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Stefan G. Schröder: Psychopathologie der Demenz. Symptomatologie und Verlauf dementieller Erkrankungen

Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 02.04.2007

Cover Stefan G. Schröder: Psychopathologie der Demenz. Symptomatologie und Verlauf dementieller Erkrankungen ISBN 978-3-7945-2151-7

Stefan G. Schröder: Psychopathologie der Demenz. Symptomatologie und Verlauf dementieller Erkrankungen. Schattauer (Stuttgart) 2006. 217 Seiten. ISBN 978-3-7945-2151-7. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 64,00 sFr.

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Zur Thematik des Buches

Demenzen als eine Versorgungsaufgabe konzentrieren sich in Deutschland gegenwärtig auf den beiden Säulen häusliche Betreuung und Pflege durch Angehörige teils mit Unterstützung ambulanter Dienste und den Pflegeheimen.

Der psychiatrische Krankenhausbereich hingegen spielt seit Mitte der 70er Jahre aufgrund des Abbaus der Stationen zur Langzeitpflege eine mehr nach geordnete Rolle in der Versorgung der Demenzkranken. In den psychiatrischen Krankenhäusern sind die gerontopsychiatrischen Abteilungen oder Stationen die Versorgungseinrichtungen für diese Klientel. In dem letzten Jahrzehnt hat sich in diesen Kliniken zusätzlich das Angebot zur überwiegend ambulanten Diagnostik der Demenzen (Memory Klinik, Gedächtnissprechstunde) etabliert.

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um die Habilitationsschrift eines Arztes für Neurologie und Psychiatrie aus dem Jahr 1999, der als Oberarzt auf der Gerontopsychiatrischen Abteilung am Bochumer Universitätsklinikum tätig ist.

Inhalt

Bei der Untersuchung handelt es sich um eine klinische Erhebung: 100 gerontopsychiatrisch-stationär aufgenommene Patienten des Universitätsklinikums Bochum mit der Verdachtdiagnose Demenz im Zeitraum Juli 1995 bis Dezember 1996 wurden gemäß den einschlägigen Diagnosestandards (ICD-10, DSM-IV, NINCDS-ADRA für Alzheimer-Demenzkranke und NINDS-AIREN für vaskuläre Demenzen) untersucht. Im Vordergrund der Diagnostik standen die Typen der Demenzen, deren Auftretenshäufigkeit und die demenzspezifischen  Symptome psychopathologischer Art.

Folgende Ergebnisse erbrachte die Untersuchung:

  • Bei den Patienten wurden folgende Diagnosen erstellt: Alzheimer-Demenz 44 Prozent (AD), vaskuläre Demenz 29 Prozent (VD), andere teils kurable Demenzformen 8 Prozent und Pseudodemenz 19 Prozent.
  • Die durchschnittliche Punktzahl im Mini-Mental-Status-Test (MMST) lag bei den AD-Patienten bei 14,5, bei den VD-Patienten 13,1 Punkte. Bei der Aufteilung hinsichtlich des Schweregrades (leicht-, mittel- und schwergradig) nach dem Testverfahren "Clinical Dementia Rating" (CDR) waren von AD-Patienten (N = 40) 8 leicht, 19 mittelgradig und 13 schwergradig erkrankt. Bei den VD-Patienten (N = 27) waren 6 leicht, 9 mittelgradig und 12 schwergradig erkrankt.
  • Von den 100 aufgenommenen Patienten waren 73 weiblichen und 27 männlichen Geschlechts, das Durchschnittsalter betrug 77,8 Jahre.
  • Die Behandlungsdauer betrug bei AD-Patienten durchschnittlich 36,5 Tage und bei Patienten mit einer VD 27,8 Tage.
  • Von den AD-Patienten wurden nach der Behandlung 30 Prozent in die Wohnung entlassen, 28 Prozent kehrten ins Altenheim zurück, neu ins Altenheim kamen 30 Prozent und 13 Prozent wurden ins Krankenhaus verlegt.
  • Bei den VD-Patienten kehrten ebenfalls 30 Prozent in die Wohnung zurück, 15 Prozent kamen wieder ins Altenheim, 22 Prozent wurden neu ins Altenheim aufgenommen und 30 Prozent wurden ins Krankenhaus verlegt.
  • Die Hauptgründe für die Krankenhauseinweisung  bestanden überwiegend aus Agitiertheit, Fremdaggressivität und psychotische Symptome. Weitere Gründe waren Weglauftendenzen, Depression und Gedächtnisstörungen.
  • Bei der medikamentösen Behandlung wurden am häufigsten Neuroleptika gegeben (83 - 85 Prozent bei Patienten mit AD und VD), von den AD-Patienten wurden 15 Prozent anitdepressiv, bei den VD-Patienten waren es 30 Prozent. Mit Nootropika wurden 43 Patienten mit AD und 33 Prozent mit VD behandelt.
  • An der Ergotherapie nahmen von den AD-Patienten 40 Prozent teil, von den VD-Patienten waren es nur 15 Prozent.

