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Heinz Bude, Andreas Willisch (Hrsg.): Das Problem der Exklusion. Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige

Rezensiert von Prof. Dr. Thomas Münch, 06.10.2007

Cover Heinz Bude, Andreas Willisch (Hrsg.): Das Problem der Exklusion. Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige ISBN 978-3-936096-69-9

Heinz Bude, Andreas Willisch (Hrsg.): Das Problem der Exklusion. Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige. Hamburger Edition (Hamburg) 2006. 394 Seiten. ISBN 978-3-936096-69-9. 35,00 EUR.

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Thema

Im Sommer 2006 war es kurz das Thema: "Prekariat", "neue Unterschicht", "Ausgegrenzte", "Arme" - eine Vielzahl neuer Begriffe für ein altes Phänomen wurde auf die politisch-mediale Bühne geworfen. Akute Begriffsverwirrung war die Folge und im diskursiven Feld zwischen Politik und Sozialwissenschaft bestand noch nicht einmal Einigkeit darüber, ob es das Problem denn nun wirklich gäbe, oder ob es sich nur um eine gefällige Konstruktionsleistung der Sozialwissenschaft zur Diskriminierung der "Agenda 2010" handle.

Heinz Bude und Andreas Willisch haben dankenswerterweise mit "Das Problem der Exklusion. Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige" einen Sammelband vorgelegt, der die aktuelle sozialwissenschaftliche Diskussion, den "Stand der Kunst" und der Erkenntnis zusammenfasst.

Ein Sammelband für Einsteiger: das "Sushi-Prinzip"

Der Natur der Sache nach haben Sammelbände die Eigenschaft, doch sehr unterschiedliche Beiträge in sich zu vereinen. Unterschiedlich nach dem Fokus (das ist ja das Interessante), aber unterschiedlich auch nach der analytischen Stringenz und der kritischen Tiefe. Vergleicht man die ideale Leserin und den idealen Leser eines solchen Bandes mit dem Novizen in einer Sushi-Bar, der sich nicht für das Laufband mit den unbekannten Köstlichkeiten, sondern für die "Sushi-Platte-Einsteiger" entscheidet, so werden Ähnlichkeiten deutlich. Für Neulinge ist dieser Weg ein relativ risikofreier Einstieg in ein neues Feld: Was einem nicht schmeckt wird nicht zu Ende geführt; was mundet dient als Einstieg in die weitere Konsumation und in Gänze hat man zum Ende einen ersten Überblick gewonnen. Das "Sushi-Prinzip" kann somit als ein nützliches Instrument in der Lektüre von Sammelbänden, aber auch in unbekannten Segmenten der Gastronomie genutzt werden.

Aufbau

Heinz Bude und Andreas Willisch bieten mit ihrer Einführung einen ersten fundierten Überblick zum Thema, in der die veränderten Rahmenbedingungen und die Bestandteile des Exklusionsbegriffs skizziert und die einzelnen Beiträge des Bandes eingeordnet werden und schon hier bekommen Leserin und Leser Lust auf mehr.

Die einzelnen Beiträge sind dann in einem Triptychon angeordnet:

  1. "Exklusion und Integration",
  2. "Ausgrenzung und Überflüssigkeit" und
  3. "Prekarität und Segregation"

sind die entsprechenden Ordnungsmomente.

1. Exklusion und Integration

  • Dem "Sushi-Prinzip" folgend - was "schmeckt" mir besonders - ist der Beitrag von Martin Kronauer zu "Exklusion als Kategorie einer kritischen Gesellschaftsanalyse" herausragend: Begriffsentwicklung, Begriffsklärung und Begriffsanwendung werden kritisch begründet und aufgespannt und in ihren Konsequenzen für eine demokratische Gesellschaft entwickelt. Komprimiert findet man hier die langjährige Beschäftigung von Kronauer mit dem Exklusionsbegriff auf den Begriff gebracht; Denkanstöße und neue Literaturempfehlungen sind das Lektüreergebnis - davon will man mehr.
  • Armin Nassehi wirft dann den "systemtheoretischen Blick auf die "Phänomene"" und hier lernen wir, dass - systemtheoretisch gesprochen - es eine "paradoxe Einheit von Inklusion und Exklusion" gibt. Makrosoziologie eben.
  • Rainer Land und Andrea Willisch zeigen dann an ihrem Beitrag "Die Probleme mit der Integration" mit der Entwicklung des Konzeptes der "sekundären Integration" wie fruchtbar Sozialwissenschaft sein kann. Wenn sie ihren neuen Integrationsbegriff definieren als "eine Modifikation des fordistischen arbeitsgesellschaftlichen Integrationsmodus unter den Bedingungen anhaltender und hoher Arbeitslosigkeit"(82) so entwickeln sie einen neuen Begriff, der seine heuristische Funktion in der Analyse des arbeitsmarktlichen Elends der Hartz-Gesetze exemplarisch nachweist: "Wenn es keine Arbeit gibt, dann simulieren wir die Arbeit"(82) ist hier sicherlich ein Schlüsselsatz.

