Manuel Fuchs: Jugendarbeit und Schule in Kooperation
Rezensiert von Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt, 16.11.2006
Manuel Fuchs: Jugendarbeit und Schule in Kooperation. Von der Ganztagsbetreuung zur Ganztagsbildung. Hartung-Gorre (Konstanz) 2005. 176 Seiten. ISBN 978-3-86628-013-7. 19,80 EUR. CH: 39,80 sFr.
Thema
Nach "PISA" hat sich die Diskussion verbreitet, inwieweit Schule und kommunale Kinder- und Jugendförderung kooperieren können. Auch die Vertreter/innen der Kinder- und Jugendarbeit beginnen, sich ihres Bildungsauftrag neu zu vergewissern und sich entsprechend zu positionieren, wobei es sich für sie eigentlich um keine neue Debatte handelt, stellt doch Jugendarbeit seit ihrer Neuverortung Mitte der 60er Jahre (und der von Müller, Kentler, Giesecke und Mollenhauer gestellten Frage: Was ist Jugendarbeit?) stets auch "Bildung" in den Mittelpunkt ihrer Arrangements und Anstrengungen, aber hat der sog. "PISA-Schock" die Diskussionen hierüber durchaus wieder "popularisiert". Dabei ist zum Teil erhebliche Skepsis bis Fatalismus unter Fachkräften der Kinder- und Jugendarbeit wahrnehmbar in Bezug auf mutmaßte Inpflichtnahmeversuche für Zwecke der Schule, verbunden mit der Sorge um den Verlust eines eigenständigen Profils. Nun scheinen vor allem neue Bildungskonzepte, vor allem das Konzept zur Einführung der Ganztagsschule, Türen für neue Kooperationsformen zwischen Kinder- und Jugendarbeit und Schule zu öffnen.
Autor
Die zentrale Frage freilich bleibt, wie diese Zusammenarbeit gestaltet werden kann, eine Frage, die sich auch Manuel Fuchs in seiner Veröffentlichung stellt, die als Band 19 in der Reihe "MenschenArbeit/Freiburger Studien" (hg. von Michael N. Ebertz, Werner Nickolai und Helmut Schwalb) erschienen ist. Er betrachtet das Thema aus Perspektive des (angehenden) Praktikers verbunden mit dem Anspruch einer seiner Darstellung eigenen Praxisorientierung. Fuchs hat bis 2005 an der Katholischen Fachhochschule Freiburg Sozialarbeit studiert, war 2005 Mitarbeiter im Kreisjugendreferat des Landratsamtes Tuttlingen und ist seit Anfang 2006 als Gemeindejugendreferent in den kreisangehörigen Städten Immendingen und Geisingen tätig. Der vorliegenden Text ist Ergebnis seiner damaligen Diplomarbeit. Er fragt, wie die Zusammenarbeit gestaltet werden kann, wo Risiken, wo Chancen liegen, ob es um Ganztagsbetreuung oder -bildung geht und ob die Kinder- und Jugendarbeit in der Debatte um die Deutschland betreffenden Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus der PISA-Untersuchung nutzt und auslässt.
Inhalt
Zunächst sucht der Autor Anschluss an die aktuelle Bildungsdebatte in Folge von "PISA", um anschließend die Systeme Kinder- und Jugendarbeit und Schule im Vergleich, einschließlich einer Klärung der unterschiedlichen Rahmenbedingungen und Bildungsansprüche, darzulegen. Er thematisiert Kooperationsformen und -felder und entwickelt schließlich einen Leitfaden für Kooperationen, wie Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit ein Kooperationskonzept entwickeln könnten (S. 143ff). Fuchs zieht abschließend ein kurzes Resümee und benennt (erste) Perspektiven. Er kommt zu dem Ergebnis, dass bislang "die Entwicklungen in der Kinder- und Jugendarbeit und der Schule parallel" verlaufen, was insbesondere in der Diskussion um Ganztagsschulkonzepte deutlich werde. Darin aber liege die Chance zur Entwicklung eines neuen und gemeinsamen Bildungsverständnisses (S. 155), weshalb der Autor für ein Konzept von Ganztagsbildung plädiert, das aber nur möglich sei, "wenn es gelingt, das Bildungspotential der Kinder- und Jugendarbeit auch in Zukunft zu erhalten" (S. 156). Hierbei sieht er freilich auch die Gefahr, dass die Kinder- und Jugendarbeit zu einer Art "Erfüllungsgehilfe" degeneriert (S. 158).
