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Katharina Kriegel: Mediationspflicht? (Trennung und Scheidung)

Rezensiert von DSA Dr. Marianne Gumpinger, 26.11.2006

Cover Katharina Kriegel: Mediationspflicht? (Trennung und Scheidung) ISBN 978-3-938203-29-3

Katharina Kriegel: Mediationspflicht? Über die Notwendigkeit einer Begleitung von Eltern bei Trennung und Scheidung. Garamond Verlag (Jena) 2006. ISBN 978-3-938203-29-3. 19,80 EUR.

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Das Thema

Scheidung und Trennung können in der Biografie von Menschen schwere Lebenskrisen auslösen, die dazu führen dass betroffene Kinder kein gedeihliches Umfeld für ihr Aufwachsen vorfinden und bleibende Schäden davontragen.

Eltern in einer Scheidungskrise sind mitunter nicht imstande sich die notwendigen Ressourcen von sich aus zu erschließen um diese Krise zu überwinden und fallen in nicht zielführende, alte Verhaltensmuster zurück, die die destruktive Situation verschärfen oder zementieren.

Mediation als wirkungsvolle Konfliktbearbeitungsmethode bietet sich an hier zum Einsatz zu kommen und im Sinne einer "vorbeugenden Medizin" als Pflichtprogramm in  Scheidungen mit  minderjährigen Kindern den Rechtsstreit vor dem Richter zu ergänzen oder zu ersetzen.

Diese Vorgangsweise steht allerdings im Widerspruch zum Grundsatz der Freiwilligkeit im Mediationsverfahren.  Es erhebt sich nun die zentrale  Frage, ob die Chance Langzeitschäden von Scheidungskindern abzuwenden es rechtfertigt Scheidungseltern mit Mediation "zwangszubeglücken".

Die Autorin

Katharina Kriegel M.A. studierte Erziehungswissenschaften und lehrt im Fachgebiet für Interkulturelle Wirtschaftskommunikation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Aufbau und Inhalt

Nach einem Geleitwort von Michael Winkler legt die Autorin in sieben Kapiteln folgende Inhalte dar:

  • Trennung und Scheidung: Ausnahmesituation für Eltern und Kinder mit Folgeschäden
  • Hilfe in der Ausnahmesituation: Der Mediator moderiert elterliche Kooperation
  • Hilfe unter der Voraussetzung selbständiger Eltern: Das Prinzip der Freiwilligkeit
  • Handeln Eltern im Scheidungskonflikt autonom?
  • Delegierte Verantwortung: Die juristische Prozessstruktur
  • Diskussion einer Verpflichtung von Eltern zur Trennungs- und Scheidungsmediation
  • Mediationspflicht in der Praxis

Abschließend zieht Frau Kriegel mit einem Plädoyer für eine verantwortungsvolle Diskussion des Themas Pflichtmediation ein Resümee.

Diskussion

Frau Kriegel hat auf sehr ambitionierte Weise zu einem heiklen Thema Stellung genommen. Durchaus gegen den Mainstream der Diskussion, der dem Prinzip der Freiwilligkeit einen enorm hohen Stellenwert einräumt, argumentiert sie sehr differenziert  und hat eine Fülle von Material zusammengetragen um ihre Botschaft vom Nutzen und der Sinnhaftigkeit von Pflichtmediation zu untermauern. Getragen von der Überzeugung "Mediation hilft!" - auch im Zwangskontext - wird manches Gegenargument etwas verkürzt dargestellt und nicht immer ausreichend gewürdigt. Das Problem der nicht vorhandenen oder zu schwachen Motivation für eine selbstbestimmte, autonom erarbeitete Problemlösung  durch die Eltern kann auch eine/n sehr gut ausgebildete/n MediatorIn an seinen /ihren Fähigkeiten zweifeln lassen. Die Widerstände bzw. mehr oder weniger subtilen Kampfmanöver stark zerstrittener Eltern ergeben schwer- bis unlösbare Konflikt- und Problemkonstellationen. Nicht zu vergessen die Gefahr, dass es in der Mediation zu erneuten Verletzungen (psychischer bis hin zu physischer Natur) kommen kann. Rosenkriege folgen eigenen Spielregeln und die Macht des Wortes ist auf diesen Schlachtfeldern nicht immer ausreichend besonders die Schwächeren zu schützen.

