Christian Kolbe, Claus Reis: Vom case management zum "Fallmanagement"
Rezensiert von Dipl.Soz.-Arb. Meinolf Westerkamp, 30.10.2006

Christian Kolbe, Claus Reis: Vom case management zum "Fallmanagement". Zur Praxis des case managements in der Sozialhilfe und der kommunalen Beschäftigungsförderung am Vorabend von Hartz IV. Fachhochschulverlag (Frankfurt am Main) 2005. 239 Seiten. ISBN 978-3-936065-54-1. 15,00 EUR.
Das Thema
Mit der Verabschiedung des SGB II ("Hartz IV") haben sich die Bedingungen lokaler Sozial- und Arbeitsmarktpolitik grundlegend verändert. Durch die Verschmelzung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe wurde nicht nur eine neue materielle Leistung (Arbeitslosengeld II) geschaffen, sondern auch das Prinzip des "Förderns und Forderns" zum Prinzip der Leistungsgewährung gemacht. Das trifft auf Ansätze des Case Managements, mit denen viele Kommunen in den letzten Jahren im Rahmen ihrer Sozialhilfepolitik experimentiert hatten. Elemente des Case Managements als Handlungskonzept wurden im Verlauf der letzten zehn Jahre in vielen Kommunen eingeführt, wobei der Begriff für viele unterschiedliche Vorgehensweisen steht.
Wie sind diese Vorgehensweisen im Einzelnen ausgestaltet, welche Erfahrungen wurden damit gemacht und welche Konsequenzen können und müssen für das weitere Vorgehen unter den neuen Bedingungen von Hartz IV gezogen werden und wie weitgehend war die bisherige Reform der Sozialämter, die sich in der Einführung von Case Management ausdrückt? Mit diesen Fragestellungen beschäftigt sich die vorliegende Studie.
Die Autoren
- Prof. Dr. Reis, Diplom-Soziologe, ist seit 1997 Professor an der Fachhochschule Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt "Organisation Sozialer Dienste im Bereich Armut, Wohnungslosigkeit und ArbeitslosigkeitÓ. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind die Analyse von Prozessen der Dienstleistungsproduktion, die Untersuchung der Implementation von Reformvorhaben im Rahmen der "Neuen Steuerung" sowie die Weiterentwicklung fachlicher Strukturen des Casemanagements/Fallmanagements. Er ist seit 2003 geschäftsführender Direktor des Instituts für Stadt- und Regionalentwicklung (ISR) der Fachhochschule Frankfurt und hat u.a. das Pilotprojekt "Integrierte Hilfe zur Arbeit" und das Modellprojekt "Sozialbüros" im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Qualifikation und Technologie, NRW wissenschaftlich begleitet, die sich mit den Reformvorhaben in der Sozialhilfe beschäftigten.
- Christan Kolbe ist nach dem Studium der Sozialarbeit und der Soziologie seit 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Stadt und Regionalentwicklung (ISR)der Fachhochschule Frankfurt am Main. Seine Arbeitsschwerpunke liegen u.a. in der Untersuchung des Handlungskonzepts Case Management.
Inhalt
Die Daten für die Studie wurden im Wesentlichen in den Jahren 2003 und 2004 erhoben.
Da in den befragten Kommunen Elemente des Case Managements in unterschiedlichsten Formen genutzt werden entwickeln die Autoren zunächst ein Modell zur Analyse der Praxis von Case Management. Auf dem Hintergrund dieses Modells erfolgte eine quantitative Befragen kommunaler Sozialhilfeverwaltungen, die aus pragmatischen Gründen letztlich auf Nordrhein-Westfalen beschränkt wurde, zur Frage, wieweit Case Management in deutschen Sozialämter verbreitet ist.
