Ulrich Lange (Hrsg.): Musik & Märchen (Demenz)
Rezensiert von Gisela Stoll, 27.06.2006

Ulrich Lange (Hrsg.): Musik & Märchen. Kreativ-therapeutische Beiträge zur Begleitung von Menschen mit Demenz.
Kuratorium Deutsche Altershilfe
(Köln) 2005.
ISBN 978-3-935299-85-5.
29,00 EUR.
Film 1 "Verrückt in eine andere Welt" Musiktherapie mit verwirrten alten Menschen. Von Elisa Behner/ Susanne Mauermann (Filmlänge 30 Min). Film 2 „Es war einmal ...“ Ein Dasein zwischen Vergessen und Erleben. Von Patricia Schrickel / Linda Fastenrath (Filmlänge 18 Min). Begleitheft (Umfang 46 Seiten).
Vorwort
Es geht nicht nur darum, Musik, Tanz und Märchen in das Leben desorientierter Menschen zu bringen, sondern um eine innere und äußere Haltung, bei der den alten Menschen Würde und Respekt entgegengebracht werden, und bei der Demenz als eine Kultur der Andersartigkeit begriffen wird, betont Prof. Ulrich Lange von der Fachhochschule für Sozialwissenschaften in Köln in seiner Einleitung. Er sieht Altenarbeit als Entdeckungsreise, als Arbeit mit dem Schatzsucherblick. Es ist ein Menschenrecht, verstanden und geliebt zu werden. So könnte sich vieles von dem, was das Elend der alten Leute ausmacht, von allein erledigen.
Die Autoren und ihre Projekte
Die beiden Filme und ihre Begleitbroschüre haben ihren Ursprung in einem 2003 bewilligten Forschungsfreisemester, wo es um kreativ-therapeutische Ansätze in der Altenarbeit ging. Die Autoren begleiten und dokumentieren Gruppenangebote für dementiell erkrankte Bewohner in stationären Einrichtungen der Altenhilfe. Die Beteiligung von Pflegekräften war keine Bedingung. Es bestand eine Zusammenarbeit mit der "Zukunftswerkstatt Tanz, Musik, Gestaltung" in Düsseldorf, die seit 15 Jahren Mitarbeiter aus sozialen Berufen in kreativ-therapeutischen Methoden ausbildet und mit deren Leiter, dem Mitautoren Udo Baer. Zwei Studenten der Sozialpädagogik, Uwe Gast und Tobias Schmidt, begleiteten die Kreativgruppen im Rahmen ihrer Diplomarbeit. Vier Studentinnen aus einem Video-Seminar filmten die Musiktherapie, bzw. die Märchenarbeit, ebenfalls im Rahmen ihrer Diplomarbeit.
Inhalt der Broschüre
- Wege zum Menschen - Plädoyer für eine ganzheitliche Pflegekultur (Lange)
- Musik & Märchen - kreativ-therapeutische Wege in Theorie und Praxis (Lange)
- Das Ende vom Lied - Musik und Musiktherapie in einem Altenpflegeheim (Pechan)
- Türen zum Herzen - Märchenarbeit mit dementiell erkrankten Menschen (Wessendorf)
- Resonanz und kreative Dialoge - Leitlinien für den kreativ-therapeutischen Umgang mit Menschen mit Demenz (Baer)
Vor allem das Kapitel über die Märchenarbeit macht neugierig; denn bisher gibt es noch wenig Literatur und wenig Erfahrungen darüber, wie Märchen bei Menschen mit einer Demenz eingesetzt werden können. Hier ein Zitat von Frau Wessendorf: "Ich kann nicht einfach das Märchen erzählen und dann den Bewohner allein lassen. Das geht nicht. Es werden Ängste geweckt, negative Gefühle angesprochen: Wut, Hilflosigkeit. Durch das Aussprechen allein ist oft schon eine Besserung festzustellen. Ich mache oft die Erfahrung, dass sie mit der Hexe kämpfen müssen, um dann am Ende als Siegerin hervorzugehen. Und das ist natürlich eine wunderschöne Erfahrung für die Bewohnerinnen - und für mich natürlich auch." So wird geschildert, wie z.B. der Sieg über die Hexe - im gemeinsamen Gespräch - einen ungeahnten Zuwachs an Selbstvertrauen verschafft hat.
Die Broschüre ist sehr gut verständlich geschrieben, die Beispiele aus der Praxis sind leicht nachvollziehbar, und die Gedanken und Visionen der Autoren leuchten beim Lesen sofort ein. Durch die beiden Filme bekommt der Zuschauer einen guten Einblick in die beschriebenen Gruppen.
Zielgruppe
Deshalb sind diese Filme mit ihren Begleittexten allen Menschen zu empfehlen, die sich auf den spannenden Weg gemacht haben oder es noch vorhaben, mit alten, an Demenz erkrankten Menschen kreativ-therapeutisch zu arbeiten. Sie sprechen nicht nur professionelle Kräfte aus sozialen Berufen an, sondern auch engagierte Laien und Angehörige.
Fazit
Wie schön und wohltuend - da ist wieder einmal Arbeitsmaterial aus der Praxis für die Praxis! Neben den ganz praktischen Vorschlägen und Erklärungen schwingt bei den Texten durchgehend eine Philosophie mit, bei der es um Empathie, um Menschenwürde, Altersweisheit, um emotionale Gedächtnisinhalte und um Sinnlichkeit geht. Es wird beeindruckend beschrieben, wie viele Ressourcen bei hochbetagten und an Demenz erkrankten Menschen oft brachliegen, und dass es sich lohnt, diese "verborgenen Schätze" zu heben.
Da es sich um eine DVD mit einer knapp DIN A 5 großen und nur 46seitigen Begleitbroschüre handelt, erscheint mir der Preis von 29 € etwas überhöht. Schade, wenn deshalb weniger Leute sich dieses Arbeitsmaterial bestellen.
Rezension von
Gisela Stoll
Fachkrankenschwester für Psychiatrie, Validationsanwenderin (VTI)
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Es gibt 14 Rezensionen von Gisela Stoll.