Frank-Olaf Brauerhoch, Silvia Dabo-Cruz: Begegnung der Generationen: Alt und Jung im Studium
Rezensiert von Dipl.-Psych. Heike Neidhardt, 03.10.2006

Frank-Olaf Brauerhoch, Silvia Dabo-Cruz: Begegnung der Generationen: Alt und Jung im Studium. Schulz-Kirchner Verlag (Idstein) 2005. 145 Seiten. ISBN 978-3-8248-0270-8. 20,95 EUR.
Entstehungshintergrund
Im Rahmen der zunehmenden Diskussion um den demografischen Wandel und die "Alterung der Gesellschaft" rücken auch Fragen des Verhältnisses der Generationen in den Vordergrund. Vielfach wird dafür plädiert, Möglichkeiten intergenerationeller Begegnung und Verständigung zu schaffen - in der Hoffnung, dass diese sich positiv auf das gesellschaftliche Miteinander und die gesamtgesellschaftliche Entwicklung auswirken.
Einen solchen Ort der Begegnung zwischen Jung und Alt bietet das Seniorenstudium: die Öffnung der Universitäten für Ältere, die dann gemeinsam mit jüngeren "Regelstudierenden" an Lehrveranstaltungen teilnehmen. An der Universität Frankfurt/Main wurde dies bereits vor vielen Jahren unter dem Titel "Universität des 3. Lebensalters" etabliert. In diesem Rahmen entstand die vorliegende Studie. Ziel war zu untersuchen, wie Ältere und Jüngere das gemeinsame Lernen wahrnehmen und bewerten und inwiefern die Hochschule somit einen Beitrag zur intergenerationellen Integration schaffen kann. Auf knapp 100 Seiten wird diese Zielsetzung bearbeitet.
1. Theoretischer Hintergrund
Brauerhoch und Dabo-Cruz stellen zunächst dar, inwiefern sich die Studie in die gerontologische Forschungstradition an der Frankfurter Universität des 3. Lebensalters einreiht. Die Arbeit knüpft an vorherige Forschungsarbeiten zu Fragen der Erfahrungen Jüngerer und Älterer im Seniorenstudium an und erweitert diese. Zudem bezieht sie sich auf einige aktuelle gesellschaftliche und wissenschaftliche Diskussionslinien im Themenfeld der Generationenbeziehungen:
- In der öffentlichen Wahrnehmung lassen sich zwei entgegengesetzte Szenarien beobachten: So wird auf der einen Seite häufig das Schreckensszenario der "Überalterung" und eines "Kriegs der Generationen" gezeichnet. Auf der anderen Seite werden Solidarität der Generationen, gegenseitige Hilfe und Unterstützung mit positiven Auswirkungen, etwa auf die sozialen Sicherungssysteme, angenommen.
- Mit der Wahrnehmung von Altersmerkmalen hat sich die soziale Kognitionsforschung auseinandergesetzt und fand u.a. eine Tendenz zur Bildung von Altersstereotypen - unklar sind jedoch potenzielle Folgen für die Interaktion zwischen Jung und Alt.
- Soziologen konnten zeigen, dass Menschen sich zunehmend eher altersgleiche Interaktionspartner suchen - möglicherweise braucht es "Gelegenheitsstrukturen" wie etwa das Seniorenstudium, um ein Aufeinandertreffen der Angehöriger verschiedener Generationen zu fördern.
- Schließlich sind aus pädagogisch-didaktischen Gesichtspunkten Fragen des intergenerationellen Lernens von Interesse. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob eine altersheterogene Gruppenzusammensetzung tatsächlich zu einer Interaktion und einem (lernförderlichen?) Austausch generationsspezifischer Erfahrungen und Kenntnisse führt.
2. Ziel der Studie
Vor den genannten theoretischen Hintergründen wurde eine Befragung jüngerer und älterer Studierender an der Universität Frankfurt/Main konzipiert mit dem Ziel, Aussagen über die Wahrnehmung der jeweils anderen sowie der eigenen Gruppe zu erhalten. Als Besonderheit im Vergleich zu den meisten bisherigen Studien betonen die beiden Autor/innen, dass sie bewusst auch Jüngere in die Befragung mit einbeziehen und dabei für beide den selben Fragebogen anwenden, um zu vermeiden, dass von vornherein eine Differenz zwischen Jung und Alt postuliert wird.
