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Urs Marti: Demokratie - das uneingelöste Versprechen

Rezensiert von Prof. Dr. Gregor Husi, 12.07.2007

Cover Urs Marti: Demokratie - das uneingelöste Versprechen ISBN 978-3-85869-311-2

Urs Marti: Demokratie - das uneingelöste Versprechen. Rotpunktverlag (Zürich) 2006. 256 Seiten. ISBN 978-3-85869-311-2. 19,80 EUR.

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Thema

Zum Zustand der Demokratie liegen ebenso bekannte wie plakative Thesen vor: Vom "Ende der Geschichte" berichtete Francis Fukuyama; die liberale Demokratie habe über die konkurrierenden politischen Systeme letztlich triumphiert. Demgegenüber vermutete Jean-Marie Guéhenno das "Ende der Demokratie", da die wirtschaftliche Globalisierung die Bedeutung der Nationalstaaten aushöhle und so die institutionellen Grundlagen der Demokratie schwäche. Ist die Demokratie nun in blendender Verfassung oder eher eine Patientin, die der Reanimation bedarf? Der politische Philosoph Urs Marti diagnostiziert Krankheiten und versucht aus einer linken politischen Perspektive analytische Hilfe zu leisten.

Autor

Urs Marti ist Privatdozent für Politische Philosophie an der Universität Zürich und hat unter anderem ein einführendes Buch zu Michel Foucault verfasst.

Aufbau und Inhalt

Marti knüpft an einem klassischen linken Argument an: "Selbst bei Einhaltung der Verfahrensregeln können die Ergebnisse der Verfahren kritisiert werden, weil sie Ausdruck letztlich undemokratischer Verhältnisse sind, worin die für reale Partizipationschancen unverzichtbaren Ressourcen wie Macht und Wissen ungleich verteilt sind." (S. 25) Aus dieser Einschätzung folgt, dass Demokratie erst noch zu verwirklichen sei und dies die Veränderung gesellschaftlicher Strukturen voraussetze. Marti fragt sich dann, wie sich die real existierende Demokratie im Namen demokratischer Prinzipien kritisieren lässt, und geht diese Frage in folgenden fünf Kapiteln an:

  1. Braucht die Demokratie ein moralisches Fundament?
  2. Wege zur Demokratie
  3. Grenzen der Demokratie
  4. Grenzenlose Demokratie
  5. Alternativen

Marti erörtert dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Denken Rousseaus und Tocquevilles und lässt in einer knappen Geschichte der Demokratisierung erkennen, wie sich der Kreis der Mitbestimmenden und der Themen vervielfältigt. Ein moralisches Fundament der Demokratie erachtet Marti als nicht nötig. Im weiteren Verlauf werden Grenzen der Demokratie, auch geographische, untersucht. Wenig überraschend kommt Marti dabei kritisch immer wieder auf den Neoliberalismus zu sprechen. Eine "Demokratisierung der Demokratie" sei ohne eine Demokratisierung der Wirtschaft nicht zu realisieren. Die präsentierten Alternativen rufen neben bekannten Theoretikern wie Marx, Habermas oder Rawls auch Namen in Erinnerung, die leider etwas in Vergessenheit geraten sind, so etwa Macpherson. Marti zeigt anhand Berlins bekannter Differenzierung negativer und positiver Freiheit und der weniger geläufigen von "Freiheit im Markt" und "Freiheit in der Gesellschaft", wie viel von einem richtigen Verständnis der Freiheit abhängt. Wichtig ist für alle Menschen, nicht nur berechtigt, sondern auch imstande zu sein, bestimmte Dinge zu tun oder zu unterlassen. Einer richtig verstandenen gleichen Freiheit aller soll Demokratie ja schliesslich förderlich sein.

Zielgruppen

Das Buch setzt nur wenige Vorkenntnisse voraus. Da die Gedankengänge zwar meist gut dargelegt, der zuweilen komplexen Materie wegen jedoch manchmal nicht ganz leicht nachzuvollziehen sind, eignet sich das Buch für Studierende sowie politisch Interessierte, die ihre kritischen Ideen und Praxen zur Demokratie argumentativ fundieren möchten.

Fazit

Urs Marti hat keine Geschichte der Demokratie geschrieben und liefert ebensowenig eine Theorie der Demokratie oder ein politisches Programm. All dies hat er auch nicht beabsichtigt, vielmehr möchte er Faktoren benennen, die die Krise der Demokratie analysieren helfen, und Partei ergreifen, wenn es gilt, Schlüsse aus der Analyse zu ziehen. Martis Selbstverständnis entspricht dem vorgelegten Buch. Der Autor stellt die jeweiligen Standpunkte ihm nahe oder fern stehender Theoretiker und weniger Theoretikerinnen differenziert dar und macht dabei keinen Hehl aus seiner eigenen linken Position. Dass die geschilderten Alternativen zum Schluss wenig konkret ausfallen, ist wohl auch Ausdruck der Situation, in der sich die politische Linke nach 1989 befindet. Doch wird mit aller Klarheit deutlich, dass mehr gesellschaftlicher Ausgleich dringend Not tut, um dem "Geist des Demokratismus", wie wir in Anlehnung an Max Weber formulieren können, zu weiter gehendem Durchbruch in der Wirklichkeit zu verhelfen.

Rezension von
Prof. Dr. Gregor Husi
Professor an der Hochschule Luzern (Schweiz). Ko-Autor von „Der Geist des Demokratismus – Modernisierung als Verwirklichung von Freiheit, Gleichheit und Sicherheit“. Aktuelle Publikation (zusammen mit Simone Villiger): „Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziokulturelle Animation“ (http://interact.hslu.ch)
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Es gibt 41 Rezensionen von Gregor Husi.

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Zitiervorschlag
Gregor Husi. Rezension vom 12.07.2007 zu: Urs Marti: Demokratie - das uneingelöste Versprechen. Rotpunktverlag (Zürich) 2006. ISBN 978-3-85869-311-2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/3989.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.


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