Norbert Herriger: Empowerment in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung
Rezensiert von Prof. Dr. Hermann Denz , 10.03.2007

Norbert Herriger: Empowerment in der Sozialen Arbeit. Kohlhammer Verlag (Stuttgart) 2006. 3., erweiterte und aktualisierte Auflage. 255 Seiten. ISBN 978-3-17-019075-7. 24,00 EUR.
Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-17-034146-3 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.
Ein Klassiker in neuer Auflage
Es ist nicht ganz leicht einen Klassiker - und zu diesem ist das Buch seit seinem ersten Erscheinen 1997 geworden - zu besprechen. Die ganz aktuelle erweiterte neue Auflage ist ein Anlass, es doch in ein paar Aspekten zu versuchen.
Empowerment hat Konjunktur
Nicht nur das Buch hat Konjunktur, auch der Begriff, wobei das eine wahrscheinlich doch mit dem anderen zusammenhängt. Und hier ist das Problem, zumindest eines: Wenn so viele Menschen, Politiker/innen, Praktiker/innen, Wissenschafter/innen von ganz unterschiedlichen ideologischen Positionen aus einen Begriff im Munde führen können, liegt der Verdacht nahe, dass er so breit ist und so vage, dass sich alle seiner bedienen können, um ganz unterschiedliche Dinge auszudrücken. Und hier ließe sich eine Brücke zur aktuellen Unterschicht-Diskussion in Deutschland schlagen: Die Studie "Gesellschaft im Reformprozess" der Friedrich-Ebert-Stiftung (ein Bericht soll Ende 2006 erscheinen) zeigte auf, dass es in Deutschland eine Gruppe von 8% gibt, die als das "abgehängte Prekariat" bezeichnet wurde: "Tatsächlich ist die Unterschicht von heute anders als die Unterschicht von damals; der moderne Unterschichtler hat den Aufstiegsglauben verloren und das Klassenbewusstsein; das Proletariat konnte sich darauf verlassen, gebraucht zu werden, das Prekariat lebt in der Gewissheit, überflüssig zu sein" (C. Schnibben, Der Spiegel 43/2006, 29). Damit sind wir mitten in der Bandbreite des Begriffs Empowerment, zwischen Klassenkampf ("Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!", aus dem Kommunistischen Manifest 1848) und Hartz IV ("fördern und fordern").
Ausgewählte Inhalte und Änderungen in der neuen Auflage
Ich war gespannt, in welche Richtung die Erweiterung gehen wird. Als aufmerksamer Leser der Homepage http://www.empowerment.de sah ich immer eine gewisse Spannung in der grundsätzlichen theoretischen Ausrichtung zwischen Internetauftritt und Buch. Doch nun zum Buch. Ein erster Blick zeigt, dass die Erweiterung ganze 14 Seiten umfasst (davon 2 Seiten das Vorwort zur dritten Auflage). Die Erweiterungen ergeben sich durch die Berücksichtigung neuerer Literatur, teilweise aber haben sich auch ganze Abschnitte geändert.
- So eine gravierende Veränderung ist eine Umstrukturierung und Erweiterung des Abschnitts "Reisen in die Stärke: Werkzeuge einer Praxis des Empowerment", aus dem Kapitel 4.1 "Basale Sicherung und Unterstützungsmanagement" (83-95 in der 2. Auflage) wurden 4.1 "Ressourcendiagnostik" (87-97) und 4.2 "Unterstützungsmanagement: Das Arrangieren von Ressourcen" (97-104). Der Ressourcenbegriff wird strukturiert und seine Problematiken werden aufgezeigt. Als offenes Verfahren der Ressourcendiagnostik wird das Ressourceninterview, als geschlossenes das Kompetenzinterventar beschrieben. Nun wird auch die Gemeindeebene (also community work) als Ebene von Empowerment-Prozessen explizit angeführt.
- In die gleiche Richtung weist die Einführung eines Kap. 4.6 "Ressourcenorientierte Arbeit im Stadtteil" - die umfangreichste Erweiterung mit fast 10 Seiten (171-180). Die Spaltung der Gesellschaft in Klassen zeigt sich auch in den Wohnverhältnissen, es gibt neben der sozialen auch eine sozialräumliche Spaltung (Segregation nach Armut und ethnischer Zugehörigkeit): "Der Blick richtet sich hier auf die je konkreten Webmuster von Ressourcen und Restriktionen der aktiven Lebensgestaltung im Quartier; der Wahrnehmungshorizont öffnet sich für die ortsgebundenen kollektive Praxis der Alltagsbewältigung der Bewohner selbst. Die milieuspezifischen Lebenswelten und die in ihnen eingelagerten Aneignungsmuster sozialer Lebenswirklichkeiten erscheinen somit als eine Ressource" (175 f.). Empowerment ist unter derartigen Bedingungen auf der einen Seite das Schaffen von Netzwerken, gegenseitiger Anerkennung, Vertrauen und Solidarität, aber auch die Bekräftigung der Politikfähigkeit (Ermutigung zum aufrechten Gang) im Stadtteil selbst, auf der anderen Seite die Entwicklung einer integrierten Stadteilentwicklung.
Fazit
Nach wie vor: Wer sich mit Empowerment beschäftigt, wird um dieses Buch nicht herum kommen, es ist immer noch eine recht konzise erste Einführung. Zusammenfassend kann man die Änderungen kommentieren: Die Makro-Ebene wurde gestärkt. Der Begriff Empowerment wird dadurch etwas strukturorientierter und implizit politischer. Ob er deswegen präziser wird und damit etwas gegen eine allzu beliebige Verwendung geschützter, würde ich in Frage stellen. Und um die Eingangsfrage zu beantworten: Das Buch hat etwas von der Veränderung des Focus, der sich auf der Homepage abzeichnete, nachvollzogen.
Rezension von
Prof. Dr. Hermann Denz
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