Zielgruppen
Vor allem Studierende der (Sozial-) Pädagogik können sich mit dem vorliegenden Text eine erste Orientierung verschaffen und auch Novizen in (sozial-) pädagogischen Handlungsfeldern wird der helfen, sich mit den Grundlagen von Kooperationsvorhaben zwischen Jugendarbeit und Schule vertraut zu machen.
Fazit
Der Blick auf bisherige Kooperationserfahrungen kommt in Fuchs“ Darstellung zu kurz. Die von ihm gewagte Abwägung der Chancen bzw. Risiken im Rahmen eines Konzepts von Ganstagsbildung stellt sich als empirisch zu wenig abgestützt dar. In seinem Resümee argumentiert der Autor zu stark appellativ (sollte, könnte, müsste), formuliert Hoffnungen und Überzeugungen von der Lesart, dass es um den "Erhalt einer vielfältigen Bildungslandschaft (geht) und den Erhalt eines Leitbilds einer demokratischen Gesellschaft mit den für die Kinder- und Jugendarbeit charakteristischen Grundprinzipien: Offenheit, Freiwilligkeit, Vielfalt, Ehrenamtlichkeit und Partizipation" (S. 162). Das dürfte die geneigte Leserin bzw. den Leser anregen, weiterzudenken - mehr aber auch nicht. Der Band ermöglicht einen ersten Überblick für Neueinsteigerinnen und -einsteiger, die sich einen ersten Überblick verschaffen wollen, worum es bei Kooperationsversuchen zwischen Kinder- und Jugendförderung und Schule gehen könnte.
Zieht man neben der vorliegenden Veröffentlichung auch vergleichbar angelegte Publikationen heran (z. B. Bettina Pauli: Kooperation von Jugendarbeit und Schule. Chancen und Risiken, Schwalbach 2006. Vgl. dazu die Rezension.) heran, die ebenfalls eher als Grundlagentext zu verstehen sind, dann wird es Einsteiger/inne/n in die Materie (vor allem solchen, die in absehbarer Zeit dort beruflich tätig werden und in diesem Handlungsfeld Fuß fassen wollen) ein erster Überblick möglich. Sie erhalten einen ersten Überblick über die Rahmenbedingungen für die Kooperation von Schule und Kinder- und Jugendförderung und können eine erste Risiken/Chancen-Abschätzung vornehmen. Der Vertiefung bedarf es jedenfalls profunder Literatur, die Praxiserfahrungen reflektiert (z. B. Ulrich Deinet und Maria Icking [Hg.]: Jugendhilfe und Schule, Opladen 2006. Vgl. dazu die Rezension). Die Stärke des Bandes liegt in seinem Leitfaden, den der Autor als Ablaufplan sorgfältig erarbeitet und animativ präsentiert hat und der als Hilfe zur Gestaltung von Kooperationsprozessen vor allem von Novizen gut genutzt und bedarfsgerecht auf die vor Ort je unterschiedlich entwickelten Bedingungen weiterentwickelt werden kann.
Rezension von
Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt
Professur für Grundlagen und Methoden der Sozialen Arbeit an der Hochschule Magdeburg
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Es gibt 118 Rezensionen von Peter-Ulrich Wendt.
Zitiervorschlag
Peter-Ulrich Wendt. Rezension vom 16.11.2006 zu:
Manuel Fuchs: Jugendarbeit und Schule in Kooperation. Von der Ganztagsbetreuung zur Ganztagsbildung. Hartung-Gorre
(Konstanz) 2005.
ISBN 978-3-86628-013-7.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/3670.php, Datum des Zugriffs 28.05.2023.
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