Dagmar Kumbier, Friedemann Schulz von Thun (Hrsg.): Interkulturelle Kommunikation. Methoden, Modelle, Beispiele
Rezensiert von Prof. i.R. Dr. Franz Hamburger, 15.11.2007
Dagmar Kumbier, Friedemann Schulz von Thun (Hrsg.): Interkulturelle Kommunikation. Methoden, Modelle, Beispiele. Rowohlt Verlag (Reinbek) 2006. 352 Seiten. ISBN 978-3-499-62096-6. 9,90 EUR.
Thema
Das Buch enthält insgesamt die Anwendung der Kommunikationspsychologie von Friedemann Schulz von Thun ("Miteinander reden", 3 Bände, Reinbek 1981, 1989, 1998) auf Probleme der interkulturellen Kommunikation. Die von Schulz von Thun entwickelten Instrumente zum vertieften Verständnis von Kommunikation und den Problemen in der Interaktion von Personen und Gruppen werden vielfach angewandt und konkretisiert. Dabei zeigt sich die Nützlichkeit dieser Instrumente auch zum besseren Verstehen von Kulturkonflikten in der Kommunikation, aber auch zur Relativierung der Zuschreibung von Konfliktursachen zur kulturellen Zugehörigkeit von Personen.
Aufbau und Inhalt
Nach einer Einführung von Dagmar Kumbier und Friedemann Schulz von Thun in den Ansatz der Kommunikationspsychologie werden in sechs Kapiteln vierzehn Einzelthemen behandelt.
- Im Kapitel "Missverständnisse und Irritationen ergründen und bewältigen" werden typische deutsch-japanische Missverständnisse geschildert, romantisierende Klischees in der deutsch-peruanischen Entwicklungsarbeit "entzaubert" und "Kulturstandards" an Erfahrungen einer Deutschen in Neuseeland herausgearbeitet. Irritationen werden ernst genommen, analysiert und aufgearbeitet, so dass nach diesen Reflexionen ein entspannter Umgang mit Differenzen möglich ist.
- "Kulturen unter einem Dach" ist das nächste Kapitel überschrieben. Hier wird über vietnamesische Pflegekinder in einer deutschen Familie und über Erfahrungen mit der Beratung eines deutsch-mexikanischen Paares berichtet.
- Noch mikroskopischer wird der analytische Blick im Kapitel "Kulturen unter einer Haut". Die Selbstwahrnehmung von Personen, die sich "multikulturell zusammengesetzt" fühlen, die sensibel die verschiedenen "Seelen in ihrer Brust" wahrnehmen oder durch Studium im Ausland damit konfrontiert werden, ihre innere Welt der Wahrnehmungen und Empfindungen kräftig umstrukturieren zu müssen, stehen hier im Vordergrund.
- Bedrängendere Probleme werden in der Arbeit mit Gewalttätern oder im Rettungsdienst bearbeitet. Die Berichte der Autoren zeigen, wie wichtig gründlich reflektierte Erfahrungen sind, um zugleich den Fallstricken der Kulturalisierung und der kulturellen Ignoranz entgehen zu können.
- Mit "Mediation und Beratung" schließlich werden Konflikte in multinationalen Belegschaften oder die Belastungen von "mitausreisenden Partnerinnen" bei einem beruflich bedingten Auslandsaufenthalt angegangen und - wie sich an den Beispielen zeigt - auch gelöst.
- Ein letztes Kapitel ist mit "Wider den Kulturalismus" überschrieben und systematisiert die gelegentlich im Text vorher schon angesprochenen Probleme der Fixierung auf die interkulturelle Perspektive. Dabei geht es um die grundlegende Einsicht, dass die Unterschiede zwischen Kulturen nicht als prinzipielle, sondern als graduelle aufzufassen sind (S. 48) und die Differenzen zwischen Personen in einer Kultur oft größer sind als die zwischen den Kulturen (S. 61). Diese Feststellungen schränken schon die an anderer Stelle berichtete Erfahrung, dass die andere Kultur "der unsrigen völlig fremd" sei (S. 77) ein. In den abschließenden Beiträgen wird die Rückkehr zur allgemeineren Systematik mit der Differenzierung von Kultur und Person und mit dem Hinweis auf die in interkulturellen Beziehungen eingelagerten Machtunterschiede und Herrschaftsverhältnisse realisiert.
Diskussion
Nach diesem letzten Kapitel wären die vorangehenden Beiträge teilweise neu zu lesen, und zwar kritisch zu lesen oder gar neu zu schreiben. Denn trotz aller Differenzierungsbemühungen kann die Rezeption der Texte auch zu einer vereinfachenden und stereotypen Zuschreibung führen. Doch damit wäre die Chance des kommunikationspsychologischen Ansatzes vertan, denn die figurativen Typisierungen mögen manchmal als zu vereinfachend wahrgenommen werden. Ihr differenzierendes Potential ist hoch, weil immer wieder auf widerstreitende Tendenzen und gegensätzliche Strukturmuster abgehoben wird. Darauf kommt es ja gerade bei der interkulturellen Kommunikation an: die Irritationen - wie sie sind - ernst zu nehmen und sie mit einer gewissen Gelassenheit aufzuarbeiten, aufzulösen und oft auch "stehen zu lassen".
Fazit
Das Buch gehört zur qualifizierten Ratgeberliteratur. Es ist leicht verständlich geschrieben, die Autoren und Autorinnen führen ihre Fragestellung mit Beispielen ein und erläutern die verwendeten Fachbegriffe, Schaubilder veranschaulichen die dargestellten Strukturen und Prozesse, die Beiträge werden gut zusammengefasst.
Rezension von
Prof. i.R. Dr. Franz Hamburger
Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V.
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Es gibt 6 Rezensionen von Franz Hamburger.
Zitiervorschlag
Franz Hamburger. Rezension vom 15.11.2007 zu:
Dagmar Kumbier, Friedemann Schulz von Thun (Hrsg.): Interkulturelle Kommunikation. Methoden, Modelle, Beispiele. Rowohlt Verlag
(Reinbek) 2006.
ISBN 978-3-499-62096-6.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/3788.php, Datum des Zugriffs 13.12.2024.
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