Ausführlich beschreibt der Autor unter Einbeziehung der Fachliteratur einige psychopathologische Symptome der Demenzen unter den Aspekten der Auftretenshäufigkeit im Verlaufe der Erkrankung:

  • Anosognosie (fehlende Krankheitseinsicht)
  • Psychotizismus (u. a. Wahnvorstellungen, Halluzinationen)
  • Depressivität
  • Abulie (Apathie oder Antriebsarmut)
  • Maniformität
  • Disinhibition (Enthemmung)

Des Weiteren werden Ausführungen über die Wirkung einer medikamentösen Behandlung gemacht, wobei der Autor hervorhebt, dass keine Neuroleptika und auch keine anderen Psychopharmakaklassen als Mittel der Wahl bei Agitiertheit von Demenzpatienten zu empfehlen sei (Seite 121).

Kritische Würdigung und Fazit

Die vorliegende Habilitationsschrift zeigt einen Ausschnitt aus dem klinischen Geschehen im Umgang mit Demenzkranken in Gestalt einer umfangreichen Kasuistik. Es werden die medizinisch notwendigen Parameter und Interventionsformen dargestellt, von der Aufnahme bis zur Entlassung. Für Außenstehende, die mit der psychiatrischen Krankenhausbehandlung Demenzkranker nicht vertraut sind, die diese Klientelgruppe eher aus den häuslichen oder Heimbereich kennen, kann aus dieser Untersuchung nur wenig Wissen über die spezifische Behandlung gewonnen werden. Tagesstruktur, Milieugestaltung und demenzspezifische Pflege- und Betreuungsformen, über all diese aus dem Heimbereich bekannten Versorgungsvarianten wird wenig berichtet, sieht man über die knappen Ausführungen bezüglich der Ergotherapie einmal ab, die schwerpunktmäßig mit kognitiven Trainingsprogrammen ("Hirnjogging") und Realitäts-Orientierungs-Training (ROT) arbeitet (Seite 130). So bleibt die Psychiatrie noch eine "Terra incognita", ein unbekannter Bereich. Ein äußerst unbefriedigender Tatbestand, denn es gibt einen nicht unbeträchtlichen Transfer von Demenzkranken zwischen den Heimen und den psychiatrischen Krankenhäusern.

Es bleibt zu hoffen, dass in naher Zukunft weitere Untersuchungen und Darstellungen über die psychiatrische Klinikbehandlung Demenzkranker entstehen werden, die es dann erlauben werden, sich ein umfassendes Bild über diesen Behandlungsbereich machen zu können.

Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 02.04.2007 zu: Stefan G. Schröder: Psychopathologie der Demenz. Symptomatologie und Verlauf dementieller Erkrankungen. Schattauer (Stuttgart) 2006. ISBN 978-3-7945-2151-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/4043.php, Datum des Zugriffs 24.09.2023.


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