Die Auswertung der empirischen Daten macht deutlich, wie unterschiedlich die Begriffsdefinition Case Management genutzt wird. Trotzdem lässt sich eine eindeutige Unterscheidung treffen zwischen Kommunen, die fall- und feldbezogenes Case Management betreiben, sowie den übrigen Kommunen, die sich in der Regel auf die Ermittlung und Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit der Klientel konzentrieren, nicht aber um die Gestaltung des Maßnahmenangebots (i.S. von Case Management) kümmern. In den meisten Kommunen, die diesem Ansatz folgen, sind zwar die einzelfallbezogenen Elemente des Case Management gängige Praxis, das Case Management endet aber in der Regel an der entscheidenden Schnittstelle, bei der Mitgestaltung der Angebotsseite. Insofern lassen sich deutliche Defizite im Hinblick auf die Angebotssteuerung und somit ein Missverhältnis zwischen den fall- und den systembezogenen Elementen des Case Managements feststellen.
Im zweiten Teil der Studie wird in vier Fallstudien untersucht, wie sich die Praxis des Case Managements in unterschiedlichen organisatorischen Kontexten darstellt. Es werden - entsprechend der Leistungstiefe (Wie tiefgreifend ist der Reformprozess?) der Institutionen - vier unterschiedliche institutionelle Typen von "Produktionsmodellen" gebildet mit den Untersuchungsstandorten Bezirksamt Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf, Stadt Cottbus, Stadt Düsseldorf und Stadt Eschweiler. Jeweils nach einer Beschreibung der Rahmenbedingungen für die Arbeit in der Kommune wird Entstehung und Aufbau von Case Management beschrieben und ein Produktionsmodell mit Schaubild vorgestellt, dem sich eine auf Beobachtung von Beratungssituationen beruhende Beschreibung von Arbeitsbündnissen anschließt. Abschließend erfolgt ein Vergleich der kommunalen Handlungskonzepte und Leistungsprozesse.
Aus den Untersuchungsergebnissen werden Erfolgsfaktoren gefolgert, die für eine erfolgreiche Implementation von Leistungsprozessen des Fallmanagements in den Kommunen von Bedeutung sind.
Diskussion
Die Studie befasst sich mit Gegebenheiten, die mit Hartz IV inzwischen überholt sind. Gleichwohl lassen sich daraus Lehren ziehen für das neue Reformprojekt des SGB II. Ein konkretes Modell wird nicht entwickelt.
Allgemein kann der an Case Management interessierte Leser feststellen, dass nach wie vor der Satz gilt "Nicht überall wo Case Management drauf steht, ist auch Case Management drin", denn: die Umsetzung des Case Management Konzepts im o.g institutionellen Rahmen geschieht häufig sehr undifferenziert und möglicherweise ohne intensivere Vorüberlegung, was damit erreicht werden soll. Häufig steht entweder die Fall- oder die Systemsteuerung im Vordergrund, selten wird beides berücksichtigt. Warum das so ist, wird nicht deutlich. Von den Autoren wird an vielen Stellen festhalten, dass die Angebotssteuerung zu wenig genutzt wird, damit das Case Management effektiv "funktionieren" kann. Wer nur ein wenig in die Angebotsstruktur der Beschäftigungsoffensiven schaut und die Vermittlungspraxis kennt, vermag die fehlende Systemsteuerung zu erkennen. Die passgenaue Verbindung von Kompetenzen der Klientel mit vorhandenen Angeboten ist erst möglich, wenn auch auf diese Einfluss gewonnen werden kann.
Fazit
Für die Arbeit im Rahmen der Reformprojekte des SGB II können die Ergebnisse der Studie eine gute Hilfe sein, wenn die genannten "Erfolgsfaktoren" sowohl auf der Ebene der Organisation, der Qualifikation der Mitarbeiter, der Verfahrensweise und der bei der Einflussnahme auf die Angebotesseite berücksichtigt werden.
Rezension von
Dipl.Soz.-Arb. Meinolf Westerkamp
Fachhochschule Dortmund, Fachbereich Sozialarbeit
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