Naomi Feil, Vicki de Klerk-Rubin: Validation. Ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen
Rezensiert von Gisela Stoll, 12.12.2007

Naomi Feil, Vicki de Klerk-Rubin: Validation. Ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen.
Ernst Reinhardt Verlag
(München) 2005.
8., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage.
166 Seiten.
ISBN 978-3-497-01794-2.
18,40 EUR.
Reinhardts Gerontologische Reihe, Band 16.
Zur Methode der Validation
Validation heißt "für gültig erklären, wertschätzen" und ist eine Methode, um einen hochbetagten Menschen mit seiner Wahrnehmung und seinem ihm eigenen Erleben zu verstehen und anzunehmen. Sie lässt die innere Erlebniswelt des verwirrten alten Menschen gelten.
Validation wurde von Naomi Feil 1963 bis 1980 in Amerika entwickelt. Sie beruft sich auf Theorien und Erfahrungen der humanistischen Psychologie und der Psychotherapie. Feil hat sich mit den Theorien von Freud, Jung, Erikson, Rogers u.a. beschäftigt und bei ihnen nach Lösungen gesucht für einen hilfreicheren Umgang mit Demenzkranken, nachdem sie mit dem damals üblichen "Realitätsorientierungstraining" immer wieder an Grenzen stieß.
Wenn bei hochbetagten Menschen mit Demenz das logische Denkvermögen und das Kurzzeitgedächtnis nicht mehr intakt sind, werden diese Kranken durch ständiges Widersprechen, Korrigieren und das Verweisen auf die Realität immer wieder mit ihren Schwächen und Defiziten konfrontiert. Die Reaktionen darauf sind dann Angst vor Versagen, Stress, Verärgerung, Unruhe, Weglauftendenzen oder auch Rückzug mit zunehmender Verstummung und Apathie.
Andere häufig angewandte Verhalten der Pflegenden wie Bagatellisieren, Ablenken oder Beschwichtigen können die negativen Gefühle dieser Menschen noch verstärken, weil sie sich nicht ernst genommen und unverstanden fühlen.
Feil betont auch, dass die Grundbedürfnisse aller Menschen bei alten, desorientierten Patienten besonders ausgeprägt sind, nämlich das Bedürfnis nach Liebe, Anerkennung und Zugehörigkeit, das Bedürfnis, bis zuletzt immer noch nützlich zu sein und gebraucht zu werden und als drittes das Bedürfnis, Gefühle auszudrücken und dabei gehört und verstanden zu werden.
Ein wichtiger Grundsatz bei der Validation stammt von C.G. Jung: Gefühle, die ausgedrückt und dann von einem vertrauten Zuhörer bestätigt wurden, werden schwächer. Ignorierte oder geleugnete Gefühle werden stärker. Aus einer nichtbeachteten Katze wird ein Tiger. Von Pflegenden kommt immer wieder der Einwand: "Das ist doch nichts Neues. Wir haben uns intuitiv schon immer so verhalten." Diese Pflegenden fühlen sich nun bestätigt, und sie können nach der Lektüre dieses Buches besser begründen, warum sie so und nicht anders mit den an Demenz Erkrankten umgehen.
Inhalt
Bei dieser 8.Auflage, bei der neben Naomi Feil auch deren Tochter, Vicki de Klerk-Rubin als Autorin mitgearbeitet hat, sind die im Vorwort angekündigten Änderungen nur geringfügig, z. B. wurden die Stadien der Verwirrtheit in Phasen umbenannt.
Im ersten Kapitel geht es um die Grundprinzipien, die theoretischen Annahmen, um Gründe für Desorientierung und die Weisheit der Desorientierung.
In dem Unterkapitel Forschungsergebnisse werden Studien zur Effektivität von Validation vorgestellt. Obwohl sie immer noch stark umstritten ist, wird die Methode der Validation inzwischen seit vielen Jahrzehnten nicht nur in Fachkreisen anerkannt und tagtäglich erfolgreich praktiziert.
In einem weiteren Kapitel gibt Naomi Feil Anregungen für Aufbau, Vorbereitung und Durchführung von Validationsgruppen.
Das Aufarbeiten alter, unbewältigter Konflikte
Naomi Feil hat immer wieder beobachtet, wie einschneidende Erlebnisse, wenn sie in früheren Jahren nicht verarbeitet werden konnten, in der Demenz noch einmal durchlebt werden. Mit Hilfe der Validation bekommt der alte Mensch jetzt noch die Möglichkeit, Schmerz, Trauer, Angst, Panik, Scham und andere, seinerzeit verdrängte Gefühle endlich zu zeigen, z.B. indem er heute die Tränen weint, die er vor Jahrzehnten, warum auch immer, nicht weinen konnte. Ähnlich ist es mit dem Bedürfnis, alte Rechnungen zu begleichen und Ordnung in das Seelenleben zu bringen, um dann in Frieden sterben zu können.
Ein Validationsanwender geht davon aus, dass altersverwirrte Menschen weder gestört noch sinnlos handeln. Sie sind auf ihre Weise damit beschäftigt, ihr bisheriges Leben aufzuarbeiten, um so Vergangenheitsbewältigung zu leisten.
Die Inhalte aus ihrer verwirrten Welt haben fast immer einen Bezug zu früheren Erlebnissen, z.B. wenn ein 90jähriger Mann Todesängste und Panik empfindet, weil immer und immer wieder Situationen, die er als 19jähriger Soldat erlebt hat, vor seinem inneren Auge auftauchen und er diese für die Realität hält.
Dieser hochbetagte, verwirrte Mensch benötigt meiner Erfahrung nach ein anderes therapeutisches Vorgehen als ein jüngerer Patient, der unter Halluzinationen und Wahnideen leidet. (vgl. die Rezension einer früheren Auflage).
Kritische Würdigung
Das Buch erscheint mir für Praktiker stellenweise etwas zu theoretisch, zu dogmatisch und die Gliederung etwas unübersichtlich, vor allem für Pflegende, die sich zum erstenmal mit Validation beschäftigen. Hier wären, wie in einem anderen Buch von Feil, mehr Beispiele aus der Praxis ein guter Einstieg gewesen. Wer sich dennoch die Zeit nimmt und das Buch durcharbeitet, der wird viele Anregungen finden für den Umgang mit an Demenz Erkrankten. Vor allem wird er ein besseres Verständnis für deren oft schwer verständliche Verhaltensweisen bekommen.
Nach meiner Erfahrung in der Fortbildung von Pflegepersonal ist es in erster Linie die "validative Grundhaltung", die leichter gelernt und in die tägliche Pflege integriert werden kann als die im Buch sehr ausführlich abgehandelte individuelle Validation.
Zitat einer pflegenden Tochter: "Hätte ich diese Möglichkeiten des Umgangs schon vor Jahren gekannt, wären mir und meiner kranken Mutter viel Leid, Stress und fruchtlose Diskussionen erspart geblieben. Jetzt ist unser Umgang miteinander wesentlich entspannter."
Fazit
Da es bei der Validation immer um den Umgang mit Gefühlen geht, stoßen Pflegende dann an ihre Grenzen, wenn sie sich selbst sehr schwer tun, eigene Gefühle zuzulassen und zu zeigen. Deshalb muss jeder Leser dieses Buches prüfen, was ihm einleuchtet, und was er davon in die Praxis umsetzen will und kann.
Zielgruppen sind Profis und Laien, die mit hochbetagten Menschen arbeiten - auch schon im Vorfeld von dementiellen Erkrankungen.
Rezension von
Gisela Stoll
Fachkrankenschwester für Psychiatrie, Validationsanwenderin (VTI)
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