein Stichwortverzeichnis gibt es nicht, es wird aber auch nicht vermisst.

Zielgruppen

Die Herausgeberin hat in ihrem einleitenden Aufsatz auf die explizite Benennung von Zielgruppen verzichtet. Es gibt aber implizite Hinweise darauf, wen sie im Blick hat. So stellt sie programmatisch heraus, dass es ihr mit der Herausgabe des Readers nicht so sehr um einen theoretischen Diskurs über Professionalisierung geht, vielmehr soll "ein problemorientierter und praxisbezogener Pfad beschritten werden", der letztlich auf Entwicklungspotenziale für die zahlreichen im Gesundheitswesen anzutreffenden Berufsgruppen ausgerichtet ist. Folglich sind diese auch als potentielle Zielgruppen ins Auge zu fassen, vorausgesetzt es besteht ein hinreichendes Vorwissen und ein Interesse an grundsätzlichen Entwicklungen im Gesundheitswesen. Fast schon den Status einer Pflichtlektüre könnte das Buch allerdings für diejenigen bekommen, die in verantwortlicher Position mit der Entwicklung, Genehmigung oder Durchführung von Angeboten der Aus-, Fort- und Weiterbildung im Gesundheitsbereich im weitesten Sinne betraut sind. Schließlich können auch Politiker, Entscheidungsträger und Forscher diverser Disziplinen von dem Reader profitieren, zumal er einen in dieser Form nicht gekannten Überblick über den Stand der Professionalisierungsbestrebungen im Gesundheitswesen bietet.

Einschätzung des Konzepts und der Umsetzung

Das Buch ist - wie die vorstehenden Ausführungen bereits verdeutlicht haben dürften - sorgfältig durchdacht und konzipiert. Die einzelnen Beiträge sind nicht einfach nebeneinander gestellt, sondern durch das Professionalisierungsmotiv aufeinander bezogen und schlüssig miteinander verschränkt. Inhaltlich enthalten die Aufsätze für den mit der Diskussion vertrauten Leser zwar wenig Neues, die vorgestellten Positionen und Diskurse sind seit geraumer Zeit bekannt und in verschiedenen Publikationen zu finden. Die besondere Leistung der Herausgeberin besteht aber darin, diese unterschiedlichen Diskurse und Positionen systematisch zusammengeführt zu haben. Auf diese Weise werden unkomplizierte Vergleiche zeitgleich ablaufender Entwicklungen in verschiedenen Disziplinen und Handlungsfeldern ermöglicht und ein bisher nicht gekanntes Gesamtbild der sich derzeit im Gesundheitswesen vollziehenden Professionalisierungsprozesse gezeichnet. Dies gelingt in fachlich überzeugender Weise.

Erfahrungsgemäß sind in derartigen Readern nicht alle Aufsätze von gleicher Qualität. In diesem Fall halten sich die Qualitätsunterschiede aber erfreulicherweise in sehr engen Grenzen. Lediglich ein Aufsatz fällt aus dem Rahmen, weil es dem Autor (Herbert Asselmeyer) nur schwerlich gelingen will, den Bezug der von ihm präsentierten unspezifischen Erkenntnisse zur Organisationsentwicklung zum Gesundheitswesen und den dort erkennbaren Professionalisierungsprozessen herzustellen. In der Summe aber zeugt der Reader von einer engen Führung der Autoren durch die Herausgeberin und einer für den Leser im Ergebnis sinnvollen Integration der aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen thematischen Akzenten analytisch oder deskriptiv geschriebenen Aufsätze.

Sprachlich und stilistisch sind die Beiträge ansprechend und lesefreundlich gestaltet, ohne niveaulos zu werden oder in unangebrachter Weise zu vereinfachen. Zuweilen ergänzen Grafiken und Schaubilder die Texte. Störend ist allenfalls die etwas flüchtige Textbearbeitung (z.B. bei Trennungen, Absatzwahl etc.). Dies dürfte aber weniger der Herausgeberin anzulasten sein. Vielmehr schlägt sich hier nieder, dass Verlage kaum noch professionelle Lektorate mit der Endredaktion ihrer Bücher beauftragen und diese Aufgabe mehr und mehr auf die Herausgeber oder Autoren abwälzen.

Fazit

Der von der Sozial- und Gesundheitswissenschaftlerin Johanne Pundt vorgelegte Reader zur "Professionalisierung im Gesundheitswesen" schließt eine wichtige Lücke. Fachlich anspruchsvolle Beiträge aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit zuweilen widersprüchlichen Positionen ermöglichen dem Leser einen fundierten Einstieg in eine künftig sicher noch an Bedeutung gewinnende Debatte. Basierend auf grundsätzlichen professionstheoretischen Überlegungen werden aktuelle Entwicklungen im Gesundheits- und Bildungswesen beleuchtet, exemplarisch Professionalisierungspotentiale einzelner Gesundheits- und Sozialdisziplinen (z.B. der Pflege, der Sozialarbeit oder der Ergo-, Physio- und Logotherapie) ausgelotet und Perspektiven für die Professionalisierung neuer Handlungsfelder und Aufgabengebiete (z.B. die Gesundheitsförderung, Gesundheitskommunikation) aufgezeigt. In der Summe entsteht ein facettenreiches und in dieser Form bislang nicht gekanntes Bild von den sich im Gesundheitswesen derzeit vollziehenden Professionalisierungsprozessen. Das Buch wird viele Leser überzeugen. Insbesondere aber für diejenigen, die in verantwortlicher Position mit der Entwicklung, Genehmigung oder Durchführung von Angeboten der Aus-, Fort- und Weiterbildung im Gesundheitsbereich im weitesten Sinne betraut sind, dürfte es zu einer unverzichtbaren Arbeitshilfe werden.

Rezension von
Prof. Dr. Michael Ewers
Pflege- und Gesundheitswissenschaftler. Professor für Gesundheitswissenschaften und ihre Didaktik an der Charité – Universitätsmedizin Berlin
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Es gibt 8 Rezensionen von Michael Ewers.

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ISSN 2190-9245