Roswitha Königswieser (Hrsg.): Komplementärberatung. Das Zusammenspiel von [...]
Rezensiert von Prof. Dr. Ruth Simsa, 20.03.2007
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Roswitha Königswieser (Hrsg.): Komplementärberatung. Das Zusammenspiel von Fach- und Prozeß-Know-how.
Klett-Cotta Verlag
(Stuttgart) 2006.
232 Seiten.
ISBN 978-3-608-94142-5.
22,50 EUR.
CH: 40,50 sFr.
Unter Mitarbeit von Gerhard Jochum.
Thema
Die Autoren versuchen, den Zugang der klassischen Fachberatung mit jenem der Systemischen Prozessberatung zu integrieren im Rahmen der sogenannten Komplementärberatung. Dies soll Kunden das Neben- oder Nacheinander von grundsätzlich verschiedenen Beratungsansätzen ersparen und ein adäquateres Intervenieren in Organisationen ermöglichen. Grundlage sind neben einer Begleitforschung v.a. Erfahrungen aus Kundenprojekten sowie Diskussionen und Reflexionen mit Beratern und Managern.
Aufbau und Inhalt
Zunächst wird der gesellschaftlich und wirtschaftlich relevante Kontext für Beratung beschrieben, Stichworte dazu sind v.a. die Beschleunigung gesellschaftlicher Veränderungen mit ihren Auswirkungen auf Organisationen und Personen, die Flexibilitätsanforderungen an Personen, welche zudem aus Entwicklungen der Arbeitsmärkte resultieren. Auch in der Wirtschaft verkürzen sich Planungshorizonte aufgrund von Globalisierung und der Shareholder-Value-Dynamik.
Konsequenzen für die Beratung sind zum einen die Notwendigkeiten der Thematisierung von latenten Themen (der "Hintergrundbühne") sowie von erlebten Widersprüchen. Während auf der sogenannten Vorderbühne über offensichtliche Themen gesprochen wird - derzeit sind das v.a. Zeitdruck, Informationsmangel und zu wenig Einfluss - , geht es auf der Hinterbühne um das Agieren von Unsicherheiten, blinden Flecken und Dilemmata, wie etwa Widersprüche zwischen den Ansprüchen des Kapitalmarktes und jenen der Mitarbeiter, zwischen Rollenanforderungen und Bedürfnissen der Führungskräfte. Im nächsten Schritt werden die jeweiligen Grenzen von Fach- und Prozessberatung analysiert, sowie auch die Entstehung des Widerstreits zwischen diesen Zugängen. Grundlagen dafür sind theoretisch-konzeptionell sowie auf Erfahrungswissen begründet. Daraufhin wird das Konzept der Komplementärberatung vorgestellt in Hinblick auf Besonderheiten, Hintergründe und Werte. Mit Fachberatung wird hier der Einsatz von Fachwissen z.B. in Betriebswirtschaft, Technik etc. von externen Spezialisten gemeint, die sich v.a. auf standardisiertes Wissen und Interpretationskompetenz von Daten stützen und Lösungen entwickeln. Die systemische Prozessberatung dagegen konzentriert sich auf die Verbesserung der Kommunikationsprozesse innerhalb von Organisationen und zu deren Umwelt. Interventionen sollen primär der Nutzung der Selbststeuerungsfähigkeit der Organisation dienen. Die Komplementärberatung wird als Zusammenwirken von Fach- und Prozessberatung formuliert und soll Unternehmen zu ressourcenschonenderen, schnelleren, gezielteren Ergebnissen verhelfen. Basis davon ist das SIM-Modell, das systemische Integrationsmanagement. Dieses betont die Bedeutung der Vision als Orientierungsgröße von Entwicklung, die Wechselwirkung der Dimensionen Strategie, Struktur, Kultur, die Bedeutung gemeinsamer Reflexion, die fließende Grenze zwischen weichen und harten Faktoren und die Notwendigkeit der Integration unvermeidlicher Widersprüche in Entwicklungsprozessen.
Komplementärberatung soll Form und Inhalt integrieren und fügt daher dem SIM Modell drei zusätzliche Elemente hinzu: Komplementarität, Kompensation und integrierende Ergebnis-Orientierung.
- Mit Komplementarität ist die wechselseitige Ergänzung unterschiedlicher Kompetenzen der Berater gemeint.
- Kompensation meint die Ergänzung des im Kunden-System vorhandenen Know-how, Ziel dabei ist es, schrittweise möglichst viele Fähigkeiten in diesem aufzubauen.
- Mit integrierender Ergebnis-Orientierung ist die Ausrichtung an der beabsichtigten Wirkung bei gleichzeitiger Ergebnis-Offenheit gemeint. Wie dies genau vorzustellen ist, bleibt allerdings teilweise offen. In Bezug auf die angestrebte Wirkung wird jedenfalls unterschieden nach dem Was (Zeit, Geld, Marktpositionen…) und dem Wie (Problemlösungskompetenz, Lernfähigkeit...). Diese drei Dimensionen werden im "Diamant der Komplementärberatung" noch ergänzt um jene der Reflexion, der systemischen Werthaltung und der Wertschätzung.
Danach wird Fallbeispielen aus der angewandten Komplementärberatung breiter Raum gegeben. Hier werden quer über unterschiedliche Branchen - IT, Industrie, Flughafen, Handel - und Themenstellungen - Change, Strategieentwicklung, Konfliktmanagement etc. - konkrete Erfahrungen beschrieben.
Fazit
Das Buch ist sehr interessant, die inhaltliche Argumentation ist nachvollziehbar und sinnvoll, es ist allerdings v.a. im Kernbereich, in dem das Beratungskonzept erklärt wird, etwas sperrig zu lesen - hier ist es komplizierter aufgebaut und formuliert als es notwendig, d.h. dem Inhalt angemessen wäre. Weiters fehlen teilweise konkretisierende Erläuterungen zu den "Mühen der Ebene": Wie kann z.B. die konkrete Zusammenarbeit zwischen Fach- und Prozessberatung gestalten werden, wie kann mit widersprüchlichen ökonomischen Interessen umgegangen werden, wie kann das oft angeratene Oszillieren zwischen Einstellungen der Fach- und jenen der systemischen Beratung tatsächlich in integrierter Weise gelingen etc. Deutlicher und nachvollziehbarer ist das Buch immer dort, wo es um Fragen der Haltung, der Denk- und Verhaltensweisen geht. Insbesondere hier werden Grenzen der jeweiligen Paradigmen deutlich, werden teilweise fast Tabus - zu Recht - gebrochen, wenn etwa in einem systemischen Kontext die zumindest teilweise Berechtigung von klarem Ursache-Wirkungs-Denken oder klare inhaltliche Positionierungen der Berater explizit formuliert wird. Alles in allem gibt das Buch jedenfalls für Berater wichtige Anstöße, zumindest gedanklich über die Grenzen der eigenen Profession und des eigenen Selbstverständnisses hinaus zu denken.
Rezension von
Prof. Dr. Ruth Simsa
Wirtschaftsuniversität Wien
Institut für Soziologie, NOP Institut
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