Da Mediation derzeit zumindest in deutschsprachigen Raum noch nicht ausreichend bekannt ist, wie auch die Autorin mehrfach darlegt, birgt die Forderung nach Pflichtmediation noch eine weitere Gefahr: Jede misslungene Mediation ist ein Imageverlust und somit "Negativwerbung". Es wird auch durch die Beispiele aus dem Ausland  im Buch klar belegt, dass das Risiko des Scheiterns im Zwangskontext deutlich höher liegt als bei freiwilligen Mediationen. Auf Seite 162 wird das norwegische Pflichtmediationsmodell beschrieben mit einer Erfolgsrate von 40 %. Bei 20% war der Konflikt zu intensiv,  so dass Mediation nicht funktionieren konnte, bei weiteren 40% hätte der Konflikt auch ohne Mediation gelöst werden können.

Um Mediation eine gute Verankerung in der Gesellschaft zu ermöglichen braucht es viele zweckdienliche Maßnahmen. Von üblicher Öffentlichkeitsarbeit, über  Schulmediation (ein zwar langfristiger aber sehr wirkungsvoller Weg) bis hin zu vielen gelungenen Mediationen, die den besten Langzeit-Effekt haben dürften.

Die Meinung der Autorin, Mediation möge möglichst vielen Menschen zugute kommen,  weil diese Prozesse des Aushandelns  per se eine befriedende Wirkung entfalten,  trifft (leider) nicht immer zu. Mediation ist auch ein mühsamer, kraftraubender Suchprozess, ein Akt des sich mit Kompromissen Abfindens und des Verabschiedens von unerfüllbaren Erwartungen. Eine misslungene Mediation kann das Frustpotential noch einmal erhöhen, denn die positive Wirkung der endlich gefundenen Lösung stellt sich zumeist ja erst am Ende des Mediationsverfahrens ein. Die mehrfach im Buch geäußerte Hoffnung schon das Zusammensetzen an einem Tisch würde die Konfliktdynamik positiv beeinflussen und einen Motivationsschub auslösen, trifft nur in diesen Fällen zu wo relativ günstige Voraussetzungen vorliegen die rasche Erfolge ermöglichen. In den besonders dramatischen, weil hoch strittigen und somit Kinder am ehesten schädigenden Scheidungen sind diese motivationssteigernden Anfangserfolge besonders unwahrscheinlich.

Das Argument das Zwangsmoment von außen würde nur als Starthilfe für Mediation fungieren, dann kann durch das Handwerkszeug der Mediation eine intrinsische Motivation aufgebaut werden, ist sehr optimistisch und stellt enorm hohe Ansprüche an das Motivationsgeschick des/r MediatorsIn. Es ist nur zu hoffen dass möglichst viele in diesem Bemühen erfolgreich sein mögen - der Zwangskontext ist diesbezüglich sicher auch eine Herausforderung an die mediative Kompetenz und Professionalität der MediatorInnen .

Zielgruppen

Ob Betroffene, MediatorInnen, MultiplikatorInnen,  mit MediatorInnen kooperierende Berufsgruppen  -  Allen an Mediation Interessierten ist dieses Buch sehr zu empfehlen.

Fazit

Dieses Buch ist eine sehr mutige, engagierte Positionierung gegen ein von manchen Fachleuten idealisiertes Freiwilligkeitspostulat in der Mediationsarbeit. Ob die Einführung von Pflichtmediation im Scheidungskontext nun mehr Probleme löst als sie schafft oder umgekehrt, kann und soll Thema eines spannenden Diskurses über alle professionellen, ideologischen und politischen Grenzen hinweg werden.  Ein viel versprechender Anfang ist gemacht.

Rezension von
DSA Dr. Marianne Gumpinger
Fachhochschule Oberösterreich, Campus Linz, Studiengangsleiterin des Fachhochschul-Studiengangs Soziale Arbeit
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Es gibt 3 Rezensionen von Marianne Gumpinger.

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Zitiervorschlag
Marianne Gumpinger. Rezension vom 26.11.2006 zu: Katharina Kriegel: Mediationspflicht? Über die Notwendigkeit einer Begleitung von Eltern bei Trennung und Scheidung. Garamond Verlag (Jena) 2006. ISBN 978-3-938203-29-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/3645.php, Datum des Zugriffs 31.03.2023.


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