3. Methodisches Vorgehen
Die Befragung erfolgte mittels eines Fragebogens, der in Lehrveranstaltungen ausgegeben wurde, welche sowohl von jüngeren als auch älteren (hier definiert als über 50-jährigen) Studierenden besucht wurden. Der Bogen enthielt geschlossene Fragen zu
- demografischen Variablen,
- den Motiven des Universitätsbesuchs und der Zufriedenheit mit den besuchten Veranstaltungen,
- dem Sozialverhalten, welches die jüngere und die ältere Generation jeweils an sich und den Andersaltrigen wahrnehmen, z.B. "Abschweifen vom Thema" oder "Beharren auf persönlichen Erfahrungen",
- dem Erleben und der Bewertung situationsbedingter Erfahrungen wie etwa "Sichtweisen der anderen kennen lernen" oder "sich unsicher fühlen",
sowie am Schluss die Möglichkeit, in offener Form zusätzliche Mitteilungen einzutragen.
Die Ergebnisse aus den einzelnen Fragebereichen werden ausführlich und mit grafischer Unterstützung durch Balkendiagramme dargestellt.
4. Zusammenfassung der Ergebnisse
Einige zentrale Befunde, die Brauerhoch und Dabo-Cruz in ihrer Zusammenfassung aufführen, seien hier genannt:
- Die Betrachtung und Beurteilung von Alter und dem damit verknüpften Verhalten ist kontextabhängig und relational. Dies zeigt sich etwa darin, dass Jüngere die gemeinsame Studiensituation dann als negativer bewerten, wenn die Anzahl Älterer in einer Lehrveranstaltung überwiegt.
- Die Mehrzahl der Befragten nimmt die altersheterogene Situation nicht als etwas Besonderes wahr. Somit finden aktuell diskutierte Thesen, Generationen würden als deutlich getrennt, gegensätzlich und einander tendenziell ablehnend wahrgenommen, hier keine Bestätigung.
- Die meisten Befragten beurteilten den gemeinsamen Veranstaltungsbesuch positiv, wobei diese Akzeptanz bei den Jüngeren im Vergleich etwas niedriger ist. Befürchtungen, intergenerationelles Lernen an der Hochschule würde meist zu Konflikten führen und von Jüngeren abgelehnt, können somit nicht bestätigt werden.
- Eine differenzierte Beobachtung der Befragten konnte festgestellt werden - die gemeinsame Studiensituation scheint dazu beizutragen, dass verstärkt einzelne Personen und deren Verhalten wahrgenommen werden, weniger das gemeinsame Merkmal Alter. Somit kann von positiven Effekten für den Abbau von Altersstereotypen und die Förderung gegenseitiger Akzeptanz ausgegangen werden.
- Als Ursachen für wahrgenommene Probleme der gemeinsamen Lernsituation wurden in erster Linie Faktoren gefunden, die nicht unmittelbar durch das Alter an sich bedingt sind, etwa eine unterschiedliche Interessenslage (wenn für Jüngere z.B. das Erbringen verpflichtender Leistungsnachweisen im Vordergrund steht, da sie abschlussbezogen mit dem Ziel der Ausbildung für einen Beruf studieren, dann wird verständlich, warum sie ggf. die Konkurrenz um Sitzplätze mit Älteren als negativ bewerten). Es kann angenommen werden, dass unter ungünstigen Rahmenbedingungen und knappen Ressourcen eher Ausgrenzungswünsche zwischen Jung und Alt entstehen als unter günstigen Bedingungen.
- Weder für die jüngeren noch die älteren Studierenden war das Zusammentreffen mit einer anderen Altersgruppe aussschlaggebend für den Veranstaltungsbesuch. Jedoch wurden die sich bietenden Gelegenheiten intergenerationellen Austauschs wahrgenommen.
