Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Gunda Rohbeck: Verzicht auf Dank und Anerkennung

Rezensiert von Dipl.Soz.-Arb. Meinolf Westerkamp, 29.08.2006

Cover Gunda Rohbeck: Verzicht auf Dank und Anerkennung ISBN 978-3-8258-8861-9

Gunda Rohbeck: Verzicht auf Dank und Anerkennung. Berufsentwicklung hannoverscher Fürsorgerinnen. Lit Verlag (Berlin, Münster, Wien, Zürich, London) 2005. 496 Seiten. ISBN 978-3-8258-8861-9. 34,90 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Beiträge zur allgemeinen Geschichte der Sozialen Arbeit stehen inzwischen in verschiedener Form zur Verfügung. Beiträger zur Geschichte der Berufsentwicklung von SozialarbeiterInnen sind bisher eher spärlich vertreten. Deshalb macht das vorliegende Buch neugierig, zumal es sich auf den Anfang der Entwicklung von der "sozialen Hilfstätigkeit" zur beruflichen Tätigkeit konzentriert. Und zwei Zitate aus einer Dienstanweisung der Stadt Hannover aus dem Jahre 1923 (S. 152) heizen die Erwartung noch an. Da kann man lesen: "Das Wesen der Fürsorge ist herbe Güte" und "Takt, Verständnis und Hingabe, Verzicht auf Dank und Anerkennung, das sind die Sterne, die über den Wegen der Fürsorgerinnen leuchten sollen." Wie hat sich unter solchen Ansprüchen die "Verberuflichung" gestaltet, wie wurde sie beeinflusst von politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen?

Die Autorin

Gunda Rohbeck  ist am Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit der Fachhochschule Coburg als Sozialarbeiterin Lehrkraft für besondere Aufgaben, u.a. für das Lehrgebiet Geschichte der Sozialen Arbeit tätig. Mit dem vorliegenden Buch legt sie ihre Dissertation vor, zu deren Thema sie angeregt wurde durch die o.g. Dienstanweisung der Stadt Hannover aus dem Jahre 1923, auf die sie während ihrer beruflichen Tätigkeit beim Sozialamt der Stadt Hannover gestoßen ist. Die Untersuchung ist denn auch zeitlich auf die Weimarer Republik und örtlich auf die Stadt Hannover ausgerichtet und beschränkt.

Inhalt

Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem Gebiet der klassischen Sozialarbeit. Damit bezeichnet sie die Arbeitsfelder, die als Reaktion auf soziale Not im Zusammenhang mit der Industrialisierung vor allem in Großstädten und Ballungszentren entstanden, die sich im Kontext der behördlichen Armenpflege und der Frauenbewegung heraus bildeten.

Die bürgerliche Frauenbewegung von Mitte des 19. Jahrhunderts, ihr zunehmendes Engagement in verschiedenen Bereichen der Wohlfahrtspflege und  erste berufliche Schulungen bilden die Ausgangslage. Durch die Weimarer Verfassung wurden dann rechtlich die Bereiche abgesichert, für die sich in den Jahrzehnten zuvor u.a. die bürgerliche Frauenbewegung  eingesetzt hatte. Von hier aus ergeben sich Fragestellungen in Bezug auf die Weiterentwicklung des sozialen Frauenberufes, denen die Autorin nachgeht:

  • Wie haben sich die Neuordnung des Wohlfahrtswesens und die Weiterentwicklung des Berufes gegenseitig beeinflusst?
  • Welchen Beitrag haben die aus der Frauenbewegung kommenden Frauen zur Gestaltung der Wohlfahrtspflege geleistet? Welche Spielräume hatten Sie? Wie wurden sie genutzt? Was begünstigte die Entwicklungen? Welche Widerstände gab es?
  • In welcher Weise haben die Ideale der Pionierinnen der sozialen Frauenarbeit (Mütterlichkeit, Formung der weiblichen Persönlichkeit) Einfluss auf den berufliche Alltag genommen? Welche  Brüche und welche Neuansätze gab es?
  • Welche Ziele wurden erreicht? Welche Ziele veränderten sich? Was war der Preis für erreichte Fortschritte?

In einem ersten Abschnitt ist die Neuordnung der Fürsorge in der Stadt Hannover nach dem Ersten Weltkrieg das Thema. Die Zeit des Kaiserreiches und speziell der 1. Weltkrieg haben ihre Spuren hinterlassen und wirken sich auch auf die Situation in Hannover aus. Mit den frühen Formen des Elberfelder und des  Straßburger Systems, der Sonderstellung der Kriegsfürsorge nach dem 1. Weltkrieg  bis hin zur Diskussion über ein eigenständiges Jugendamt bzw. Gesundheitsamt steht die Entwicklung von der Armenverwaltung zum Wohlfahrtsstaat im Mittelpunkt. In dieser Zeit beginnt der Weg der Frauen zur "Mitarbeit in der öffentlichen Fürsorge", der hier an der Situation in Hannover konkretisiert wird.

Im zweiten Abschnitt geht es um die Frage nach den Wurzeln des beruflichen Selbstverständnisses der Fürsorgerinnen, es werden Rolle und Funktion der Fürsorgerinnen in der städtischen Fürsorge und die Frage nach dem familiären Hintergrund der Frauen untersucht, die zur ersten Generation der Fürsorgerinnen im hannoverschen Wohlfahrtsamt zählten.