2. Ausgrenzung und Überflüssigkeit

Im zweiten Teil des Triptychons "Ausgrenzung und Überflüssigkeit" sind es die Beiträge von Solga, Eick und Kotthoff, deren Lektüre einen direkten und hohen Erkenntnisgewinn besitzen.

  • Heike Solga beschreibt in "Ausbildungslose und die Radikalisierung ihrer sozialen Ausgrenzung" präzise und luzide die Exklusionsmechanismen und Exklusionsinstitutionen im Segment der beruflichen Ausbildung und es hinterlässt einen tiefen Eindruck, wenn sie die sog. arbeitsmarktpolitischen Eingliederungsmaßnahmen als einen "Beitrag zur weiteren Verfestigung ihres ausbildungslosen Zustandes" (141) und damit als einen öffentlich geförderten Exklusionsmechanismus analysiert.
  • Volker Eick liefert in seinem Beitrag zu "Urbane Hygiene und sauberer Profit" eine brillante Analyse der politisch gewollten und finanzierten Exklusion von Wohnungslosen und Armen durch das private Sicherheitsgewerbe; eine Analyse in der raumsoziologische Einsichten und Politikwissenschaft völlig neue und einsichtige Blickwinkel ergeben. Ob "benachteiligte Quartier" in Innenstädten oder in die neuen Einkaufsparadiese Bahnhof; für jeden Raum skizziert er das Zusammenspiel von Politik, privaten Interessen und Sicherheitsdiensten mit dem Ziel der Exklusion bestimmter Bevölkerungsgruppen.
  • Hermann Kotthoff skizziert in seiner Analyse "Überflüssige Loyalität in großbetrieblichen Sozialbeziehungen" auf den Spuren von Richard Sennett, wie der neue Kapitalismus innerhalb der Großunternehmen die Loyalitäten des rheinischen Kapitalismus aushebelt und durch neue, bindungsärmere Strukturen ersetzt. Und auch hier finden wir Exklusion; wenn auch in einer anderen Quantität und Qualität.

3. Prekarität und Segregation

  • Im dritten Teil des Bandes "Prekarität und Segregation" skizziert Hartmut Häußermann den aktuellen Forschungsstand zur "sozialen Stadt" - das kennt man.
  • Berthold Vogel zieht in seinem, dem letzten, Beitrag "Soziale Verwundbarkeit und prekärer Wohlstand" dann das Fazit, indem er seine Skepsis gegenüber der weiteren Funktionsfähigkeit des Wohlfahrtsstaates begründet. Und auch hier stoßen wir - wie bereits in der wunderbaren Einführung von Kronauer - auf Robert Castel und seine Kategorien der "Verwundbarkeit" und der "Entkopplung".

Diskussion

Castel und "Die Metamorphosen der sozialen Frage" zieht sich wie eine Webschnur durch den ganzen Band: In den präzisen und kategorial gegründeten Beiträgen tauschen die Castelschen Kategorien immer wieder auf und werden heuristisch nutzbar. Und selbst in den schwächeren Aufsätzen klingen seine Überlegungen immer wieder durch: "... deshalb auch die Beliebigkeit des Begriffs Ausgrenzung, dessen Undifferenziertheit eine Masse von Notlagen abdecken muss, ohne ihre Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Gattung nachvollziehbar zu machen. Was teilt tatsächlich ein in die familiäre Sphäre zurückgezogener Langzeitarbeitsloser mit Frau, Wohnung und Fernseher mit dem Jugendlichen, dessen "Tretmühle" aus ständigem Herumirren und mißglückten Wutausbrüchen besteht?" (Robert Castel 2002. Die Metamorphosen der sozialen Frage. S. 18) - so skizziert er selbst das Problem mit der Wirklichkeit und der Begrifflichkeit.

Fazit

Der Sammelband kann all jenen Akteuren in Sozialer Arbeit und Sozialpolitik empfohlen werden, die einen aktuellen Überblick zum Stand der Debatte und zur weiteren Entwicklung des Exklusionsbegriffs suchen. Er ist fast in Gänze anregend, bietet neue Einsichten und lenkt Leserin und Leser auf neue Lesewege. Und das alleine ist ja schon eine Empfehlung für den Band.

Rezension von
Prof. Dr. Thomas Münch
Hochschule Düsseldorf, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften
Fach Verwaltung und Organisation

Es gibt 15 Rezensionen von Thomas Münch.

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Zitiervorschlag
Thomas Münch. Rezension vom 06.10.2007 zu: Heinz Bude, Andreas Willisch (Hrsg.): Das Problem der Exklusion. Ausgegrenzte, Entbehrliche, Überflüssige. Hamburger Edition (Hamburg) 2006. ISBN 978-3-936096-69-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/3969.php, Datum des Zugriffs 14.12.2024.


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