4. Konsequenzen
Abschließend erörtern die Autor/innen einige Schlussfolgerungen, die sich aus den Befunden ergeben. Insgesamt kann, so ihr Resümee, das gemeinsame Lernen an der Universität des 3. Lebensalters als positiv gewertet werden und sollte somit fortgesetzt werden. Jedoch sind Konsequenzen in Bezug auf die als problematisch erkannten Situationen zu ziehen - so wäre etwa an einen Steuerung des Zugangs zu bestimmten Veranstaltungen zu denken, um eine Dominanz Älterer zu verhindern und Jüngeren die Chance zu eine zielgerichteten Gestaltung ihrer Erstausbildung zu gewähren. Die größte Herausforderung für zukünftige Planungen intergenerationeller Veranstaltungen liegt laut Brauerhoch und Dabo-Cruz darin, didaktische Modelle zu entwickeln, die eine gewinnbringende Nutzung der gemeinsamen Lernsituation ermöglichen, in der wechselseitige Lernprozesse zwischen den Generationen unterstützt werden.
Zielgruppen
Die Studie ist in erster Linie für Wissenschaftler/innen und Studierende interessant, die sich mit Fragen intergenerationellen Lernens auseinandersetzen. Sie besitzt aber auch hohe Relevanz für in der Erwachsenenbildung praktisch Tätige - sowohl Bildungsplaner/innen an Universitäten oder Weiterbildungseinrichtungen als auch Dozent/innen werden, wenn sie sich auf dieses wissenschaftlich orientierte Werk einlassen, für die Besonderheiten des Lehrens und Lernens in altersheterogenen Gruppen sensibilisiert und dürften Anregungen für die Gestaltung intergenerationeller Lernsituationen erhalten.
Diskussion
An Sprache und Inhalt wird deutlich, dass das Werk im wissenschaftlichen Kontext entstanden ist und sich - und das bei guter Lesbarkeit! - in erster Linie an eine wissenschaftliche Zielgruppe richtet. So finden interessierte Forscher/innen zusätzlich zu einer differenzierten und gut nachvollziehbaren Darstellung der theoretischen Grundlagen, Methoden und Ergebnisse auch einen 43-seitigen Anhang mit zahlreichen detaillierten Tabellen, in denen die quantitativen Ergebnisse incl. statistischer Kennwerte dargestellt sind. Im Text dagegen finden sich neben der Erläuterung solch abstrakter Zahlen jedoch auch viele wörtliche Zitate der Befragten. Solch konkrete beispielhafte Aussagen unterstützen nicht nur die Nachvollziehbarkeit der Untersuchung, sondern sorgen auch für sprachliche Lebendigkeit, die auch weniger wissenschafts-affine Leser/innen ansprechen dürfte.
Als eine nicht unbedeutende Ursache für den überzeugenden Gesamteindruck des Werkes darf sicherlich die Fachkompetenz der beiden Autor/innen gewertet werden, die sich in ihren Kompetenzen sinnvoll zu ergänzen scheinen:
Der Soziologe Dr. Frank-Olaf Brauerhoch leitet das Büro für Sozialforschung in Frankfurt am Main und verfügt u.a. über umfassende Erfahrungen im Bereich der empirischen Sozialforschung. Die Pädagogin Silvia Dabo-Cruz ist Leiterin der Geschäftsstelle der Universität des 3. Lebensalters in Frankfurt am Main und hat dort bereits unterschiedliche Projekte im Bereich der Sozialen Gerontologie durchgeführt und begleitet.
Fazit
Das Werk stellt eine wichtige Arbeit im Rahmen der Forschung zu intergenerationellem Lernen dar und gehört bisher zu den wenigen Studien, in denen nicht nur Ältere zu ihrer Wahrnehmung des Lernens in altersgemischten Gruppen befragt wurden, sondern auch Jüngere. Die Ergebnisse tragen dazu bei, Vorurteile und Stereotype über das Aufeinandertreffen von Jung und Alt abzubauen, und sensibilisieren für Chancen gemeinsamen Lernens.
Ein Buch, das nicht nur Wissenschaftler/innen erwachsenenpädagogischer bzw. gerontologischer Tradition ansprechen wird, sondern vielleicht im einen oder anderen Fall auch Dozent/innen, die intergenerationelle Lernsituationen gewinnbringend gestalten möchten.
Rezension von
Dipl.-Psych. Heike Neidhardt
M.A., Selbstständige Fachautorin, Online-Trainerin und Dozenten-Coach
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