Um die Professionalisierung der sozialen Tätigkeit geht es in einem weiteren Abschnitt unter der Überschrift "Von der Ehrenamtlichkeit zu einem „Gebiet ernster Arbeit„". Die Anfänge der sozialen  Berufsausbildung, die Entwicklung der Ausbildung in der Weimarer Republik und hier insbesondere die staatlichen Ausbildungsregelungen und ihre Bedeutung für die Christlich-Soziale Frauenschule Hannover (eine frühe und für Hannover wichtige Ausbildungsstätte) vor allem unter dem Aspekt der staatlichen Anerkennung der Berufsausbildung stehen hier im Mittelpunkt. Ein kurzer Blick zur anderen Seite unter dem Thema "Männer als Wohlfahrtspfleger" streift die Entwicklung in einem "Nebenbereich", der einerseits nicht von Frauen besetzt war, während andererseits Männer nicht in dem o.g. "Bereich der klassischen Sozialarbeit" Eingang fanden. Darin spielt aber bereits der unterschiedliche Einsatz im Innendienst und Außendienst eine Rolle mit allen Fragen, die im nächsten Kapitel eine Rolle spielen.

Hierin untersucht die Autorin die Anstellung und Besoldung der städtischen Fürsorgerinnen, die Konkurrenz zwischen den Geschlechtern und die Frage wieweit Fürsorgerinnen in Leitungspostionen gelangten.

Ein letzter Abschnitt beschäftigt sich mit dem "Berufsalltag zwischen Idealen und Überforderung". Welchen beruflichen Belastungen waren Fürsorgerinnen ausgesetzt, wie wirkte sich das im Einzelfall in  Überarbeitung und Erschöpfung aus und wie ging die Behörde mit solchen Ereignissen um, und schließlich, wie begann sich in dieser neu entstehenden Berufsgruppe berufliche Identität zu entwickeln?

Einschätzung

Die hier vorgelegte Untersuchung bietet einen detaillierten Überblick über die Anfänge der Berufsentwicklung von Fürsorgerinnen in Hannover. In diesem eingegrenzten Bereich lässt sich gut nachvollziehen, wie politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen einerseits und örtliche Gegebenheiten innerhalb einer Kommunalverwaltung andererseits die Etablierung eines neuen Berufs beeinflussen, wie "fachfremde" Interessen sich "bremsend" auswirken, wie Einzelpersonen sich fördernd einbringen konnten.

Die Entwicklung des Berufs der "Fürsorgerin" ist dabei untrennbar mit den Zielen der Frauenbewegung verbunden. Interessant sind hier vor allem die Darstellung verschiedener "Strategien", mit denen versucht wurde, Frauen aus bestimmten Aufgabenbereichen fernzuhalten (Innen- und Außendienst als Stichwort), ein Thema das bei der Frage nach BerufsvertreterInnen in Konkurrenz zu den übrigen MitarbeiterInnen in der Verwaltung nach wie vor aktuell ist; auch die Frage der Besoldung weist Vergleiche zur aktuellen Situation auf, wenn deutlich wird, dass auch damals Besoldung  sich an Angebot und Nachfrage orientierte, statt fachliche Qualität zu berücksichtigen, ein Thema, dass derzeit in vielen Dienstellen  vor allem hinsichtlich BerufsanfängerInnen - diskutiert wird.

Das umfangreiche Buch bietet historisch und berufspolitisch interessierten Lesern eine Fülle von Details zum Verständnis der "damaligen" Situation und macht deutlich, dass sich in vielen Fällen an der beruflichen Situation bis heute noch viel zu wenig geändert hat. Hier sei z.B. auf  Probleme der Überlastung und Überarbeitung bei dieser Berufsgruppe verwiesen, denen auch heute eher mit individualisierender Interpretation als mit strukturellen Maßnahmen am Arbeitsplatz begegnet wird . Es macht nachdenklich, wenn man feststellt, dass manche Probleme wiederkehren, wie die Besoldungsprobleme (s.o.), die ihren Grund sicher nur zum Teil in ähnlichen finanziellen Engpässen haben. Fachliche Qualität muss heute sicherlich anders beschrieben werden als zur Zeit der Entstehung des Berufes. Das Buch ist andererseits ein ausführlicher Beitrag zur Entwicklung der Frauenbewegung allgemein und wird auch dort seine InteressentInnen finden.

Fazit

Der Inhalt ist breit angelegt. Aber auf die Darstellung der historischen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge konnte nicht verzichtet werden, sind sie doch gerade den jüngeren Generationen kaum noch bekannt. Gerade deshalb ist es eine Pflichtlektüre für diejenigen, die sich mit der Geschichte der Sozialen Arbeit und mit der Berufsgeschichte der SozialarbeiterInnen auseinandersetzen wollen und eine interessante Fundgrube für Studierende,  die nicht nur wissen wollen, wie der Beruf jetzt aussieht, sondern auch wissen wollen, wie er sich mit vielen Hindernissen entwickelt hat.

Rezension von
Dipl.Soz.-Arb. Meinolf Westerkamp
Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Sozialarbeit
Mailformular

Es gibt 19 Rezensionen von Meinolf Westerkamp.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245